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London, Century House
Im Sommer des Jahre 1983 hob der damalige Chef des britischen Geheimdienstes SIS gegen einen gewissen Widerstand innerhalb seiner Behörde eine neue Abteilung aus der Taufe.
Die Opposition ging vor allem von den etablierten Abteilungen aus, die fast alle territoriale »Lehen« in sämtlichen Weltgegenden hatten, denn die neue Abteilung sollte umfassende Kompetenzen erhalten, die in andere Zuständigkeitsbereiche eingriffen.
Die Einrichtung der neuen Abteilung ging im wesentlichen auf zwei Gründe zurück. Der eine war die Hochstimmung, die nach dem britischen Erfolg im Falklandkrieg des Vorjahres in Westminster und Whitehall, vor allem aber innerhalb der konservativen Regierung herrschte. Trotz des militärischen Sieges hatte die Episode zu einer unerquicklichen und zuweilen giftigen Auseinandersetzung um die Frage geführt: Wie konnte es geschehen, daß wir derart überrumpelt wurden, als General Galtieris Streitkräfte in Fort Stanley landeten?
Zwischen den Ressorts schwelte der Streit über ein Jahr lang, und unvermeidlich verkam er zu Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen nach dem Motto: Wir-wurden-nicht-gewarnt-Doch-ihr-wurdet-gewarnt. Der Außenminister, Lord Carrington, sah sich genötigt, seinen Hut zu nehmen. Jahre später brach in den USA ein ähnlicher Zwist aus, als nach der Zerstörung der Pan-Am-Maschine über Lockerbie ein Geheimdienst behauptete, er habe eine Warnung weitergegeben, und ein anderer, er habe sie nie erhalten.
Den zweiten Anstoß lieferte der Umstand, daß Juri W. Andropow, fünfzehn Jahre lang KGB-Chef, in die höchste Machtposition gelangt war, als er Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion wurde. Unter Andropow, der seinem alten Geheimdienst die Gunst bewahrte, weitete der KGB seine aggressive Spionage und die sogenannten »aktiven Maßnahmen« gegen den Westen stark aus. Es war bekannt, daß Andropow, was die »aktiven Maßnahmen« anging, das Mittel der Desinformation bevorzugte: Lügen, demoralisierende Propaganda, gezielte Irreführung.
Margaret Thatcher, die sich zu jener Zeit ihren (von sowjetischer Seite verliehenen) Titel der »Eisernen Lady« verdiente, vertrat die Ansicht, daß man den Spieß auch umdrehen könne, und ließ durchblicken, sie würde nicht gerade erschrecken bei der Vorstellung, daß Englands eigener Geheimdienst den Sowjets auf diesem Gebiet ein wenig Kontra gäbe.
Die neue Abteilung erhielt einen höchst gewichtigen Namen: Deception, Disinformation and Psychological Operations (Täuschung, Desinformation und psychologische Operationen). Die Bezeichnung wurde natürlich sofort auf DD and P und schließlich nur noch auf DD verkürzt.
Ein neuer Abteilungschef wurde ernannt. So wie der Mann, der für das Gerät zuständig war, Der Quartiermeister, und der Mann, dem die Rechtsabteilung unterstand, Der Anwalt hieß, so wurde dem neuen Chef von DD von irgendeinem Witzbold in der Kantine der Beiname Der Täuscher verpaßt.
Im Besitz der Weisheit des Hinterher-Wissens, jener kostbaren Gabe, die viel häufiger gewährt wird als ihr Gegenstück, die kluge Voraussicht, hätte man (was später auch geschah) an der Wahl Sir Arthurs, des SIS-Chefs, Kritik üben können. Seine Wahl fiel nicht auf einen Karrierebeamten aus der Chefetage, gewohnt, Umsicht und Bedeutsamkeit walten zu lassen, wie es einem wahren Beamten ansteht, sondern auf einen ehemaligen Außenagenten, der der Abteilung DDR angehörte.
Der Mann hieß Sam McCready, und er leitete die neue Abteilung sieben Jahre lang. Aber alle guten Dinge haben einmal ein Ende. Im Spätfrühjahr 1990 fand im Herzen des Regierungsviertels Whitehall ein Gespräch statt .
Der junge Sekretär erhob sich mit einem geübten Lächeln hinter seinem Schreibtisch im Vorzimmer.
»Ah, Sir Mark. Der Herr Staatssekretär hat Weisung erteilt, Sie sofort zu ihm zu führen.«
Er öffnete die Tür zum Privatbüro des Beamteten Staatssekretärs im Außen- und Commonwealth-Ministerium, ließ den Besucher eintreten und schloß hinter ihm die Tür. Der Staatssekretär, Sir Robert Inglis, begrüßte seinen Gast mit betonter Freundlichkeit.
»Mark, mein lieber Junge, wie nett von Ihnen, daß Sie gekommen sind.«
Man wird nicht Chef des SIS, ohne - auch wenn man erst kurz im Amt war - ein gewisses Mißtrauen zu entwickeln, wenn einem ein Mann, den man kaum kennt, mit solcher Herzlichkeit entgegentritt und sich sichtlich anschickt, einen wie einen Blutsbruder zu behandeln. Sir Mark wappnete sich für ein heikles Gespräch.
Als er wieder saß, öffnete der höchste Beamte im Außenministerium die abgenützte Kuriertasche, die auf seinem Schreibtisch lag, und entnahm ihr ein lederbraunes Dossier, geschmückt mit dem roten diagonalen Kreuz, das je zwei Ecken miteinander verbindet.
