Schweitzer Fachinformationen
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Auch wenn die Geschichten von meiner Schwiegeroma und mir nicht unterschiedlicher sein könnten, haben sie doch eines gemeinsam: Der Menstruationszyklus, sichtbar geworden durch die erste Blutung, wird unweigerlich mit Sexualität assoziiert. Im Fall Carmelas mit einem fatalen Missverständnis - der Verwechslung von erster Periode und Entjungferung.[1] In meinem Fall gab es zwar keine direkte Verbindung mit Sex als Akt, aber mit Fruchtbarkeit und Fortpflanzung.
Aus heutiger Sicht finde ich es ein bisschen schade, dass das meine erste und einzige Assoziation war. Überraschend ist es allerdings nicht: Wie die meisten von uns hatte ich bei meiner ersten Menstruation keine Ahnung, welch vielfältige Rolle der Zyklus in unserem Leben spielt. Ich wusste nicht, dass dieser Kreislauf ein wichtiger Bestandteil unserer Gesundheit ist, dass dahinter der Mechanismus des weiblichen Körpers steckt, essenzielle Hormone zu produzieren. Ich wusste erst recht nicht, dass ein natürlicher Zyklus einen starken und - mit genug Wissen - klar nachvollziehbaren Einfluss auf Stimmung, Bedürfnis nach Kommunikation oder Rückzug, Leistungsfähigkeit, Konzentration, Lust und Sexualität hat.
Es ist ein wenig paradox: Auf der einen Seite wird der Zusammenhang zwischen Zyklus und Sexualität überbetont, vor allem, wenn es um das Thema Fruchtbarkeit geht. Der Zyklus wirkt von Beginn an bedrohlich, denn er birgt die »Gefahr« einer möglichen Schwangerschaft, die es durch Verhütung - meist hormonelle - zu vermeiden gilt. Das ändert sich für manche Menstruierende erst Jahre oder gar Jahrzehnte später, wenn die einst gefürchteten fruchtbaren Tage identifiziert werden müssen, weil sie schwanger werden möchten. Wenn es nicht so schnell klappt wie gedacht, entsteht wieder Stress. Viele Menschen stellen in dieser Situation fest, dass ihnen in Bezug auf den Zyklus viel Angst, aber wenig ernsthaftes Wissen vermittelt wurde.
Auf der anderen Seite gibt es Verbindungen von Zyklus und Sexualität, über die erstaunlich wenig gesprochen wird. Wer lernt schon im Sexualkundeunterricht, wie die verschiedenen Zyklusphasen die Libido, körperliches Empfinden und sexuelle Vorlieben beeinflussen? Oder wie sich die vaginale Feuchtigkeit während des Zyklus verändert und welch vielfältige Möglichkeiten es für Sex während der Periode gibt?
Ich bin überzeugt, dass sowohl unser Menstruationszyklus als auch unsere Sexualität zu unserer Identität gehören. Und dass unser Umgang mit beidem unser Wohlbefinden stark beeinflusst - im Guten wie im Schlechten. Außerdem sehe ich in meiner Tätigkeit als Zyklus- und Sexualberaterin, dass sich unser (Un-)Wissen über den Zyklus deutlich darauf auswirkt, wie Menschen ihre Sexualität wahrnehmen und ausleben. Sicherlich ist der Menstruationszyklus nicht der einzige Faktor, und dennoch: Es ist schwierig, sich beim Sex zu entspannen, wenn man die zyklischen Ereignisse - die Periode, aber auch vaginalen »Ausfluss« beziehungsweise Zervixschleim und Schwankungen in Lust und Feuchtigkeit - unangenehm findet oder nicht einordnen kann. Dazu kommt die Verantwortung für die Verhütung oder das Entstehen einer Schwangerschaft, die gerade im heterosexuellen Kontext meistens auf die Person mit Uterus (und Zyklus) zurückfällt.
Ich beobachte seit Jahren, wie viel Neugier, aber auch Verunsicherung die Themen Zyklus und Sexualität auslösen. Schon oft haben mir Klient*innen erzählt, wie skeptisch sie dem, was da in ihrem Körper - gerade im Intimbereich - geschieht, gegenüberstehen und wie ihnen das nicht nur die Entdeckung ihres Zyklus erschwert, sondern auch den Spaß im Bett mindert. »Ich habe eine komische Beziehung zu Vulva, Vagina und allem, was da so herausfließt«, fasste es eine zusammen. Doch sie hatte - wie immer mehr Frauen - Lust, diese Beziehung zu verändern und alte Scham durch Wissen zu ersetzen. Einige Klient*innen berichten mir Wochen oder Monate später, wie die Zyklusbeobachtung das Verhältnis zu ihrem Körper und ihrer Weiblichkeit verändert hat. Manche von ihnen kommen auch gemeinsam mit ihren Partner*innen zum Beratungsgespräch und blühen regelrecht auf, wenn auch die Person ohne Zyklus Empathie und Interesse zeigt.
