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2. Kapitel
Das Inti-Raymi-Fest
Langsam ging der Tag zu Ende. Die Stadt Quito schickte sich an, zur Ruhe zu gehen. Vereinzelte Lichter erhellten den düsteren Nachthimmel, irgendwie schien drohendes Unheil in der Luft zu liegen. Acht Tage waren seit der Beerdigung des Sapan Apu vergangen. Die Lage in Quito war angespannt. Unruhe und Verunsicherung hatten die Menschen erfasst, was nicht zuletzt auf die Anwesenheit des Militärs zurückzuführen war, das sich in den umliegenden Hügeln niedergelassen hatte. Seltsame Gerüchte machten die Runde. Einige wollten wissen, dass sich Atahuallpa nach dem Beschluss seines Vaters über die Thronfolge Huáscars selbst das Leben genommen habe. Andere meinten, er habe die Stadt verlassen, um in den Provinzen Krieger anzuwerben, mit denen er die Hauptstadt einnehmen wolle. Man erzählte sich auch, dass der Aca Vallpa, der oberste Heerführer, und Vaylla Visa, der Hohepriester, in Erfüllung ihres Auftrages, Huayna Cápacs letzten Willen durchzusetzen, getötet worden seien. Letzten Endes war all dieses Gerede aber nicht dazu angetan, die aufgeregten Gemüter zu beruhigen. Im Gegenteil: Furcht vor unmittelbar bevorstehenden, unheilvollen Ereignissen breitete sich aus.
In irgendeinem Teil des Palastes, wo bereits seit acht Tagen und Nächten Wachpersonal Posten bezogen hatte, trafen zwei vornehme Inkas zusammen. In sie hatte der verstorbene Herrscher sein größtes Vertrauen gesetzt. Respekt vor der Religion und dem Brauchtum befähigten sie vor allen anderen für ihre hohen Ämter. Auch das Volk erhoffte sich, wenn überhaupt, dann Dank ihres Einsatzes die Wiederherstellung geordneter Verhältnisse.
Diese beiden Männer waren der Aca Vallpa und der Vaylla Visa, die ihre Nervosität und Unruhe nur mühsam voreinander verbergen konnten. Die gegenwärtige Situation bedrückte auch sie. Rege gestikulierend durchquerten sie einen nach dem anderen der verwaisten Räume, bis sie schließlich im Saal der aucha machos, der früheren Mitglieder des Großen Rates, ankamen.
„Jetzt reicht es!“, rief der Aca Vallpa aus und hielt seinen Zorn nicht mehr länger zurück. „Acht Tage haben wir nun dieses Gebäude nicht mehr verlassen, nichts mehr gegessen und nichts mehr getrunken! Das ist selbst für einen gesunden und starken Mann zu viel des Guten!“
„Du hast Recht!“, bekräftigte der Villac Umu. „Aber du musst auch bedenken, dass die Natur stärker ist als der Mensch! Atahuallpa wird seine freiwillig in Anspruch genommene Zuflucht verlassen, wenn ihn Hunger und Durst dazu treiben.“
„Acht Tage Ungewissheit“, meinte Túpac Varka, der alte runa quipoc inca, der oberste Quipuverwalter des Reiches. „Wir wissen noch immer nicht, ob er uns als Freunde oder Feinde betrachtet, ob wir unserem Auftrag friedlich nachkommen können oder ob uns Aufstand oder gar Bürgerkrieg erwarten...“
„Ihr müsst Geduld haben“, forderte der Vaylla Visa. „Wenn der geeignete Augenblick gekommen ist, werden wir es wissen.“
Dann herrschte wieder bedrückendes Schweigen. Die hohen Beamten zogen sich in ihr Gemach zurück und nahmen sich vor, die Stellung auch weiterhin zu halten. Plötzlich drangen Laute von außen an ihre Ohren. Da kam jemand gelaufen, der allerdings bemüht war, das geräuschvolle Tap-Tap der Strohsandalen auf den Fliesen so gering wie möglich zu halten. Ein Wortwechsel mit Wachposten entspann sich und gleich darauf erschien ein Hauptmann, dem ein Bediensteter des Palastes folgte. Der Hohepriester und der General nahmen sogleich eine erwartungsvolle Haltung an.
„Was bringst du für Neuigkeiten, Maytac?“, fragte der Vaylla Visa.
Der mit Maytac Angesprochene stammte nicht aus dem Geschlecht der Inka, trug also auch keinen goldenen Ohrring, der ihn als solchen ausgewiesen hätte. In unterwürfiger und respektvoller Haltung stand er vor den beiden Männern und antwortete aufgeregt, wobei er es nicht wagte, den Hohepriester anzublicken: „Tatallay ... Der Punchas Inka hat nach Essen und Trinken verlangt!“
Das genügte. Die beiden hohen Würdenträger sahen sich kurz an, dann begaben sie sich unverzüglich wieder in das Nebenzimmer, um die Neuigkeit weiter zu vermelden. Höchste Eile schien geboten.
