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Psychische Störungen werden nach der psychoanalytischen und tiefenpsychologischen Schule als "kreative Lösungen des Unterbewusstseins" angesehen, vereinfacht: "Jedes Symptom hat eine Funktion"9. So kann ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom als abgewehrte Depression verstanden werden oder eine Panikstörung als Ausdruck eines inneren, ansonsten unaushaltbaren Konfliktes. Dieser Erklärungsansatz versteht sich nicht als Gegenentwurf zu den in den letzten Jahren zunehmenden neurobiologischen Erklärungsmodellen, sondern als ein zusätzlicher Ansatz und Aspekt. Niemand würde denken, dass ein an einer Depression erkrankter Hund ausschließlich aufgrund der neurobiologischen Transmitterveränderung im Gehirn eine Depression entwickelt, sondern diese vielmehr eine multifaktorielle Entstehungsgeschichte hat. Der Hund ist im Kern ein "biopsychosoziales" Lebewesen, daher sind für die überwiegende Anzahl der psychiatrischen Erkrankungen verschiedene Faktoren wie Genetik, gesundheitliche Risikofaktoren während der Trächtigkeit der Hündin, Geburt und Welpenalter, aber auch frühe Beziehungserfahren und einschneidende Lebensereignisse, Bindungsparameter, aktuelle Lebensumstände und Coping Mechanismen ausschlaggebend10.
In den letzten Jahren hat der translationale11 Ansatz, der darauf abzielt, die Kluft zwischen der Grundlagenforschung an Tieren und der medizinischen Praxis zu überbrücken, stark an Popularität gewonnen. Das gilt auch für den Bereich der Psychiatrie und insbesondere für affektive Störungen, einen Zweig, der Depressionen und Angststörungen umfasst. Im Rahmen dieser translationalen Medizin soll ein solider Ansatz sowohl die Forschung vom Labor zum Krankenbett (vom Tier zum Menschen bzw. von der Grundlagenforschung zur klinischen Forschung) als auch die "Rückübersetzungsforschung" (vom Menschen zum Tier) umfassen12. Die meisten Anstrengungen gelten der erstgenannten Richtung und konzentrieren sich auf die Entwicklung von Tiermodellen. Leider gibt es nur wenige Forschungsarbeiten, die den umgekehrten Weg beschreiten.
Für den Forschungsbereich der psychischen Erkrankungen beim Hund brauchen wir mehr Theorien über das Wesen des z. B. depressiven Zustands; die entscheidende Bedeutung einiger dysfunktionaler Prozesse (zum Beispiel, dass Hilflosigkeit oder Anhedonie zentrale Symptome der Depression sind); die Dynamik einer Störung (z. B. den biphasischen Verlauf einer Depression). Aber eben auch die häufigsten Auslöser (Stress; Trennung); die Bedeutung einiger spezifischer Merkmale dieser Ereignisse (Unkontrollierbarkeit oder Unvorhersehbarkeit der Stressoren als zentrale Mechanismen) und die Beteiligung zugrunde liegender biologischer Prozesse (z. B. die Beteiligung einer Störung des Belohnungssystems im Gehirn).
Es gibt also noch viel zu tun!
Um Anwendbarkeit zu finden, brauchen wir eine Übereinstimmung zwischen den Organismen, was die Entstehung, den Verlauf und die Symptome betrifft.
Ein Rahmen für Tiermodelle. Tiermodelle sollen nicht nur einer menschlichen Funktionsstörung ähneln, auch die Prozesse, durch die Tier und Mensch in diesen Zustand geraten, müssen ähnlich sein, um wissenschaftliche Verwendung zu finden. Hier ist eine vereinfachte Darstellung, wie dies geschieht13.
Hier sehen wir, wie ein Individuum durch frühe Umweltfaktoren beeinflusst wird: positiv, so dass es eine hohe Resilienz entwickeln kann oder negativ, sodass eine erste "Schwachstelle" entsteht, die den Organismus bereits schwächt und anfälliger für Krankheitsprozesse macht. Ist der Organismus erst einmal anfällig, reicht häufig ein Auslöser aus, um ein Krankheitsbild entstehen zu lassen. Ein Auslöser kann entweder ein sehr belastendes Einzelereignis sein (Trauma) oder eine Reihe von Traumata über einen längeren Zeitraum. Das Individuum zeigt nun Symptome und anhand der Biomarker wie Kortisol können wir bestimmte Pathologien verorten und vergleichen, um diese dann zu bestimmen.
Da Hunde nicht sprechen können, können sie uns auch nicht sagen, ob sie traurig oder niedergeschlagen sind. Auch wenn sich dies durch Neuroimaging14 bald bis zu einem bestimmten Grad ändern könnte, müssen wir uns derzeit auf das Verhalten unserer Hunde verlassen, um auf ihre Gefühle zu schließen. Wenn Hunde beispielsweise verängstigt sind, zeigen sie charakteristische Verhaltensweisen wie Zittern, Verstecken, Speicheln oder Kratzen an der Tür, um zu entkommen, Auf- und Ablaufen, Bellen, Winseln oder Urinieren. Das bedeutet, dass wir als Mensch unseren Hund lesen können müssen. Hier beginnt meist bereits die Problematik, da ein Großteil aller Hundehalter weder Stress- noch Beschwichtigungssignale erkennen. Auch, weil es in den klassischen Hundeschulen nicht gelehrt wird.
