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1453. Sultan Mehmed erobert Konstantinopel. Doch er will mehr: die Herrschaft über das Abendland. Dazu will er das Reich der maurischen Muslime in Spanien wieder stärken und den spanischen König stürzen. Vor dem Hintergrund des epochalen Kampfes müssen sich der aus Spanien stammende türkische Muslim Joanot und die spanische Christin Juana bewähren, bis sie eine schicksalhafte Liebe zusammenführt.
Ein Roman um Treue und Verrat, Machtgier und Leidenschaften - und ein ferner Spiegel unserer Epoche.
Als die schwere Tür in seinem Rücken zuschlug, fühlte er sich ausgesetzt wie ein überzähliger Welpe. Seine Augen, die in wachsender Panik das Halbdunkel durchsuchten, fanden weder Vater noch Mutter, nicht Schwestern noch Brüder und füllten sich allmählich mit Tränen, hinter denen der Vorraum der Kirche verschwamm.
»Jungs weinen doch nicht!«, hörte er plötzlich eine helle Mädchenstimme.
Er wandte sich um. Vor ihm stand ein Mädchen, etwa in seinem Alter, mit einer ungebändigten schwarzen Haarflut über einem schmalen Körper. In ihrem Blick tummelten sich der Spott und eine vermutlich unbezwingbare Aufsässigkeit. Als sie lachend den Kopf nach hinten warf, flogen ihre Haare auf wie eine Schar schwarzer Schwäne.
»Was weißt du schon von Jungs?«, gab er empört zurück und rieb sich mit den Fäusten über die Augen. »Wer bist du?«
»Nuria. Und du?«
»Joanot Julia. Mein Vater ist Don Péré Julia, Konsul der Katalanen in Konstantinopel.«
Nuria lachte laut auf. »Konstantin-Popel?«, prustete sie und legte scheinbar erschrocken die Hand vor den Mund. In ihren Augen jedoch stand das Vergnügen, ihn zu necken.
»Konstantinopel heißt Stadt Konstantins«, erklärte Joanot und stampfte mit dem Fuß auf.
Dem Mädchen stand offenbar ganz und gar nicht der Sinn nach einer vernünftigen Unterhaltung. »Konstantins Popel also. Und wie heißt dein Haus? Joanots Popel?«
Wütend machte er einen Schritt auf das Mädchen zu.
Nuria sprang zurück und blitzte ihn herausfordernd an. »Fang mich, wenn du kannst, Joanot-Popel!« Sie wandte sich um und lief vor ihm weg, wobei sie achtgab, nicht zu flink zu sein, denn Joanot sollte die Hoffnung nicht verlieren, ihrer habhaft zu werden. Sonst hätte das Spiel ihr keinen Spaß bereitet.
»Ich kriege dich!«, brüllte der Junge und rannte ihr nach.
»Niemals!«
Doch als sie versuchte, Joanot auszuweichen, stolperte sie über die Beine einer am Boden sitzenden Bettlerin. Das Mädchen kam ins Straucheln und schlug mit der Stirn gegen die scharfe Kante einer Steinnische, in der ein Öllicht brannte.
»Au«, schrie sie, und als er bei ihr war und sie sich ihm zuwandte, blutete es über ihrer rechten Augenbraue. »Teufel auch, Teufel auch«, fluchte sie.
Joanot stand einen Moment hilflos da, dann zog er sein Leinenhemd aus der Hose, riss ein Stück davon ab und drückte es auf die Wunde. Eine Hand, die sich wie trockenes Laub anfühlte, schob ihn mit erstaunlicher Kraft beiseite.
Die Bettlerin hatte plötzlich ein Tuch in der Hand, spuckte darauf und presste es auf die Stirn des Mädchens. »Aus dem Weg, du Tunichtgut. Da habt ihr's, ihr dummen Kinder! Der Herr will es nicht leiden, dass ihr in seinem Haus Schabernack treibt.«
»Au . au . au . au«, wimmerte das Mädchen.
