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VORWORT
Wir alle machen Fehler, aber den Dritten Weltkrieg auszulösen, wäre schon ein ziemlich beachtlicher gewesen. Allerdings behaupte ich bis heute, dass es nicht allein meine Schuld war. Doch ich greife vor.
Im Lauf meines Lebens bin ich nur knapp dem Zorn eines Hamburger Waffenhändlers entkommen, wurde im nigerianischen Bürgerkrieg von einem MiG-Kampfjet unter Beschuss genommen und landete während eines blutigen Staatsstreichs in Guinea-Bissau. Die Stasi verhaftete mich, die Israelis verwöhnten mich, die IRA provozierte einen hastigen Umzug von Irland nach England, und eine gewisse attraktive tschechoslowakische Geheimpolizistin - nun ja, was sie tat, war ein bisschen intimer. Und das ist nur der Anfang.
All das erlebte ich hautnah. Dennoch bin ich dabei immer ein Außenseiter geblieben.
Um ehrlich zu sein, ich hatte nie vor, Schriftsteller zu werden. Lange Phasen der Einsamkeit waren zunächst ein Begleitumstand, dann eine lieb gewonnene Gewohnheit und schließlich eine Notwendigkeit.
Schriftsteller sind nun einmal seltsame Wesen, und wenn sie versuchen, damit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, dann umso mehr. Dafür gibt es Gründe.
Der erste ist, dass der Schriftsteller die Hälfte seines Lebens in seinem Kopf verbringt. In diesem winzigen Raum werden ganze Welten erschaffen oder ausgelöscht, vielleicht auch beides. Figuren entstehen, arbeiten, lieben, kämpfen, sterben und werden ersetzt. Plots werden ersonnen, entwickelt, verbessert und verwirklicht oder verworfen. Das ist eine vollkommen andere Welt als die da draußen vor dem Fenster. Kinder werden für ihre Tagträumereien gescholten; für einen Schriftsteller sind sie unverzichtbar.
Daraus ergibt sich das Bedürfnis nach langen Phasen von Ruhe und Frieden, meist in vollkommener Stille, ohne auch nur die leiseste Musik, und daher ist Einsamkeit unabdingbar.
Wenn man das bedenkt, ist Schreiben - seit der Abschaffung der Leuchtturmwärter - die einzige Arbeit, bei der man vollkommen allein sein muss. Andere Berufe erfordern Kollegen. Der Pilot hat seine Crew, der Schauspieler den Rest der Besetzung, der Soldat seine Kameraden, der Büroangestellte seine um den Wasserspender versammelten Arbeitskollegen. Nur der Schriftsteller verriegelt die Tür, hängt das Telefon aus, schließt die Vorhänge und zieht sich allein in eine private Welt zurück. Der Mensch ist und war ein Herdentier seit der Zeit der Jäger und Sammler. Der Einsiedler ist ungewöhnlich, seltsam und manchmal absonderlich.
Gelegentlich sieht man einen Schriftsteller, der abends in der Stadt unterwegs ist, gepflegt essen geht, feiert, umgänglich ist, gesellig, sogar fröhlich. Vorsicht, das ist nur seine eine Hälfte. Die andere Hälfte ist distanziert, beobachtet, macht sich im Geist Notizen. Das ist der zweite Grund für die Seltsamkeit - die zwanghafte Distanz.
Insgeheim beobachtet der Schriftsteller ständig; er kann nicht anders. Er registriert, analysiert, merkt sich Dinge, archiviert Gesprächsfetzen und Verhaltensweisen seiner Umgebung zur späteren Verwendung. Schauspieler machen es genauso, aus denselben Gründen - zur späteren Verwendung. Doch dem Schriftsteller stehen nur Wörter zur Verfügung, karger als das Filmset oder die Bühne mit ihren Farben, Bewegungen, Gesten, Gesichtsausdrücken, Requisiten und der Musik.
Das absolute Bedürfnis nach umfassender Einsamkeit und die permanente Distanzierung von dem, was Malraux mit Condition humaine umschrieben hat, erklärt, warum ein Schriftsteller nie vollkommen dazu gehören kann. Zugehörigkeit bedeutet Selbstoffenbarung, Konformität und Gehorsam. Aber ein Schriftsteller muss ein Einzelgänger sein und daher stets ein Außenseiter.
Als Junge war ich besessen von Flugzeugen und wollte unbedingt Pilot werden. Doch schon damals nicht als Teil einer Flugzeugbesatzung. Ich wollte Einsitzer fliegen, was wahrscheinlich bereits ein Warnsignal war, wenn es denn jemand bemerkt hätte. Aber keinem fiel es auf.
Drei Faktoren trugen dazu bei, dass ich Stille in einer zunehmend lauteren Welt und Einsamkeit, wo die moderne Welt Menschengedränge verlangt, so sehr zu schätzen lernte. Zum einen war ich der Erstgeborene und blieb ein Einzelkind; und die sind immer etwas anders. Meine Eltern hätten vielleicht noch mehr Kinder bekommen, aber 1939 brach der Krieg aus, und als er geendet hatte, war es für meine Mutter zu spät.
So wuchs ich meist allein auf. Ein kleiner Junge kann in seinem Kinderzimmer eigene Spiele erfinden, kann dafür sorgen, dass sie nach seinen Regeln gespielt werden und zum gewünschten Ergebnis führen. Er gewöhnt sich daran, zu gewinnen, und das zu seinen Bedingungen. Hier beginnt die Einsamkeit bereits zur lieb gewonnenen Gewohnheit zu werden.
