1 HORNBLOWERS HOCHZEIT
»Bitte, sprechen Sie mir nach«, sagte der Priester: »Ich, Horatio, nehme dich, Maria Ellen .«
In diesem Augenblick machte sich Hornblower klar, daß die letzten Sekunden gekommen waren, einen Schritt zu widerrufen, den er nur zu deutlich als unüberlegt empfand. Er selbst gab zwar gewiß einen guten Ehemann ab, aber Maria war eben doch nicht die richtige Frau für ihn. Wenn er nicht von allen guten Geistern verlassen war, dann machte er jetzt dieser Feier kurzerhand ein Ende. Er brauchte ja nur zu sagen, er trete von seinem Entschluß zurück, dann konnte er dem Altar, dem Priester und Maria den Rücken kehren und als freier Mann aus der Kirche schreiten.
». zu meiner angetrauten Ehefrau .« Wie ein Automat wiederholte er weiter, was ihm der Priester vorsprach. An seiner Seite stand Maria in dem weißen Brautkleid, das ihr so gar nicht stand. Sie schmolz vor Glück, sie verzehrte sich förmlich in ihrer Liebe zu ihm, einer Liebe, die er, ach, so wenig zu erwidern wußte. Nein, er brachte es nicht übers Herz, ihr einen so grausamen Schlag zu versetzen. Sie bebte neben ihm am ganzen Körper, er merkte es deutlich, aber dieses Zittern entsprang nicht der Angst, denn ihr Vertrauen zu ihm war felsenfest und unerschütterlich. Er hätte es nicht über sich gebracht, dieses Vertrauen zu enttäuschen, so wenig, wie es ihm in den Sinn gekommen wäre, seine Ernennung zum Kommandanten der Hotspur abzulehnen.
»Und verspreche dir unverbrüchliche Treue«, wiederholte Hornblower. >Jetzt ist es geschehen<, sagte er sich. Offenbar waren das die entscheidenden Worte, die der Hochzeitsfeier gesetzlich bindende Kraft verliehen. Er hatte sein Versprechen gegeben und konnte nun nicht mehr zurück. Seltsamerweise schien ihm diese Erkenntnis ein wenig leichter zu ertragen, als er sich sagte, daß sich sein Geschick ja nicht erst in diesem Augenblick, sondern schon vor einer Woche entschieden hatte, als ihm Maria schluchzend in die Arme sank und mit stammelnden Worten ihre Liebe gestand. Da hatte ihm sein weiches Herz verboten, sie einfach auszulachen, er hatte es aber auch - ob aus Schwäche oder aus Anstand? - nicht über sich gebracht, ihre willenlose Hingabe nur zu mißbrauchen, um sie dann schnöde sitzenzulassen. Nein, er hatte sie angehört, er hatte ihre Küsse zärtlich und liebevoll erwidert, und alles Weitere mußte sich unvermeidlich daraus ergeben: das weiße Brautkleid, die Hochzeitsfeier hier in der Kirche des hl. Thomas Becket und, was er kommen sah - daß er die Liebesgier dieser Frau nur zu bald nicht mehr ertrug.
Bush stand mit dem Ring bereit, Hornblower streifte ihn auf Marias Finger, dann sprach der Geistliche die abschließenden Worte.
»Ich verkünde hiermit, daß ihr nun Mann und Frau seid«, sagte er und erteilte ihnen den feierlichen Segen.
Fünf Sekunden hörte man keinen Laut, dann brach Maria das Schweigen.
»O Horry!« sagte sie und legte ihre Hand auf seinen Arm. Hornblower gab sich alle Mühe, ihr einen freundlich lächelnden Blick zu schenken und war ängstlich darauf bedacht zu verbergen, was ihm erst kürzlich klargeworden war: daß er den Kosenamen Horry noch weniger leiden konnte als seinen richtigen Namen Horatio.
»Dies ist der glücklichste Tag meines Lebens«, sagte er. Wenn schon etwas geschah, dann geschah es am besten gründlich, also fuhr er im gleichen Sinne fort: »Ich wüßte keinen, der schöner gewesen wäre.«
Es tat förmlich weh, das selige Lächeln zu sehen, mit dem sie ihm für seine ritterlichen Worte dankte. Jetzt tastete sie auch mit der anderen Hand zaghaft nach seiner Schulter, was offenbar hieß, daß sie augenblicks hier vor dem Altar einen Kuß von ihm begehrte. Hier im Gotteshaus schien ihm dieses Unterfangen recht ungewöhnlich und kaum am Platz, in seiner Unkenntnis fürchtete er, bei frommen Gläubigen Ärgernis zu erregen, aber wieder gab es kein Zurück, und so beugte er sich denn nieder und küßte die weichen Lippen, die sie ihm begehrend darbot.
»Sie müssen jetzt im Kirchenbuch unterzeichnen«, flüsterte der Geistliche voll Ungeduld und schritt ihnen voran zur Sakristei. Dort schrieben sie ihre Namen in das Buch.
»So, jetzt darf ich meinem Schwiegersohn wohl auch einen Kuß geben«, verkündete Mrs. Mason mit erhobener Stimme. Gesagt, getan. Sie schloß Hornblower in ihre kräftigen Arme und drückte ihm einen festen Kuß auf die Wange. Dieser meinte, es sei wohl nicht zu vermeiden, daß einem die Schwiegermutter so greulich war. Zum Glück kam ihm jetzt Bush zu Hilfe. Der sonst so ernste Mann streckte ihm lächelnd die Hände entgegen und beglückwünschte ihn mit herzlichen Worten.
