Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Das Kanalschiff war Schleuse um Schleuse bergan geklettert und wand sich nun durch die liebliche Landschaft der Cotswold Hills. Hornblower war in bester Stimmung; er war unterwegs zu einem neuen Kommando, lernte dabei ein ihm unbekanntes Stück England kennen und reiste obendrein auf eine ganz neue, ungewöhnliche Art. Zu alledem hatte ihm die Sphinx des englischen Wetters heute, mitten im Dezember, sogar einen klaren, leuchtenden Sonnentag beschert. So war es, trotz der Kälte, eine wahre Lust zu reisen.
»Darf ich dich einen Augenblick stören, Liebste?« sagte Hornblower.
Maria, den schlafenden kleinen Horatio im Arm, seufzte ein wenig über die Unrast ihres Gatten und nahm dann schweigend die Knie beiseite, um ihn vorüberzulassen. Hornblower erhob sich in der niedrigen Kajüte Erster Klasse vorsichtig von seinem Platz und trat durch den vorderen Eingang in den offenen Bugraum des Passagierschiffs hinaus. Wenn er sich hier auf seine Seekiste stellte, konnte er gut nach allen Seiten Umschau halten. Das Fahrzeug, auf dem er sich befand, bot einen seltsamen Anblick: Auf eine Länge von vollen siebzig Fuß kamen, wenn man vergleichend nach achtern sah, kaum fünf Fuß Breite - das war das gleiche Verhältnis, wie er es von den kippligen Einbäumen in Westindien her kannte. Der Tiefgang des Fahrzeuges konnte nicht einmal einen Fuß betragen, das wurde einem klar, wenn man sah, wie es hinter den trabenden Pferden mit einer Fahrt von gut und gern acht Knoten dahinraste. Acht Knoten - er rechnete rasch um -, das waren auf die hier übliche Weise ausgedrückt neun Meilen in der Stunde.
Das Passagierschiff benutzte für die Fahrt von Gloucester nach London den Themse-Severn-Kanal; es bot eine bedeutend angenehmere Beförderung als die Postkutsche, dabei war es kaum langsamer als diese, und bei einem Fahrpreis von einem Penny für die Meile sogar Erster Klasse entschieden billiger. Er selbst, Maria und das Kind waren die einzigen Fahrgäste Erster Klasse. Als Hornblower den Fahrpreis zahlte, hatte der Schiffer allerdings mit einem Blick auf Marias offenkundigen Zustand bemerkt, von Rechts wegen hätten sie für zwei Kinder zu bezahlen. Maria hatte sich über den ungehobelten Burschen heftig entrüstet, zumal die Zuhörerschaft den Witz mit rohem Gelächter quittierte.
Von seiner Seekiste aus sah Hornblower über die Kanalböschungen hinweg über das Land, wo graue steinerne Bauernhöfe hinter ihren ebenso grauen Umfassungsmauern träumten. Das rhythmische Hufgeklapper der trabenden Treidelpferde unterstrich noch die sanfte Ruhe der Fahrt, denn das Schiff selbst glitt fast ohne jedes Geräusch über das stille Wasser hin. Hornblower bemerkte bald, daß der Schiffer sich darauf verstand, sein Fahrzeug durch eine plötzliche Beschleunigung der Fahrt mit dem Bug auf die Welle aufgleiten zu lassen, die es vor sich herschob, und es dann dort zu halten. So wurde das Wasser des Kanals kaum noch aufgewühlt, und man sah erst ganz weit achtern, wie sich das Uferschilf noch einmal neigte und wieder aufrichtete, nachdem sie längst vorüber waren. Nur diesem Kniff war auch die geradezu märchenhafte Fahrt zu verdanken, die das Schiff erreichte. Die trabenden Pferde hielten das Neunmeilentempo ohne Unterbrechung durch, bis sie gewechselt wurden, was jede halbe Stunde geschah. Sie schleppten an zwei Leinen, von denen die eine vorn, die andere achtern an einem Poller festgemacht war. Ein Schiffer ritt als Postillion auf dem hinteren Pferd und trieb das vordere mit Zuruf und Peitschenknallen an, der zweite saß mit verdrossener Miene am Heck seines Fahrzeugs. Seine linke Hand fehlte und war durch einen eisernen Haken ersetzt, mit der rechten führte er die Pinne und steuerte sein Schiff mit einer Geschicklichkeit durch die Kurven, die Hornblower geradezu erstaunlich fand.
Plötzlich klangen die Hufe hart auf Stein und warnten ihn dadurch noch eben zur rechten Zeit vor einer nahenden Gefahr. Die Pferde trabten grade mit unvermindertem Tempo unter einer niedrigen Brücke hindurch, obwohl ihnen dort der Treidelpfad, eingeengt zwischen Wasser und Brückenjoch, kaum noch genügend Raum bot. Der berittene Schifferknecht begrub seinen Kopf in der Mähne seines Gauls, um durchzuschlüpfen, Hornblower fand eben noch Zeit, von seiner Seekiste herabzuspringen und sich niederzukauern, als die Brücke auch schon über ihn hinwegglitt. Es ärgerte ihn ein bißchen, daß der Mann am anderen Ende über seine eilige Flucht in ein lautes Gelächter ausbrach.
