Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
3
»Wie finden Sie das, Chef?«, fragte Meier.
»Was soll ich wie finden?«, schnaubte Hauptkommissar Schwerdtfeger. Er war um die sechzig, riesig, breitschultrig, leicht übergewichtig und zum jetzigen Zeitpunkt hochrot im Gesicht.
»Na, die Lage des Kopfes. In einer Reihe mit den Krautköpfen. Das ist doch irgendwie komisch.«
»So? Finden Sie?«, brummte Schwerdtfeger, ohne seinen Assistenten anzusehen.
»Irgendwie schon.«
»Und wenn es Ihr Kopf wäre?«, fragte der Hauptkommissar grantig. »Wäre das auch komisch? Oder sogar noch komischer, wenn ich mir Ihren Kopf so ansehe. Bestimmt sogar.«
Meier lag die Entgegnung auf der Zunge, aber er behielt sie für sich, denn er kannte seinen Chef. Zu spät hatte er bemerkt, wieder einmal ein Fettnäpfchen erwischt zu haben, das sein schwarzer Humor bereitgestellt hatte.
»Sagen Sie mir lieber, was das zu bedeuten hat«, überging Schwerdtfeger den Fehltritt. »Falls es überhaupt etwas zu bedeuten hat.«
»Was genau meinen Sie?«, fragte Meier vorsichtig.
»Die Lage natürlich«, raunte Schwerdtfeger. »Die Lage von dem Kopf zwischen den Krautköpfen. Was ist unter dem Kopf?«
Meier ging in die Knie, warf dem dabeistehenden Rechtsmediziner einen fragenden Blick zu und näherte sich dem Kopf bis auf wenige Zentimeter.
»Nichts«, erklärte er, nachdem er wieder aufgetaucht war. »Soweit sich das erkennen lässt, wurde der ursprüngliche Kopf, also der Krautkopf, also . der wurde entfernt. Ich meine, der wurde geerntet.«
»Sieht nicht nach einem Zufall aus«, urteilte Schwerdtfeger laut und starrte auf den Toten. »Jemand hat seinen Kopf gezielt in die Lücke gelegt. Weiß der Teufel, warum. Vielleicht hat es auch gar nichts zu bedeuten. Ein schlechter Scherz oder so etwas in der Art. Hätte von Ihnen sein können, Meier. Entspricht Ihrem kruden Humor. Egal, lassen Sie ein paar Fotos mehr machen. Von oben wäre gut. Der Fotograf soll erst mal alles dokumentieren.«
Während Meier seine Aufträge ausführte, inspizierte der Hauptkommissar die Beete vor der Gartenlaube. Eine ordentliche Parzelle, die sich in einer überschaubaren, aber dafür umso gepflegteren Schrebergartenkolonie befand. Selbst im Spätsommer. Zwar fehlten ihm gartenbauliche Kenntnisse, aber die ersetzte er durch ästhetische Kriterien. Es war ein Garten, den er als ordentlich bezeichnen würde. Ein Garten, in dem alles seinen festen Platz besaß. Ästhetische Ordnung. Nur die Leiche störte das Gesamtbild. Daran konnte auch der Kopf nichts ändern, der die unterbrochene Reihe der Krautköpfe wieder zu einer geschlossenen Reihe machte. Ihm schoss die Frage durch den Kopf, wer den fehlenden Krautkopf entfernt hatte, der Besitzer der Gartenlaube oder der Täter. Sofern es sich überhaupt um verschiedene Personen handelte.
In diesem Augenblick stellte sich ihm ein Mitglied der Spurensicherung in den Weg, ein langes Messer in den spitzen, behandschuhten Fingern.
»Die Tatwaffe?«, fragte der Hauptkommissar.
»Sehr wahrscheinlich«, antwortete der Mann in Weiß.
»Wo haben Sie es gefunden?«
»In der Wassertonne hinterm Haus.«
»Fingerabdrücke?«
»Nein, leider nicht. Aber Blutspuren.«
»Immerhin«, sagte der Hauptkommissar und wandte sich ab. Er machte ein paar Schritte, um seinen wuchtigen Körper zum Zaun der stattlichen Laubenparzelle zu bewegen. Dort drehte er sich um und betrachtete die Szene, die aus einem Kriminalfilm hätte stammen können. Im Zentrum lag die Leiche, umschwirrt von mehreren Frauen und Männern in weißen Overalls, denen selbst Hautschuppen und winzige Körperhärchen nicht entgingen. Im Hintergrund stand die Gartenlaube. Eigentlich ein richtiges Haus, und ein relativ neues noch dazu. Das reguläre Haus seiner Großeltern war nicht wesentlich größer gewesen.
Die Gartenlaube war auch der mutmaßliche Tatort. Die Blutspuren ließen kaum Zweifel aufkommen. Dort war Hans Bertram am Abend des vergangenen Tages ermordet worden. In der Gartenlaube von Winfried Kehrer. Natürlich hatten sie sich auch Bertrams Laube angesehen, die nicht weit entfernt lag, aber dort hatten sie weder Anzeichen eines Kampfes noch Blutspuren gefunden. Nein, Bertram war in Kehrers Laube erstochen worden. Mit dem Messer aus der Wassertonne. Davon war Schwerdtfeger überzeugt. Es hatte einen kurzen Kampf gegeben, dem wahrscheinlich der übliche Streit unter Nachbarn vorausgegangen war, dann hatte Kehrer zugestochen. So jedenfalls stellte sich der Hauptkommissar den Tathergang vor. Und er hoffte, genügend Beweise für seine These finden zu können. Für ihn lag der Fall klar. Das einzige Haar in der Suppe war die Platzierung der Leiche inmitten der Krautköpfe. Warum hatte der Täter die Leiche nicht verschwinden lassen? Keine hundert Meter floss die Aisch vorbei. Es wäre nicht die erste Leiche gewesen, die dem Fluss anvertraut worden wäre. Ein paar Tage nur, und die Forensik hätte es schwer gehabt. Mit einem Stein an den Füßen wäre noch mehr Zeit ins Land gegangen. So etwas dauerte nicht lange. Aber der Täter hatte sich anders entschieden, hatte sich für etwas Repräsentatives, für etwas weithin Sichtbares entschieden.
