Jede Terminologie setzt das Bestehen eines allgemeinen Konsenses darüber voraus, was die Begriffe, mit denen die betreffende Sache, Person oder Konzeption definiert wird, bedeuten. Hierzu soll ein bekannter Satz zitiert werden, der den Titel eines berühmten Romans angeregt hat:10 "Stat rosa pristina nomine, nomina nuda tenemus."*
Im Deutschen bezeichnet der jeweils erste Wortbestandteil in Ausdrücken wie "Knochenläsion", "Herzläsion" oder "Hirnläsion" eindeutig, welcher Teil des Körpers von dem Krankheitsgeschehen betroffen ist. Demnach müsste der Begriff "Endo-Paro-Läsion" Läsionen bezeichnen, die sowohl die Pulpahöhle als auch den Zahnhalteapparat betreffen. Tatsächlich beschränkt sich die Bedeutung, die gemeinhin mit diesem Begriff verknüpft wird, jedoch nicht - wie sie sollte - darauf, den Ort des Krankheitsgeschehens zu bezeichnen. Vielmehr erstreckt sie sich auch auf ätiopathogenetische Aspekte - allerdings nur andeutungsweise und ohne diese ausdrücklich zu benennen.
Abb. 1-1 (a und b) Kariöses Dentin im Wurzelkanal.
Abb. 1-2 (a und b) Hyperämie der Pulpa; angezeigt durch starke Blutung bei Eröffnung des Dachs der Pulpakammer.
Abb. 1-3 (a) Austritt von eitrigem Exsudat und (b) nekrotisches Gewebe im Wurzelkanal.
Endo-Läsionen
Wird der Begriff "Endo-Paro-Läsion" in seine beiden Bestandteile aufgelöst, fällt auf, dass seiner ersten Hälfte ("Endo-Läsion") ein sprachlicher Hinweis darauf fehlt, dass sie in unserem Kontext eigentlich mit einem ätiologischen Sinn unterlegt ist ("Läsion endodontischen Ursprungs"). Dieser Sinn ist hier jedoch der Schlüssel zum Verständnis, da der Begriff "Endo-Läsion" außerhalb dieses Kontextes normalerweise eine Läsion an und im Bereich der Pulpa bezeichnet.
Die Abbildungen 1-1 bis 1-6 zeigen Beispiele für solche pathologischen Veränderungen im Bereich der Pulpa:
- Wurzelkanalkaries (Abb. 1-1);
- Hyperämie (Abb. 1-2) und Pulpanekrose (Abb. 1-3);
- Verkalkungen (Abb. 1-4);
- Sklerose (Abb. 1-5);
- interne Resorption (Abb. 1-6).
Hinweis: Der Terminus "Endo" bezeichnet im Kontext der Endo-Paro-Läsionen nicht die Lokalisation der Läsion, sondern hat einen ätiologischen Sinn. Er verweist auf einen pathologischen Prozess im Bereich der Pulpa als Ursache für ein pathologisches Geschehen an einer anderen Struktur: dem Parodont.
Abb. 1-4 (a und b) Großer Stein in der Pulpakammer.
Abb. 1-5 Sklerotische Verengung des Kanallumens von Zahn 25 (vgl. das normale Lumen von Zahn 23).
Abb. 1-6 (a) Interne Resorption in der mesialen und distalen Wurzel von Zahn 36. (b) Das Füllmaterial hat die resorbierten Bereiche zufriedenstellend gefüllt.
Abb. 1-7 Rechter seitlicher Oberkieferschneidezahn mit Pulpanekrose, apikaler Läsion und interner Resorption, im mittleren Wurzeldrittel. Die chronische apikale Entzündung, die im Röntgenbild als Radioluzenz erscheint, hat zu einer Resorption des apikalen Foramens geführt, weshalb es trotz Verwendung eines dicken Guttaperchastifts, der nur bis zu einem Punkt koronal des Foramens eingebracht wurde, zu einer apikalen Überfüllung gekommen ist. (a) Die interne Resorption (roter Pfeil) ist insofern eine Endo-Läsion, als sie ihren Ursprung und ihre Lokalisation in der Pulpa hat. Der weiße Pfeil zeigt auf das apikale Granulom, das hinsichtlich ihrer Entstehung, Entwicklung und Lokalisation eine Paro-Läsion darstellt (zur Erinnerung: Gegenstand des Begriffs ist in diesem Fall die Läsion, nicht ihre Ursache). (b) Bis zum Ende des Kanals (Arbeitslänge) eingebrachtes Instrument (roter Pfeil). (c) Der Guttaperchastift (weißer Pfeil) wurde ca. 1 mm kürzer gewählt als die Arbeitslänge. (d) Verschluss des Kanalsystems mit erwärmter Guttapercha und Rekonstruktion der Krone mit Komposit. Der rote Pfeil weist auf den Bereich der internen Resorption. (e bis g) Follow-up Röntgenaufnahmen nach 4, 6 und 8 Jahren: Der Bereich der internen Resorption zeigt sich stabil, und im Bereich der Wurzelspitze gibt es trotz der Überfüllung keine Zeichen für eine Läsion.