Wenn ich in etablierten Medien und auf meinen eigenen Kanälen über diese Themen schreibe, finden sich neben Zuspruch und Fragen auch zuverlässig Kommentare von Hater*innen unter den Texten. Unter einem Artikel auf Spiegel Online[1], der beschrieb, wie mein Partner und ich einen gleichberechtigten Umgang mit Verhütung suchten und fanden, erntete ich zahlreiche Variationen von »Was für ein Scheiß, einfach die Pille nehmen und fertig«. Äußere ich mich öffentlich zu Menstruationsblut oder Zervixschleim, werden die Kommentare gerne mit Kotz-Emojis versehen. Heute sehe ich das als Bestätigung dafür, wie wichtig Aufklärung ist, doch das war nicht immer so. Sprüche, Mythen und Tabus haben auch bei mir lange für Scham und Verunsicherung gesorgt. Mein Perioden-Enthusiasmus hielt jedenfalls nicht lange an.
Einen Tag nach der ersten Blutung hatte ich Sportunterricht. Meine beste Freundin Carina und ich liefen uns nebeneinander in der Mehrzweckhalle warm. »Übrigens habe ich jetzt meine Tage!«, rief ich atemlos, gleichermaßen den Emotionen und dem Joggen geschuldet. Carina lief stumm weiter. Vielleicht hatte sie mich nicht gehört. »Hast du auch schon deine Tage?«, versuchte ich es noch einmal. »Ja«, sagte sie schließlich, ihre Augen fest auf das graue Linoleum geheftet. Auf einmal schämte ich mich für meine herausposaunte Bemerkung. Und irgendwie auch für meine Menstruation. Zum ersten, aber sicher nicht zum letzten Mal.
Wenig später las ich in der Bravo Girl! in der Rubrik »Peinlich, peinlich!« die Einsendung einer Leserin, der eine Binde aus der Tasche gefallen war - vor den Augen ihres Schwarms. Sie schämte sich, weil er das »total eklig« fand - dabei war das Produkt sogar originalverpackt. Ich fragte mich zwar kurz, ob nicht eher die Reaktion des Jungen peinlich war, achtete aber vorsichtshalber künftig darauf, meine Periodenprodukte diskret und sicher zu verstauen. Immerhin schien die Menstruation ein Thema zu sein, von dem die meisten Leute nichts hören oder sehen wollten.
In Biologie lernten wir in Bezug auf den Zyklus zwar, dass wir uns vor einer Schwangerschaft schützen mussten, aber nicht, wie man erkennt, wann man überhaupt fruchtbar ist. Auch sagte uns niemand, dass es unterschiedliche Zyklusphasen gibt, die sich auf unsere Stimmung auswirken, und dass ein achtsamer Umgang mit alldem das Leben erheblich erleichtert.
Die Pubertät, mein erstes Jahrzehnt mit Periode und sexueller Aktivität, gestaltete sich bald als ein Durcheinander aus Neugier, Entdeckung, Scham und Verunsicherung. Ein Gedankenkarussell durch den Intimbereich: Ist es normal, fast jeden Tag Schleim in der Unterhose zu haben? Soll ich meine Schamhaare rasieren? Stinken Muschis wirklich nach Fisch (wie Jens aus der Parallelklasse behauptet)? Was mache ich gegen Regelschmerzen? Macht die Pille meine Brüste größer? Warum werde ich so wenig feucht? Wie komme ich beim Sex zum Orgasmus?
Es war nicht alles schlecht. Ich machte auch gute, spannende Erfahrungen, vor allem, je mehr sich die Teenagerjahre Richtung Zwanziger neigten. Doch es war mehr Trial & Error als eine auf Wissen basierende Herangehensweise. Das galt auch für die Verhütung, genauer gesagt für die Pille. Ich verband sie mit Verantwortung, Coolness und dem lang ersehnten Erwachsensein. Nicht cool fand ich, dass sich kurz nach Beginn der Einnahme meine Stimmung schlagartig verschlechterte. In den folgenden Jahren wurden mir verschiedene Präparate verschrieben, die mich - immerhin - zuverlässig vor einer Schwangerschaft schützten. Eines davon besonders effektiv, weil mir auch jegliche Lust verging. Die anderen hatten Zwischenblutungen, vaginale Trockenheit und Pilzinfektionen im Angebot. Bei Unterbrechungen merkte ich zwar, dass ich mich mit natürlichem Zyklus besser fühlte, doch einen endgültigen Weg ohne synthetische Hormone sah ich erst Jahre später.
Dass mein zweites zyklisches Jahrzehnt - also meine Zwanziger - von einem besseren Körpergefühl und damit auch immer erfüllterem Sexleben geprägt waren, verdanke ich meiner Cousine und einer Zufallsentdeckung. »Ich mache NFP«, erzählte sie mir, als ich kurz vor dem Abi stand und wir über Sex und Verhütung quatschten. Auf meine ratlose Nachfrage erklärte sie, die...
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