Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Die Sonnenstrahlen fielen in einem sehr flachen Winkel durch die Schaufenster von Naira Calderóns Buchhandlung Biblioteca de Babel und erreichten sogar den mittleren Raum. Im Herzen von Santa Cruz de La Palma gelegen, verführte der Buchladen mit seinen wohnlich wirkenden Regalen und Tischen aus kanarischer Kiefer und der beeindruckenden Bücherauswahl zum Verweilen. Der dritte Raum, mit der auch aus gebeizter Kiefer hergestellten Theke für Kaffee, Wein und dem immer vorhandenen Teller mit Mandelkeksen, war zwar wie immer sehr hell, aber keiner direkten Sonne ausgesetzt. Der kleine Innenhof dahinter wurde nur um die Mittagszeit ganz ausgeleuchtet.
Ben Rodríguez saß in seinem Chesterfield-Sessel im Zwischenraum, wie Naira den in der Mitte gelegenen Raum oft nannte, und war so in ein Buch vertieft, dass er nicht nur die Sonnenstrahlen, die inzwischen seine Füße erreichten, nicht bemerkte, sondern auch seinen Kaffee ignorierte.
Egal, wie oft er unter der Woche schon vorbeigeschaut hatte, es war ein Ritual: Jeden Samstag, zwischen elf und dreizehn Uhr, konnte man ihn in der kleinen Buchhandlung finden. Seine Freunde wussten Bescheid. Wenn jemand ihn treffen wollte, funktionierte das zu dieser Zeit, absichtlich oder zufällig, ausgezeichnet.
Naira hatte ihm vorhin ein frisch erschienenes Buch über die Altkanarier in die Hand gedrückt und Ben war bereits darin vertieft. Den Verfasser hatte er als gut erzählenden Historiker wahrgenommen, der sich, so wie er selbst, besonders für die Zeit vor der spanischen Eroberung der Inseln interessierte. Seit einigen Jahren recherchierte und schrieb Ben an einer umfassenden Geschichte der Kanarischen Inseln, wenn auch sein Hauptinteresse der Zeit vor 1400 galt. Naira saß an der Quelle und versorgte ihren Freund Beneharo, so lautete Bens vollständiger Vorname, engagiert mit jeder halbwegs ernst zu nehmenden Neuerscheinung zum Thema.
Nun kam die Buchhändlerin, die dicken dunklen Haare zu einem Zopf geflochten, mit ihrer großen Kaffeetasse, auf der eine bunte Manrique-Zeichnung aufgedruckt war, aus dem hinteren Verkaufsraum und setzte sich auf den Hocker Ben gegenüber. Gelassen zupfte sie ihr weißes, mit kleinen Ornamenten bedrucktes Baumwollkleid zurecht.
Ben blickte auf. "Du, da klingt nicht nur der Klappentext spannend, das ist wirklich interessant! Unglaublich, dass jetzt immer mehr Dokumente und Schriftstücke aus der Zeit der spanischen Eroberung auftauchen . Apropos Zeit: Hast du ein paar Minuten?"
"Natürlich, gerne auch eine halbe Stunde! Enrique ist so engagiert, der schmeißt den Laden auch alleine. Gibt's was Bestimmtes?" Wie immer wollte Naira gleich alles wissen.
Ben nickte. "Ja, ich möchte für ein paar Tage hinüber nach Lanzarote. Die Käserei der Finca de Fechas hat bei den World Cheese Awards gerade neun Goldmedaillen erhalten - neun, stell dir das vor! Und ich werde eine Reportage über die Käserei, die Finca, den Weinbetrieb Cumulus und den Besitzer all der erfolgreichen Produktionen, nämlich Paco Prieto, bringen. Hast du Lust und Zeit, mit mir nach Lanzarote zu kommen? Du kennst doch sicher ."
Ben arbeitete als leitender Journalist sowohl für die Wochenzeitung Tenerife & La Palma weekly als auch für Canaria Culinaria, das Kanaren-Monatsmagazin mit den Schwerpunktthemen Kunst und Kulinarik. In der letztgenannten sollte die Reportage über Paco Prieto und seine preisgekrönten Produkte erscheinen.
"Das ist eine hervorragende Idee, Ben! Ich hatte nämlich schon überlegt, ob ich . also es ist so: Meine Schul- und Studienfreundin Valeria - wir kennen uns seit unserer gemeinsamen Grundschulzeit in Barlovento - würde sich über meinen Besuch sehr freuen und ich habe ihr eigentlich auch schon zugesagt. Wir haben uns das letzte Mal bei ihrer Hochzeit mit Gil Moreno gesehen und das ist unglaublicherweise schon Jahre her, seither immer nur telefoniert . Ach, es ist so tragisch."
Ben war erstaunt. "Ich freue mich sehr, wenn du mitkommst, aber was ist daran jetzt tragisch?"
Naira blickte traurig und holte hörbar Luft, bevor sie antwortete: "Valeria ist seit einigen Wochen Witwe: Ihr geliebter Gil ist bei einem Unfall in einer Lavaröhre ums Leben gekommen."
"Oh nein! Wie ist das denn passiert?"