»Die Wunde wird heilen, aber du wirst eine kleine Narbe über dem Auge davontragen. Und das muss so sein. Denn dieses Mädchen, Joanot, ist für dich bestimmt, wie dieser Junge, Nuria, für dich auserwählt ist. Und an der Narbe über dem Auge, Joanot, wirst du sie an dem Tag erkennen, an dem .«
Türen fielen ins Schloss, Fensterläden wurden zugeklappt. Das dumpfe Geräusch von Holz auf Holz, das Schaben von schweren Kisten auf den Fliesen des Fußbodens drängten sich in Joanots Traum, bevor die Bettlerin ihren Satz beendet hatte, und zerrissen die Bilder, als wären sie Schemen hinter dem weißen Pergament, das man für ein Schattenspiel aufgespannt hatte. Joanot setzte sich auf und rieb sich die Augen.
Vor seiner Zimmertür tobte ein Aufruhr durch die Flure und Räume. Die Neugier trieb ihn aus dem Bett. Ein kurzer Blick zu den Schlafstätten seiner Brüder belehrte ihn, dass diese die Nacht nicht zu Hause verbracht hatten. Das geschah des öfteren seit dem Tag, an dem der Türke Mehmed II. Konstantinopel belagerte und sich Joanots Vater mit seinen älteren Söhnen an der Verteidigung der Stadt beteiligte. Seit Anfang April 1453, als der Sultan seine Armee vor der Stadt versammelt hatte.
Der Neunjährige tippelte zur Tür, öffnete sie und befand sich sogleich im Mittelpunkt des Gewühls. Sein Vater schritt durch den Hauptkorridor. Mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, gab er Joanots Brüdern, den Dienern und den Angestellten des Kontors, so sie ihren Dienstherrn noch nicht verlassen und Zuflucht in den Kirchen gesucht hatten, Anweisungen, wie sie Fenster und Türen zu verbarrikadieren hatten.
Joanots Blick blieb an einer hageren Gestalt hängen, die mühsam eine Kiste hinter sich herzog. Der alte Mann zwinkerte ihm aus seinen graublauen Augen zu. Der Junge hing sehr an Demetrios, der das Kontor des Konsuls leitete. Solange er denken konnte, stand der Grieche schon im Dienst seines Vaters, und auch Demetrios hatte den Jungen ins Herz geschlossen. Plötzlich legte sich eine Hand auf Joanots Schulter.
»Komm, Joanot, frühstücken!«, sagte María Julia und sah ihren Jüngsten liebevoll an.
Er schlang die Arme um sie und drückte sich eng an sie. »Lass mich nie wieder allein, Mare! Nie wieder, hörst du?«
Erstaunt runzelte sie die Stirn. »Wann habe ich dich denn allein gelassen, Joanot?«
»In meinem Traum.«
»Was für ein garstiger Traum, mein armer Junge.« Sie strich ihm über den Kopf. »Träume sind nur Schäume. Komm, lass uns essen.«
Ein paar Stunden später rutschte Joanot auf der vordersten Bank in der kleinen Kapelle des Hauses hin und her und ahmte mit wachsendem Vergnügen den Gesichtsausdruck des leidenden Jesus am Eichenholzkreuz nach. Doch das genügte ihm bald schon nicht mehr, und er steigerte sich in ein immer wilderes Fratzenschneiden hinein. Dabei hoffte er auf ein Donnerwetter, auf irgendetwas, das ihn aus der Ödnis der Andacht befreien würde. Wenn Jesus Christus schon Gott ist, dachte er, würde ihm doch keine Dorne aus der Krone brechen, von seinem Kreuz zu steigen und mit ihm in der Stadt herumzustromern. Aber der Gekreuzigte war über die Blasphemie erhaben und litt stattdessen lieber stoisch weiter.