Der Kopf inmitten der Köpfe. Das gefiel Schwerdtfeger ganz und gar nicht. Es passte in kein Muster. Jedenfalls in keines, das ihm vertraut war. Also wählte er ein vertrautes Muster. Der Kopf inmitten der Köpfe war ein Zeichen, eine Botschaft, eine Warnung.
»Zu offensichtlich«, murmelte er mit tiefer, bäriger Stimme. »Eine Warnung, die zugleich den Täter preisgibt? Mist, verfluchter!«
Schwerdtfeger stapfte zurück zur Leiche.
»Mist, verfluchter!«
»Was meinten Sie, Chef?«, fragte Meier.
»Na klar«, nickte Meier und trat den Rückzug an.
Schwerdtfeger fixierte die Leiche. Das Opfer war Anfang fünfzig, schlank, etwa eins fünfundsiebzig groß und kahl wie die Krautköpfe. Die Kleidung war unauffällig, Jeans, blauer Baumwollpullover, braune Schuhe. Auffällig war lediglich der große Blutfleck auf der Brust. Und natürlich die Platzierung des Kopfes.
»Mist, verfluchter!«, rief Schwerdtfeger und ließ das gesamte Team für einen kurzen Augenblick erstarren.
Meier war längst im Haus in Deckung gegangen. Auch dort machte sich das Team von der Spurensicherung an die Arbeit. Von besonderem Interesse waren der Blutfleck auf den Fliesen und die wenigen Blutspritzer an der schmalen Theke und den Wänden.
»Etwas Neues?«, fragte Meier verlegen.
»Die Spritzer hier an der Wand sind ungewöhnlich«, antwortete eine der weißen Gestalten. »Die Richtung, aus der sie gekommen sind, lässt sich schwer bestimmen. Außerdem sind es sehr wenige. Aber jeder Mord ist ein bisschen anders. Mal sehen.«
»Aber es ist doch der Tatort?«
»Wir haben das Messer in der Wassertonne, Blutspritzer in der Laube und eine Leiche im Garten. Sieht so aus«, antwortete der Mann in Weiß.
Meier sah sich um. Das Interieur war einfach. Ein alter Schrank aus Weichholz, ein Tisch, zwei Stühle, ein altes, ausgemustertes Sofa. Eine eingebaute Theke war noch da, eine Art Hausbar mit zwei Barhockern. Ein kleines Wandregal mit wenigen Flaschen, darunter eine kleine Küchenzeile. Nichts Außergewöhnliches, soweit er sehen konnte. Abgesehen natürlich von dem Blutfleck auf den Fliesen. Die auf dem Boden liegenden Barhocker ließen auf einen Kampf schließen.
»Habt ihr euch schon die Tür angesehen?«
Meier zuckte kurz zusammen. Dass sein Chef das Haus betreten hatte, war ihm entgangen.
Einer der Spurensicherer antwortete umgehend: »Nichts, Herr Schwerdtfeger. Sie wurde nicht gewaltsam geöffnet. Entweder hatte der Täter einen Schlüssel oder das Opfer hat dem Täter die Tür geöffnet. Die Fenster sind alle intakt.«
Da ein Dank nicht zu erwarten war, wandte sich der Spurensicherer wieder den Blutspritzern zu.
»Was meinen Sie, Meier?«, fragte der Erlanger Hauptkommissar gereizt.
»Dass es richtig ist, diesen Kehrer zu holen. Die Kollegen müssten allerdings längst wieder zurück sein. Vielleicht hat er sich ja schon aus dem Staub gemacht?«
»Hm«, brummte Schwerdtfeger nachdenklich, der fast die gesamte Tür ausfüllte. Die Frau, die hinter ihm auftauchte, war von drinnen allenfalls zu erahnen.
»Wir sind fertig. Brauchen Sie die Leiche noch?«
Schwerdtfeger antwortete, ohne sich umzudrehen: »Nein . das heißt, warten Sie mal damit.«
»Okay«, sagte die Frau und ging zurück in den Garten, ohne im Haus sichtbar gewesen zu sein.
»Meier? Rufen Sie Harland an. Ich will wissen, wann er mit diesem Kehrer hier ist. Ich dachte, der wohnt in Biberbach und nicht in München.«
Meier zückte sein Smartphone und erreichte auf Anhieb seinen Kollegen.
»Sind gleich hier, Chef.«
»Also. Sehen wir uns diesen Kehrer an«, nickte Schwerdtfeger und gab die Tür wieder frei. Mit langsamen Schritten ging er zum Gartentor und wartete dort auf den Wagen, der nicht vor der Parzelle parken konnte, da bereits andere Einsatzfahrzeuge auf dem schmalen Weg standen. Der Hauptkommissar ließ seinen Blick durch das herbstlich verfärbte Laub wandern. Dass sich Menschen mehr oder weniger auf ein zweites Leben in einer Schrebergartenkolonie einließen, war ihm ein Rätsel. Einen Krautkopf pflanzte man nicht an, den kaufte man auf dem Wochenmarkt in Erlangen. Ein Krautkopf wurde von einem Landwirt angepflanzt, dessen Beruf das Anpflanzen von Krautköpfen war. Noch weniger Verständnis hatte er für die Liebe zu den Lauben, den...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.