Prolog
von Markus Zydra
Am 11. Mai 2000 betritt eine ältere Dame das Casino in Baden-Baden. Sie trägt einen schicken Hut und Handschuhe. In ihrer eleganten Handtasche liegen 20 000 Mark in bar. Sie ist die Tochter eines Diplomaten, spricht mehrere Sprachen und bewegt sich trittsicher auf internationalem Parkett - in diesem Augenblick ist sie aber doch ein wenig nervös.
Einige Tage zuvor, in einer Wohnung im Zentrum Baden-Badens: Eine Familie sitzt in der Küche am Esstisch und schmiedet einen Plan. Der Familienvater kennt sich im Bankwesen aus, er hegt einen schlimmen Verdacht und will nun die Spielbank der Stadt auf die Probe stellen. Dazu braucht er aber noch einen Mitspieler oder eine Mitspielerin. Seine Schwiegermutter schaut auf - und nickt. Sie wird es machen, sie wird den Lockvogel spielen. Damals ist sie bereits über achtzig Jahre alt.
Evelyn Schmidt betritt also wenige Tage später gegen 20 Uhr das nahe gelegene Kurhaus, wo die Spielbank ihre vornehme Adresse hat. Am Empfang legt sie die 20 000 Mark aus ihrer Handtasche auf den Tisch. Der Casino-Beschäftigte nimmt das Geld umstandslos entgegen und gibt ihr den Depot-Beleg mit der laufenden Nummer 3340. Mit unschuldiger Miene fragt die elegante Dame, ob sie auf dieses Depot auch Geld überweisen könne. Der Herr am Schalter antwortet: »Das ist überhaupt kein Problem.« Da schnappt die Falle zum ersten Mal zu, denn dem Casino ist es gesetzlich verboten, ein Konto anzubieten. Das dürfen nur Banken.
Doch das Spiel mit der Spielbank geht noch weiter: Wenige Tage später gehen als anonyme Überweisung aus der Schweiz 35 200 Mark auf das Spielbankkonto von Evelyn Schmidt ein. Hinter der Überweisung steckt ihr Schwiegersohn Andreas. Die Familie ist gespannt: Wird die Spielbank Baden-Baden wenigstens jetzt so reagieren, wie es das Gesetz verlangt? Wird sie wegen der anonymen Einzahlung bei den zuständigen Behörden Alarm schlagen? Bingo! Die Spielbank Baden-Baden tut - nichts. Evelyn Schmidt hat bewiesen, dass es hinter den Türen der Spielbank der eleganten Kurstadt nicht mit rechten Dingen zugeht, und sie hat bewiesen, dass es ein Leichtes ist, in unserem Lande Geld zu waschen.
Der aufmerksame Leser ahnt es vielleicht schon: Hinter Schwiegersohn Andreas verbirgt sich einer der beiden Autoren dieses Buches, Andreas Frank. Ich lerne ihn vor einigen Jahren im Zuge meiner Recherchen zum Thema Geldwäsche kennen. Wir sitzen in seinem Arbeitszimmer, als er mir diese Geschichte erzählt. Durch das Fenster blickt man auf die Mammutbäume im Garten. Irgendwo im Haus bellt der Rottweiler. Frank zeigt mit dem Finger auf den Bildschirm seines Computers: Es sind die Kontobelege seiner Schwiegermutter aus dem Casino. Die wagemutige Aktion liegt zu dem Zeitpunkt fast zwanzig Jahre zurück, doch Frank erinnert sich noch gut an diese Finte. Die Spielbank Baden-Baden hat er damals schon lange im Visier. Er ist nicht etwa Fahnder oder Kriminalbeamter, er ist Banker. Und als einer der Direktoren einer Privatbank erlebt er 1994 hautnah, wie sein Kollege, ebenfalls ein Direktor, das Geld der Kunden veruntreut und in diesem Casino verspielt. Der Kollege war spielsüchtig, das war auch in der Spielbank bekannt angesichts der hohen Beträge, die der Mann Abend für Abend in das Haus trug. Das Casino belieh also Wertpapiere, von denen klar war, dass sie dem Direktor nicht gehörten. Der Fall ging durch die Presse, der spielsüchtige Direktor wurde später verurteilt. Der Spielbank passierte nichts. Das ärgert Andreas Frank, er schreibt unermüdlich Beschwerdebriefe an Behörden und Politiker, die aber zu nichts führen.
Doch in Berlin bei der deutschen Finanzaufsicht wird der Fall aufmerksam verfolgt, denn die Spielbank stand schon lange in Verdacht, ihren Kunden illegal Konten anzubieten. Das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BaKred), das für diese Vergehen zu jener Zeit zuständig ist, hatte der Spielbank bereits in einem Mahnschreiben ausdrücklich untersagt, Spieler mit Konten zu versorgen. Doch hielt sich die Spielbank daran? Eines Tages meldet sich ein Mitarbeiter dieser Behörde bei Andreas Frank. Erstaunlicherweise bittet ihn dieser Mitarbeiter, seiner Behörde zu helfen. Könne er nicht prüfen, ob sich das Casino an die Regeln hält? Als Vertrauensbeweis schickt er ihm besagtes Mahnschreiben zu.
