Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Mathilde, eine Lehrerin aus Oslo, verliert nach der Affäre mit einem ihrer Schüler den Job. Orientierungslos geworden sehnt sich Mathilde nach Einfachheit und einer natürlichen Ordnung der Dinge - kurzerhand mietet sie eine Hütte in den norwegischen Bergen im Landkreis Telemark. Johs entspricht genau der Vorstellung, die Mathilde von Leuten auf dem Land hatte: Er betreibt zusammen mit seinem Bruder einen Molkereibetrieb, der seit vierhundert Jahren im Besitz der Familie ist, und spielt norwegische Folkmusik. Mathilde kann damit wenig anfangen und isoliert sich schnell von der Hofgemeinschaft. Doch das scheint unmöglich, auf dem Hof hat jeder jeden im Blick. Eine brodelnde Mischung aus Traditions- und Generationsunterschieden, Träumen und Obsessionen macht das Buch zu einer einnehmenden Leseerfahrung, die auch auf eine Reise in die norwegische Wildnis einlädt.
Der Rhythmus von vierhundert Füß, die im Takt auf den Boden knallen, schickt kleine Stoßwellen durchs Haus und mich. Ich trink mein Bier in großen Schlucken und starr auf die Fiedel, die noch im Kasten liegt und schlummert. Schau, wie gut sie schläft, die Kleine, hat der Johannes beim Aufmachen vom Fiedelkasten oft gesagt. Als Kind ist es mir irgendwie unangenehm gewesen, wie er über seine Fiedel geredet hat, aber erst als Erwachsener hab ich kapiert, dass das daher gekommen ist, weil er fürs Spielen immer rauschig war, und weil er über sie - und mit ihr - geredet hat, als wär sie ein Kind und gleichzeitig jemand, den er begehrt.
Ich hab vom Johannes nichts geerbt außer meinen Nam und diese Fiedel. Bei beidem wollt er kurz vorm Sterben, dass unsre Mutter was damit macht, kannst den Nam von ihm nicht ändern, hat er in seinen letzten Monaten öfters verzweifelt gebrüllt. Er ist fünfundzwanzig Jahr, Papa, da ist es alleweil zu spät dafür, hat unsre Mutter geantwortet und mich angelächelt. Was möchtest denn, wie wir ihn nachher sonst nennen, hat sie beim nächsten Mal gefragt. Mir wurscht, hat der Johannes geschrien, mir komplett wurscht, nur mein Nam soll er nicht haben.
»Bist so weit, Johs?«, sagt eine Stimm hinter mir.
Ich bück mich, nehm die Fiedel hoch, geh hinter der Frau her, von der ich nicht mehr weiß, wie sie heißt, geh aus dem Übungsraum, zur Hinterbühne, da hängt der Geruch von verbranntem Staub und Schweiß. Durch den Vorhang hör ich, wie ich angekündigt werd, und als Nächster kommt nicht irgendwer, nein, sondern aufgepasst, es kommt Sein Enkel, Sein Erbe, ja gar Seine Fiedel. Ich mach mich groß, lächel, tret ins Licht in der Bühnenmitten. Steh da, als der Applaus verebbt, in völliger Ruh, lang genug, dass ich hör, wie sich im Publikum ein paar Leut ungeduldig bewegen, mach es genau wie der Johannes das immer gemacht hat, damit sich die Spannung aufbaut.
»Kari Midtigard«, sag ich schließlich ins Mikrofon, lächel in den Saal, mach wieder eine Pausen, weiß, dass mein Spiel dem Selbstvertrauen von diesen Pausen und meinem schiefen Lächeln überhaupt gar nicht angemessen ist, »kennst du die Kari Midtigard aus Tinn, kein Bursch kommt der ins Zimmerchen rin. Kari ist lieb und Kari ist hold, und jetzt mein Schatz, der funkelt wie Gold.«
Die müssen die Geschichte, die du spielst, bildlich vor sich sehen können, hat der Johannes oft gesagt gehabt, die müssen die Verbindung zwischen deine Tön und der Saga hören, das muss einand stützen. Nicht so, hatte er zu mir gesagt, du erzählst, wie wenn du zum Einkaufen gehen tätest, furchtbar fad, deine Wort müssen tanzen, komm schon, noch mal, Rücken grad, erzähl und spiel, als wenn du es meinen würdest.