»Vielen, vielen Dank«, sagte Hornblower. »Dank auch für Ihre treuen Dienste.«
Bush geriet darüber sichtlich in Verlegenheit, er wehrte Hornblowers Dank mit einer Geste ab, als wollte er lästige Fliegen verjagen. Und doch war er auch jetzt bei allem, was mit dieser Hochzeit zusammenhing, wieder seine starke und unentbehrliche Stütze gewesen, nicht anders als beim Seeklarmachen seiner Hotspur.
»Beim Frühstück bin ich wieder zur Stelle, Sir.« Mit diesen Worten zog er sich aus der Sakristei zurück und hinterließ eine fühlbare Lücke.
»Ich hatte darauf gerechnet, daß mir Mr. Bush zum Auszug aus der Kirche den Arm bieten würde«, bemerkte Mrs. Mason nicht ohne Schärfe.
Es sah Bush so gar nicht gleich, die Versammelten auf diese Art einfach im Stich zu lassen, jedenfalls hatte er sich im Trubel der letzten Tage von einer ganz anderen Seite gezeigt.
»Macht nichts«, sagte die Pfarrersfrau, »wenn es Ihnen recht ist, gehen wir beide zusammen, mein Mann kommt dann einfach hinter uns her.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Mrs. Clive«, antwortete Mrs. Mason in einem Ton, der deutlich verriet, daß sie mit dieser Lösung keineswegs einverstanden war. »Nun, dann kann sich das junge Paar ja auf den Weg machen.«
Geschäftig ordnete Mrs. Mason den kleinen Zug. Hornblower fühlte, wie Maria ihre Hand unter seinen Arm schob, er brachte es nicht übers Herz, ihren leisen Druck unerwidert zu lassen, und preßte sie an seine Rippen, wofür sie ihm mit einem Lächeln dankte. Mrs. Mason gab ihm von hinten einen leichten Schubs, und er machte sich auf den Weg zurück in die Kirche, wo ihn brausender Orgelklang begrüßte. Eine halbe Krone für den Organisten und einen Schilling für den Blasebalgtreter hatte Mrs. Mason für diese Ovation aufgewandt. Hornblower dachte unwillkürlich, daß es eine bessere Verwendung für dieses Geld gegeben hätte, und daran knüpfte sich für ihn zwangsläufig die Frage, wie man denn an diesem ekelhaften Lärm Gefallen finden konnte. So kam es, daß er mit Maria am Arm das Kirchenschiff schon fast durchschritten hatte, bis er wieder in die Wirklichkeit zurückfand.
»Die Matrosen sind alle weg«, flüsterte ihm Maria in weinerlichem Tone zu, »die Kirche ist fast leer.«
In der Tat sah man in den Kirchenstühlen nur noch zwei, drei Menschen, offenbar Neugierige, die nichts Besseres zu tun hatten. Die wenigen Hochzeitsgäste waren zur Unterschrift mit in die Sakristei gezogen, die fünfzig Matrosen aber, die Bush von der Hotspur an Land gebracht hatte - alles Leute, von denen er wußte, daß sie nicht desertierten -, diese fünfzig Mann waren weg, spurlos verschwunden. Etwas enttäuscht mußte sich Hornblower eingestehen, daß Bush eben doch nicht wußte, was sich gehörte.
»Das soll uns gleich sein«, sagte er und suchte krampfhaft nach einem Wort des Trostes für Maria. »Solche Kleinigkeiten können uns doch den Hochzeitstag nicht verderben.«
Seltsamerweise war es für ihn fast schmerzlich festzustellen, wie fügsam Maria auf seine Worte ansprach, wie ihr zögernder Gang auf dem Wege durch die leere Kirche plötzlich fester und sicherer wurde. Heller Sonnenschein erwartete sie draußen vor der westlichen Pforte, und Hornblower suchte sogleich wieder nach ein paar angemessenen, lieben Worten.
»Glücklich die Braut, die die Sonne bescheint«, sagte er. Jetzt traten sie aus der Dämmerung des Gotteshauses hinaus in die strahlende Sonne, da waren plötzlich alle Schatten verflogen, und die Welt zeigte ihnen wieder ein freundliches Gesicht. Bush hatte sie also nicht enttäuscht, er zeigte sich ganz im Gegenteil wieder einmal von seiner besten Seite.
Hornblower hörte ein scharfes Kommando und den Lärm klirrenden Stahls. Vom Kirchentor bis zur Straße hinab erstreckte sich ein doppeltes Spalier der fünfzig Matrosen, unter deren gekreuzten Entermessern das junge Paar hindurchschreiten sollte.
»Oh, wie schön!« rief Maria in kindlichem Entzücken. Das feierliche Schauspiel hatte überdies noch eine Menge Menschen angelockt, die neugierig die Hälse reckten, um einen Blick auf den Kapitän und seine junge Frau zu werfen. Gewohnheitsmäßig musterte Hornblower erst das eine, dann das andere Glied der Matrosen mit kritischem Blick. Die Männer trugen alle die neuen blauweißkarierten Hemden, die er erst unlängst für die >Schlappkiste< der Hotspur angeschafft hatte, ihre weißen Leinenhosen waren wohl meist abgetragen, aber sauber gewaschen und lang und weit genug, um etwa schlechtes Schuhwerk zu verdecken. Kurzum, die Männer machten einen guten Eindruck.
Wo die Allee gekreuzter Entermesser zu Ende war, stand Bush neben einer unbespannten Postkalesche. Hornblower wußte zunächst nicht, was er davon halten sollte, aber zum Fragen war keine Zeit, darum führte er Maria ohne Zögern darauf zu. Bush half ihr galant beim Einsteigen, und Hornblower nahm neben ihr Platz. Jetzt endlich fand er Zeit, seinen...