Andreas Frank ist perplex: Er, ein ganz normaler Bürger, soll der Behörde bei solch einer Ermittlung helfen? Gibt es dafür keine Spezialisten? Ist er selbst überhaupt in der Lage, die Spielbank hieb- und stichfest zu überführen? Er möchte es versuchen, sein Jagdinstinkt ist geweckt, und ja, er will, dass sich die Spielbank ihrer Verantwortung stellt.
Im Team mit seiner Schwiegermutter beschafft er die Beweise. Die schriftliche Dokumentation des Rechtsverstoßes durch das Casino übergibt Andreas Frank wie gewünscht dem Bundesaufsichtsamt. Ende gut, alles gut?
Weit gefehlt. Nach der »Aktion Schwiegermutter« geschehen seltsame Dinge. Plötzlich wird gegen Evelyn Schmidt wegen des Verdachts der Geldwäsche ermittelt, nicht aber gegen die Inhaber von Hunderten Depots mit hohen Geldbeträgen bei der Spielbank. Es gibt staatsanwaltschaftliche Durchsuchungen von Franks Haus und Büro, um vertrauliche Informationen wie etwa das Schreiben des BaKred zu beschlagnahmen. Auf wundersame Weise kommt die Spielbank in den Besitz dieser Informationen. Dann schneit eine Steuerprüfung ins franksche Haus. Sie findet nichts, die Anzeige gegen ihn - sie ist haltlos. Doch es bleiben Fragen: Wer macht da Druck auf ihn? Wer will ihn einschüchtern? Es kommt noch schlimmer: Seine Kinder berichten, sie seien von einem fremden Mann fotografiert worden. Die Oberbürgermeisterin von Baden-Baden warnt ihn, er solle besser immer unter das Auto schauen, bevor er den Zündschlüssel umdreht. Die Familie besorgt sich als Schutz einen Rottweiler. »Der Hund lässt jeden rein, aber niemanden mehr raus«, antwortet er jedem, der fragt.
Irgendwann beruhigt sich die Lage. Und Andreas Frank? Macht weiter. Bei der EU-Kommission reicht er zwei Beschwerden gegen Deutschland ein, denn Geldwäscherecht ist Europarecht, und Deutschland hat es nicht vollständig umgesetzt. Aufgrund der zwei Beschwerden mit den Aktenzeichen 2005/4572 und 2009/4572 rüffelt die EU-Kommission daraufhin Deutschland in einem Vertragsverletzungsverfahren. Ein großer Erfolg für Andreas Frank.[1]
Doch die Freude darüber trübt sich bald, als Frank merkt, dass Deutschland trotz alledem immer noch nicht mit aller Macht gegen Geldwäsche vorgeht. Er verfasst weitere Beschwerden - an die EU-Kommission, an die Bundesregierung, an die zuständigen Minister in den Bundesländern. Und er stellt Strafanzeige gegen Günther Oettinger. Der damalige CDU-Ministerpräsident Baden-Württembergs ist 2010 auf dem Sprung nach Brüssel als EU-Kommissar. Frank findet, Oettinger habe das Desaster bei der Geldwäschebekämpfung im eigenen Bundesland zu lange geduldet. Die Anzeige bringt Öffentlichkeit, mehr nicht. Andreas Frank recherchiert. Er ruft bei den Aufsichtsämtern an und fragt, wie es läuft mit der Geldwäschekontrolle. Ihm wird gesagt, dass es zu wenig Personal gebe, ja noch schlimmer: Insider verraten ihm, es fehle in Deutschland der politische Wille, gegen Finanzkriminalität vorzugehen.
Frank tritt in Kontakt mit anderen Antigeldwäscheexperten, er baut sich ein Netzwerk. Das alles macht er wohlgemerkt in seiner Freizeit. Im Hauptberuf ist er immer noch im Finanzbereich tätig. Doch sein Engagement wird von Fachleuten geschätzt und ernst genommen: Als Fachmann für die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung wird er als Sachverständiger vom Bundestag, dem Europarat und dem Europäischen Parlament eingeladen. Als Mitglied eines internationalen parlamentarischen Forums wird er als Referent zum US-Kongress, der französischen Nationalversammlung und anderen Parlamenten gebeten. Er besucht Fachkonferenzen im In- und Ausland. Frank besitzt inzwischen einen riesigen Berg von Korrespondenzen mit den Mächtigen der Welt und kann auf Knopfdruck nachlesen, wie sie sich immer aufs Neue herausreden. Seine Datenbank ist ein spannendes Stück Zeitgeschichte.
Andreas Frank hat sein Leben dem Kampf gegen Finanzkriminalität verschrieben, seit fünfundzwanzig Jahren ist er in dieser Mission unterwegs. Er lässt nichts unversucht, um die Bundesregierung und den Bundestag in die Verantwortung zu nehmen. Sie...