Schweitzer Fachinformationen
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»Wir heiraten auf dem Pellwormer Leuchtturm!«, rief Selma und umarmte ihn. Es gab keinen anderen Ort, den sie für ihre Heirat akzeptiert hätte.
140 Stufen waren zu erklimmen. Er schnappte nach Luft. Selma lachte. Zunächst machten sie einen Rundgang auf der Aussichtsplattform. Von oben winkten sie der Hochzeitsgesellschaft zu, die am Fuße des Leuchtturms auf sie wartete. Sprengler hielt Selma im Arm, überwältigt vor Glück und der Weite der Landschaft. Weit und offen und glücklich wollte er mit Selma leben, das war sein Wunsch gewesen.
Die kleine Gesellschaft, bestehend aus seiner Mutter und den Schwiegereltern sowie den Trauzeugen, Selmas Freundin Claudia und seinem Autorenkollegen und Freund Klaus, betrat den Trauungsraum, durch dessen kleine Fensterbullaugen ein hellblauer Himmel leuchtete. An der Wand hing ein Rettungsring, schräg darunter ein Steuerrad, daneben war ein grünes Schild mit weißer Aufschrift >Pellwormer Standesamt< an einem Nagel befestigt, der schief aus dem Mauerwerk herausragte. Das rot gestrichene Geländer war mit einem Fischernetz überzogen. Von der Decke hingen Schiffsglocken, Nebelhörner und eine große Petroleumlampe aus Messing.
Sie setzten sich an den rechteckigen Tisch in der Mitte des Raumes. Sprengler blickte auf die mit Rettungsringen bedruckte Tischdecke. Damals lachte er über all die Rettungsringe, die ihn umgaben.
Sie saßen dem Standesbeamten, einem älteren Herrn mit silbergrauer Halbglatze und Bart, gegenüber und gaben sich das Jawort. Jawort, was ist das für ein Wort, was besagt es? Was? Ist es nicht die ewige Treue, die es beinhaltet? Was ist denn ewige Treue? Wo fängt sie an und wo hört sie auf?
Die Feier fand im Gasthaus der Brauteltern statt. Das ganze Hotel war nur für die Hochzeitsgäste reserviert worden. Der Vater hatte sich nicht lumpen lassen, obgleich Selma nicht den Schwiegersohn mitbrachte, den er sich vorgestellt hatte, obwohl er, euphemistisch gesagt, keinerlei herzliche Gefühle zu dem in seinen Augen erfolglosen Schriftstellerbräutigam hegte, der kaum jünger war als er selbst. Der Brautvater erfüllte seine Rolle. Es gehörte sich auf der Insel, eine Hochzeit opulent zu feiern, um das Ansehen der Familie zu wahren.
Selmas Mutter hatte ebenso wenig überschwängliche Begeisterung über die Heiratspläne ihrer Tochter gezeigt. >Kind, hast du dir das wirklich gut überlegt. Du bist eine attraktive und kluge Frau, du hast ganz andere Möglichkeiten<, hörte er sie lamentieren, als sie mit Selma in der Küche saß, um Einzelheiten des bevorstehenden Festes zu besprechen.
Dennoch war Sprengler der Gatte der Frau Doktor geworden.
Alles war festlich hergerichtet. Man hatte den Saal im maritimen Stil geschmückt. Fischernetze, Bojen, Rettungsringe, Meeresgetier, Schiffslampen verschönten die Räumlichkeiten. Auf den Tischen standen kunstvolle Buddelschiffe, in denen sich Zwei- und Dreimaster befanden, die in wochenlanger Arbeit von Insulanern angefertigt worden waren. Die weißen Stoffservietten lagen, zu Schiffchen geformt, auf Tellern mit blauem Friesenmuster. In der Tischmitte standen mit Wasser, Sand und Muscheln gefüllte Glasschüsseln, auf deren Wasseroberfläche blaue Schwimmkerzen brannten.
Das ganze Menü war der Meeres- und Insellage angepasst. Krabbensuppe, Krustentiere, gemischte Fischteller, Lammbraten und verschiedene mit Sonnenschirmchen verzierte Desserts wurden von einer Armada von Kellnern in blau-weiß gestreiften Livreen aufgetragen.
In den Pausen zwischen den Gängen trugen Freunde und Verwandte Reden und Gedichte vor; auch vor musikalischen Darbietungen blieb das Paar nicht verschont. Selmas Freunde sangen einen neuen Text auf die Melodie »It's a hard day's night«. Sprengler hat den Wortlaut vergessen, er erinnert sich nur noch an das Schrammeln der verstimmten Gitarre.
Später, nach dem Dessert, erschallte der Hochzeitswalzer. Er schritt mit Selma auf die Tanzfläche. Er musste es tun, es gehörte sich so auf dem Lande, auf der Insel, jeder erwartete es, vor allem Selma. Ein Strauss-Walzer dröhnte in kräftigen Akkorden aus den Lautsprechern der Hammondorgel. Humtata Humtata, Sprengler verhedderten die Beine, er hörte vor Aufregung nicht mehr den Takt der Musik, seine Füße stießen, losgelöst von seinem Kopf, gegen Selmas weiße Schuhe, ein Stolpern, dann der unvermeidliche Abdruck seiner rechten Sohle auf ihrem linken Schuh, der Abdruck, den sie mit einem lauten >Au< besiegelte, doch sie lachte glücklich, sie war glücklich, das war seine Überzeugung.
