Schweitzer Fachinformationen
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Freitag, 22.04.
Die individuelle Erreichbarkeit der City spielt für viele Verbraucher eine erhebliche Rolle, Herr Nöhlert«, sagte Frau Weißhaupt. »Potenzielle Kunden, gerade von außerhalb, fühlen sich von den mangelnden Parkmöglichkeiten eher abgeschreckt.«
Die Leiterin des ToFOU trug einen tief sitzenden Pferdeschwanz, eindeutig schwarz gefärbt, was sie vermutlich jünger aussehen lassen sollte, als sie tatsächlich war. Ende vierzig? Der dezent hellbeige Hosenanzug unterstrich diesen Eindruck. Frau Weißhaupt saß leicht vornübergebeugt hinter ihrem Schreibtisch und spielte ohne Unterlass mit einem matt gebürsteten Metallkugelschreiber. Sie blickte Hauke immer ein wenig von unten an, wobei sie ihren Kopf nach links legte, wenn sie sprach, und nach rechts, wenn sie zuhörte.
»Tja, aber die Belegung des Parkrings und des Parkhauses am Waffenplatz deutet ja darauf hin, dass es noch Reserven gibt, Frau Weißhaupt. Wieso brauchen wir da ein neues Parkhaus?« Hauke nahm die Leiterin scharf ins Visier.
»Die NKE besteht auf einem eigenen Parkhaus für die Erschließung des Berliner Platzes. Ohne zusätzliche Parkplätze wäre die Mall nicht realisierbar.«
»Die Mall?«
»Ein Begriff aus dem Amerikanischen, Herr Nöhlert.«
»Ich weiß wohl, was eine Mall ist. Bislang war aber immer von einem Einkaufszentrum die Rede.«
»Wir sind der Überzeugung, dass der Begriff >Einkaufszentrum< zu allgemein ist, um unser Vorhaben zielgenau zu pitchen. Bei einer Mall schwingen mehr Nuancen, mehr Feinheiten mit. Wir wollen die Mall als wesentlichen Bestandteil der Oldenburger Fußgängerzone positionieren.«
»Aha.«
»Wir sehen sie als Brückenkopf für alle Auswärtigen. Sie parken in der Mall, schlendern durch die Gänge, schauen in die Läden. Dann folgt ein Spaziergang durch die Fußgängerzone, sozusagen ein Ausflug in die Vergangenheit. Ein bisschen Bummeln hier, ein wenig Preise vergleichen da. Dann geht's zurück durch die Mall zum Auto. Das ist ein Quantensprung in Sachen qualifiziertes Kaufverhalten.«
Frau Weißhaupt legte den Kopf wieder nach rechts, also musste Hauke jetzt etwas sagen.
»Da wird mir aber der Gewinn für die in der Fußgängerzone ansässigen Geschäftsleute nicht so ganz klar. So wie Sie das jetzt sagen, klingt das, als sollten die potenziellen Käufer sich in der Altstadt lediglich vergewissern können, dass die Sachen in der Mall billiger sind als in der Fußgängerzone, um dann auf dem Rückweg zum Wagen dort zuzuschlagen.«
Diesmal lehnte Frau Weißhaupt sich zurück und hielt ihren Kugelschreiber mit Daumen und Zeigefingern beider Hände vor die geschürzten Lippen.
»Da haben Sie wohl kürzlich mit Herrn Buhlmann gesprochen, oder? Alles, was ich Ihnen dazu sagen kann, ist, dass ich diese verkürzte Sicht der Dinge nicht teilen kann. Natürlich müssen wir vom Einzelhandel erwarten, dass er sich wettbewerbsfähig aufstellt. Oldenburg muss schließlich seine Stellung als Oberzentrum behaupten. Die Zeiten, wo wir uns auf Traditionen ausruhen konnten, sind vorbei, Herr Nöhlert.«
Hauke versuchte sich zu erinnern, woher er den Namen Buhlmann kannte. Da ihm nichts zu diesem einfiel, machte er sich eine mentale Notiz. Frau Weißhaupt lehnte sich erneut nach vorne und legte den Kopf nach links. Offenbar hatte sie ihren verlorenen Faden wiedergefunden.