»Sie haben eine Inspektionsreise durch Ihre Provinzen hinter sich und werden mir zweifellos Ihre Eindrücke schildern, nicht?« fragte er.
»Gewiß, Robert - zu gegebener Zeit.«
Sir Robert Inglis ließ auf das streng geheime Dossier eine Mappe folgen, deren Rücken eine schwarze Kunststoffspirale bildete.
»Ich habe«, begann er, »Ihre Vorschläge >Der SIS in den neunziger Jahren< zusammen mit der neuesten Einkaufsliste des Koordinators der Geheimdienste gelesen. Sie haben, wie es scheint, seinen Anforderungen vollkommen entsprochen.«
»Danke, Robert«, sagte der SIS-Chef. »Ich darf also mit der Unterstützung des Außenministeriums rechnen?«
Das Lächeln des Diplomaten hätte in einer amerikanischen Quiz-Sendung Preise errungen.
»Mein lieber Mark, wir haben keine Schwierigkeiten mit dem Tenor Ihrer Vorschläge. Aber einige wenige Punkte würde ich doch gern mit Ihnen durchsprechen.«
Aha, jetzt kommt's, dachte der SIS-Chef.
»Darf ich es beispielsweise so verstehen, daß diese zusätzlichen Auslandsfilialen, die Sie vorschlagen, die Zustimmung des Schatzamtes gefunden haben und die notwendigen Gelder in irgendein Budget eingeschmuggelt worden sind?«
Den beiden Männern war natürlich bestens bekannt, daß das Budget für den Unterhalt des SIS nicht zur Gänze vom Foreign Office bestritten wird. Ja, tatsächlich stammt nur ein kleiner Teil aus dem Budget des Außenministeriums. Die tatsächlichen Aufwendungen für den beinahe unsichtbaren SIS, der sich, anders als die amerikanische CIA, ungemein zurückhält, werden auf alle Ministerien aufgeteilt. Einen Beitrag muß, überraschenderweise, sogar das Ministerium für Landwirtschaft, Fischwirtschaft und Ernährung leisten - vielleicht weil man dort eines Tages möglicherweise wissen möchte, wieviel Tonnen Kabeljau die Isländer aus dem Nordatlantik holen.
Weil die Zuschüsse für den SIS so breit verteilt und so gut versteckt sind, kann das Außenministerium mit der Drohung, Gelder zurückzuhalten, wenn seinen Wünschen nicht entsprochen wird, den SIS nicht unter Druck setzen. Sir Mark nickte.
»In diesem Punkt gibt es keine Probleme. Der Koordinator und ich waren im Schatzamt. Wir haben die Situation geschildert, und das Schatzamt hat die notwendigen Summen bewilligt, alle in den Forschungs- und Entwicklungsbudgets der Ministerien versteckt, wo man sie am wenigsten vermutet.«
»Ausgezeichnet«, sagte der Staatssekretär strahlend, ob seine Zufriedenheit nun echt war oder nicht. »Dann wollen wir uns jetzt einmal etwas vornehmen, was nun wirklich in meinen Zuständigkeitsbereich fällt.
Ich weiß nicht, wie Sie zur Personalproblematik stehen, aber wir sehen uns gewissen Schwierigkeiten gegenüber, was den gestiegenen Personalbedarf für den diplomatischen Dienst betrifft, der sich als Folge der Beendigung des Kalten Krieges und der Befreiung von Ländern in Mittel- und Osteuropa ergeben wird. Sie verstehen, was ich meine?«
Sir Mark wußte genau, was Sir Robert meinte. Der praktische Zusammenbruch des Kommunismus während der beiden vergangenen Jahre veränderte die diplomatische Karte des Globus, und zwar sehr rasch. Die britischen Diplomaten erhofften sich erweiterte Chancen überall in Mitteleuropa, Osteuropa und auf dem Balkan. Möglicherweise dachte man schon an Mini-Botschaften in Lettland, Estland und Litauen, falls es den baltischen Staaten gelingen sollte, sich von Moskau unabhängig zu machen. Damit gab Sir Robert zu verstehen, daß nun, da der Kalte Krieg das Zeitliche gesegnet hatte, die Situation für seine Kollegen vom Geheimdienst sich genau umgekehrt entwickeln werde. Das wollte Sir Mark nicht gelten lassen.
»Genauso wie Ihnen bleibt auch uns nichts anderes übrig, als Leute anzuwerben. Aber abgesehen davon nimmt allein die Ausbildung ein halbes Jahr in Anspruch; erst dann können wir einen Neuen ins Century House holen und einen, der schon Erfahrung gesammelt hat, ins Ausland schicken.«
Der Staatssekretär hörte zu lächeln auf und beugte sich mit ernster Miene vor.
»Mein lieber Mark. Damit sind wir genau bei dem Thema, über das ich mit Ihnen diskutieren wollte. Die Zuteilung von Räumen in unseren Botschaften und an wen.«
Sir Mark stöhnte innerlich. Der Kerl wollte ihm einen Tiefschlag verpassen. Das Außenministerium kann dem SIS zwar nicht im Punkt der etatmäßigen Ausstattung beikommen, hat aber immer eine Trumpfkarte in der Hinterhand. Die große Mehrzahl der im Ausland dienenden Geheimdienstmitglieder arbeitet unter dem Schutz der britischen Botschaften. Die betreffende Botschaft wird damit für sie zur Gastgeberin....
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