Schweitzer Fachinformationen
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Erwachend lag er noch benommen und anfangs völlig reglos.
»Guten Morgen, Sarah«, rief er leise in den Raum hinein, wobei er sich in dem leise ächzenden Bett langsam aufrichtete.
»Ich warte schon seit einer Weile«, vernahm er. »Ich wollte dich nicht wecken.«
Er reckte sich ausgiebig, um dann zu ihr zu gehen, sich auf ihr Bett zu setzen und seine rechte Hand beruhigend auf ihren Arm zu legen.
»Sarah, wir werden es so angehen«, begann er, »wir spielen die sorglosen und unbeschwerten Touristen, wir wandern, schwatzen mit anderen Gästen, nehmen an Ausflügen teil. Ich aber werde dabei Emmerlein im Auge behalten, bis sich eine Chance ergibt. Sollte er plötzlich abreisen, folgen wir ihm sofort. Entkommen kann er uns nicht mehr.«
»Und wenn er uns erkennt?«, wollte sie wissen, wobei ihre Augenlider zuckten. »Wenn er ahnt, was du vorhast?«
Er winkte lässig ab. »Dich kennt er gar nicht, Sarah, du warst ja der Gerichtsverhandlung nicht gewachsen gewesen. Und im Gerichtssaal hat Emmerlein ohnehin nur zu Boden gestarrt, mich höchstens zweimal mit einem kurzen Blick gestreift. Ich trug damals keinen Bart, meine Haare waren sehr kurz geschnitten und noch nicht ergraut. Und ich habe meinen Hass nicht gezeigt. Als eine kommende Gefahr hat er mich wohl kaum empfunden, im Grunde genommen mich gar nicht beachtet. Er spielte ja den Zerknirschten, der seine Tat zutiefst bereute. Seine Rechtsanwältin sprach für ihn.«
»Da hat er sich gewaltig getäuscht«, kam es leise von Sarah. »Da haben sich alle getäuscht.«
»Das war schon damals meine Absicht«, gestand er. »Ich wollte wie ein Vater wirken, der alles im Leben hinnimmt wie eine gottgewollte Entscheidung des Schicksals. Aber ich wusste: Ich selbst werde das Schicksal für den Mörder unseres Kindes sein!«
Tief atmete er durch, ehe er weiter sprach: »Wir verhalten uns zu ihm genauso wie zu den anderen Touristen. Die Abneigung darf in unseren Mienen nicht sichtbar werden. Du wirst staunen, wie gut ich mich beherrschen kann. Und du kannst das auch! Im Gespräch mit diesen beiden Polizisten hast du es bewiesen.«
Doch Sarah schwieg, es schien ihm aber, als ob sie etwas erwidern wollte, doch sagte sie nichts, schaute ihn nur an, mit starrem Gesicht, in dem sich nur die Wimpern bewegten.
»Kannst du das akzeptieren?«, drängte er, nun doch ungeduldig werdend.
»Ja«, stöhnte sie leise auf und schlug die Augen nieder. »Ich werde tun, was du vorschlägst.«
»Das ist gut, Sarah«, lobte er sie und strich über ihr Haar. »Wir werden ihn dann im Speiseraum treffen, denke ich.«
Eine Welle der Zuneigung begann ihn zu durchströmen, und einen Augenblick lang verspürte er den Wunsch, sich zu ihr zu legen, einfach ihre Nähe zu fühlen, doch dann erschien es ihm wieder unpassend in dieser Situation, in der sie sich befanden. Vielleicht würde es wieder ganz anders werden zwischen ihnen, wenn der enorme Druck der Rache nicht mehr bestand, wer konnte das wissen.
Einen kurzen Augenblick lang presste sie seine Hand an ihre Schläfe, hielt sie fest. So nahe, dachte er, sind wir uns lange nicht mehr gekommen. Doch wollte er diesem Gefühl nicht nachgeben, von dem er befürchtete, dass es ihn schwächen könnte, und so erhob er sich abrupt, wobei er dem Blick ihrer fragenden Augen auswich. Dann stand er am geöffneten Fenster und atmete ihn ein, den herben und salzigen Duft des Nordmeeres. Gleich werde ich Emmerlein sehen, schoss es ihm durch den Kopf, wobei nicht auszuschließen ist, dass er eher oder später frühstückt.
»Wir müssen unser Brot, den Honig und die Margarine mitnehmen«, sagte er. »Den Kaffee kann man sich in der Küche im Erdgeschoss selber machen. Sie befindet sich gleich neben dem Speiseraum. Das ist eine preiswerte Lösung.«
Schweigend nickte Sarah, als sie ihre nackten Füße auf den Boden setzte. Ihre Augen wirkten leer, ihre Bewegungen apathisch.
Da, ganz unvermittelt, dachte er an die beiden Polizisten und das Auto auf dem Parkplatz. Ihm wurde plötzlich eiskalt.
* * *
Er nickte den wenigen Gästen im Speiseraum betont freundlich zu, zwei Ehepaaren ohne Kinder und zwei offenbar allein reisenden Männern, die jeweils für sich an einem Tisch saßen und von denen keiner Emmerlein sein konnte, denn beide schätzte er auf Mitte dreißig, auch trugen sie die Haare nicht lang oder zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und waren wesentlich größer als Emmerlein.
Mit einem Gefühl der Enttäuschung folgte er Sarah in die kleine Küche, wo vier Kaffeemaschinen standen und in der Sarah für beide den Kaffee zuzubereiten begann. Holzbrettchen und Bestecke entdeckte er inzwischen in einem hellblau gestrichenen Küchenschrank, so dass er einen freien Tisch im Speiseraum eindecken konnte, für Sarah und für sich selbst.