»Schauen Sie. Unsere Aufgabe ist es, ein gut vermittelbares Profil von Oldenburg zu erstellen, damit wir zielgruppengerechtes Marketing betreiben können. Mit diesem Klein-Klein der Einzelhändler lassen sich keine neuen Käuferschichten erschließen.«
»Sehen Sie da kein Problem mit den bereits bestehenden Käuferschichten? Ich meine, es kaufen ja Leute in der Stadt ein. Denen scheint es ja zu gefallen. Wenn nun die Mall das Einzelhandelsgefüge durcheinanderbringt, wie können Sie da sicher sein, dass die jetzigen Käufer der Stadt nicht fernbleiben werden?«
»Da sehen wir natürlich noch Kommunikationsbedarf. Bislang liegt uns jedoch keine qualifizierte Profilierung der bestehenden Käuferschichten vor, so dass es derzeit schwierig ist, irgendeine Prognose zu wagen. Erste Untersuchungen deuten aber darauf hin, dass die Nutzer der Fußgängerzone viel zu heterogen sind, von einer einheitlichen Käuferschicht kann da gar keine Rede sein.«
Der Kopf lag rechts. Hauke wusste, was er Frau Weißhaupt schuldig war.
»Heißt das, dass Sie die bestehenden >Nutzer< in Ihrer Planung gar nicht berücksichtigen, weil die sich nicht zu einer homogenen Gruppe zusammenfassen lassen?«
»Einspruch! So einfach machen wir es uns natürlich nicht. Aber Sie müssen zugeben, Herr Nöhlert, dass es extrem schwierig ist, das Einkaufserlebnis >Oldenburg City< auf eine Zielgruppe abzustimmen, die sich nicht als Gruppe darstellen lässt.«
»Ja, aber die kaufen doch trotzdem, Gruppe oder nicht.«
»Natürlich.« Zur Abwechslung strich Frau Weißhaupt eine nicht vorhandene Strähne aus ihrem Gesicht. »Aber solange wir nicht wissen, warum sie das tun, können wir nicht neu avisieren.«
»Wenn sie es aber doch trotzdem tun und dieser Umstand allen Beteiligten viel Freude bereitet, warum dann die Mall?«
»Kennen Sie das chinesische Sprichwort: >Kein Fortschritt bedeutet Rückschritt<? Nochmals: Ohne eine qualifizierte Profilierung der bestehenden Nutzerschaft können wir diese bei unserer Neuausrichtung nicht berücksichtigen. Zudem konkurriert Oldenburg als Oberzentrum der Region mit anderen Oberzentren, die allesamt über vergleichbare Einkaufsangebote verfügen. Wie sollen wir uns da profilieren, wenn wir nur diesen verstreuten Einzelhandel vorzuweisen haben?«
»Verstehe ich Sie richtig? Profilierung durch Assimilation ist da die Strategie? Ein Profil ist doch eher genau das Gegenteil, oder?«
»Ich gebe ja gerne zu, dass wir uns da eine Menge Arbeit aufgeladen haben, aber ich sehe das als Herausforderung.«
»Ja, äh, dann vielen Dank für Ihre Zeit, Frau Weißhaupt«, sagte Hauke und packte sein Diktiergerät ein.
»Gerne, Herr Nöhlert. Wenn Sie dann noch Fragen haben, können Sie sich jederzeit an meine Assistentin wenden.«
Frau Weißhaupt erhob sich, strich über ihre Anzugjacke, als müsste sie einen lästigen Fussel loswerden. Anschließend schüttelte sie Hauke zum Abschied die Hand.
