1. Kapitel: Cage-Fight
Die Faust schlägt in sein Gesicht ein. Ein Knacken. Blut schießt ihm aus der Nase. Er ist irritiert. Wasser füllt seine Augen.
Ich juble innerlich. Setze nach. Er weicht zwei, drei Schritte zurück, das ist schon mal ein gutes Zeichen. Er ist nur noch eine Handbreit von den Gitterstäben entfernt. Ich muss ihn dort hintreiben, ihn mit meinen Fäusten ans Eisen nieten. Dann ist er am Arsch!
Doch Roloff geht auf einmal zum Gegenangriff über. Ohne Respekt und Achtung. Schüttelt sich, pariert jeden Schlag, spielt Konter aus. Punktiert meine Rippenbögen mit seinen Knien, mit richtig fiesen Knee-Strikes.
Roloff, fast zwei Meter groß, mit Armen und Beinen dick wie Baumstämme, ist mindestens zwanzig Kilo schwerer als ich. Beim Cage-Fight in der City-Hall gibt's keine Gewichtsklassen. Alles ist erlaubt. Er kann mich hier zu Frikassee verarbeiten - unter den Augen des werten Publikums. Auf einen Ringrichter, der in der Not dazwischen geht, hofft man vergebens. Man ist auf die Gnade des Gegenübers angewiesen. Entweder hört er von alleine auf, wenn er merkt, dass es keine Gegenwehr mehr gibt, oder er kriegt mit, wenn man abklatscht oder bewusstlos ist. Oder tot.
Ich ducke mich, eine Faust, massig wie eine Abrissbirne, rast über mir hinweg. Wir kämpfen nicht mit schicken Box-Handschuhen. Auch die dünnen Martial-Arts-Handschuhe sind verpönt. Wir kämpfen mit bloßen Fäusten. Bare-Nuckle - astrein und unverfälscht.
Im nächsten Moment saust erneut sein Knie hoch. Ich drehe mich weg. Er trifft mich am Oberschenkel. Glück gehabt. Hätte anders aussehen können. Von uns trägt keiner ein Suspensorium, das einem die Kronjuwelen schützt. Ein Treffer im Unterleib, und der Kampf ist von einer Sekunde auf die andere zu Ende.
Roloffs Glatzkopf, mit schwarzen Runen-Tätowierungen verziert, glänzt vor Schweiß. Langsam flippt der Hüne aus. Er weiß, seine Chance auf einen raschen Sieg ist verflogen. Er versucht es jetzt auf die brachiale Methode. Drischt auf mich ein, als wäre ich ein Box-Sack. Er stöhnt, schreit, brüllt.
Für mich heißt es: Verteidigung. Deckung hoch. Ausweichen. Mich von den Gitterstäben fernhalten.
Hier in der City-Hall ist ein Cage-Fight noch ein richtiger Fight in einem richtigen Käfig. Kein so 'n Kinderkram mit Maschendraht. Der Käfig befindet sich in der Mitte der Halle und misst sechs mal sechs Meter, so groß etwa wie ein Boxring. Die Gitterstäbe sind im Boden und in der Decke fest verankert, gehen also gute acht Meter in die Höhe. Ja, die City-Hall ist kein Kinderzimmer, kein Separee, keine Wohlfühl-Lounge. Im letzten Jahrhundert war sie mal eine Werkshalle. Hier passen vielleicht hundert Leute rein. Und alle wollen einen Platz ganz nah am Käfig ergattern. Damit ihnen nichts entgeht.
Ich hoffe, dass er müde wird. Roloff hat die Kraft eines Elefantenbullen, aber die Kondition eines Rentners mit Sauerstoffflaschen am Rollator. Meine Muskulatur ist angespannt. Ich habe alles im Griff. Denke ich jedenfalls.
