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1. MÄRZ 1816
NOCH ZWÖLF WOCHEN BIS ZUR HOCHZEIT VON MISS ESSIE CRAVEN UND DEM EARL OF DENHOLM
Wenn die ehrenwerte Essie Craven einmal einen Entschluss gefasst hatte, dann wich sie keinen Millimeter mehr davon ab.
Essie war, in den Worten ihrer Tante Emmeline, das dickköpfigste, aufsässigste, ja das hemmungsloseste Mädchen in ganz England. Unglücklicherweise geriet sie gerade durch diese Eigenschaften immer wieder in Schwierigkeiten. Wenn weitreichende Entscheidungen anstanden, zwang sie sich deswegen, geduldig zu sein und alles erst einmal gut zu durchdenken.
An Geburtstagen allerdings war mitunter schlagartig alles klar. Manchmal musste man nur ein Jahr älter werden und zehn Stunden lang tief schlafen und plötzlich ergab die Welt wieder einen Sinn. Und so geschah es, dass Essie am Morgen ihres achtzehnten Geburtstags unmittelbar nach dem Aufwachen eine spontane, folgenschwere Entscheidung traf: Niemals würde sie ihren Verlobten heiraten.
Jetzt, wo diese Frage geklärt war, wenn auch vorerst nur in ihrem eigenen Kopf, musste sie sich eingestehen, dass die Saat ihrer Rebellion weit früher gesät worden war - und zwar ebenfalls an einem Geburtstagsmorgen, an dem man ihr ganzes zukünftiges Leben vor ihren entsetzten Augen ausgebreitet hatte wie einen Schlachtplan. Hätte ihr Vater Napoleon in einem Kampf Mann gegen Mann besiegt, dann hätte er nicht stolzer aussehen können als in jenem Augenblick, in dem er Essie verkündete, dass sie den zukünftigen Earl of Denholm heiraten würde. Also ausgerechnet den widerlichsten Menschen, dem man sie hätte versprechen können.
Und als sie sich Hilfe suchend an ihre Mutter wandte . Essie war erst acht Jahre alt, aber diesen Ausdruck im Gesicht ihrer Mutter kannte sie. Die Mutter hatte sich nicht durchsetzen können. Essies Mutter war von der ganzen Sache derartig überrumpelt, dass sie nicht einmal Widerstand leistete, als sie sich eine Woche später im Regen eine leichte Erkältung einfing. Sie gab Essie eines Abends einen Gutenachtkuss, zog sich in ihr Schlafgemach zurück und starb einfach.
Essie, mutterlos und verwirrt, hatte den Gedanken an ihre zukünftige Ehe damals schon beinahe genauso tief verabscheut wie jetzt. Doch erst an diesem Morgen, an dem sich wieder eine Zahl änderte, kristallisierte sich aus ihrem Groll und ihrer Empörung ein fester Entschluss heraus. Sie würde ihr neunzehntes Lebensjahr genauso beschließen, wie sie es begonnen hatte: als Miss Essie Craven, nicht als »Madam«, nicht als »Lady«, nicht als »Countess«. Sie würde eine Möglichkeit finden, den Plan ihres Vaters zu durchkreuzen - schließlich war alles, was ihn daran interessierte, sein eigener gesellschaftlicher Aufstieg. Wie genau sie das bewerkstelligen sollte, ohne von ihrem Vater verstoßen, enterbt oder schlichtweg auf die Straße gesetzt zu werden, war eine andere, etwas kompliziertere Frage, aber Durchsetzungsvermögen war keine Charakterstärke, an der es Essie mangelte. Da fehlte es schon eher an allen anderen Tugenden.
»Und wozu bist du so fest entschlossen?« Ihre Cousine Caro schälte sich im Nachbarbett aus ihrer Decke wie ein Schmetterling, der aus einer vanillegelben Puppe schlüpft. »Du hast schon wieder laut gedacht.«
»Tut mir leid. Es ist nichts . nur mein Geburtstag.«
»Das ist nicht nichts. Herzlichen Glückwunsch!« Caro stemmte sich auf die Ellbogen, noch etwas verschlafen, aber genauso strahlend schön wie immer. »Ich weiß, du freust dich nicht so richtig auf diesen Tag heute, aber bestimmt wird er gar nicht so übel.«
»Ich wünschte, die Zeit wäre heute um Mitternacht einfach stehen geblieben.« Essie funkelte wütend die Zimmerdecke an. »Dann würden wir alle beide gemeinsam für immer siebzehn Jahre alt bleiben.«
»Aber dann wäre in zwei Wochen nicht mein achtzehnter Geburtstag und ich würde weder in die Gesellschaft eingeführt werden noch eine Ballsaison erleben. Das fände ich unfair, wo du doch schon mit einem Earl verlobt bist.«
»Ein Earl, um den ich keinen Moment lang gebeten habe, eine Verlobung, der ich nicht zugestimmt habe, und eine Zukunft, die mich nicht interessiert.« Essies Augenbrauen zogen sich zu einem dicken, dunklen Strich zusammen. »Und er will noch heute Abend anreisen, sagt Tante Emmeline. Er hätte mir ja ein paar Tage Zeit geben können, mich an den Gedanken zu gewöhnen.«
»Du hattest jetzt zehn Jahre Zeit, dich daran zu gewöhnen, Essie. Und ich finde es romantisch - als könnte er es gar nicht mehr erwarten, dich zu sehen.«
