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Okay, das mit dem »in aller Würde zelebrieren« übe ich noch mal. Aber meinen kleinen Ausrutscher hat zum Glück keiner mitbekommen. Und eine Blamage, die niemand mitbekommt, gilt nicht. (Dieser seltsame Junge, der live dabei war, zählt nicht, weil er kein Schüler hier ist.)
Ich muss sagen, es war eine brillante Idee, einen Tag früher aus den Ferien zurückzukommen als die anderen. (Gut, auch das nicht ganz freiwillig. Ich hab nämlich nachher einen Termin in der Redaktion mit Ruby und Ramona Nasemann, die mir erklären, wie das beim Sandmann läuft.)
Nachdem ich also eben meinen Tagebucheintrag beendet hatte, hängte ich mir die große Sporttasche um, schnappte meinen Koffer und den Karton mit den Büchern und stieg die breite Treppe hoch zu der großen, mit Blumenschnitzereien verzierten Eichentür. Dann stellte ich fest, dass ich keine Hand frei hatte, um die Tür zu öffnen. Hintern voran, aber mit erhobenem Kopf betrat ich mein neues Leben.
Den Eingangsbereich des Schlosses fand ich heute noch mal spektakulärer, weil er ja jetzt zu meinem Zuhause gehört. Der grau-weiß gesprenkelte Marmorboden, die geschwungenen Treppen und der gigantische Kristallkronleuchter an der Decke. So elegant und mondän! Wenn das Schwarze Brett und die Schilder zu den Lehrerbüros und der Bibliothek nicht da wären, könnte man sich glatt vorstellen, man ginge auf einen königlichen Ball.
Ich fühlte mich jedenfalls wie Gräfin von und zu Piekfein, die sich mit traumwandlerischer Sicherheit in den höchsten Kreisen bewegt (eine moderne, emanzipierte Gräfin natürlich, die ihr Gepäck selbst schleppt und sich nicht anmerken lässt, dass ihr der Gurt der Tasche in die Schulter schneidet und ihr fast der Arm abfällt, weil der Bücherkarton in bedrohliche Schieflage geraten ist).
Auf der Treppe war dann Schluss mit piekfein. Keuchend wuchtete ich meinen Kram nach oben, bis ich auf dem zweiten Absatz wegen einem Krampf den Karton fallen lassen musste, der bei der Gelegenheit aufriss.
Die Schmuckbände von Jane Austen, die Gedichtsammlung von Emily Dickinson und eine zerlesene Ausgabe von »Krieg und Frieden« ergossen sich auf die Marmorstufen.
Würde ich gerne in mein Tagebuch schreiben. Weil das zu der neuen fabelhaften Lexi und diesem Internat passen würde, in dem Bildungsprotzerei eine Schülerpflicht ist. Leider hab ich aber noch nicht alle meine bescheuerten Eigenschaften abgelegt, die mir in Sachen Ruhm und Erfolg im Weg stehen. Wie zum Beispiel meine Schwäche für schmalzige Liebesromane. (Die ich aber im Grunde gezwungen bin zu pflegen. So gruselsensibel, wie ich bin, bekomme ich nämlich sofort Albträume von allem, was auch nur ein bisschen spannend ist. Wenn ich eine Sache wirklich super kann, dann mir selbst Angst einzujagen.)
Jedenfalls waren die Stufen auf einmal übersät mit Titeln wie Einen Kuss lang verliebt, Wildblumensommer mit Happy End und Liebe niemals einen Star. Ich war sehr erleichtert, dass die meisten anderen Schüler heute noch nicht da waren. Ein schrecklicher Gedanke, so einen Auftritt am großen Einzugstag hinzulegen, wo jeder mitbekommen würde, was für Schmachtfetzen ich lese. Ultrapeinlich!
Gerade sammelte ich In deinen Armen liegt die Welt ein, auf dessen Cover ein muskulöser Mann in Latzhose abgebildet ist, als ich Schritte von oben hörte. Genauer gesagt Schuhabsätze, deren Klackern von den hohen Wänden widerhallte. O bitte, das durfte nicht die Schulleiterin sein, die ständig durch die Flure streift wie ein Schreckgespenst um Mitternacht auf der Suche nach Kundschaft! Wenn Dr. Marga Lubitz einen dann bei irgendwas erwischt, was nicht ganz so elitär ist, gibt es im besten Fall missbilligende Blicke und im schlimmsten Fall einen Vortrag über die Tradition der Disziplin von Sandsgarden. Geisterstunde auch am helllichten Tag.
Dazu muss ich sagen, dass ich mich seit dem ersten Tag davor fürchte, als Schwindlerin überführt zu werden, die gar nicht auf diese Eliteschule gehört. Ich wurde nämlich nur hier aufgenommen, weil meine Mutter auch schon auf Sandsgarden gewesen ist. Sie hat bei meiner Anmeldung sozusagen die Ehemaligenkarte gezogen. Mit meinen Leistungen und Begabungen hatte meine Aufnahme hier nichts zu tun. Weshalb ich nur darauf warte, wegen überdurchschnittlicher Durchschnittlichkeit überführt zu werden.
