Erstes Kapitel
Er lag im Bett, auf dem Bauch. Sein hünenhafter Körper füllte es vom einen bis zum anderen Ende aus. Zwei Frauen beugten sich über ihn und strichen ihm unter vielen »Ohs« und »Ahs« immer wieder über den Leib. Sie waren so in ihr Tun vertieft, dass sie gar nicht bemerkten, wie Luna ins Zimmer kam. Selbst ihr Klopfen hatten sie offenbar nicht gehört. Luna schüttelte den Kopf, obwohl sie durchaus verstehen konnte, warum die Frauen so gefesselt waren.
Denn Joe war schließlich splitterfasernackt.
Und auf dem Hintern schien er eine . Tätowierung zu haben.
Ha! Luna kniff die Augen zusammen, um die verschnörkelte Inschrift zu entziffern, die sich um ein dreidimensional wirkendes Herz schlang. Offenbar lautete sie Ich liebe Lou. Luna runzelte die Stirn. Was hatte das denn zu bedeuten? Sie wusste mit hundertprozentiger Sicherheit, dass Joe Winston nicht schwul war. Davon legten ja auch die beiden Barbiepuppen Zeugnis ab, die gerade dabei waren, ihn zu betatschen.
»Ich wünschte, er würde endlich aufwachen«, flüsterte eine der beiden Frauen voller Verlangen.
Die andere seufzte. »Ich versuche schon seit einer halben Stunde, ihn zu wecken, aber es will mir einfach nicht gelingen.«
Luna räusperte sich. Als die Frauen erschrocken aufblickten und sie mit schuldbewusster Miene ansahen, erklärte sie: »Die Wohnungstür war nicht abgeschlossen.«
Statt sie, wie Luna erwartet hatte, zu fragen, was sie hier zu suchen habe, oder sie aus der Wohnung zu weisen, wechselten die Frauen einen Blick und wurden knallrot. Die vollbusige Blondine hörte sogar auf, Joe zu streicheln, und nahm die Hände von seinem Rücken.
Die Rothaarige knabberte nervös an ihrer Unterlippe herum. »Ähm . Wer sind Sie denn?«
Da Luna bemerkte, dass Joe sich nicht rührte und offenbar wirklich fest schlief, ergriff sie die Gelegenheit beim Schopfe. Sie starrte die beiden Frauen mit gespielter Empörung an und reckte verächtlich das Kinn. »Ich bin seine Frau«, log sie. »Verschwinden Sie.«
Dass sie ihre Aussage nicht anzweifelten, verriet Luna alles, was sie wissen musste. Diese Frauen konnten Joe nichts bedeuten, denn sonst hätten sie gewusst, dass er nichts vom Heiraten hielt. Als die beiden an ihr vorbeitrippelten, hätte sie fast gelächelt. In diesem Augenblick entdeckte sie die Flasche mit Pillen, die auf Joes Nachttisch stand.
Rasch ging Luna zum Nachttisch und las das Etikett. Bei den Pillen handelte es sich um ein ziemlich starkes Schmerzmittel. Stirnrunzelnd stellte Luna die Flasche wieder hin. Kein Wunder, dass er so lethargisch war. Was war bloß passiert? Warum hatte er Medikamente genommen?
»Joe?«
Er gab ein leises, grunzendes Schnarchen von sich und bewegte sich kaum merklich. Unwillkürlich zog es ihre Hand zu seinen breiten, kräftigen Schultern. Als Luna ihn berührte, seine heiße seidige Haut und sein festes Fleisch spürte, merkte sie, dass sie zitterte. Nicht dass sie das, was sie hergeführt hatte, nervös machte. Nicht im Geringsten. Aber Joe war schließlich nackt, und das reichte ganz gewiss aus, um eine heißblütige Frau zum Zittern zu bringen.
Drei lange Monate hatte sie ihn nicht gesehen. Bei ihrem letzten Date hatte er gesagt, dass er sich nicht mehr mit ihr verabreden würde, wenn sie sich weigerte, mit ihm ins Bett zu gehen.
Sie hatte sich geweigert.
Sein dichtes, blauschwarzes Haar war völlig zerzaust und hob sich scharf von dem zerknitterten, schneeweißen Kissenbezug ab. Die Muskeln seiner mit dunklen Stoppeln übersäten Kinnlade wirkten angespannt, und als Luna genauer hinsah, entdeckte sie eine ins Purpurne spielende Verfärbung um sein Auge. War es blau?
Luna setzte sich auf die Bettkante und rüttelte ihn an der Schulter. »Joe, wach auf.«
Ihre Nähe hatte zur Folge, dass seine Nase zuckte. Dann runzelte er leicht die Stirn und atmete langsam tief ein. Mit einiger Mühe gelang es ihm, eines seiner mit dichten Wimpern besetzten Augen zu öffnen. Mehrere Sekunden lang starrten sie einander an.
Abrupt öffnete sich das andere seiner dunkelblauen Augen, sodass Luna unversehens in den Bann seines durchdringenden Blicks geriet. »Mir war doch so, als kenne ich diesen Duft«, sagte er mit einer Stimme, die vom Schlaf noch ganz tief und rau war.
»Tut mir Leid, Kumpel«, erwiderte Luna verwundert, »aber ich hab gar kein Parfüm benutzt .«
Doch als Joe sich ächzend auf den Rücken drehte, blieben ihr die Worte in der Kehle stecken. Was sie sah, war schockierend. Seine Rippen waren lädiert, seine Brust, sein Gesicht und sein Unterleib mit blauen Flecken und Schrammen übersät.
Jemand hatte ihn zusammengeschlagen.
Empörung stieg in ihr auf, doch in diese Empörung mischte sich eine gehörige Portion Erregung, denn der Anblick, den sein nackter Körper von vorn bot, war rundum prächtig.
