Schweitzer Fachinformationen
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17. März
Der Tag war ungewöhnlich warm für Mitte März. Über die Berge blies der Föhn und fraß braune Flecken in die Schneedecke.
Die Drohnenkamera fasste die Zugspitze ganz im Westen ins Visier und schwenkte dann Richtung Osten, das Brauneck kam ins Bild, Fockenstein, Hirschberg, der Tegernsee mit Setzberg und Wallberg, dahinter mächtig aus dem Tirolerischen aufragend der Guffert, dann Bodenschneid, Neureuth und schließlich der Wendelstein mit dem Sendemast. Kindergeschrei drang zu der Drohne hinauf. Das freilich nur leise, denn das Mikrofon war nicht das beste, und die Drohne schwebte in fünfzig Metern Höhe. Unter ihr die Wiese um das Sackerer Gütl, mit einer Szenerie, auf die PHM Benedikt Schartauer per Fernsteuerung jetzt das Objektiv der Drohne richtete.
Das Sackerer Gütl war ein aufgelassener Bauernhof, den die Polizei heute für eine besondere Veranstaltung nutzte: den alljährlich stattfindenden Kindertag. Er sollte Kindern im schulpflichtigen Alter die Arbeit der Polizei näherbringen. Die Drohnenaufnahmen dienten als Doku-Material, das man später zu PR-Zwecken und für Schulungsmaßnahmen verwenden wollte.
Aus der Vogelperspektive konnte man gut sehen, wie die verschiedenen Stationen auf dem Gelände verteilt waren. Auf dem Schotterweg zum Hof gab es eine Radarkontrolle, bei der die Kinder selbst Messungen durchführen durften, während andere Kinder versuchten, mit dem Fahrrad auf Geschwindigkeiten zu kommen, die für eine Geldbuße reichten. Das gelang durchaus, denn man hatte ein Tempo-20-Schild aufgestellt. Es gab Stände mit illegalen Waffen, mit Drogen, dazu Streifenwagen, in die sich die Kinder setzen durften, Beamte und Pferde der Reiterstaffel aus München, eine Verkehrskontrolle an der Zufahrtsstraße und vieles mehr. Im Augenblick sah man von oben einen Polizisten vor einer Gruppe von Kindern und einigen Erwachsenen mit etwas hantieren, das sich bei näherer Betrachtung als Gasanzünder erwies.
»So, dann geh du mal her«, sagte Polizeihauptmeister Leonhardt Kreuthner zu einem etwa achtjährigen blonden Mädchen, dessen obere Schneidezähne die Größe von zwei Stück Würfelzucker hatten. »Wie heißt du denn?«
»Martha.«
»Und des is dein Papa?«
Das Mädchen nickte. Kreuthner wusste, wer der Vater war. Er hieß Sebastian Binger und war der Präsident des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd. Auch wenn er noch nicht lange im Amt war, verband ihn mit Kreuthner bereits ein ausnehmend unglückliches Vorkommnis, weshalb es Kreuthner geraten schien, für die Aufgabe, die jetzt anstand, Bingers Tochter zu wählen.
»Schau, du nimmst des jetzt und machst die Kerze an.«
Er drückte dem Mädchen den Gasanzünder in die Hand und geleitete sie zu einer seltsam anmutenden Vorrichtung. Es war eine lange Holzwippe. Auf der einen Seite der Wippe war ein kleiner Stein festgebunden, auf der anderen eine dünne Kerze befestigt. Die Seite mit der Kerze befand sich unten am Boden, während der Stein etwa einen Meter über dem Boden schwebte. Über der Kerze hing an einer Art Galgen ein kleines Häuschen. Es sah aus wie ein Vogelhäuschen, nur dass es ganz aus Stroh gefertigt war.
Das Mädchen drückte mit beiden Zeigefingern auf den Abzug, und schon machte es klack, und eine Flamme erschien am Ende des kleinen Rüssels. Bedächtig, ja nachgerade andächtig schritt die Kleine zur Kerze und entzündete sie. Kreuthner nahm jenes Leuchten in ihren Augen wahr, das sonst nur echten Pyromanen zu eigen ist, und er fragte sich, ob das eben für die Tochter des Polizeipräsidenten eine entscheidende Gabelung auf ihrem Lebensweg gewesen war.
»Danke, Martha. Das hast du super gemacht.« Er entließ die Kleine wieder in die Obhut ihres Vaters. »So«, sagte Kreuthner an seine Zuhörer gewandt. »Was is des jetzt?« Er blickte kurz in die Runde ratloser Gesichter. »Des erklär ich gleich. Es hat was zu tun mit dem .«, Kreuthner sah erneut in die Runde, aber niemand wagte den Satz zu beenden, ». dem Brandstifter. Ein Brandstifter ist einer, der wo umeinandgeht und Häuser anzündt, oder Heustadel oder irgendwas anderes.«
»Warum macht der das?«, wollte ein Knabe mit Undercut wissen.
»Sehr gute Frage! Warum macht der Brandstifter des?« Kreuthner verschränkte die Arme und blickte abermals ins Rund. »Wer von euch hat schon amal was angezündet?«
Etwas zögerlich gingen kleine Arme nach oben, erst zwei, dann mehr, schließlich war es die Mehrzahl der anwesenden Kinder. Die Blicke der zugehörigen Eltern zeugten von irritiertem Erstaunen.
»Und warum habt's des g'macht?«
Verlegenes Lächeln und Getuschel war die Antwort.
»Na, weil's Spaß macht, oder?« Er erntete heftiges Nicken aus fröhlichen Kindergesichtern. »Gell - wenn's richtig brennt und kracht und die Funken fliegen, des ist halt a Gaudi. Und deswegen macht der Brandstifter des auch. Weil den freut's, wenn's brennt. Und oft is er auch dabei, wenn's Feuer wieder g'löscht wird.«
»Bei der Feuerwehr?«, fragte ein Kind.