Joanots Mutter, die in der Bank hinter ihm saß, schwante offenbar, was die ruckartigen Bewegungen ihres Jüngsten bedeuteten, und versetzte ihm einen sanften Stoß in den Rücken. Mühsam riss er sich zusammen, zwang sich zu einem ernsthaften Gesichtsausdruck und leierte zum tausendsten Male leise das Vaterunser herunter: ». und führe uns nicht in Versuchung, sondern errette uns von dem Bösen. Amen.« Er schloss mit den üblichen Worten: ». und beschütze Rosalie und Blanca, Juan und Ferante und natürlich Mare und Pare.« Aus lauter Überdruss fügte er dem Gebet im Stillen einen weiteren Schluss an: . und schenke mir einen schönen Pisspott, und führe mich immer rechtzeitig zu ihm hin, denn mein ist die Pisse in Ewigkeit. Und ich will nicht, dass sie sich in mein Bett ergießt. Und Mare möchte das übrigens auch nicht und Pare schon gar nicht. Da hast du's! Amen.
Joanots Augen blitzten mutwillig, während er mühsam ein Kichern unterdrückte. Als er sich wieder beruhigt hatte und die Langeweile sich erneut wie ein schweres Tuch um seine Schultern legte, drehte er sich mit einer Leidensmiene, wie nur Kinder sie aufzusetzen verstehen, zu seinem Vater um, der ganz in sich versunken schien. Dann wanderte Joanots Blick zu seiner schönen, rothaarigen Mutter und den beiden Brüdern Juan und Ferante. Schließlich schaute er zu seinen beiden Schwestern Rosalie und Blanca, die links und rechts von ihm knieten. Doch alle waren mit großem Ernst in ein Zwiegespräch mit Déu, mit Gott versunken. Enttäuscht, nicht einen einzigen antwortenden Blick erhascht zu haben, wandte er sich wieder dem kleinen Altar zu.
Heiliger Pisspott, nahm der Knabe seine lästerlichen Gedanken wieder auf, die ihm aber kein Vergnügen mehr bereiteten, wann hören die endlich auf? Er sehnte sich danach, die Kapelle zu verlassen, auf dem Vorplatz herumzujagen. Und wenn das schon nicht ginge, weil sie sich im Krieg befanden, dann wollte er sich wenigstens im Kontor, besser noch im Warenlager verstecken und sich vom alten Demetrios aufspüren lassen.
Überhaupt der Krieg! Er hatte ihn gründlich satt, diesen widerlichen Spielverderber, der die Farben stahl und den Frohsinn erdrosselte wie die jungen Tauben für die Tafel. Ein grauer, freudloser Bursche wie der verrückte Georgios, der in Lumpen gehüllt, schimpfend, fluchend und speiend durch die Straßen lief. Für die Jungen war es eine Mutprobe, ihn zu ärgern. Doch wegen dieses dreimal verfluchten Krieges durfte Joanot nicht mehr auf die Straße, seinetwegen sah er seinen Vater und seinen älteren Bruder oft tagelang nicht, seinetwegen reagierte seine humorvolle und zu manchem Schabernack aufgelegte Mutter oft gereizt. Und wegen des Krieges saßen sie nun schon seit Stunden in der Hauskapelle, beteten und machten so ernste Gesichter, als hätte der Blitz das Haus getroffen und Mutters bestes Geschirr, das sie von ihren Eltern in die Ehe mitbekommen hatte und das nur an Sonntagen benutzt wurde, zerschlagen.
Der Überdruss roch nach verbranntem Wachs. Auf dem Marmoraltar mit dem Kruzifix und dem Bild der Gottesmutter genügten sonst drei Lichter - heute flackerten zum ersten Mal gleich sieben Kerzen, für jedes Familienmitglied eine, und wenn ein Licht zu verlöschen drohte, wurde es sofort durch ein neues ersetzt.
Der Rauch der Kerzen schlängelte sich zum Tonnengewölbe der Kapelle hoch wie das Seil eines indischen Fakirs, dem Joanot einmal auf dem Jahrmarkt zugesehen hatte. Tagelang hatte er von diesem Erlebnis in...
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