Schweitzer Fachinformationen
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Über Nacht waren die Temperaturen auf acht Grad gefallen. Hauptkommissarin Petra Taler fröstelte, als sie am Morgen am Hamburger Flughafen aus dem Flugzeug stieg. Sie zog die übergeworfene Strickjacke fester um den Körper und eilte zur Kofferausgabe. Von einem Bein auf das andere trippelnd stand sie am Laufband und sah auf die vielen Gepäckstücke, nach denen Menschen neben ihr griffen und lachend verschwanden. Nur ihr Koffer, den sie in Neapel mit einigen Kleidungsstücken vor vier Wochen gekauft hatte, weil sie aus Hamburg spontan nach Neapel geflogen war, fehlte. Genervt verließ Petra die Halle, nachdem ihr der Beamte der Flughafenabteilung Lost and Found schulterzuckend mitgeteilt hatte, ihr Koffer sei auf dem Weg nach Granada.
Oberkommissar Nils Seefeld erwartete sie am verabredeten Treffpunkt neben dem Schalter der Bundespolizei, wo sie sich vor vier Wochen nach dem gelösten Fall des Zeitungsjungen getrennt hatten.
»Hallo Chefin, wo waren Sie so lange? Ihr Flieger ist vor einer Dreiviertelstunde gelandet. Und wo ist Ihr Koffer?«
»Seefeld, ich grüße Sie. Mein Koffer ist verschwunden.«
»Na, das ist ja typisch. Ständig verschwinden auf dem Flughafen die Koffer. Wissen Sie noch, wie Monika und mir letztes Jahr in den Flitterwochen, als wir in die Dominikanische Republik reisten, auch das Gepäck verschwand.«
»Ich dachte, es sei vertauscht worden.«
»Ja, ein Ehepaar, das nach Malaysia unterwegs war, hatte unsere Koffer und wir die ihren erwischt. Die Dinger sehen ja auch alle gleich aus. Eine Woche trugen wir nur diese scheußlich bunten Kaftane, die uns das Hotel anschleppte.«
»Ich weiß, Seefeld. Sie haben mir unendlich viele Bilder auf mein Handy geschickt. Wo steht Ihr Wagen? Es ist schweinekalt.«
»Auf dem Parkplatz. Wie geht es Herrn Staatsanwalt und seiner Mutter? Konnte er alles regeln?«
»Ja, alles im Griff. Seitdem er bei seiner Mutter im Restaurant präsent ist, kommt keiner, um sie zu erpressen.«
»Hoffentlich bleibt das so. Immerhin ist Neapel die Hochburg der Mafia und der größte Drogenumschlagplatz Europas.«
»Schutzgelderpressungen sind in Neapel ebenso an der Tagesordnung wie überall in Europa, Seefeld. Überall herrschen Licht und Schatten. Haben Sie schon einmal die vielbesungene Capri-Insel besucht? Oder Pompeji, die begrabene Stadt, oder Pozzuoli?«
»Nein.«
»Capris Küste ist traumhaft. Es gibt viele versteckte Buchten, fernab der Touristen.«
»Hm. Vielleicht fahr ich mal hin. Will unser Staatsanwalt in Neapel bleiben?«
»Wären Sie froh?«
»Bevor Sie mit ihm und er mit Ihnen . Ich freue mich, wenn er wiederkommt. Der neue Staatsanwalt . Holla, die Waldfee, was ein Widerling.«
Petra grinste. Lüdersen hatte sie vorgewarnt. Und mit der Meinung, Thoralf Puhphal biete als zuständiger Staatsanwalt einen jämmerlichen Ersatz für Jan Maria Lorenzo Lüdersen, stand Seefeld auf der Wache nicht allein da. Ihr gefiel der Aushilfsstaatsanwalt schon vom Hörensagen nicht, aber sie musste sich mit ihm anfreunden. Und vielleicht blieb es ja ruhig in Hamburgs südlichen Vororten, bis Lüdersen aus Neapel wiederkam.
Petra und Seefeld überquerten die Straße vor der Flughafenhalle und hielten auf die Terminalparkplätze zu. Außerhalb der Ankunftshalle pfiff der Wind an diesem Mittwochmorgen noch eisiger um die Ecken. Es war stockdunkel. Auch die vereinzelt brennenden Laternen brachten kaum Licht. Doch trotz des frühen Morgens an diesem letzten Septembertag, waren auf dem Flughafengelände so viele Menschen unterwegs, wie in Hamburgs Innenstadt zum Sommerschlussverkauf.
Sie huschte in den Wagen und zog den Gurt über dem Körper stramm. »Brr, ist das kalt.«
»Wird gleich warm.« Seefeld ließ den Motor an, tippte auf dem Display des Bordcomputers und stellte die Sitzheizung ein. Drei Minuten später durchströmte Petras Rücken bis runter zu den Oberschenkeln eine angenehme Wärme.
»Ich will als Erstes auf die Wache.« Petra klappte die Sonnenblende herunter und sah in den rechteckigen, beleuchteten Spiegel. In drei Monaten wurde sie dreißig. Die vier Wochen unter italienischer Sonne hatten ihrem immer etwas blassen Teint einen gesunden Schimmer geschenkt. Sie klemmte eine dunkle Locke hinter das Ohr, wischte den verschmierten, schwarzen Kajalstrich unter den Augen weg und klappte die Sonnenblende wieder hoch.
