Schweitzer Fachinformationen
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Als ich geboren wurde, wickelte sich die Nabelschnur um meinen Hals, und ich kam auf die Welt, wild mit beiden Armen rudernd, unfähig, zu schreien und die Luft einzuziehen, die ich zum Leben außerhalb des Mutterleibs brauchte, stranguliert von ebendem Ding, das mich bis dahin ernährt und am Leben erhalten hatte.
So etwas ist Ihnen noch nie unter die Augen gekommen! Und das nicht allein deswegen, weil ich halb erdrosselt war.
Denn ich wurde in der Fruchtblase geboren, jenem durchscheinenden Ei, in dem ich im Leib meiner Mutter herangewachsen war. Lange bevor mein feuchter, grindiger Kopf vom wogenden Fleisch meiner Mutter in seine Form gepresst wurde, als sie mich unter Schmerzen in diese Welt hinausstieß, hätte die Fruchtblase eigentlich zerreißen sollen. Wunderbarerweise aber kam ich eingeschlossen in diese elastische Hülle aus meiner Mutter hervor und war bei meiner Ankunft in der Welt in einer ähnlichen Lage wie jetzt, da ich sie wieder verlassen soll. Ich schwamm in einem milchig blauen Beutel voll Fruchtwasser, meine Gliedmaßen zuckten sonderbar, schlugen und stießen hilflos gegen die dünne Haut. Von meinem Kopf, den zudem das Gewirr der Nabelschnur verbarg, war kaum etwas zu erkennen. Ich machte seltsame verzweifelte Bewegungen, als wäre ich dazu verdammt, das Leben immer nur durch den feinen schleimigen Film zu sehen, der mich umgab, als wollte mich das, was mich bis dahin schützend umhüllt hatte, von der übrigen Welt und meinem Leben abschneiden. Es war und ist ein komischer Anblick, meine Geburt.
Ich wusste damals natürlich nicht, dass ich bald aus meiner unvollkommen gerundeten Sphäre vertrieben werden sollte, die ihrerseits gerade aus ihrer Hülle, Mamas Leib, ausgestoßen worden war, nachdem dessen innere Wandung weniger als einen Tag vorher plötzlich in äußerst heftige Bewegung geraten war. Wenn ich etwas geahnt hätte von all den Schwierigkeiten, die schon bald über mich hereinbrechen sollten, hätte ich mich nicht von der Stelle gerührt. Nicht dass mir das etwas genützt hätte - die pulsierende Pressbewegung der Wände um mich herum diente ja einzig dem Zweck, mich aus einer Welt auszutreiben, von der ich immer nur Gutes erfahren und der ich nie etwas Böses angetan hatte, es sei denn, man wollte mir meine stete und zielstrebige Entwicklung von einem bloßen Zellhaufen hin zu einem vollständigen Menschen als einen feindseligen Akt auslegen.
Die Decke und der Fußboden meiner Welt kamen nicht mehr zur Ruhe, immer stärker wurden ihre Bewegungen, wie die hereindrängende Flut, die ein Riff nach dem anderen überspült und mit jedem Brecher mächtiger wird. Gegen eine derart heftige höhere Gewalt konnte ich natürlich nichts tun, ich musste mich der Brandung fügen, die mich in den engen Geburtskanal presste, musste es hinnehmen, dass mein Kopf hierhin und dorthin gequetscht wurde. Und wozu die ganze Plage? Ich hatte meine Welt geliebt, ihre sorglose pulsierende Dunkelheit, ihre warmen, milden Wasser, die Schwerelosigkeit, die es mir erlaubte, mich ohne Anstrengung hin und her zu drehen. Wer brachte Licht in meine Welt? Wer brachte den Zweifel in mein Tun und Lassen, das bis dahin grundlos und absichtslos unschuldig gewesen war? Wer? Wer schickte mich, der nie darum gebeten hatte, auf diese Reise? Wer?
Und warum fügte ich mich?
Aber wie kann ich etwas von alledem wissen? Es ist unmöglich. Kein Zweifel, ich fantasiere bloß.
Und doch . und doch .
Die Hebamme entwirrte mit geübten Fingern flink die Nabelschnur, dann steckte sie den Daumen in die Fruchtblase - geradeso wie ein Kind, das Rosinen aus dem Kuchen pult - und riss sie von unten nach oben auf. Eine kleine Sintflut ergoss sich auf die staubigen Bodendielen jener Kammer in Triest und machte sie so schlüpfrig wie das Leben selbst. Ein Schreien war zu hören. Und Lachen.
Mama behielt die Fruchtblase. Später trocknete sie sie, denn sie gilt als Glücksbringer, wenn das Baby in ihr zur Welt kommt. Man sagt, ein solches Kind und auch jeder, der die »Glückshaut« bei sich trägt, könne niemals ertrinken. Sie wollte sie eigentlich für mich aufbewahren, aber in meinem ersten Winter bekam ich eine böse Lungenentzündung, und so verkaufte sie die Membrane an einen Matrosen, damit sie mir ein bisschen frisches Obst kaufen konnte. Der Mann ließ die Haut in seine Jacke einnähen, jedenfalls sagte er Mama, dass er das vorhabe.