*
Gleich nach der Hochzeit fuhren sie in die Flitterwochen. Sprengler und Selma waren sehr verschieden, trotz aller Liebe und Verbundenheit, auch wenn sie sich wie ein Herz und eine Seele wahrnahmen und sie sich in dem Irrtum befanden, es zu glauben. Die Verschiedenheit ihrer Wesen und ihrer Bedürfnisse machte sich verstärkt in der Planung der Hochzeitsreise bemerkbar. Sprengler war kein Typ, der gern reiste, wenn es ihn überhaupt in die Ferne zog, bevorzugte er die südlichen Gefilde mit warmem Klima und Sonnenschein, schon seines Rheumas wegen, das ihn immer wieder plagte. Er sah sich von Weingut zu Weingut pilgern, in netten Gasthöfen Rast machen, in die Landschaft schauen und Arm in Arm mit Selma seinen Gedanken nachhängen.
Einen Aufenthalt am Meer hielt er nicht für notwendig, allerdings sträubte er sich nicht dagegen. Er hätte sich eine Reise auf die Kanarischen Inseln oder an die italienische Riviera gut vorstellen können. Selma zog es in den Norden, Selma zog es immer in den Norden, sie wollte nach Skandinavien, am liebsten nach Norwegen, am allerliebsten wahrscheinlich an den Polarkreis, auf jeden Fall ans Meer. Ein Urlaub ohne Meer kam für sie nicht infrage, schon gar nicht in ihren Flitterwochen.
Sprengler verstand es auf eine gewisse Weise, Selma nahm die Welt nur durch die Brille ihres Berufes wahr. Ihm ging es schließlich nicht anders. Wenn er einen Roman schrieb, erfuhr er die ganze Welt nur in Ausschnitten, die mit seiner Geschichte, an der er arbeitete, zusammenhingen. Er las nur Bücher, deren Inhalt und Aussage sein jeweiliges Thema berührten. Blätterte er die Zeitungen durch, stachen ihm jene Artikel in die Augen, die er ohne den Romanfokus gar nicht bemerkt oder nur flüchtig lesend überflogen hätte. Dieses Auswählen bedeutete für ihn, sich die Welt überschaubar zu machen, ihr einen persönlichen Wert zu geben, sich in ihr zurechtzufinden, sie auszuhalten und nicht im Chaos der Ereignisse und Informationen, die niemand verarbeiten kann, der feinfühlig ist, unterzugehen. Geschehnisse, die ihn, Sprengler, erdrücken würden, ließe er jede menschliche Katastrophe in sein Herz hinein.
Sprengler hält inne. Seine Gedanken verdüstern sich. Inzwischen ist er ausweglos in seiner eigenen Katastrophe gefangen, und die Zeitungsberichte und Bücher, die er liest, haben ihn selbst zum Thema. Dich selbst, Sprengler! Und jetzt schreib weiter.
Selma und er hatten einen Kompromiss geschlossen und sich für die Bretagne entschieden. Selma wählte die raueste bretonische Landschaft, das Finistère. Sie freute sich auf Meer und Brandung, schroffe Felsen und Klippen, außerdem beabsichtigte sie noch, nach Brest ins Institut für Meereskunde zu fahren, um einen wichtigen Kollegen zu treffen. Für Selma gab es keine Trennung zwischen Privatleben und Beruf, nicht einmal auf ihrer Hochzeitsreise. Sie hielt es für selbstverständlich, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob Sprengler es als passend empfand oder nicht. Als Sprengler protestierte, fragte sie, wo denn das Problem läge, und sie schlug vor, er könne den Tag zum Schreiben nutzen.
Trotz Selmas beruflicher Besessenheit verbrachten sie eine wunderschöne Zeit mit Wanderungen auf den von Brombeeren und Wildrosen umsäumten Küstenwegen mit Blick auf das tosende Meer. Sie kehrten in Gasthöfen ein und genossen die bretonische Küche bei Kerzenschein, sie liebten sich in französischen Betten, nicht ohne sich in der Nacht um die Bettdecke zu streiten, was oft zu einem neuen Liebesspiel führte.
Es folgten Ausflüge zu den vielen Leuchttürmen der Bretagne. Selma ließ es sich nicht nehmen, auf jeden Turm hinaufzuklettern.
Auf einem kleinen, bedenklich schaukelnden Fischerboot fuhren sie durch die bewegte See zu einem grauen Ungetüm, das eine architektonische Höhe von 47 Metern aufwies und bedrohlich aus dem Meer ragte. Sie hatten einen Tag abwarten müssen, an dem man überhaupt eine Überfahrt wagen konnte, da eine gefährliche Klippenlandschaft zu passieren war und die Fischer die Touristen nur bei ruhiger See zum Leuchtturm überführten. Ruhige See bedeutete in der Bretagne etwas anderes als an der Ostsee. Als sie auf der Leuchtturminsel ausstiegen, war Sprengler von dem Geschaukel in dem kleinen Boot speiübel.
Der Pellwormer Leuchtturm war nur ein Zwerg gegen diesen bretonischen Riesen. Hunderte von Stufen lagen vor Sprengler. Er quälte sich mit schmerzenden Knien und Atemnot in die Höhe, ohne Sicht auf ein Ende der Tortur. Auf jeder Etage musste er sich ausruhen. Selma hüpfte wie eine Gämse die Wendeltreppe hinauf, sie war gut durchtrainiert, ging jede Woche zur Fitness und hatte für ihre damalige Studienreise in die Arktis Autoreifen die Hügel hinaufgezogen, um später mit der Last der Schlitten fertigzuwerden. Selma kümmerte sich um den Erhalt ihrer Muskelkraft, ihr war es wichtig, stark zu sein, es gehörte zu ihrer Persönlichkeit. Letztlich war ihre Kraft eine Eigenheit von ihr, die Sprengler sehr anzog, sollte er sich beschweren?
Beim Brandungsbaden bei 15 Grad Celsius war seine Grenze erreicht. Selma stürzte sich in...
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