Ein Irrtum! Ein Moment der Unachtsamkeit. Er packt mich. Hebt mich hoch. Ich setze eine Halsklammer an. Er zieht den Kopf ein. Seine Trapezmuskeln treten wie Berge hervor. Ich versuche, seine Hüfte mit den Beinen zu umfangen. Bin chancenlos. Er hievt mich noch eine Etage höher. Grunzt. Ich weiß, was der Scheißkerl vorhat. Er holt jetzt Schwung. Schleudert mich zu Boden. Mit voller Wucht. Auf den Beton. Ich liebe Betonböden. Ich liebe es, auf ihnen zu kämpfen. Gepolsterte Böden sind nur was für Memmen. Muss die Muskeln rechtzeitig anspannen. Ziehe den Kopf in der Luft ein. Wenn ich damit aufpralle, ist das Genick gebrochen.
Wenn ich Glück habe.
Vielleicht bin ich dann aber auch gelähmt. Vom Hals abwärts. Das wäre so eine Scheiße. Ich kann nur hoffen, dass die Kumpels mir in so einem Fall auf dem Weg in die Katakomben ein Kissen aufs Gesicht drücken. Für den Rest des Lebens in einem Pflegebett dahinvegetieren - nee, das wär nichts für mich.
Knalle auf den Beton. Rechte Schulter, rechter Rückenmuskel, rechte Hüfte. Ein Schmerz sticht hoch bis ins Hirn. Sehe über mir Roloff, der sich auf mich wirft. Kann gerade noch die Arme vors Gesicht bringen.
Er landet auf mir. Ich ächze wie eine ausgetretene Holzdiele. Das Publikum, das direkt hinter den Gitterstäben steht, johlt, man bespritzt uns mit Bier.
Die Adern an seinen Armen, seinen Schultern, seinem Hals schwellen an. Ich sehe den Wahnsinn in seinen Augen! Sehe, dass er mich umbringen will. Wir kennen uns schon seit gut einem Jahr. Haben den einen oder anderen Fight schon miteinander gehabt. Er ist langsam, ich bin schnell. Er schlägt wie ein Vorschlaghammer, ich schlage gezielt. Er ist verrückt, ich gehe systematisch vor. Er ist kein schlechter Kerl. Wir sind keine Freunde, aber wir haben immer einigermaßen fair miteinander gekämpft. Bislang. Jetzt will er mich auf einmal erledigen. Will mich am liebsten tot sehen. Ich sehe die Vorfreude! Sehe, wie ihm fast einer abgeht. In seinen Augen steht die Mordlust. Was zum Henker ist mit ihm los? Seine Fäuste wirbeln, er will mir den Schädel einschlagen, den Betonboden mit meinem zermanschten Hirn beschmieren.
Meine Hand schießt hoch. Reflexartig. Die Finger gestreckt. Starr wie ein Buchenbrett. Sie stechen in seinen Kehlkopf.
Roloff erstarrt in der Bewegung. Der Mund klappt auf. Die Augen ploppen fast aus dem Schädel. Seine Hände gehen hoch zum Hals. Ich drehe mich, werfe ihn ab. Im nächsten Moment bin ich auf den Beinen.
Die Rufe des Publikums verhallen. Ich höre meinen Atem rasseln. Wische mir Schweiß und Blut aus dem Gesicht.
Roloff berappelt sich wieder. Springt auf. Seine Mordlust hat nur für einen Moment ausgesetzt. Er stürzt sich auf mich. Ich erwische ihn mit einem harten Punch, er wird gegen die Käfigwand geschleudert. Fällt.
Jetzt ist es an mir, die Initiative zu ergreifen. Er ist am Boden, breitet haltsuchend die Arme aus. Die rechte Hand umfasst einen Gitterstab. Der Ellenbogen drückt auf den Gitterstab daneben. Dazwischen der Unterarm. Ein wahnwitziger Gedanke. Ich hole aus. Komme mir vor, als wäre ich auf dem Fußballplatz. Ein Freistoß aus dreißig Metern. Ich trete zu. Der Tritt des Jahrhunderts. Ich schieße eine Kanonenkugel ins Weltall. Ich zertrete Roloffs rechten Unterarm, die Elle, die Speiche.
Ein Knall erfüllt die Halle. Schockstarre in den Kehlen der Zuschauer.