Der zweite Faktor für meine Isolation war durch den Zweiten Weltkrieg selbst bedingt. Meine Heimatstadt Ashford lag nahe der Küste und dem Ärmelkanal. Nur fünfunddreißig Kilometer über das Wasser entfernt war das von den Nazis besetzte Frankreich. Eine Zeit lang wartete die mächtige Wehrmacht auf eine Möglichkeit, diesen schmalen grauen Wasserstreifen zu überqueren, um einzumarschieren, zu erobern und zu besetzen. Die Bomber der Luftwaffe dröhnten über unsere Köpfe, um London anzugreifen oder, aus Furcht vor den lauernden Kampfflugzeugen der Royal Air Force, abzudrehen und ihre Bombenlast irgendwo über Kent abzuwerfen. Andere Bombenangriffe sollten den großen Eisenbahnknotenpunkt bei Ashford zerstören, keine fünfhundert Meter von meinem Elternhaus entfernt.
Was dazu führte, dass viele Kinder aus Ashford während des größten Teils des Krieges zu weit entfernten Pflegefamilien geschickt wurden. Abgesehen von einer kurzen Abwesenheit 1940 verbrachte ich den ganzen Krieg in Ashford, und da war sowieso niemand, mit dem ich hätte spielen können. Nicht dass es mir etwas ausmachte. Das hier ist nicht die Geschichte vom armen kleinen Wicht mit der traurigen Kindheit. Stille und Einsamkeit wurden mir nicht zum Fluch, sondern zu lieben und verlässlichen Freunden.
Der dritte Faktor war die Public School (womit natürlich die Privatschule gemeint ist), auf die ich mit dreizehn geschickt wurde. Heute ist die Tonbridge School eine gute und menschenfreundliche Einrichtung, aber damals stand sie in dem Ruf, besonders streng zu sein. Parkside, das Haus, dem ich zugeteilt wurde, war das brutalste von allen. Hier herrschte der Geist von Rohrstock und Schikane.
Damit konfrontiert, bleiben einem Jungen nur drei Möglichkeiten: zu kapitulieren und ein unterwürfiger Speichellecker zu werden, sich zur Wehr zu setzen oder sich in eine Art mentalen Panzer zurückzuziehen wie eine Schildkröte. Man kann überleben, es macht nur keinen Spaß. Ich überlebte.
Ich erinnere mich an das Leavers Concert im Dezember 1955, bei dem die Abgänger aufstehen und das »Carmen Tonbridgiensis« singen mussten, das Tonbridge-Lied. Eine der Verszeilen lautet: »Ich werde aus dem Garten vertrieben, die staubige Straße wartet.« Ich bewegte nur die Lippen ohne zu singen, mir bewusst, dass der »Garten« ein liebloses Klostergefängnis gewesen war und die »staubige Straße« ein sonnenbeschienener Pfad, der mich zu viel Spaß und vielen Abenteuern führen würde.
Also warum dann schließlich Schriftsteller werden? Durch puren Zufall. Ich wollte nicht schreiben, sondern die Welt bereisen. Ich wollte alles sehen, vom Schnee der Arktis bis zum Wüstensand der Sahara, von den Dschungeln Asiens bis zu den Savannen Afrikas. Da ich aber kein Geld hatte, entschied ich mich für einen Beruf, von dem ich glaubte, er würde mir das ermöglichen.
Während meiner Kindheit las mein Vater den Daily Express, damals eine angesehene Zeitung im Besitz von Lord Beaverbrook und herausgegeben von Arthur Christiansen. Beide waren äußerst stolz auf ihre Auslandsberichterstattung. Zur Frühstückszeit stand ich neben dem Ellbogen meines Vaters und las die Schlagzeilen und Datumsangaben mit. Singapur, Beirut, Moskau. Wo lagen diese Orte? Wie war es dort?
Geduldig wie immer und stets ermutigend, holte mein Vater den Familienatlas heraus und zeigte sie mir. Dann kam die vierundzwanzigbändige Ausgabe der Collins-Enzyklopädie, in der die Städte, Länder und Menschen beschrieben wurden, die dort lebten. Und ich schwor mir, dass ich das alles eines Tages sehen würde. Ich würde Auslandskorrespondent werden. Und das wurde ich, und ich sah alles.
Aber es ging nicht ums Schreiben, es ging ums Reisen. Erst als ich einunddreißig war, heimgekehrt aus einem afrikanischen Krieg, wie gewöhnlich vollkommen pleite, ohne Job und ohne Aussicht auf einen, kam ich auf die Idee, einen Roman zu schreiben, um meine Schulden zu bezahlen. Eine verrückte Idee.
Es gibt diverse Möglichkeiten, schnell zu Geld zu kommen, aber auf der Auswahlliste steht das Schreiben von Romanen weit unter dem Bankraub. Doch das wusste ich nicht, und ich nehme an, dass ich irgendwas richtig gemacht habe. Mein Verleger eröffnete mir zu meiner großen Überraschung, dass ich offenbar eine Geschichte erzählen konnte. Und das habe ich in den letzten fünfundvierzig Jahren getan, wobei ich immer noch reise, jetzt nicht mehr, um für Zeitungen aus dem Ausland zu berichtet, sondern um das für den nächsten Roman benötigte Material zu recherchieren. Das war der Moment, in dem die Vorliebe für Einsamkeit und Distanz zur absoluten Notwendigkeit wurde.
Mit sechsundsiebzig glaube ich, dass ich zum Teil auch Journalist geblieben bin, also die beiden Qualitäten beibehalten habe, über die ein Reporter verfügen muss: unstillbare Neugier und ein gesundes Maß an Skepsis. Zeigen Sie mir einen...
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