Vor dem ToFOU-Büro schrieb sich Hauke den Namen Buhlmann in sein Notizheft. Ihn interessierte sehr, warum Frau Weißhaupt der Meinung war, er hätte mit ihm geredet. Bemerkenswert war, dass der bloße Verdacht dieser Konstellation ihr Rechts-Links-Programm zum Absturz gebracht hatte. Gleichzeitig fühlte er sich durch dieses Interview auf die nun folgende Pressekonferenz zum gleichen Thema ausgezeichnet vorbereitet. Beschwingt ging er durch die Fußgängerzone in Richtung Rathaus.
Er war eine Viertelstunde zu früh. Ursprünglich hatte er etwas mehr Zeit für das Gespräch mit Frau Weißhaupt eingeplant, aber länger als eine halbe Stunde hatte er ihr Gerede nicht ertragen. So konnte er sich jedenfalls einen guten Platz suchen, nicht zu weit vorne, falls er einschlafen sollte.
Als die ersten Stadtverordneten eintrudelten, hielt eine fünfköpfige Gruppe direkt vor Hauke an. Der Anführer der Gruppe, ein Mann, der seine besten Jahre hinter sich hatte, aber davon keinesfalls etwas wissen wollte, musterte ihn eindringlich aus grauen Augen.
»Wer hat Sie denn da hingesetzt?«
»Oh, das war ich selbst«, sagte Hauke. »Ist das Ihr Platz?«
»Ihr Platz ist eine Drogerie«, sagte der Mann zu seinen Begleitern gewandt, die wie auf Kommando irrsinnig zu kichern begannen. »Aber Spaß beiseite«, fuhr der Sprachführer fort. »Eigentlich sind das hier die Plätze unserer Fraktion.«
Hauke wollte eben aufstehen, als sein Gegenüber beide Hände abwehrend vor sich hielt.
»Gemach, gemach! Ist ja keine Sitzung im eigentlichen Sinne. Da will ich mal nicht so sein. Aber denken Sie nächstes Mal bitte dran.«
Die fünf Spaßvögel entfernten sich und suchten sich eine andere Sitzgelegenheit. Hauke hörte noch, wie einer der Gefolgsleute »Ihr Platz ist eine Drogerie« wiederholte, als hätte er nie einen besseren Witz gehört. Kurz überlegte er, welcher Fraktion das Herren-Quintett wohl angehören mochte, aber da sich im Laufe der nächsten zehn Minuten niemand zu ihnen setzte, waren sie wohl nicht Teil einer, sondern die komplette Fraktion der Freien Liberalen.
Schließlich war der Saal zur Hälfte gefüllt, und ein drahtiger, für die Jahreszeit etwas zu dunkel gebräunter Mann im Maßanzug betrat das Podium und startete eine PowerPoint-Präsentation.
Die Pressekonferenz entpuppte sich sehr schnell als Werbeveranstaltung der Norddeutschen Kommerz-Entwicklungsgesellschaft, jener in Berlin ansässigen AG, die sich getreu ihres Namens ganz auf die Entwicklung des Handels in Norddeutschland spezialisiert hatte. Der schmächtig-drahtige PR-Manager der NKE, Bernd Meiners, hielt einen Vortrag, der immer wieder von vermeintlich kritischen Zwischenrufen diverser Stadtverordneter jeglicher Couleur unterbrochen wurde. Er sprach die ganze Zeit von Synergieeffekten und qualifizierten Nutzerprofilen, wobei er ständig beide Fäuste vor seiner Brust gegeneinanderschlug, um irgendwas zu verdeutlichen - was, war wahrscheinlich keinem der Anwesenden klar. Auf jeden Fall klirrten dabei immer die goldenen Armreifen, die er an beiden sonnengebräunten Handgelenken trug.
»Abschließend gebe ich zu bedenken«, sagte der Endfünfziger schließlich und fuhr sich mit der Hand durch das perfekt gegelte Haar, »dass wir uns mit einer Schwächung des Standorts...
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