„Der befürchtete Augenblick ist gekommen“, sagte der Villac Umu. „Wir müssen uns auf die nächsten Stunden konzentrieren. Jetzt kommt es darauf an, das Richtige zu tun und uns vor allem unserer Verantwortung zu stellen.“
Vor der Tür entstand erneut Unruhe, laute Stimmen ertönten, dann trat der Anführer des Wachpersonals ein und stellte Rumiñahui, einen jungen Inka vor, der zum engsten Freundeskreis Atahuallpas gehörte.
„Viracocha, unser Vater, erhalte euch Weisheit und Gesundheit!“, rief der Jüngling, indem er sich vor dem General und dem Hohepriester verbeugte.
„Er möge dich vor allem Übel bewahren!“, erwiderte der Vaylla Visa. „Was willst du von uns, churillay?“
„Sapan Apullay bittet euch so schnell wie möglich in sein Gemach zu kommen“, sagte Rumiñahui und beobachtete aus den Augenwinkeln die Reaktion der beiden Männer beim Gebrauch des Ehrentitels des höchsten Herrschers.
Die beiden Beamten schauten einander an, gaben jedoch keinen Kommentar ab. Aus ihrer Erfahrung wussten sie, dass es sich empfahl, in gewissen Situation besser zu schweigen – was nicht bedeutete, dass man die eigenen Grundsätze ganz allgemein über den Haufen werfen musste.
Sie fanden Atahuallpa am üppig gedeckten Tisch und stellten sogleich fest, dass er bereits reichlich zugegriffen hatte. Mehrere Schüsseln waren zur Hälfte geleert, daneben standen ein paar Krüge mit goldgelber Flüssigkeit. Sie enthielten chicha, Maisbier, das beliebteste Getränk des Volkes, das mancherorts auch aca genannt wurde. Dabei wurden die Getreidekörner gekaut und in warmes Wasser gespuckt. Nach acht Tagen Gärung ergab das den begehrten Trank.
Drei hübsche junge Mädchen und ein anderer Inka leisteten ihm Gesellschaft, außerdem war Rumiñahui anwesend. An den glänzenden Augen, den rotbackigen Wangen, den zweideutigen Reden und dem kecken Lachen war deutlich zu erkennen, dass sie dem Alkohol schon reichlich zugesprochen hatten.
Überraschenderweise zeigte sich Atahuallpa gut gelaunt und lud die Neuankömmlinge freundlich ein, am Tisch Platz zu nehmen. Eines der Mädchen schenkte ihnen chicha ein. Der Hohepriester und der General kamen aus dem Staunen nicht heraus. Es hatte nicht den Anschein, als ob Huayna Cápacs Sohn viele Tage in Klausur zugebracht habe. Hatte er sich eventuell nur zurückgezogen, um an stillem Orte Orgien zu feiern? Bei einem Mann wie Atahuallpa wäre auch das nicht verwunderlich gewesen.
„Wir freuen uns, dich bei guter Laune zu sehen, oh Punchas Inka!“, rief der Vaylla Visa. „Dies spricht für deine Kraft und deinen Verstand.“
„Damit man geistig in Form bleibt, muss man vor allem den Bedürfnissen des Körpers Rechnung tragen!“, entgegnete Atahuallpa und lachte zynisch. Seine Zechgenossen stimmten willfährig ein.
Es war offensichtlich, dass Atahuallpa vor seinen Freunden keine Geheimnisse hatte. Und noch deutlicher konnte man sehen, wie es um die Beziehungen der Runde untereinander bestellt war. Die Mädchen waren zwar traditionell gekleidet, allerdings auch ziemlich freizügig. Sie waren in keiner Weise darauf aus, mit ihren Reizen zu geizen.
„Chalcuc Chima, nimm meine Freunde mit dir!“, befahl Atahuallpa, gab sich erstaunlich ernsthaft und vollführte eine knappe Handgebärde. Chalcuc Chima, ein hochgewachsener, muskelbepackter Mann, der schon etwas älter wirkte als die anderen, wirkte diensteifrig und erhob sich. Die vielen Jahre gemeinsamen Umgangs hatten die Standesschranken untereinander etwas verschoben, das war offensichtlich. Rasch verschwanden die Höflinge.
Atahuallpa und die beiden ranghöchsten Würdenträger des apucuna, des Großen Rates der Vizekönige von Tahuantinsuyu waren allein. Sie vermieden, einander anzublicken. Spannung lag in der Luft, es war ein schicksalsträchtiger Augenblick für die Männer, die Bewohner der Stadt und das ganze Land.
Schließlich begann der Prinz zu sprechen. Sein Ton war ruhig und überraschend respektvoll. Die letzten Tage habe er zum Anlass genommen, um seine Gebete zum Höchsten Vater auszusenden, zum allmächtigen Schöpfer aller Dinge, um Verstand und Weisheit zu erflehen. Dann habe er die Lage gründlich durchdacht. Sein Trachten sei nicht auf bloße Machtausübung um der Macht willen gerichtet, sondern er sei davon überzeugt, seinem Volk aufgrund seiner Fähigkeiten als Thronfolger das Beste zu bieten und es weise, gut und gerecht regieren zu können. Doch da dies offenbar...
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