Schweitzer Fachinformationen
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North Carolina hat ein gemäßigtes Klima, was entscheidend zu seiner Attraktivität beiträgt. Die Winter sind mild. Der Frühling kommt zeitig. Ja, die Sommer sind heiß, aber der Herbst bringt Erleichterung und hält lange an. Die Eichen behalten ihre Blätter bis weit in den Dezember, und manchmal, wenn der Winter besonders freundlich ist, behalten manche Arten - die Lebenseiche ist eine davon, mit ihren schmalen, federförmigen, zart wirkenden Blättern - ihr Laub den ganzen Winter über.
Der Junge, der Juniper an jenem ersten Tag begrüßt hatte, Xavier Alston-Holt, wusste eine Menge über Bäume. Sie waren aber nicht von besonderer Bedeutung für ihn; Musik interessierte ihn weit mehr, vor allem Musik, für die man Akustikgitarren brauchte. Gitarren waren allerdings aus Holz, wenn seine Mutter ihm also endlos was über alle möglichen Bäume erzählte, ihre Standorte, ihre Bewohner, ihre Eigenschaften, ihre Feinde (diese Liste wurde angeführt von gierigen Bauherren), passte er meistens auf. Als seine Mutter weinend im Garten stand und filmte, an dem Tag, als das angrenzende Grundstück geräumt wurde, an dem Tag, an dem Männer mit Kettensägen und Schleifsteinen bei Sonnenaufgang anfingen und bis Sonnenuntergang weitermachten, rauschten ihm noch die ganze Nacht die Ohren, und er blieb im Garten, den Arm und ihre Schultern gelegt, weil es das war, was er für sie tun konnte. Sie hatte so viel für ihn getan.
Xavier war also nicht überrascht, und wir auch nicht, dass seine Mutter nicht besonders erpicht darauf war, die Nachbarn kennenzulernen, die das neu gebaute Haus hinter ihrem gekauft hatten. Valerie Alston-Holt wusste nicht genau, wie sie freundlich sein sollte zu der Art Leute, die ihr Geld sparten, um davon ein altes Haus abzureißen und Bäume zu fällen. Alle Bäume. »Solche Leute«, sagte sie mehr als einmal - denn so etwas passierte in Oak Knoll mittlerweile in verschiedenen Abstufungen immer wieder -, »solche Leute haben kein Gewissen. Es ist, als würden sie die Natur vergewaltigen. Ermorden. Bäume sind Leben. Nicht nur mein Leben«, fügte sie hinzu, denn Forstwirtschaft und Ökologie waren ihre Fachgebiete, »sondern einfach Leben, Punkt. Sie stellen buchstäblich Sauerstoff her. Wir müssen mindestens sieben Bäume pro Mensch auf diesem Planeten behalten, sonst wird die Menschheit ersticken. Überleg dir das mal.«
Xavier ging in den bewaldeten vorderen Teil des Gartens, wo seine Mutter Pfingstrosen für den Nachttisch einer kranken Nachbarin schnitt. Die Blumenbeete rund um ihr bescheidenes Backsteinhaus, das 1952 erbaut und seitdem kaum renoviert worden war, waren Valeries Lieblinge, direkt nach ihrem Sohn und einem Baum: der massiven alten, fünfundzwanzig Meter hohen Eiche, die ihren Garten dominierte. Man sollte nicht meinen, dass ein Baum einem Menschen so viel bedeuten kann. Dieser Baum jedoch war mehr als ein prächtiges Stück arboreale Geschichte; für Valerie Alston-Holt war er ein Zeitzeuge und ein Begleiter. Sein dicker Stamm war das Erste, was sie sah, jedes Mal, wenn sie aus dem Fenster in den Garten blickte. Er erinnerte sie an so viele Augenblicke in all den Jahren, die sie hier lebten, nicht zuletzt an die Sommernacht, in der sie dort gestanden, ihre Stirn an die schrundige graubraune Borke gepresst und geweint hatte, während Xavier in seinem Bettchen schlief, noch zu klein, um zu verstehen, dass Gott ihnen gerade das Wichtigste genommen hatte.
Sechs Sorten Iris. Pfingstrosen in vier verschiedenen Farben. Azaleen, Phlox, Schneeglöckchen, Kamelien, Rhododendren, Klematis, Geißblatt, Jasmin - welche Pflanze Ihnen auch einfallen mag: Sofern sie in diesem Staat wuchs, hatte Valerie Holt sie irgendwo auf dem Grundstück. Sich um ihre Pflanzen zu kümmern, war ihre Therapie, sagte sie gern, ihre Art, den Stress abzubauen, den es mit sich brachte, Studenten im Grundstudium zu unterrichten - oder den Stress, den es mit sich brachte, sich mit dem Institutsleiter und dem Dekan auseinanderzusetzen. Die jungen Leute waren eigentlich ganz toll. Neugierig. Klug. Politisch auf eine Weise, die ihr gefiel - auf eine nutzbringende Weise, die half, natürliche Lebensräume zu schützen. Oder zumindest versuchten sie das, und das war schon eine Menge wert. Junge Leute würden die Welt vor sich selbst retten. Und sie würde sie dazu ermuntern, auf jede erdenkliche Weise.
»Es ist so weit«, sagte Xavier jetzt zu ihr.
»Was ist so weit? Gehst du irgendwo hin?« Sie legte die Blumen und die Schere in den Korb und richtete sich auf. »Ich dachte, du würdest das alte Laub für mich entsorgen.«
»Tue ich auch. Wir haben neue Nachbarn.«
»Ach, das. Ich weiß. Das war unvermeidlich. Wie der Tod«, fügte Valerie mit einem kläglichen Lächeln hinzu.
