Schweitzer Fachinformationen
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Was gibt es an einem so herrlichen Sonnentag Schöneres als einen Strandspaziergang? Die Renovierungsarbeiten können auch bis nachmittags warten . oder bis morgen. Nach dem Frühstück jage ich Rimbaud mit einem Besen aus seinem Versteck und leine ihn an. Mit dem großen Knochen unter dem Schrank habe ich weniger Glück, da komme ich nicht ran.
»Tut mir leid, mein Schatz, aber die frische Luft wird dir guttun.«
Er protestiert mit herzzerreißendem Winseln. Ich kenne kein Pardon und zerre ihn an der Leine nach draußen. Schon bald beginnt er sein Territorium zu markieren, den Knochen hat er vergessen. Die spärlichen Tröpfchen, die er an Baumstämmen, Autoreifen, Straßenlaternen, Blumenkübeln und Gartenzäunen hinterlässt, tragen mir einige schiefe Blicke ein. Eine alte Dame in gelb-grauer Bluse kommt extra aus der Postfiliale, um mit mir zu schimpfen. Man kann es auch übertreiben! Aber die meisten grüßen freundlich, als ob sie mich schon ewig kennen würden.
Der Boulevard du Front de Mer ist sonnenüberflutet, es herrscht reger Verkehr, die Autos bewegen sich im Schritttempo, alle suchen einen Parkplatz. Auch wenn Foisic nicht auf der Landkarte zu finden ist, kommen die Leute aus der Gegend an einem Sonntagmorgen im Juni offensichtlich gerne hierher. Spaziergänger wälzen sich im Schneckentempo über den Bürgersteig entlang der Häuserseite des Boulevards, auf der Strandpromenade ist es nicht besser. Wenn ich der Menschenmenge ausweichen will, muss ich direkt ans Wasser gehen.
Es ist Ebbe, am Strand wimmelt es von Hunden und Kindern. Rimbaud würde auch gerne mitmischen, aber ich bin gnadenlos und umklammere die Leine. Plötzlich trifft mich wie aus dem Nichts ein Ball am Kopf, und ich lasse los. Verdammt!
Ich sehe Sternchen, dann wird mir schwarz vor Augen, als hätte sich der Mond zwischen die Sonne und die Erde geschoben. Kurz fühle ich mich in mein Astrophysikstudium in Sheffield zurückversetzt. Ich schwanke benommen.
»Halten Sie sich an mir fest!«, höre ich eine tiefe Stimme.
Sie erinnert mich an meinen damaligen Professor. Sie klingt jugendlich und mir freundlich gesinnt. Letzteres bin ich nicht, im Gegenteil, ich bin stinksauer.
»Geht es wieder?«
»Ein Ball hat mich am Kopf getroffen, mir ist schwindlig, und mein Hund ist abgehauen, aber sonst ist alles bestens«, antworte ich sarkastisch.
»So wirken Sie aber gar nicht. Sie können sich ja kaum auf den Beinen halten.«
Mein unbekannter Retter hilft mir, mich im Sand niederzulassen. Ich sehe ihn nur schemenhaft. Der intensive Salzgeruch in der Luft hindert mich nicht daran, sein Parfüm zu erkennen. Mein olfaktorisches Zentrum nimmt eine warme Holznote wahr, die mich augenblicklich versöhnlich stimmt.
»Rimbaud . mein Hund . wo ist er?«
»Ihr Dackel jagt mit flatternden Ohren Möwen«, erwidert der Unbekannte belustigt.
»Ich muss ihn zurückholen.«
Allen Gesetzen der Schwerkraft zum Trotz versuche ich aufzustehen, aber mein Retter hält mich davon ab. Ich habe das Gefühl, als würde mir der Schädel platzen.
»Halt, bleiben Sie sitzen, bitte. Mein Neffe Corentin ist ihm auf den Fersen, er wird ihn schon zurückbringen.«
»Sagen Sie Ihrem Neffen, dass ich auf Beutemöwen gerne verzichte.«
Er lacht. Ich finde das weniger lustig. Immer noch ist meine Sicht verschwommen, und in meinem Kopf dröhnt es.
»Ich sehe, es geht Ihnen schon etwas besser, Mademoiselle .«
»Jade«, antworte ich knapp, »und Sie sind?«
»Alban, Alban Landrec, erster und einziger männlicher Lehrer in Foisic. Sind Sie neu hier?«
Ich zögere, sein Nachname kommt mir bekannt vor. Wo habe ich den schon mal gehört? Leider ist mein Gehirn immer noch außer Gefecht gesetzt, es fällt mir einfach nicht ein.
»Ich bin gestern in das Haus gegenüber der Schule gezogen.«
»Das rosafarbene?«
»Ja.«
»Willkommen in Foisic, Jade«, sagt er freundlich und ruft dann: »Gut gemacht, Corentin, bring den Hund her, sein Frauchen wartet.«
Allmählich kehrt mein Sehvermögen zurück. Endlich kann ich meine Umgebung erkennen, den blauen Himmel, den Kreidefelsen, die Häuser mit den bunten Fassaden, die aufgereihten Strandhütten, die Spaziergänger, das türkisblaue Meer und den weiten weißen Strand, auf dem die Kinder mit ihrem dämlichen Ball spielen und mein Dackel mit heraushängender Zunge auf mich zugerannt kommt. Er zieht einen etwa zehnjährigen Jungen hinter sich her. Und ich sehe Alban, der sich aufgerichtet hat. Er dreht mir den Rücken zu, sodass ich nur seine kupferfarbenen Locken, seine Jeans und sein Hemd erkennen kann, das sich im Wind bläht.