»Ja genau. Bei der Feuerwehr.«
»Jetzt verzählen S' den Kindern doch nicht so was! Die Feuerwehr is zum Löschen da, net zum Feuerlegen«, meldete sich eine Frau.
»Was glauben Sie, wie viel Brandstifter bei der freiwilligen Feuerwehr san? Letztes Jahr hamma erst wieder einen erwischt. Ich nenn ihn mal Ignatz S. Jetzt komm, Nazi, hamma g'sagt, wieso hast denn des alles ozunden? Ja, hat er g'sagt, des wär immer so a tolles kameradschaftliches Erlebnis g'wesen, wenn s' nachm Einsatz z'sammg'sessen san und ham g'redet und Bier getrunken.« Kreuthner wandte sich wieder seiner Wippe zu. »Und jetzt schauen mir mal, wozu des gut is.«
Die Kerze war inzwischen schon ein wenig heruntergebrannt.
»Mir müssen den Brandstifter ja überführen. Aber wenn ihn keiner g'sehen hat, wie er das Feuer legt, wird's schwierig. Und manchmal sagt er auch: Ich war ja gar net da, wie des Feuer ausgebrochen is. Da war ich auf einer Party in München, und des können ganz viele Leute bezeugen. Und wenn er in München war, dann kann er ja net hier in Miesbach a Haus anzünden - oder doch?« Kreuthner sah jetzt in die Runde, Kinderaugen hingen an seinen Lippen. »Aber so schnell glauben mir dem Brandstifter nicht! Weil mir kennen ja unsere Pappenheimer. Vielleicht hat er so was benutzt.« Kreuthner deutete auf die Wippe mit der Kerze. »Eine Floriansschaukel. Warum Florian? Na, der heilige Florian is der Schutzpatron von der Feuerwehr. Und wenn man so eine Schaukel hernimmt, dann bekommt die Feuerwehr was zu tun. Und wie funktioniert des? Dazu schaun mir uns jetzt mal die Kerze an. Was passiert mit der Kerze?«
»Die wird kleiner«, sagte ein Kind.
»Richtig! Und wenn sie kleiner wird, dann wiegt sie auch weniger. Und irgendwann wiegt sie so wenig, dass sie leichter is wie der Stein am andern Ende. So a Brandstifter nimmt natürlich a dicke Kerze her. Da dauert des ein, zwei Stunden. Und in der Zeit is er schon in München auf der Party. Und hier in Miesbach .?«
Kreuthner wandte sich wieder der Kerze zu. Die hatte einen weiteren Teil ihrer Masse verloren, und es kam zögerlich Bewegung in die Wippe.
»Na? - Da tut sich doch was.«
Alle Kinder rückten näher und starrten gebannt auf die Kerze. Kreuthner hob die Hände und wandte die erhobenen Handflächen in Richtung seiner Zuschauer.
»Jetzt gehen mir mal bitte a Stückl zurück. Weil gleich passiert was. Bitte zurücktreten!«
Die Kinder taten wie ihnen geheißen. Inzwischen ging ein leichtes Zucken durch die Kerzenflamme, und mit einem Mal schwebte sie ganz langsam nach oben, während der Wippenarm mit dem Stein zu Boden sank. An ihrem höchsten Punkt war die Kerze nur noch wenige Zentimeter von dem Strohhäuschen entfernt, das innerhalb von Sekunden in Flammen aufging. Und nicht nur das: Kaum loderte die Flamme hoch, knallten auch schon einige kleinere Feuerwerkskörper, und Wunderkerzen versprühten Funken. Die Kinder lachten und klatschten verzückt in die Hände.
»Des is a Spaß, oder?«, freute sich Kreuthner mit seinem jungen Publikum. Die Begleitpersonen der Kinder schienen indes alles andere als verzückt und warfen ihm weiterhin irritierte Blicke zu. Der räusperte sich und sagte schließlich: »Aber ganz wichtig: Nicht zu Hause nachmachen, gell! Finger weg vom Feuer.«
»Wichtiger Hinweis und gerade noch rechtzeitig«, raunte Polizeipräsident Binger.
Die letzten verkohlt-glühenden Reste des Häuschens fielen zu Boden, und Kreuthner trat die Glut aus.
»Und jetzt, Kinder, jetzt schauen mir mal, wie's bei einem richtigen Polizeieinsatz abläuft. Auf geht's!«
Kreuthner ging Richtung des alten, leer stehenden Bauernhauses und bedeutete Schartauer, der immer noch mit der Drohne beschäftigt war, mitzukommen. Eltern und Kinder folgten ihnen. Auf dem Weg zum Haus passierte die Gruppe eine Apparatur aus Edelstahl.
»Was ist das?«, fragte ein Kind.
»Des is a Destille«, sagte Kreuthner. »Damit machen Leute Schnaps, aber das dürfen s' eigentlich net.« Kreuthner verschwieg, dass er selbst aktiv war im Schwarzbrennergeschäft. »Da kommen mir dann als Nächstes hin.«
»Mir ham auch so was zu Haus«, sagte der Kleine.
»Ah so?« Kreuthner blickte zum Vater des Kindes.
»Geh, Maximilian, was verzählst denn da für G'schichten? Also wirklich!« Der Vater schüttelte lachend den Kopf und wandte sich Kreuthner zu. »Was er sich immer ausdenkt, der Bua. Kinder halt.«
»Ja, die kriegen mehr mit, wie man meint.«
»Des is net g'logen«, beharrte Maximilian. »Mir ham des auch.« Der Vater verdrehte die Augen....
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