»Das denk ich mir. Allerdings haben die Untersuchungen der Knochen aus Ihrem Kellerbrunnen nichts Neues ergeben. Heiner meint, er schießt sich mit seinem Kollegen auf 1915 als Todesjahr der Frau ein. Und dass sie höchstens sechzehn Jahre alt war. Ob ein Verbrechen vorliegt ...« Seefeld zuckte die Schultern. »Die Untersuchungen laufen.«
Kurz nach acht Uhr betraten Petra und Seefeld die Wache. Kollege Schneider saß an der Zentrale und telefonierte. Als er Petra entdeckte, hob er grüßend die Hand. Hinter ihm spuckte der Drucker ein paar Seiten aus. Aus dem Aufenthaltsraum wehten Gesprächsfetzen zu ihr herüber. Petra blieb vor der geöffneten Tür stehen und nickte grüßend zu den Kollegen der Schutzpolizei, deren Schicht begonnen hatte und die noch schnell einen Schluck Kaffee tranken, bevor es auf Streife ging.
Obwohl sie Teetrinkerin war, verlockte Petra heute Morgen der würzige Duft, den die gesponserte Kaffeemaschine ihres Chefs Friedrichsen ausgurgelte. Aber wenn sie Kaffee trinken würde, dürfte es nur koffeinfreier sein. Und Cola gab es für sie auch keine mehr. Zwei Getränke, auf die sie verzichten konnte. Keine Zigarette zu rauchen, fiel ihr sichtlich schwerer, auch, wenn sie sich das Rauchen längst hatte abgewöhnen wollen. Jetzt musste es sein. Petra war schwanger.
Erzählt hatte sie es bisher niemandem, nicht einmal Lüdersen. Er wäre sofort mit nach Hamburg geflogen und hätte sie in Watte gewickelt. Und nichts hätte sie mehr auf die Palme gebracht, als den Tag mit hochgelegten Beinen vor dem Fernseher zu sitzen. Womöglich Babysocken zu stricken, endlose Videos über Geburten zu sehen und Erziehungsratgeber zu lesen. Dass ihre erste gemeinsame Nacht, die in Petras Badewanne begann und im Schlafzimmer fortgesetzt worden war, Früchte getragen hatte, konnte sie ihm gestehen, sobald er nach Hamburg kam.
Petra öffnete die Tür zum Vorraum ihres gemeinsamen Büros, in dem sie mit Seefeld allein arbeitete, nachdem Kollege Axel Berger zur Hamburger Sitte gewechselt und Richard Winter, der Leiter der Abteilung Mord, in den Vorruhestand getreten war. Nun standen zwei Schreibtische leer, was Petra durch die eingetretene, ruhigere Arbeitsweise als angenehm empfand.
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Hedda Oberwerk, ihre Sekretärin, an ihrem Arbeitsplatz saß und in die Tasten klimperte. Normalerweise trudelte sie, während ihrer Teilzeit, nicht vor zehn Uhr ein. Bei Petras Eintreten sah Hedda zu den Kommissaren hoch. Für einen Augenblick strauchelte sie mit ihrer Blindschreibetechnik. Die Sechzigerin mit ihrer fröhlichen bunten Garderobe bot einen Lichtpunkt in der grauen Büroeinrichtung.
»Guten Morgen, Frau Taler. Sie hier?«
»Guten Morgen, Frau Oberwerk.«
»Hedda.«
»Stimmt. Hedda. Ja, ich bin wieder da.«
Hedda Oberwerk, als etwas unwirsch bekannt, wollte tunlichst beim Vornamen genannt werden. Bisher war Petra mit ihr nicht richtig warm geworden, was daran lag, dass Hedda erst sechs Wochen zur Kur gefahren war und Petra hinterher im Krankenhaus lag. Auf dem nächsten Betriebsausflug, den ihr Chef und Polizeirat Uwe Friedrichsen mit einer Krimilesung auf einem Hamburger Schaufelraddampfer geplant hatte, würde sie sich Hedda zwischen Krabbenbrötchen, Matjeshappen und Gulaschsuppe annähern. So der Plan.
Petra zuckte zusammen, als hinter ihr ein Kollege der Schutzpolizei einen Obdachlosen abführte.
»Lass mich los, du Bulle!«, schimpfte der Mann finster.
Der Abgeführte war der stadtbekannte Penner Reinhard Blume, der in Harburg Stadt in der Einkaufsmeile Phönix-Center gerne lautstark Weltuntergangsprophezeiungen kundtat.
»Ihr werdet es sehen. Noch drei Tage, dann ist es soweit. Der Himmel wird schwarz, und die Sonne und der Mond explodieren. Und Puff, alles ist weg. Und du auch, du Bulle. Merk dir meine Worte.«
»Ja, auch gut. Vorher gehen wir den Rausch ausschlafen.« Mit gekonntem Griff hielt der Uniformierte den Obdachlosen fest am Arm und schob ihn Richtung Ausnüchterungszelle.
Petra hörte Reinhard Blume noch palavern, als sie die Tür zu Heddas Vorzimmer geschlossen hatte.
»Der arme Mann«, sagte Hedda. »Der glaubt tatsächlich, dass in drei Tagen die Welt untergeht.«
»Das kann man nie wissen, Hedda. Nur geht sie bei Herrn Blume unter, wenn er mit seinem Freund Mister Fusel eine rauschende Party gefeiert hat«, sagte sie und drückte die Klinke ihres Büros.
Sie zog ihre Strickjacke aus und hängte sie an den Garderobenhaken. Im Gegensatz zu draußen war es ihr hier drinnen zu warm. Der Wechsel von warm auf kalt und umgedreht brachte ihren Kreislauf durcheinander. Sie griff aus der Mineralwasserkiste eine Flasche, zog den Schreibtischstuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich. Draußen...
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