"Gil war Kunstsachverständiger, auch als Kunstberater tätig, arbeitete an einer César-Manrique-Biografie und war, wenn ich das richtig verstanden habe, gerade auf der Suche nach unbekannten César-Manrique-Bildern: in einer Lavaröhre bei der Fundación. Und bei dieser Suche stürzte er tragischerweise in die darunterliegende Höhle und brach sich das Genick. Stell dir vor: Dort unten standen die Bilder an die Wand gelehnt! Das hört sich alles ziemlich eigenartig an, ich weiß, und Valerias Schilderung der Ereignisse ist auch irgendwie verworren . Ich denke, die Ärmste ist noch immer sehr durcheinander. Wir haben gestern telefoniert, und sie fragte mich, ob ich nicht für ein paar Tage kommen könnte."
Ben wischte nachdenklich imaginäre Brösel von seiner dunkelblauen Jeans und starrte ins Leere. "Das klingt spannend und seltsam zugleich. 'Unbekannte Manrique-Bilder aufgetaucht' - habe ich davon nicht irgendwo gelesen?"
"Kann schon sein, ich glaube, darüber haben einige Tageszeitungen berichtet - und auch über den tragischen Tod von Valerias Mann. Apropos, wenn ich nicht sehr irre, auch dein Tenerife & La Palma weekly, stellte Naira fest.
Der Lanzarote-Aufenthalt schien Ben nun noch vielversprechender; die aufgefundenen Manrique-Bilder könnten mindestens mit einer Doppelseite, wenn nicht mehr, gewürdigt werden. Und einige Interviews dazu - und Naira kam mit!
Ben strahlte sie nun an und bemerkte, dass sie ihn still beobachtet hatte.
"Eine Flasche Victoria Torres Malvasía für deine Gedanken", sagte Naira nun. "Sag, wann willst du rüberfliegen? Ich könnte schon am Montag los, muss nur morgen zuerst noch die Buchhaltung erledigen und dann zu meinen Eltern - hab's Mama schon vor einigen Wochen versprochen. Und ich frage noch heute bei Valeria wegen eines Zimmers für dich nach. Sie hat drei Gästezimmer in ihrem Haus in Tías."
Ben überlegte nicht lange und sagte zu.
Naira freute sich. "Sag, besorgst du unsere Tickets bei Binter - aber vielleicht nur den Hinflug? Wer weiß, was uns dort erwartet? Denk an unsere Abenteuer voriges Jahr zur Karnevalszeit auf Teneriffa ."
Ben erinnerte sich schlagartig an die unglaublichen und erschreckenden Erlebnisse - und seine Angst um Naira.
"Naira, du bist unmöglich! Wir können doch einfach ein paar interessante, aber ruhige, entspannte Tage mit gutem Essen verbringen, oder?"
"Claro! Magst du noch einen Kaffee?"
Sie tauschten sich noch eine Weile über den neuesten Inselklatsch aus, dann notierte Naira die von Ben ausgewählten Bücher für dessen Monatsrechnung.
Ben packte seinen Bücherstapel in seine große Stofftasche mit dem Schriftzug der Biblioteca de Babel, schulterte ihn sportlich und verabschiedete sich herzlich von Naira, die sich sogleich wieder an ihren Schreibtisch setzte.
Ben wollte nun auf dem schnellsten Weg nach Hause fahren und seine Unterlagen fürs Interview und die Besichtigungstermine checken. Naira war wieder einmal so schnell, er wollte ja eigentlich erst im Laufe der nächsten Woche fliegen. Schon übermorgen! Aber dafür mit Naira - das gefiel ihm besonders.
Gerade klingelte sein Handy. Marcos, der Besitzer des Hauses, in dem Ben in Tazacorte wohnte, rief an. Der lebte auf El Hierro und wollte wie immer ein wenig jammern. Marcos meldete sich nur, wenn seine aktuelle Liebesbeziehung gescheitert war. Und Ben war insgeheim froh darüber, denn er liebte das Haus mit dem großen Garten und dem Blick über die Bananenfelder zum Atlantik. Marcos hatte die Liegenschaft auf La Palma für sich und seine Familie vorgesehen, die erst gegründet werden musste - und nach jedem Scheitern einer neuen Beziehung verlängerte sich Bens Wohnrecht. Er wünschte ihm Glück für eine neue Liebe und hoffte gleichzeitig, dass sie noch lange auf sich warten ließe.
***
Jetzt saß Ben in seinem Arbeitszimmer an dem alten massiven Kanarenkiefern-Schreibtisch, den schon sein Vater immer mit Bienenwachs behandelt hatte, und starrte auf eine druckfrische Dissertation. Das Thema war die historische Untersuchung zum Leben eines Anführers der Ureinwohner auf Teneriffa. Der Doktorand war ein junger Mann, den Ben bei einem Vortrag über die Rolle der Meeresströmung bei der Besiedelung durch die ersten Einwohner der Kanaren kennengelernt hatte. Sie waren ins Gespräch gekommen, und der junge Canario hatte ihm nun stolz seine Arbeit mit dem Titel Beneharo, ein Herzog Teneriffas zugesandt.
Ben schlug sie auf. Der Text begann mit der ersten Strophe aus einer Kantate der Gruppe Los Sabandeños:
"Hört die traurige Geschichte des Beneharo von Anaga, des unglückseligen Mencey, der vor Wut den Verstand verlor, da er verlor die Freiheit seines...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.