»Na ja, es geht ihm wohl eher darum, mich gründlich zu überprüfen. Und dazu bringt er auch noch seine Mutter mit. Daran ist überhaupt nichts romantisch.«
»Na komm, ihr heiratet schließlich nicht gleich heute. Es ist erst einmal nur ein Treffen.«
»Es ist ein Witz! Niemand interessiert sich dafür, ob wir einander überhaupt leiden können oder nicht. Es geht einzig und allein darum, dass alle so tun können, als wäre unsere Verlobung mehr als nur eine geschäftliche Vereinbarung.« Angewidert warf Essie ihre Bettdecke zurück. »Wenn du mich fragst, es ist vorsintflutlich, zwei Menschen schon als Kinder miteinander zu verloben, ohne sich im Geringsten darum zu scheren, wie sie das wohl finden werden, wenn sie erwachsen sind. Und warum?« Sie lachte verächtlich. »Nur weil mein Vater von dem Gedanken besessen ist, aus seiner Tochter eine Countess zu machen.«
»Mmm.«
»Schläfst du schon wieder?«
»Ja.«
»Caro!«
»Tut mir leid. Es ist nur - ich habe deine Schimpftirade jetzt schon so oft gehört und verstehe immer noch nicht im Geringsten, wo dein Problem liegt. Er ist jung, er ist reich und er ist ein Earl! Mama hat gehört, dass er außerdem noch gut aussieht. Weißt du, die meisten Mädchen würden sich zerreißen, um an deiner Stelle sein zu dürfen. Ich selbst übrigens auch.«
»Und genau aus diesem Grund solltest du ihn auch an meiner Stelle heiraten.« Essie sprang aus dem Bett, marschierte ans Fenster und zerrte die Vorhänge zur Seite. Der Himmel da draußen war blassgrau mit zarten rosaroten Girlanden durchzogen, doch am Horizont baute sich eine Wand aus bauschigen weißen Wolken auf. Momentan noch ganz nett, aber offenbar brachte der Earl schlechtes Wetter mit. Wie hätte es auch anders sein können. »Ich bin sowieso sicher, dass du ihm besser gefällst. Du bist viel hübscher als ich. Das finden alle.« Sie erhaschte einen Blick auf ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe, ihre kastanienbraunen Locken, ihre breite Stirn und ihre zu großen braunen Augen, und ließ den Vorhang wieder fallen. »Wahrscheinlich wird er sich wünschen, du wärst seine Verlobte, wenn er dich sieht. Mein Aussehen ist ja gerade mal erträglich.« Sie trat mit den bloßen Zehen nach der Kante eines Fransenteppichs. »Sagt deine Mutter jedenfalls.«
»Was?« Caro setzte sich empört im Bett auf. »Wann hat sie das gesagt?«
»Vorgestern Abend, zu deinem Vater. Ich habe ihr Gespräch in der Bibliothek belauscht. Na, jetzt sieh mich nicht so an! Mir blieb gar nichts anderes übrig, als mich unter dem Tisch zu verstecken. Ich wollte mir nicht schon wieder eine Standpauke zum Thema Lesen anhören. Sie hat schon damit gedroht, die Tür abzuschließen, wenn sie mich noch einmal in der Bibliothek ertappt.«
»O nein!«, seufzte Caro verständnisvoll. »Das tut mir leid.«
»Das ist nicht deine Schuld.« Essie huschte zurück durch den Raum, kletterte auf das Fußende des Bettes, in dem ihre Cousine saß, und ergriff ihre Hände. »Aber schwöre mir, dass du niemals so wirst wie deine Mutter. Ich glaube, ich ertrage es nicht, wenn zwei Leute auf Schritt und Tritt auf mir herumhacken.«
»Ich werde nicht so. Versprochen. Und außerdem finde ich dich sehr hübsch.«
»Nicht so hübsch wie du.« Essie ließ den langen Zopf, der über die Schulter ihrer Cousine hing, durch die Finger gleiten. Er war goldblond mit einem bernsteinfarbenen Schimmer, wie der Sonnenschein. »Du würdest eine viel bessere Countess abgeben, als ich es je sein könnte. Du bist schön und elegant und sprichst Französisch und kannst Harfe spielen und Bilder malen und siehst nicht einmal beim Sticken im Entferntesten gelangweilt aus.«
»Darum geht es nicht. Du bist die Erbin und du bist mit ihm verlobt.« Caro hob die Schultern. »Ich weiß, das willst du nicht hören, aber du solltest vielleicht versuchen, es zu akzeptieren.«
»Anne Boleyn hätte das auch nicht akzeptiert.«
»O nein, wieder diese Anne Boleyn!« Caro ließ sich nach hinten fallen, schnappte sich ihr Kissen und hielt es sich über die Ohren. »Du interessierst dich ja nur für Bücher über die schlechtesten Frauen der Geschichte!«
»Weil sie am interessantesten sind! Sie zeigen, was Frauen erreichen können, wenn sie nur entschlossen genug sind. Außerdem war Anne Boleyn keine schlechte Frau. Sie hatte nur einen schlechten Ehemann.«
»Man hat sie enthauptet!«
»So etwas kann eben passieren, wenn man den falschen Mann heiratet.«
»Ich glaube kaum, dass der Earl of Denholm dich...
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