Ich heb die Fiedel an die Brust, spiel die Weisen von Kari Midtigard aus Tinn.
Ich schau mir nach einem Volksmusikwettstreit die Ergebnisse schon lang nicht mehr an, ich weiß eh, dass mein Nam weit unten auf der Listen steht, und das passt schon, ich spiel nicht deshalb, sag ich zu denen, die danach fragen mögen, heut ist das Ingrid.
»Warum spielst du dann?«, will sie wissen und tut sich schwer beim Aufknöpfen von meiner Trachtenwesten.
Ich bin zu rauschig fürs Helfen, spür meine Finger nicht, auch nicht den Rest von meinem Körper.
»Weils mir im Blut liegt«, sag ich, »du weißt, wer mein Ehnl gewesen ist?«
Dafür, dass ich den Johannes auf die Art benutz, schäm ich mich nicht, außerdem wär das vielleicht eines der wenigen Dinge an mir, für die er mich achten tät. Du musst aufpassen, dass du nicht plötzlich mit einer Verwandten von uns im Bett landest, hat Andres einmal gescherzt, weil es ist dermaßen unwahrscheinlich, dass der Johannes, so wie der unterwegs war, nur unsrer Ahnl Kinder gemacht hat. Zumindestens schön zum Anschauen bist, hat der Johannes zu mir gesagt, zumindestens, wennst sonst schon dermaßen kein Talent hast.
»Natürlich.« Ingrid kapituliert vor der Trachtenwesten, die Händ gleiten stattdessen runter zum Gürtel, finden das Messer. »Ui, so klein und süß«, sagt sie und zieht es aus der Scheiden.
»Wennst mich fragst, ist die Größ ziemlich normal«, sag ich.
»Das hör ich gern«, sagt sie und lächelt.
Am nächsten Morgen wach ich allein im Hotelbett auf, der Rücken tut mir weh, damit muss ich noch vor der Frühjahrsbestellung mit den endlosen Stunden auf dem Traktor was machen. Ich such mein Handy, riesige Schlagzeilen über neue Infektionen, Andres ist bestimmt grad komplett verängstigt, er hat Angst vor dem Coronavirus, seit er im Dezember zum ersten Mal davon gelesen hat. Seine Angst hat er vom Johannes geerbt - und die verursacht auch die ganzen kleinen Bewegungen in der Feinmuskulatur um den Mund, den skeptischen Blick und die nervösen Glieder, durch das schaut er dem Johannes ähnlicher, als er es eigentlich tut. Mehr als ich, du bist ein großer, sicherer Fels, hat unsre Mutter einmal gesagt, warst schon immer ruhig und schweigsam, und da drüber solltest froh sein. Aber die Musik liegt in den Nerven, hat der Johannes immer gesagt, also insofern hätten die Nerven von mir aus gern etwas gerechter verteilt werden können, weil Andres ist beinah schon demonstrativ an Musik uninteressiert, an Musik im Allgemeinen und an Volksmusik im Speziellen, und dabei hat er fast das absolute Gehör. Bei einem falschen Ton noppt sich die Haut von ihm vor Unbehagen, kannst verdammt noch mal nicht sauber spielen, hat er oft durch die Wand zwischen unsern Zimmern geschrien, als wir kleiner waren und ich Fiedel geübt hab. Ich hör den Unterschied zwischen sauber und falsch, aber nicht in den Feinheiten wie Andres, bei ihm ist das körperlich, es liegt in den Nerven.
Ich schick ihm eine Nachricht, dass ich zum Stallgehen am Abend zurück bin. Er antwortet innerhalb einer Minuten, ob ich auf dem Weg beim Baumarkt vorbeifahren und Kalk kaufen könnt. Ich beruhig mich damit, dass er offenbar zumindestens momentweis in einem Zustand ist, wo er die Aufmerksamkeit von allen Symptomen wenden kann, die im Takt mit den Schlagzeilen auftauchen, und geh unter die Dusche.