Joe Winston mochte ein ziemlicher Blödmann, ja, sogar ein sexistisches Schwein sein, doch an seinem Körperbau hatte Luna nicht das Geringste auszusetzen. Er bestand rundum aus schwellenden Muskeln, kräftigen langen Gliedmaßen und dunklen Haaren. Und einen Sexappeal strömte der Mann aus - bis zum Gehtnichtmehr.
Während sie mit sich rang und versuchte, den Blick von ihm abzuwenden, packte Joe sie bei den Oberarmen und zog sie auf sich.
»Du brauchst kein Parfüm«, säuselte er in verführerischem Ton.
»O nein, mein Junge«, stieß Luna alarmiert hervor. »Lass das gefälligst .«
Obwohl er geschwächt war und unter dem Einfluss von Medikamenten stand, bereitete es Joe keine Mühe, sie zu überwältigen. Zum Schluss lag sie so auf ihm, dass ihre Brüste gegen seine breite haarige Brust drückten und ihre Beine zwischen den seinen klemmten. Er ächzte vor Schmerz, um gleich darauf zufrieden zu knurren.
»Joe«, versuchte sie zu protestieren, doch in diesem Augenblick pressten sich seine Lippen auf ihren Mund.
Obwohl Luna wollüstig erschauerte, als seine kräftigen Arme sie umfingen, sein Unterleib sich gegen ihren Bauch presste und sein feuchter heißer Mund sich über den ihren hermachte, war ihr bewusst, wie gefährlich diese Situation war. Im Vergleich zu Joe wirkten die sommerlichen Temperaturen, die draußen herrschten, geradezu winterlich. Der Mann war einfach zu heiß. So war das aber immer gewesen. Sobald er sie berührte, setzte ihr Verstand aus.
Ohne es zu wollen, schloss Luna die Augen und gab einen Moment, einen einzigen Moment lang nach, um seinen Kuss zu erwidern.
Er stieß einen hungrigen Laut aus und legte ihr seine große harte Hand flach auf den Rücken, der, da sie ein Top mit Nackenband trug, größtenteils nackt war. Seine rauen warmen Fingerspitzen glitten nach unten und schlossen sich mit sanftem Druck um eine ihrer Gesäßbacken.
Blitzschnell sprang Luna aus dem Bett und starrte wütend zu Joe hinunter. Trotz ihrer Verärgerung musste sie sich eingestehen, dass er einfach zum Anbeißen aussah.
Er kniff seine tiefblauen Augen zusammen und sah sie durchdringend an. »Komm sofort wieder her.«
Das sagte er so, als erwartete er wirklich, dass sie ihm gehorchen würde. Und fast tat sie es auch. »Du«, erwiderte sie, heldenhaft der Versuchung widerstehend, »bist mit Medikamenten voll gepumpt.«
Seine Hand glitt zu seinem Schoß, und er ließ die Finger auf seiner Männlichkeit ruhen. »Ich bin aber trotzdem voll funktionsfähig«, murmelte Joe mit schiefem Lächeln.
Luna klappte der Unterkiefer herunter. O Gott! Obwohl sie die Fassung normalerweise nicht so leicht verlor, wurde ihr ganz schwummrig zumute. Am liebsten hätte sie ihn berührt, um seine Kraft zu spüren, über die heiße Seide seines Fleisches zu streichen, seine krausen schwarzen Haare anzufassen.
Absurd. Eine solche Wirkung hatten Männer sonst nicht auf sie, selbst muskulöse, übertrieben selbstbewusste Hünen nicht. Trotzdem bereitete es ihr Schwierigkeiten zu atmen und einen klaren Gedanken zu fassen. Sie schluckte schwer und zwang sich, ihren Blick auf sein Gesicht zu richten. »Deshalb bin ich nicht hergekommen, Joe.«
»Nein?«
»Sondern um mit dir zu reden.«
»Das können wir auch im Bett tun.«
Sein säuselnder Ton ging ihr durch und durch und brachte ihre Entschlossenheit ins Wanken. Sie riss sich zusammen und brachte ein spöttisches Lächeln zustande. »Ich hab noch nie einen Mann gekannt, den Schmerzmittel sexuell erregen.«
Sein Blick wanderte über ihre Brüste, die sich unter ihrem farbenfrohen, mit glänzenden Perlen besetzten Top abzeichneten. »Ich schlucke jetzt seit drei Tagen Schmerzmittel, Schätzchen. Dass die mich anturnen, kann ich wirklich nicht behaupten.«
Luna beschlich ein Verdacht. »Dann bist du wohl gar nicht so hinüber, wie ich dachte, wie?«
Ächzend versuchte er, sich im Bett aufzurichten. »Nein. Jedenfalls nicht mehr. Aber Schmerzen habe ich nach wie vor. Hilf mir mal, ja?«
Mit aufeinander gepressten Lippen und wachsamem Blick schlang Luna beide Hände um seinen dicken Oberarm. Als sie spürte, wie seine Muskeln sich spannten, wurde ihr wieder ganz schwummrig. Er stemmte sich gegen sie und schob sich nach oben, bis er sich mit dem Rücken gegen die Kopfstütze des Bettes lehnen konnte. Die Anstrengung schien ihn so mitgenommen zu haben, dass er ganz bleich aussah. Fast tat er Luna ein bisschen Leid.
»Mannomann«, murmelte er, »meine Rippen bringen mich noch um, und mein Knie tut höllisch weh.«
Das sah sie. Er war geradezu starr vor Schmerz, seine Stirn feucht von Schweiß. Aber Joe war kein Mann, den man bemutterte, am allerwenigsten, wenn er nackt im Bett lag.
Sobald er aufrecht dasaß, stieß...