Die Knochen splittern, durchstoßen Muskeln und Haut. Die Blutströme halten sich seltsamerweise in Grenzen. Offensichtlich sind keine lebenswichtigen Adern verletzt worden. Roloff nimmt alles nüchtern zur Kenntnis, als wäre ein Pickel auf seinem Arm geplatzt. Er ist schneller auf den Beinen, als mir lieb ist. Anscheinend hat er kein Schmerzempfinden, nicht das geringste. Aber ich kenne das, eine hohe Adrenalin-Dosis wirkt wie eine örtliche Betäubung.
Unbeeindruckt marschiert er auf mich los. Tritt abwechselnd mit beiden Beinen zu. Roundhouse-Kicks in Richtung Kopf. Der Fluch der Chuck-Norris-Filme.
Ich zögere wegen seiner Verletzung. Bin irgendwie gehemmt und wehre nur ab. Weiche zurück. Nach den Tritten setzt er seinen rechten Arm wie eine Sense ein. Die Hand mit der Hälfte seines Unterarmes baumelt wie ein loser Klöppel herab. Aber die spitzen, scharfen Knochen von Elle und Speiche, die wie Messer aus seiner Haut herausragen, sausen ein ums andere Mal an meinem Gesicht vorbei. Als ich eine Etage tiefer gehe und nach seinen Beinen greife, fahren mir die gesplitterten Knochen über die Stirn. Ich bleibe trotzdem an ihm dran, packe ihn, schmeiße ihn zu Boden. Springe auf seine Brust. Beginne, seinen Schädel zu bearbeiten. Ich weiß, ich muss ihn ausknocken.
Dass er abklatscht, glaube ich nicht.
Dann - wieder einmal - überrascht er mich: Er stößt die blanken Knochen hoch in mein Gesicht, sie zischen vorbei, ich kriege den Arm zu packen, drehe ihn in die entgegengesetzte Richtung und - zack - reißen die Knochen ihm die Halsschlagader auf.
Blut schießt mir ins Gesicht. Eine wahre Fontäne. Ich lasse den Scheißkerl los, hämmere mit den Fäusten in seine Fresse. Alles wird schmierig, meine Schläge gleiten ab. Seine Gegenwehr lässt nach. Die Kräfte schwinden. Ein Blutteich bildet sich um seinen Kopf. Die Leute sind aus dem Häuschen. »TÖTE IHN!« . »TÖTE IHN!« . »TÖTE IHN!« Die Daumen zeigen nach unten.
Es ist Zeit, den Dampfhammer rauszuholen. Meine Finger verhaken sich ineinander. Ich hebe die Hände über den Kopf.
Doch dann blicke ich in Roloffs Augen. Sämtliche Mordlust ist aus ihnen gewichen. Er starrt verunsichert zu mir hoch. Ungläubig. Seine Lippen zucken. Er will was sagen. Ich weiß nur, dass ich nicht zuschlagen kann.
»TÖTE IHN!« . »SCHLACHTE IHN AB!« . »SCHLAG IHN TOT!«
Die Menge tobt, sie bewirft mich mit Bierbechern, Dosen, zerknülltem Fresspapier. Wahnsinn, wie schnell das geht. Sein Arm mit den gebrochenen Knochen hebt sich. Er könnte ihn mir ins Gesicht stoßen. Doch die Geste bedeutet etwas anderes. Roloff, dieses Arschloch, das vor wenigen Minuten versucht hat, mich umzubringen, bittet um Gnade.
Ich schreie: »EIN ARZT! EIN ARZT, VERDAMMT NOCH MAL!« Aber da kommt kein Arzt. Roloff wird bleich. Er läuft aus. Ich drücke die Hände auf die Wunde am Hals. Aber es ist sinnlos. Die Finger schmieren ab. »EIN VERBAND! IRGENDWAS!«
Ich kriege »FEIGLING« . »WEICHLING« . »LUSCHE« zu hören. Und lautes Gelächter.
Dann landet ein Sweat-Shirt auf dem Betonboden neben mir. Von irgendwoher. Ich grapsche es und presse es gegen die zerrissene Halsschlagader. Es klappt. Es saugt sich voll, der Körper hört auf auszubluten. Roloff verdreht die Augen. Sein Arm fällt zu Boden. Im...