»Ja, ja, auf einem Kanalschiff lernt man die Beine in die Hand nehmen, Käpt'n!« rief er jetzt von seinem Platz am Ruder nach vorn. »Wer als letzter von der Rah kommt, kriegt ein Dutzend hinten drauf! Nicht wahr, so heißt's doch? Aber hier in den Cotswold Hills gibt's das nicht, Käpt'n, hier heißt's für Sie Augen auf, oder es gibt ein Loch in den Kopf. Ha ha!«
»Laß dir doch diese Unverschämtheiten nicht gefallen, Horatio!« mahnte Maria aus der Kajüte. »Kannst du dem Kerl nicht den Mund verbieten?«
»Das ist nicht so einfach, Liebling«, antwortete Hornblower, »er ist hier Kapitän, und ich bin nur ein gewöhnlicher Passagier.«
»Wenn du ihm seine Reden schon nicht untersagen kannst, dann komm wenigstens herein, hier bist du vor dem Flegel sicher.«
»Ja, Liebling, gleich.«
Aber Hornblower nahm lieber die Frechheit des Schiffers in Kauf, als daß er auf seinen Aussichtsplatz verzichtet hätte; hatte er doch noch nie eine so gute Gelegenheit gehabt, den Betrieb auf einem der Kanäle kennenzulernen, die in den letzten dreißig Jahren das Gesicht der englischen Landschaft so gründlich verändert hatten. Zumal sie sich jetzt dem Sapperton-Tunnel näherten, jenem Wunderwerk der Neuzeit, das als Meisterstück moderner Ingenieurkunst galt. Ihn wollte er unter allen Umständen sehen. Sollte sich der Steuermann dahinten bucklig lachen, ihm war es gleich. Das war natürlich ein alter Marinemann, der wegen des Verlustes seiner Hand als dienstuntauglich entlassen war. Da hatte er begreiflicherweise einen Riesenspaß daran, einmal einen richtigen Kapitän der Royal Navy unter seinem Kommando zu haben.
Voraus kam jetzt der graue steinerne Turm eines Schleusenhauses in Sicht, davor die winzige Gestalt des Wärters, der bereits die Tore öffnete. Ein lauter Zuruf des Postillionschiffers stoppte die Gangart der Pferde, das Schiff glitt weiter, aber seine Fahrt verminderte sich rasch, als der Bug vom Kamm der Stauwelle herabsank. Sobald es die Schleuse erreichte, sprang der einhändige Steuerer mit einer Leine an Land und nahm geschickt ein paar Törns um einen Poller, ein-, zweimal schrickte er, dann war die Fahrt fast ganz heraus; nun rannte er mit seiner Leine ein Stück nach vorn und machte sie am nächsten Poller fest.
»Schmeiß die Vorleine, Käpt'n!« schrie er, und Hornblower nahm sie gehorsam auf und warf sie ihm hinüber, daß er sie festmachen konnte, wie es sich gehörte. Das Gesetz der See galt auch auf diesen Binnengewässern: zuerst kam immer das Schiff und dann nach einer ganzen Weile erst der persönliche Anspruch auf Achtung und Würde.
Schon schloß der Schleusenwärter hinter ihnen die Tore, seine Frau zog die Schütze am oberen Ende auf, und das Wasser strömte wirbelnd in die Kammer. Unter dem wachsenden Druck klappte das untere Tor mit einem lauten Knall vollends zu, dann stieg das Schiff mit dem gurgelnden Wasser in die Höhe. Die Pferde waren im Nu gewechselt, der Postillion kletterte wieder in den Sattel und hatte, bis die Schleuse gefüllt war, grade noch Zeit, eine schwarze Flasche andächtig an die Lippen zu setzen. Der Rudergänger warf die Leine los - Hornblower holte die Vorleine ein -, dann stieß die Frau des Schleusenwärters die eine Seite des oberen Tores auf, während ihr Mann schon angerannt kam, um die andere zu bedienen. Der Postillion schrie und knallte mit der Peitsche, das Schiff ruckte ab, während der Schiffer noch ans Ruder eilte, und schon waren sie ohne eine Sekunde Zeitverlust wieder unterwegs. Dieser Kanalverkehr war nach allgemeinem Urteil ein wahres Wunder des Fortschritts, und es war wirklich ein Genuß, an Bord dieses schnellsten aller Kanalschiffe, der Queen Charlotte, zu reisen, die allen anderen Fahrzeugen gegenüber das Recht der Vorfahrt genoß. Als stolzes Wahrzeichen dieses Vorrechts trug sie am Bug ein scharfes blitzendes Sichelblatt, mit dem sie die Schleppleinen jener durchtrennen konnte, die bei ihrer Annäherung nicht sofort loswarfen, um ihr den Weg zum Überholen freizugeben. Die paar Dutzend Bauersfrauen und Mädchen, die mit ihren Hühnern, Enten, Eiern und Butterwecken die Zweite Klasse bevölkerten, reisten volle zwanzig Meilen weit zum Markt und konnten doch sicher damit rechnen, noch am gleichen Abend wieder zu Hause zu sein. Das war, weiß Gott, erstaunlich!
Während sie jetzt der Scheitelhöhe des Kanals zustrebten, passierten sie in rascher Folge eine Schleuse nach der anderen. Bei jedem Halt führte der Postillion seine schwarze Flasche an den Mund, sein Geschrei wurde von Mal zu Mal heiserer, sein Peitschenknall ausdauernder. Hornblower bediente immer wieder gehorsam die Vorleine, obwohl sich Maria alle Mühe gab, ihn davon abzubringen.
»Aber Liebste«, meinte Hornblower, »wir sparen doch Zeit, wenn ich ein bißchen helfe.«
»Dennoch gehört es sich nicht«, sagte Maria. »Der Mann weiß doch, daß du Kapitän der Royal Navy bist.«
»Das weiß er nur zu genau«, sagte Hornblower mit einem schiefen Lächeln, »aber schließlich möchte ich so bald wie möglich mein Kommando übernehmen.«
»Als ob dein Kommando nicht ein bißchen warten könnte«, brummte Maria. Es war schwer, Maria klarzumachen, daß das Kommando für einen Kapitän schlechthin alles bedeutete;...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.