Vorrede
<ix> Mein Freund, der verstorbene Brockhaus, in dessen Verlagshandlung diese Biographie erscheint, ist der eigentliche Urheber derselben. Er kannte den Künstler persönlich und schätzte ihn. Aus reiner Achtung für den Charakter und die Werke des braven Meisters entschloß er sich, das Leben desselben herauszugeben, und forderte mich zu der Bearbeitung auf, weil ich mit der Familie bekannt war und bereits eine Skizze des Lebens der Zwillinge Gerhard und Karl von Kügelgen {in den Zeitgenossen, Heft XIII, Leipzig 1818} entworfen hatte. Auch mein verehrter Freund, der Hofrath Böttiger, ermunterte mich zu diesem biographischen Versuche. Ich lehnte anfangs den Antrag ab, weil nur ein Künstler und vor allen Professor Hartmann in Dresden, der vieljährige treue Freund des verewigten Kügelgen, den natürlichen Beruf hatte, das Leben dieses Meisters zu beschreiben. Allein es fehlte ihm dazu an Muße; auch war er <x> im Begriff, dem Rufe zu einer Kunstreise nach Italien zu folgen. Ich entschloß mich daher, eine Arbeit zu übernehmen, zu der ich, als Laie in der Kunst, weniger geeignet war. Aber ich kannte und liebte den Menschen; seine Gattin und sein Bruder erfüllten meine Bitte, Kügelgens Briefe und andre Papiere mir mitzutheilen; dasselbe thaten einige Freunde und Freundinnen des Unvergeßlichen: so zog mich endlich mein Herz zu Gerhards Todtenhügel hin, und ich wagte es, sein Leben zu erzählen und den trefflichen Mann zu schildern, wie er war als Mensch und als Künstler.
Ich habe es mit dem ernsten Bestreben gethan, wahr zu seyn und gerecht; aber nicht ohne tiefe Wehmuth. Der Schmerz hat oft die Feder mir aus der Hand genommen. Noch öfter vielleicht hat mein Gefühl das treue Wort der Erinnerung durch die Empfindung der Liebe und Freundschaft belebt. Allein ich könnte, auf mein Gewissen, von der Charakteristik dieses edlen Menschen nichts hinweg nehmen, nichts in derselben anders darstellen. Selbst nachdem ich die durch jahrelange Einsammlung und wiederholte Sichtung des reichen Stoffes vorbereitete Arbeit vor Kurzem erst vollendet habe, glaube ich in der Würdigung Gerhards von Kügelgen die dem Künstler und Menschen so natürliche Bescheidenheit nicht verletzt zu haben. Ueber seinen Werth als Künstler werden Andre anders urtheilen. Meine Stimme über ihn ist wenigstens nicht die einzige. Kügelgen dichtete malend für das Gemüth, und mit eben der Empfindung, <xi> welche sein Farbengedicht in mir erweckte, habe ich jedes Bild von ihm - und ich sah die meisten oft und viel - beschrieben und gewürdigt. Der im Leben das Höchste mit Liebe umfassende Meister malte mehr noch für das innere Auge als für das äußere; er war aber nicht allemal so glücklich, Beschauer zu finden, die mit seinem Blicke in den Sinn und in die Empfindung seiner Bilder eindrangen. Dessen ungeachtet strebte er selbst, fromm, fleißig und bescheiden, unablässig nach einem immer höheren Ziele, und eine lange schöne Bahn schien sich vor ihm zu öffnen. Diesen Kranz der Meisterschaft legt eine gerechte Beurtheilung auf sein frühes Grab.
Ueber die Abfassung seiner Biographie sey mir erlaubt, Folgendes zu bemerken: In der Geschichte der Kunstbildung eines Meisters darf der Mensch vom Künstler nicht getrennt werden. Ich bemühte mich daher zu zeigen, wie auch in Gerhard von Kügelgen der Künstler aus dem Menschen hervorgegangen ist. Denn zum Porträtmaler bildete ihn sein für Liebe und Freundschaft empfängliches Herz, zum Idealisten sein reiches und schönes Gemüth; und wenn sein kurzes Erdenleben mit so vielen Dornen unter Blumen und Früchten, bald wie ein dunkler, bald wie ein goldner Faden mitten durch seine Künstlerlaufbahn sich hinzog, so war es zuletzt doch einzig der religiöse Charakter, der ihn über alles Irdische in das Reich der Ideen erhob.
Da ich Gerhard von Kügelgen, seit er in Dresden wohnte, sowol an der Staffelei, als auch in <xii> seiner Familie öfter zu beobachten und ihn über Gott, Kunst und Welt sich äußern zu hören Gelegenheit gehabt habe, so konnten mir die Einflüsse nicht unbekannt bleiben, unter welchen sich sein inneres Leben entwickelte. War doch dem Künstler selbst die Seele des Menschen, sein Gemüth, das wichtigste Studium. Schon aus den ersten Jahren seiner Kindheit, aus den Spielen seiner Jugend wird es klar, wie der Keim zum Bilden sich in ihm so entfaltete, daß die Darstellung der Hoheit und der Lieblichkeit des innern Lebens in dem äußern die Aufgabe seines Strebens, und daß ein zarter Geschmack, ein glänzendes Farbenlicht, eine deutungsreiche Anordnung und ein tiefer Sinn, der mehr mystisch als historisch das Heilige zuletzt ausschließend umfaßte, die eigenthümlichen Vorzüge seiner Kunstleistungen wurden.