»Eine habe ich gerade kennengelernt«, sagte Xavier. »Sie sagt, es sind sie, ihre Schwester und ihre Eltern.«
»Nur vier Leute in dem großen Haus?«
Xavier zuckte mit den Schultern. »Schätze schon.«
»Wie alt?«
»Das Mädchen? So alt wie ich, ungefähr. Und eine kleine Schwester, hat sie gesagt. Ich hab nicht weiter gefragt.«
Seine Mutter nickte. »Okay. Danke für die Info.«
»Soll ich dir Bescheid sagen, falls die Eltern rauskommen?«
»Nein. Ja. Natürlich. Ich werde eine gute Nachbarin sein.«
»Bist du immer.«
»Danke, Zay.«
»Ich sag nur, wie es ist.«
»Das müssen wir auch, soweit wir können.«
Xavier kehrte in den hinteren Teil des Gartens zurück und begann, die Blätter dort zusammenzurechen, wo seine Mutter vorhatte, einen Karpfenteich anzulegen. Da er bald nach San Francisco gehen würde, aufs Konservatorium, brauchte sie, wie sie sagte, neue Wesen, die sie beschäftigt hielten, schon damit sie ihn nicht jeden Tag anrief, um zu hören, ob er ohne sie am anderen Ende des Landes auch überlebte. Er wusste, sie machte Witze; sie würde so oder so nicht jeden Tag anrufen. Sie würde es wollen, aber sie würde es nicht tun. Er verstand das. Sie waren lange Zeit ein ziemlich exklusives Duo gewesen.
Er hatte gesagt: »Leg den Teich an, und vielleicht gehst du mal aus, mit jemandem von hier.«
»Ach, ausgerechnet du redest vom Ausgehen?«
Er schenkte ihr das schiefe Lächeln, das ihn bei den älteren Damen in Oak Knoll so beliebt machte, und bei den Mädchen an seiner Schule bestimmt auch, da waren wir sicher. Er sagte: »Ich bin zu beschäftigt für eine Freundin.«
»Wohl eher zu wählerisch.«
»Das bist du, aber ich?«, sagte er.
Tatsache ist, Xavier war sowohl sehr beschäftigt als auch wählerisch - aber in erster Linie wählerisch. Er hatte noch keine kennengelernt, die ihm das Gefühl gab, seine Prioritäten überdenken zu müssen. Er hatte massig Freundinnen, darunter auch Mädchen, die mit ihm ausgegangen wären, wenn er sich auf diese Weise für sie interessiert hätte. Das tat er aber nicht, denn er kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass er ein Typ für alles oder nichts war. Schon immer gewesen war. Er hatte sich im letzten Jahr mit ein paar Mädchen getroffen, nach Lust und Gelegenheit, aber eine Beziehung kam für ihn im Moment nicht infrage. Seine Liebe galt der Musik.
Er sah zu dem Mädchen am Pool hinüber, der neuen Nachbarin, dem Mädchen, das er gerade kennengelernt hatte. Wie heißt sie?, dachte er. Warum willst du das wissen?, dachte er gleich darauf. Mach einfach deine Arbeit.
Xavier war sechs Jahre alt gewesen, als er zum ersten Mal auf einer Gitarre geschrammelt hatte, bei einer Geburtstagsparty der Tochter von einer Kollegin seiner Mom. Mehrere Erwachsene hatten Instrumente mitgebracht - Gitarren, Mandolinen, Bongos, eine Mundharmonika -, und nach dem Kuchen und den Geschenken versammelten sich alle auf den Plastikstühlen auf der unebenen Terrasse, um zu musizieren und zu singen. Erst waren es Kinderlieder, dann viel von Neil Young und den Beatles und ein bisschen was von James Taylor. Xavier fand die Musik schön, aber eine bestimmte Gitarre machte ihn richtig neugierig. Ihm gefiel, wie sie aussah, genau wie ihr klarer, hoher Klang. Er fragte den Besitzer, einen Geschichtsprofessor namens Sean, ob er mal probieren dürfe. Sean drückte ihn auf einen Stuhl und legte ihm die Gitarre in den Schoß. Das Instrument war riesig, verglichen mit dem dünnen kleinen Jungen. Xavier hielt das Instrument am Hals, griff einmal darüber, strich über die Saiten, und das war's, es war um ihn geschehen. Eine Woche später nahm er seine erste Stunde. Mit zehn war er auf klassische Musik festgelegt; nur Klassik ließ ihn Schönheit fühlen, und er brauchte dieses Gefühl, um das ganze emotionale Rauschen seiner Welt durchzustehen. Zu Beginn dieses Jahres, inzwischen achtzehn, hatte er sich dann um einen der begehrten Plätze am Konservatorium in San Francisco beworben und ihn bekommen.
Xavier rechte die Blätter zu einem Haufen und fing an, sie in die biologisch abbaubaren Säcke zu stopfen, die Valerie in einem Laden gekauft hatte, in dem alles viermal so viel kostete wie seine günstigere, meist aber (auf die ein oder andere Weise) giftige Alternative. Der Großteil ihrer Putzmittel, Hygieneprodukte, Lebensmittel und Klamotten stammte von dort. In Anbetracht dieser Ausgaben und des Gartens und Xaviers Musikstunden war es kein Wunder, dass kein Geld für eine Renovierung da war, wäre Valerie überhaupt daran gelegen. Wir machen uns manchmal über sie lustig - so, wie wir uns über unseren Freund lustig machten, der die Paleo-Diät so weit trieb, dass er nicht mal mehr Körner essen wollte, wenn diese Körner nicht von Hand mit einem Stein gemahlen worden waren. Valerie erwiderte unsere...
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