Paro-Läsionen
Im Begriff "Paro-Läsion" hat der Terminus "Paro" einen doppelten Sinn: Zum einen bezeichnet er die Lokalisation der Läsion, zum anderen hat er eine ätiopathogenetische Nebenbedeutung und verweist auf einen oder mehrere pathologische Prozesse, die eine Läsion am Parodont verursachen. Dieser Mangel an terminologischer Klarheit kann zu Verunsicherung und Verwirrung bei der Beschäftigung mit dem Thema führen.
Zudem sollte man sich die Vielfalt und Vielschichtigkeit der pathogenen Faktoren, die Läsionen am Parodont erzeugen können, sowie die Unterschiede zwischen diesen Läsionen in anatomisch-pathologischer Hinsicht vor Augen halten: Die häufigsten Ursachen für Parodontalerkrankungen sind - selbstverständlich - Zahnbelag und Zahnstein. Daneben können jedoch auch ein okklusales Trauma, eine vertikale Wurzelfraktur oder die Ausbreitung eines kariösen Prozesses entlang der äußeren Wurzeloberfläche bis unter die Schmelz-Zement-Grenze eine parodontale Läsion provozieren. Schließlich können parodontale Läsionen auch iatrogen entstehen, z. B. infolge orthodontischer Zahnbewegungen, bei der Zahnsteinentfernung und Wurzelglättung im Rahmen der Parodontalhygiene, durch einen parodontalchirurgischen Eingriff oder auch bei subgingivalen Präparationen und der Verwendung von Retraktionsfäden.
Wird der Begriff "Paro-Läsion" nicht zur Beschreibung der anatomischen Lage benutzt, sondern mit ätiopathogenetischer Nebenbedeutung verwendet, so bezeichnet er meist Läsionen, denen unter histopathologischem Aspekt ein Attachmentverlust mit Apikalwanderung des Saumepithels gemeinsam ist. Beide Symptome, die für durch Parodontalerkrankungen verursachte Läsionen des Parodonts typisch sind, können auch mit anderen Ursachen direkt oder indirekt in Verbindung stehen, darunter:
- vertikale Wurzelfrakturen (Abb. 1-8 und 1-9);
- Wurzelanomalien, wie:
- - irreguläre Furchen (Abb. 1-10),
- - Schmelzperlen (Abb. 1-11);11,12
- perforierte interne Wurzelresorptionen (mit Übergreifen der Läsionen auf die äußere Oberfläche);
- invasive extrakanaläre Knochenresorption (Abb. 1-12);13
- externe zervikale Wurzelresorption (Abb. 1-13).14, 15
Abb. 1-8a bis d Zahn 15 mit vertikaler Wurzelfraktur. Bei der ersten Untersuchung können die Sondierungsbefunde denen eines Fistelgangs ähneln, der durch intraligamentäre Drainage eines apikalen Abszesses verursacht wurde. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, das Vorliegen einer Fraktur eindeutig auszuschließen oder zu bestätigen.
Abb. 1-9a bis d Wenn Hindernisse den Weg der Sonde stören, kann der Nachweis einer Fraktur mit der Sonde Schwierigkeiten bereiten.
Abb. 1-10a bis d Zahn 27 mit distolingualer Kronen-Wurzel-Furche von mittlerer Tiefe. (a) Präoperative Röntgenaufnahme. (b) Die Furche reicht bis distal des Cingulums. (c) Sondierungstiefe: ca. 5 mm. (d) Postoperative Röntgenaufnahme. (Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Arnaldo Castellucci, Florenz, Italien.)
Abb. 1-11a bis d Schmelzperlen. (a) Schmelzperle in der vestibulären Furkation eines oberen ersten Molaren. (b) Schmelzperle an der vestibulären Fläche eines unteren Molaren. (c) Schmelzperle an der distalen Fläche der distalen Wurzel eines Weisheitszahnes. (d) Parodontaler Defekt im Bereich der Schmelzperle (Ausschnittsvergrößerung zu c). (Mit freundlicher Genehmigung von Prof. A. Bloom.)
Abb. 1-12a bis e Invasive extrakanaläre Resorption an der mesialen Seite der palatinalen Wurzel eines rechten oberen ersten Molaren.13
Abb. 1-12f bis i Invasive extrakanaläre Resorption (rote Pfeile) auch im Bereich der interradikulären Konkavität auf der mesialen Seite des benachbarten Zahns 14 (weißer Pfeil: Wurzelkanal).
Abb. 1-12j bis n (j bis l) Während der parodontalchirurgischen...