Um aber die Persönlichkeit des Künstlers gleichsam mitten hinein in die Erzählung von seinem Leben zu stellen, oder um von ihm, wie es Tacitus bei der Biographie verlangt, das Bild der Seele - figuram animi, formam mentis aeternae5 - zu geben, konnte ich sein eigenthümliches Empfinden, Denken und Handeln, worin sich die Seele des Menschen abspiegelt, nur durch ihn selbst darstellen. Es mußten daher seine vertraulichsten Briefe, in denen er sich über alle und jede Lebensverhältnisse, die sein Inneres ausprägten, offen erklärte, als urkundliche Belege des Erzählten, stellenweise aufgenommen werden. Nächst den Briefen an seine Gemahlin aber, schloß Gerhard mit der innigsten Hingebung sein Herz <xiii> auf in den Briefen an seinen Bruder. Je seltener nun eine solche Zwillingsliebe ist, die in Kügelgens Aeußerungen fast einem Selbstgespräche gleich kommt, um desto mehr schien es mir Pflicht zu seyn, so wenig als möglich von diesen Bekenntnissen zurückzubehalten. Es durfte selbst mancher kleine, an sich unbedeutende Umstand nicht weggelassen werden, der, außer dem Zusammenhange, wol überflüssig erscheinen möchte, in demselben aber zur genaueren Bezeichnung der Individualität viel beiträgt und der Physiognomie des Ganzen Farbe, Ton und Leben verleiht.
Darum danke ich der Gattin und dem Bruder des Verewigten im Namen der Wahrheit, daß sie die Briefe des innigsten Vertrauens in meine Hände legen wollten. Ich habe von manchem, was der zartere Frauensinn so gern nur in des Herzens Verborgenheit bewahrt, den Schleier aufgehoben und selbst das schöne Geheimniß der Liebe vor die Oeffentlichkeit hingestellt; allein wer könnte an die Unschuld auf Erden noch glauben, wer das reine Gemüth unsers Gerhards ganz erkennen und würdigen, wenn man nicht in die Seele dieses guten Menschen blicken dürfte und sehen, wie sein Herz die heiligsten Verhältnisse des innern Lebens umfaßte, voll Demuth und voll Liebe? Es verzeihe mir also die edle Frau, die der Stolz und die Freude seines Lebens, die der Kranz seiner Meisterschaft war, daß ich Stellen aus Gerhards Briefen mitgetheilt habe, die sie selbst, bei dem Wunsche ihres Herzens, in der gewohnten Verborgenheit zu <xiv> bleiben, nur mit Erröthen und tiefer Wehmuth lesen kann. Doch der geliebte Bruder des Verewigten möge mich entschuldigen! Er schrieb an mich bei Uebersendung der Abschriften von den Briefen seines Gerhards:
Was der Bruder in dem innigsten Vertrauen zu dem Bruder spricht, von Dingen, die dem Menschen am theuersten und heiligsten sind, Geständnisse, die oft nur aus der im Innersten bewegten Seele sich ergießen, oder auch wol flüchtige Bemerkungen über Kunst und thörichtes Thun und Treiben der Menschen um ihn her, und dieß in Ausdrücken ohne Wahl, wie sie die augenblickliche Stimmung eingibt: dieß Alles in seiner Nacktheit dem Publikum preiszugeben - man treibt ja wol mit Höherem und Würdigerem sein Gespött - mein ganzes Inneres sträubt sich dagegen! - Doch hier ist die Rede, dem allgemein geliebten und geachteten Künstler ein Denkmal zu setzen, und so mögen diese Blätter hingenommen werden, als mit Thränen bethaute Blumen, die der Bruder dem Bruder auf das Grab streut. Sollten auch dem Zurückgebliebenen Dornen daraus erwachsen - immerhin!
Keine Dornen, edler Mann, werden aus diesen Briefen erwachsen, nur willkommene Früchte, von der Kraft eines solchen Vorbildes in seinen Kindern erzeugt. Und gäbe es wol einen Menschen, der sich nicht freuen sollte, daß ihm hier eine so seltene Liebe wie die, welche die Zwillingsbrüder aneinander band, lebendig vor die Augen tritt? Der Wahrheitliebende wird in der Zusammenhaltung <xv> dieser schriftlichen Aeußerungen des engsten Vertrauens eine absichtlose Autobiographie erkennen; dem denkenden und fühlenden Menschen aber kann das eigenthümliche Wesen unseres Künstlers, in dessen frommem und liebendem Gemüthe sich die Welt auf eine ganz besondere Weise abspiegelte, nur die anziehende Beschauung eines psychologischen Gemäldes gewähren.
In der Anordnung des Einzelnen habe ich größtentheils die Zeitfolge beobachtet; doch glaubte ich nicht nur mehrere menschliche Verhältnisse, sondern auch einige Bilder des Meisters aus seiner früheren Zeit mit späteren in der Darstellung...