Schweigend saß er dann Sarah gegenüber, wobei er bemüht war, seine Unruhe, die ihn plötzlich befallen hatte, nicht sichtbar werden zu lassen. Ist Emmerlein nicht mehr hier, fragte er sich, etwa schon weitergereist? Hatte die junge Norwegerin etwa doch einen Verdacht geschöpft und ihn gewarnt? Aber warum sollte sie solche Gedanken hegen? So musste er wohl, gleich nach dem Frühstück, den Wirt der Herberge befragen, ohne dabei ein besonderes Interesse zu verraten, das auffallen konnte.
Nun aber muss ich meine Unruhe unterdrücken, überlegte er, keiner darf sie mir ansehen, ich muss wirken, wie ein normaler Tourist, denn diese Leute hier im Raum werden von der Polizei mit Sicherheit befragt werden, wenn Emmerlein verschollen ist. In keiner Weise darf ich also auffallen. Und so widmete er sich beim Kauen betont interessiert dem Auffallendsten in diesem Raum, den beiden großen Aquarellen, ließ auf ihnen lange die Blicke ruhen, als prüfe er sehr intensiv ihren künstlerischen Wert.
Auf dem einen Bild sah er ein verfallendes rotes Stelzenhaus, unzweifelhaft ein Haus dieses Dorfes, und schwarze spitzgezackte Berge im Hintergrund. Das Meer, das die Pfähle des Hauses umspülte, war von einer gelblichen Farbe, die offenbar die Mitternachtssonne erzeugte, die auf der rechten Seite als kleiner weißer Ball zu sehen war.
Das andere Bild zeigte das Meer in einer hellen blaugrauen Färbung, die gezackten Felsen waren nahezu gleichfarbig, nur auf der rechten Seite des Bildes blauschwarz.
»Sehr gute Bilder«, lobte er, wobei er bewusst laut sprach und das zustimmende Nicken der Anwesenden wahrnahm, ohne Ausnahme.
»Mir gefallen sie auch«, erwiderte Sarah, die ihn etwas irritiert anschaute.
Dann sandte er wieder ein Lächeln zu den anderen Gästen im Raum, das freundlich und von allen erwidert wurde. Die perfekte Tarnung hat gut begonnen, dachte er befriedigt.
Da betrat der Wirt der Herberge den Raum, ein Deutscher, mit langem Haar, der um die dreißig sein mochte und freundlich lächelnd von Tisch zu Tisch ging, um zu fragen, ob alle zufrieden wären.
»Wir haben beide gut geschlafen«, lobte er das Quartier, als der Wirt an ihrem Tisch stand. »Wir sind sehr zufrieden. Und alle Gäste haben wir ja auch gleich kennen gelernt.«
»Ja, alle, bis auf einen«, erklärte der Wirt. »Der joggt jeden Morgen auf einem Pfad an der Küste entlang. Diesen Pfad kann ich ihnen besonders als Wandermöglichkeit empfehlen. Er ist der schönste auf unserer Insel. Ein Stück hinter dem Dorf führt ein steiler Weg hinauf, von dort geht der Pfad ab. Und dieser Gast joggt dort an jedem Morgen. Sie werden ihn ja noch kennen lernen. Er ist übrigens ein Landsmann von uns, auch ein Deutscher.«
Der junge Mann grinste Bachmann freundlich an. »Nach ihm können sie die Uhr stellen. Jeden Morgen sieben Uhr geht er aus dem Haus. Typisch deutsch! Was auf mich allerdings nicht zutrifft. Ich sehe alles etwas lockerer.«
Bachmanns Gesicht erstarrte einen Augenblick lang. Dieser Mann, von dem der Wirt erzählte, muss Emmerlein sein, überlegte er und war unendlich froh. Aber er wusste, dass er vor dem Gesuchten auf der Hut sein musste, denn Emmerlein konnte so manches im Gefängnis erlernt haben und in der Zeit nach seiner Entlassung, die Abwehr eines Messers wäre ihm da durchaus erfolgreich möglich und auch ein für seinen Gegner tödlicher Angriff, wenn er ihn als Notwehr glaubhaft darstellen konnte. Er selbst aber war durchaus nicht mehr so reaktionsschnell wie früher.
»Heute Abend werden sie seine Fischsuppe kennen lernen«, hörte er den Wirt strahlend sagen. »Er ist nämlich ein hervorragender Angler und Koch. Er bringt die besten Fische in die Pfanne. Hätte schon eher kommen sollen. Das sagen alle Gäste hier.«
»Danke«, erwiderte Bachmann und versuchte zu lächeln, obwohl er aufs neue den Hass spürte, der seinen Körper zu durchfluten begann, vom Kopf bis zu den Zehen, denn noch immer blieb dieser verfluchte Emmerlein, selbst in diesem einsamen Geisterdorf, ein Phantom. Nun aber würde er es nur noch bis zum Abend bleiben, endgültig. Das Finale der Jagd konnte beginnen, das tödliche Finale. Aber er würde auf der Hut sein müssen, wenn er ihn ohne Zeugen angreifen wollte. Er konnte nur hoffen, dass Emmerlein ihn nicht erkannte oder den Wirt nach seinem Namen fragte. Doch vielleicht hatte er ihn längst vergessen. Es ist alles offen, dachte er, für ihn und für mich. Verbissen kaute er weiter.
Nach dem Frühstück stieg er mit Sarah den grünbewachsenen Berg hinauf, der unmittelbar hinter dem Dorf begann, bis zu seinem breiten felsigen Plateau....
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