Ich quäle mich hoch. Auch wenn ich mich noch so strecke, ich reiche ihm gerade mal bis zur Schulter. Ich bemühe mich um Contenance und schreie Rimbaud nicht an, sondern sage betont ruhig: »Da bist du ja.«
Mein Hund wirft mir einen verlegenen Blick zu, man kann das Weiße in seinen Pupillen sehen, dann flüchtet er sich zwischen die Beine des Jungen. Der lächelt, kniet sich in den Sand und streichelt ihn.
»Gehört der Ihnen? Das ist ein Dackel, oder? Wie heißt er? Wie alt ist er? Weibchen oder Männchen? Wird er gerne gestreichelt?«, bombardiert er mich mit Fragen.
»Corentin! Begrüße Jade doch erst mal«, bremst Alban seinen Wortschwall.
»Entschuldigen Sie, Mademoiselle Jade. Guten Tag.«
»Guten Tag, Corentin. Ja, dieser kurzhaarige Ausreißer ist ein Dackel und zehn Monate alt. Er heißt Rimbaud.«
»Wie der Dichter!«, erwidert der Junge, während mein Hund ihm über den Arm leckt. »Wissen Sie, dass er ganz jung gestorben ist? Mit siebenunddreißig. An Krebs.«
Er krault Rimbauds Ohren und schaut aufs Meer hinaus. Alban wendet sich mir zu und flüstert: »Er hat kürzlich seine Eltern verloren.«
Dabei blickt er mich direkt an. Seine grünen Augen sind voller Trauer.
»Sein Vater war mein Cousin«, fügt er hinzu, in seinen Worten liegt eine feine Melancholie.
Wie alt er wohl ist? Achtundzwanzig, dreißig? Moment! Ist das etwa der richtige Zeitpunkt, sich Gedanken über einen attraktiven Mann mit halblangen Haaren zu machen? Es gibt Tage, da könnte ich mich selbst ohrfeigen, also echt!
Ein Ball kullert vor unsere Füße und reißt mich aus den Gedanken. Alban hebt ihn auf und geht auf eine Gruppe Kinder zu. Die Wellen rauschen, der Wind heult, ich kann nicht verstehen, was er zu ihnen sagt. Aber an ihrer Reaktion kann ich erkennen, dass er hier eine gewisse Autorität genießt.
Mit jedem Schritt, den er sich von mir entfernt, funktioniert mein Hirn wieder besser. Sein Nachname ist Landrec, er heißt genau wie die Dame mit den kupferfarbenen Haaren und den grünen Augen, die mich gestern besucht hat. Gleiche Haarfarbe, gleiche Augenfarbe. Aber das reicht nicht, um ihr Verwandtschaftsverhältnis zu klären. Die Tatsache allerdings, dass Sylvie Landrec letztes Jahr ihren Sohn und ihre Schwiegertochter verloren hat, lässt mich schlussfolgern, dass Corentin ihr Enkel und Alban ihr Neffe ist. Die Welt ist klein . oder sollte ich besser sagen, Foisic ist kaum größer als ein Fliegenschiss?
»Mach dir keine Sorgen, Rimbaud«, höre ich die helle Stimme des Jungen, »du hast noch viele schöne Jahre vor dir. Hunde haben eine Lebenserwartung von zwölf bis sechzehn Jahren.«
Ich richte meiner ganze Aufmerksamkeit wieder auf Corentin und meinen Hund, der ihm dankbar zujapst. Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll, meine Kehle ist wie zugeschnürt. Der Tod ist seit jeher ein schwieriges Thema für mich, besonders, wenn jemand unmittelbar betroffen ist. Ich sage lieber nichts.
»Kann ich ihn noch ein bisschen halten?«, fragt der Junge und drückt Rimbaud an sich.
»Ähm, ja. Und du kannst ihn gerne besuchen, wann immer du willst. Ich wohne am Rathausplatz, in dem rosa gestrichenen Haus gegenüber der Schule.«
»Danke! Ich komme bestimmt schon morgen nach der Schule vorbei. Und ich bringe ihm einen Knochen mit.«
»Um Gottes willen, nein, er ist jetzt schon zu dick!«
Es wird Zeit, dass ich meinen Spaziergang fortsetze, aber ich traue mich nicht, Corentin die Leine, die er immer noch fest umklammert hat, aus der Hand zu nehmen.
»Ähm, Rimbaud und ich haben noch etwas Wichtiges zu erledigen«, wage ich einen Vorstoß.
»Wohin wollen Sie? Ich kann Sie gerne hinbringen, ich kenne mich gut aus.«
»Schon, aber .«
Wie werde ich diese Klette nur wieder los? Wo bleibt sein Onkel? Der könnte ihn doch abholen? Ich werfe Alban einen verzweifelten Blick zu, doch der spielt mit den Jungs Fußball, als ob es nichts Wichtigeres auf der Welt gäbe, unglaublich! Aber er sieht verdammt gut dabei aus. Das hätte ich in einem verschlafenen Nest wie diesem nicht erwartet.
Er hat dieses gewisse Etwas . und Fußball spielen kann er. Bäääm! Kraftvoll tritt er gegen den Ball - was für ein Schuss! -, aber das gegnerische Tor trifft er leider nicht. So richtig begabt scheint er dann doch nicht zu sein. Mich beschleicht ein gewisser Verdacht.
»Sag mal, Corentin, weißt du, wer den Ball geschossen hat, der mich am Kopf getroffen hat?«
»Er hat es nicht mit Absicht gemacht.«
»Und wer ist er?«
»Mein Onkel. Er hat zu Arnaud gespielt, der hat den Ball verfehlt, und dann ist es passiert. Der Ball hat Sie getroffen.«
»Und zwar frontal.«
Ich durchbohre den Übeltäter mit Blicken. Er hat seine Tat für sich behalten.
»Oh,...
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