Verhaltensprobleme bei Hunden verbessern sich häufig, wenn ein sachkundiger Tierarzt, individuell für das jeweilige Tier angepasst, Humanpräparate gegen Depressionen und Angstzustände verschreibt. Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer gehören zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten in der Verhaltensmedizin für Tiere. Andere sind Benzodiazepine, trizyklische Antidepressiva, Betablocker und sogar Lithium. In der Tat ist das Psychopharmakopotenzial bei Hunden fast dasselbe wie bei Menschen. Die Tatsache, dass diese Medikamente bei Hunden wirken, spricht für gemeinsame biologische Mechanismen der Stimmungsregulierung. Und im Gegensatz zum Menschen sind Hunde nicht anfällig für Placebo-Effekte (auch wenn ihre Besitzer das vielleicht sind, weil sie eine Verbesserung des Hunde Verhaltens erwarten).
Keinesfalls sollten Medikamente von einem Laien - ob Hundetrainer oder Halter - dem eigenen Tier verabreicht werden!
Das ist ein Grund mehr, sich genauer anzusehen, was in den Köpfen der Hunde vor sich geht. Menschliche Krankheiten werden hauptsächlich anhand von Symptomen diagnostiziert. Laut dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) der American Psychiatric Association (APA) sind Depressionen zum Beispiel durch gedrückte Stimmung, verminderte Freude, verlangsamtes Denken, Müdigkeit oder Motivationslosigkeit gekennzeichnet. Ein messbares Symptom ist eine Gewichtsveränderung. Ähnlich verhält es sich mit der generalisierten Angststörung, die mit übermäßigen Ängsten und Sorgen, Unruhe, Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Muskelschmerzen und Schlafproblemen einhergeht. Um nun die psychischen Krankheitsbilder wissenschaftlich zu beschreiben und einzuordnen müssen wir Kriterien schaffen, die nachprüfbar und generalisiert anwendbar sind. Und zwar in Bezug auf die Hunde! Nur nachprüfbare, objektive Merkmale und Hinweise haben Gültigkeit, um tatsächlich eine psychische Erkrankung beim Hund zu diagnostizieren.
Viele von uns kennen wahrscheinlich die Befindlichkeiten des eigenen Hundes - so auch, wenn dieser "trauert" oder "deprimiert" ist. Um allerdings wissenschaftlich basiert zu arbeiten und zu behandeln, brauchen wir feste Eckdaten, die überprüfbar sein müssen!
Dieses Schaubild zeigt die wichtigsten Eckpunkte, die erfüllt sein müssen, damit eine fundierte Basis für die Beschreibung und Diagnose psychischer Krankheitsbilder beim Hund geschaffen werden kann:
Kriterien der psychiatrischen Erkrankungen, wie sie in ICD-10 und DSM aufgeführt sind:
Das bedeutet, um wirklich von einem Krankheitsbild sprechen zu dürfen, wie wir es in der Humanmedizin tun, brauchen wir: Die Ätiologie, das bedeutet die Ursache der Krankheitsentstehung. Es gibt drei grundlegende Methoden der Ätiologie: Die Causa (lat. für "Ursache") - wir suchen nach "kausalen" Gründen einer Krankheit. Die Contributio (lat. für "Förderung, Beitrag"), also der Zusammenhang im Sinne einer Ursache-Folge-Beziehung und die Korrelation (Correlatio, lat. für "Korrelation, Zusammenhang") schaut, ob es Verbindungen gibt bei Krankheiten, die keine klaren bzw. erforschten Ursache-Folge-Beziehungen haben. Die Entstehung eines Krankheitsbildes sollte demnach auch beim Hund eine nachvollziehbare Ursache haben.
Des Weiteren muss der Hund eine vergleichbare Symptomatik für das beschriebene Krankheitsbild aufweisen. Dazu gehört eine entsprechende Biochemie - beispielsweise in Zusammenhang mit den Neurotransmittern und den Ansatzorten der Medikation.
Zudem sollten die gleichen Reaktionen auf gleichartige Behandlung zutreffen - also, wie oben erwähnt, objektive Nachweise das Antidepressiva auch beim Hund sein Verhalten, seine Blutwerte etc. pp. verändern.
Und um zu definieren, ob es sich um eine Krankheit handelt, und wenn ja um welche, brauchen wir ein immer gleich anwendbares Protokoll bzw. eine fest definierte Vorgabe. Und dazu wird im Bereich der psychischen Erkrankungen der ICD oder der DSM benutzt.
Die ICD (International Classification of Diseases) ist derzeit bei der 11. Version der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme. Er...
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