Nach meiner Geburt in jener längst vergangenen Nacht schaltete die Hebamme - sie war unter dem großartigen Namen Maria Magdalena Svevo bekannt, ihr wirklicher Name, den sie verabscheute, lautete Ettie Schmitz - das harsche elektrische Licht aus und öffnete nun, da keine Gefahr mehr bestand, dass wilde Schmerzensschreie einer Gebärenden an die Ohren von Passanten dringen würden, die Fensterläden. Die angenehme herbstliche Nachtluft und der Gestank der Adria strömten herein, jener eigenartig dumpfe europäische Geruch nach Tausenden von Jahren Krieg und Trauer und Überleben, und dieser Geruch traf auf den unverhohlen blutigen Geburtsgeruch, der in dem kahlen kleinen Zimmer hing, einem Raum mit einem improvisierten Vorhang, der die Tür ersetzte, an den bröckelnden Wänden einsam ein mit Silberfischchen übersätes Bild der Madonna, die mit den ausgestreckten Fingern ihrer rechten Hand ein blutendes Herz berührte. Ah, diese Finger! So vollkommen schlank und weich und seidig. So ganz anders als die abgearbeiteten kräftigen Hände von Maria Magdalena.
Maria Magdalena Svevo kniete nieder und begann mit diesen rauen Waschfrauenhänden und einem Putzlumpen das Blut und das Fruchtwasser, das noch nicht in den Bodendielen versickert war, abzuschrubben. All die Flecken auf dem Holz, so dachte sie versonnen, waren Zeugnisse menschlichen Lebens, verblichene Krakel, geschrieben mit Wein und Sperma, Urin und Kot, die den Lauf des Lebens dokumentierten, von der Geburt zur Jugend, zur Liebe, zur Krankheit und zum Tod. Meine Mutter sah Maria Magdalena Svevo bei der Arbeit zu, beobachtete, wie der große runde Rücken vor und zurück ging, ein Halbmond, versilbert vom Licht des Vollmonds, der die Kammer, in der ich geboren worden war, mit seinem ruhigen Schimmer erfüllte.
Woher ich das alles weiß? Maria Magdalena Svevo, die meinen Hals aus der Schlinge der Nabelschnur befreit und gelacht hatte und später immer wieder, wenn sie mich sah, lachen musste, hat mir nur wenig erzählt; von ihr kann ich es also nicht haben. Und Mama hat mir fast gar nichts erzählt. Sie hielt es lange nicht einmal für nötig, mir zu sagen, dass ich in Triest geboren wurde - ich erfuhr es erst, als ich zehn war und wir davon hörten, dass Maria Magdalena Svevo bei einem Besuch in ihrer alten Heimat unter etwas komischen Umständen beinahe ums Leben gekommen wäre. Zwei betrunkene Studenten hatten sie auf dem Markt von Triest mit dem Moped über den Haufen gefahren. Das war typisch Maria, fanden alle, die ihre robuste und dickköpfige Natur kannten: während die beiden jungen Burschen innerhalb von vierundzwanzig Stunden starben, kehrte die Achtzigjährige nach drei Monaten im Krankenhaus gesünder denn je nach Australien zurück. Aber sie war ja schon immer, wie mein Vater Harry es ausdrückte, hart im Nehmen gewesen.
Meine Mutter zahlte ihr für ihre Dienste bei meiner Geburt den üblichen Lohn, aber Maria fand das zu wenig und ließ deswegen eine Flasche kostbaren Whiskey mitgehen, die einzige Flasche Whiskey, die im Haus war - mein Vater hatte sie nach einer Liebesnacht mit meiner Mutter dagelassen. Der Whiskey und ich, ihr unerwünschtes Kind, waren bis dahin alles, was sie von meinem Vater bekommen hatte, der damals gerade in einem nahe gelegenen Gefängnis einsaß. Meine Mutter klagte oft darüber, dass Maria Magdalena Svevo nicht mich statt des Whiskeys mitgenommen hatte. Auch das brachte Maria Magdalena Svevo zum Lachen.
»Ihr Cosinis seid doch alle gleich«, sagte sie dann immer. »Da wird euch neues Leben geschenkt, und was macht ihr? Ihr wollt es wegwerfen! Deine Mutter will dich loswerden, und du selber wolltest nicht auf die Welt und hast, kaum am Ende des Tunnels im Licht angekommen, versucht, dich zu strangulieren.« Und dann paffte sie weiter ihre Zigarre; dieses Laster hatte sie mit meiner Mutter gemeinsam, und sie war nicht darüber erhaben, den einen oder anderen Glimmstängel von ihr zu stibitzen.
»Sie verkürzt damit nur ihr eigenes Leben und verlängert das meine«, pflegte meine Mama zu sagen, wenn die Rede auf diese kleinen Diebereien kam, »und dafür, dass ich weniger Zeit in ihrer Gesellschaft verbringen muss, bin ich ihr von Herzen dankbar.«
Hier war sie nicht ganz ehrlich: in Wahrheit genossen beide die gemeinsamen Stunden in vollen Zügen, hätten es aber nie und nimmer zugegeben. Wenn Maria Magdalena Svevo ...
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