Und gerade jetzt, wo ich die neue Lexi präsentieren wollte, plagte ich mich mit einer Ladung Schundromane rum, die über die Schlosstreppe verteilt waren. In Windeseile stopfte ich alles zurück in den Karton. Aber weil er an der Seite eingerissen war, rutschten die Bücher wieder raus.
Die Schritte kamen näher. Ich musste auf alle Fälle verhindern, dass Dr. Marga Lubitz mich, die neue leitende Redakteurin des Sandmanns, für eine totale literarische Niete hielt. Im letzten Moment grapschte ich nach Forever dein und warf mich auf den Bücherhaufen.
Da lag ich also, hingegossen auf die Marmortreppe des Schlosses, als lebendes Schutzschild für meine belletristische Geschmacksentgleisung.
Die Schritte stoppten. Ich wagte nicht aufzusehen, sondern tat so, als müsste ich dringend was in meinem Handy checken. Um meinem Manöver die nötige Ernsthaftigkeit zu geben, tippte ich schnell in die Suchmaschine Bin ich verrückt geworden? ein.
Dabei wartete ich natürlich auf die Standpauke. Aber sie kam nicht. Das war ungewöhnlich, weil Dr. Marga Lubitz niemals zögerte, wenn es um eine Ansprache über Sitten und Moral von Sandsgarden geht.
Ich wagte einen Seitenblick. Da standen unglaublich hohe Plateaustiefel mit Nietenschnallen in Schwarz. Sie hatten eine bestimmt fünfzehn Zentimeter dicke Sohle aus Gummi. Weswegen sie eigentlich gar nicht hätten klackern können. Als ich genauer hinschaute, bemerkte ich daneben einen Spazierstock mit silberner Spitze. Die hatte also das Geräusch von klackernden Absätzen erzeugt!
Okay, dachte ich. Kombiniere, kombiniere! Das war eindeutig nicht Dr. Marga Lubitz. Diese Schuhe gehörten vermutlich auch niemandem aus der Lehrerschaft. Oder irgendjemandem von der Geschmackspolizei. Also brauchte ich mich auch nicht schämen. Nicht mal für meine verräterische Buchsammlung. Ich tat so, als ob ich meine kleine Verschnaufpause beendet hätte, steckte mein Handy weg und richtete mich auf.
Vor mir stand ein dünner Junge in knallrotem Hemd und schwarzen Skinnyjeans. Seine Haare waren ebenfalls schwarz und standen wie elektrisch aufgeladen von seinem Kopf ab, als ob er sie den ganzen Tag an einem Luftballon gerieben hätte. Er erinnerte mich an einen Beefeater, die königlichen Wachen in London mit den Bärenfellmützen und den rot-schwarzen Uniformen. Ein erstaunlich schräger Anblick in unseren feinen Schlosshallen. Die ausgeflippteste Person von allen Schülern war sonst die Erdkundelehrerin Frau Odekerken mit ihren farbenprächtigen Outfits.
Der Beefeater starrte mich aus kajalumrandeten Augen an. Ich starrte zurück. Plötzlich bohrte er seinen Spazierstock in meinen Bücherhaufen und rührte einmal drin rum. Was das Werk Küss mich jetzt oder nie nach oben spülte. Für einen Moment musterte er prüfend das Cover, auf dem eine katzenäugige Frau über die nackte Schulter eines Mannes späht. »Ich wäre für jetzt«, sagte der Beefeater mit erstaunlich heller Stimme und grinste mich hämisch an. Er hatte Glitzersteine auf den Schneidezähnen kleben.
Die Kunst der Diplomatie zu beherrschen, hilft in allen Lebenslagen, pflegt mein Vater zu sagen. Weswegen er sie mir seit Jahren beibringen will. Er hat mir sogar ein Büchlein mit seinen wichtigsten Tipps geschenkt. Da steht zum Beispiel drin:
Wenn dich jemand provoziert, bleib ruhig, lass den Angriff an dir abprallen und biete einen Ausweg an. Wenn es auf einen Schlagabtausch hinausläuft, ist es oft zu spät für eine friedliche Lösung.
Genau daran dachte ich in diesem Moment und klappte meinen Mund auf. »Du bist ja wohl total verrückt geworden!«
Die hohe Kunst der Diplomatie gehört leider auch (noch) nicht zu meinen Stärken.
»Dann halt nicht.« Der Beefeater gab mit seinem Stock dem Buch einen Stoß, sodass es ein paar Stufen runtergeschleudert wurde.
»Hey!«, rief ich. »Was soll das denn?«
Er lachte ein glockenhelles Lachen und schritt auf seinen schwindelerregenden Plateausohlen die Treppe runter, wobei er dem Buch noch einen Kick verpasste. Es fiel bis ganz nach unten und verknickte bei der unsanften Landung am Einband, weswegen die katzenäugige Frau jetzt einen Riss im Gesicht hat. Frechheit!
Am liebsten hätte ich diesem Beefeater sofort eine Lektion in Sachen »richtiger Umgang mit Büchern und Mitmenschen« erteilt, aber...
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