Der Hof, den Andres und ich bewirtschaften, ist seit dem 17. Jahrhundert im Besitz der Familie von unsrer Mutter. Sie hat zwei ältere Brüder, aber der Johannes hat sie schon als Kind zur Nachfolgerin bestimmt, und natürlich hat niemand Einspruch erhoben. Er war ein Pionier des Feminismus, erklärt sie manchmal. Auch dagegen sagt niemand was, aber bestenfalls ist das eine wohlwollende Umschreibung der diktatorischen und findigen Art, mit der der Johannes seine Umgebung gelenkt hat. Den Hof hat er nie selbst betrieben, sondern immer sein Bruder - der hat allein in dem kleinen Austragshaus gewohnt, während der Johannes und unsre Ahnl mit ihren drei Kindern im Haupthaus gelebt haben. Er wollt das selbst, hat der Johannes gesagt, das hat er selbst so haben wollen. Ich hab nie kapiert, wie zu der Zeit Betrieb und Einnahmen aufgeteilt worden sind, aber ich war auch erst vier Jahr alt, als 1987 der Bruder vom Johannes unerwartet gestorben ist und unsre Mutter offiziell übernommen hat. Der Johannes und unsre Ahnl sind ins Austragshaus gezogen und wir die drei Kilometer vom Elternhaus von unserm Vater zu dem von unsrer Mutter. Im Herzen von Telemark, hat der Johannes gesagt und den Hof mit allem, was er zu bieten gehabt hat, zur Inszenierung seiner selbst genutzt, obwohl er keinen Schimmer gehabt hat, wo bei einer Mähmaschin hinten und vorn ist. Oder bei einer Kuh. Auf und neben der Bühne hat er Geschichten über sein Familiengeschlecht erzählt, über Hof, Leut und Viecher, und sich selbst ins Zentrum gestellt, ein Großbauer in einer Ahnenreih von Großbauern. Er hat dermaßen viel Lügengeschichten über den Hof und meine Vorfahren erzählt, dass man überhaupt nicht mehr wissen kann, was davon stimmt - was nur seine Ausschmückung und Umdichtung von gehörten Geschichten und was tatsächlich passiert ist. Eine von seinen Lieblingserzählungen ist darum gegangen, wie mein Stammvater persönlich die Ursachen dafür war, dass Telemark so lang Terra incognita geblieben ist, er hat den Kartograf abgemurkst, hat der Johannes erklärt, und dann hat sich viele Jahr niemand mehr in die Nähe der Telemarkgrenzen getraut. Diese Geschicht hat er oft erzählt, voll Stolz, als würd das was Ehrenvolles über unsre Familie sagen, und hat auch dann noch damit weitergemacht, als Andres seine Historikerfreundin ihn bei einem Weihnachtsessen, an das sich alle erinnern und über das keiner je spricht, korrigiert hat.
Der Hof besteht aus einem Haupthaus und einem Austrag, einem alten Schafstall, den Andres grad für die künftige Fleischproduktion umbaut, und einem neuen, hoch technologisierten Milchstall. Außerdem gehören vierzig Hektar Ackerfläche und Wald dazu. Andres, der zwei Jahr älter ist als ich und das Anerbenrecht hat, hat sich in seiner typischen Art durch mehrere Studien und Berufe gebangt und gewurschtelt, bis er mit Ende zwanzig draufgekommen ist, dass das Sicherste trotz allem das Heimkommen und Übernehmen war, ganz im Einklang mit dem, was der Johannes sowieso lang davor schon beschlossen gehabt hat. Ich hab eine Ausbildung in Landwirtschaft gemacht und anderswo als Hofvertretung gearbeitet, und seit ich denken kann, ist das Betreiben von einem Hof mein klares Ziel gewesen, gleich ob den hier oder einen andern. Darin bin ich gut, das kann ich. Das hat der Johannes gewusst, das hat unsre Mutter gewusst, und das weiß auf jeden Fall Andres, der mit seiner Entscheidungsschwächen kein Leiter von einem Betrieb sein kann, bei dem im Takt von Jahreszeiten, Wind und Wetter jeden Tag ein Haufen Entscheidungen anfallen. Ich schaff das nicht ohne dich,...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.