Schweitzer Fachinformationen
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Als ich mit dem Einkauf nach Hause gekommen bin, hat meine Mutter auf mich gewartet. Sie war am Boden zerstört. Die »Frau Professor« hatte sich über mein »impertinentes« Benehmen beschwert.
»Ich versteh dich nicht, Burli. Sogar die Frau Seipolt sagt >Frau Professor< zu ihr. Und die ist eine Dame und unsere Hausfrau.«
»Na und? Ich scheiß auf .« Weiter kam ich nicht. Sie schlug zu. Mit ihrer harten Hand.
»So was sagst du nie wieder. Und in Zukunft machst du, was man dir sagt.«
Dass mir das Blut nur so aus der Nase geschossen ist, hab ich gut gefunden. Das hatte sie jetzt davon. Jetzt war der Vorzimmerteppich versaut. »Frau Professor« hab ich trotzdem zu dieser Frau nie gesagt.
Die Tante Gretel und Dame! Anscheinend hatte meine Mutter keine Augen im Kopf. Ich hatte von Anfang an bemerkt, dass mein Vater mit ihr etwas hatte. Wir waren noch keine zehn Tage in Graz, als ich die beiden erwischt hab. Da haben sie sich geküsst. Im Stiegenhaus. Und drei Wochen später ist er aus ihrer Wohnung gekommen. An einem Samstag. Da war meine Mutter auf dem Markt und Onkel Hermann bei der Zeitung. Und ich hatte keine Lust mehr gehabt, mit Hannerl und Renate im Garten zu spielen. Das ist die Tochter von den Seipolts. Die ist genauso alt wie meine Schwester. Und genauso blöd.
Als ich in unsere Wohnung wollte, ist mein Vater grad bei ihrer Tür rausgekommen und ist erschrocken. Tante Gretel trug nur einen Bademantel und er hatte seine Turnhosen an und ein Unterleiberl. Und beide haben verschwitzt ausgesehen. Und auch so gerochen. Mein Vater vor allem. Aber ich hab so getan, als würde ich mir nichts dabei denken, hab Tante Gretel gegrüßt und bin in die Wohnung. Sie hat sich bei meinem Vater übertrieben für seine Hilfe bedankt und er ist ins Badezimmer gegangen. »Hilfe« . die wollte mich wohl für blöd verkaufen.
Das nächste Mal war, als ich schon in die neue Schule gegangen bin. Ins »Zweite Humanistische«. In der Grabenstraße. Das »Erste« war in der Stadt. In der Bürgergasse. Da hätte ich eine halbe Stunde zu Fuß gehen müssen. Also war mir das Zweite lieber. Zu dem brauche ich keine fünf Minuten. Und dass die vom Ersten die Nase über uns rümpften, war mir egal. Da haben wir drauf geschissen, der Wagner Gerhard und ich. Mit dem hab ich mich vom ersten Tag an verstanden. Gleich als mich der Egger, unser Mathelehrer und Klassenvorstand, der Klasse vorgestellt hat. »Meine Herren«, hat er gesagt: »Es ist mir eine Freude, Ihnen Ihren neuen Mitschüler, Herrn Adolf Wretschnig vorzustellen« »Herrn Wretschnig«! Das war was anderes als am Wiener Gymnasium. Da haben die Professoren einfach »du« gesagt. Im Zweiten war das »Sie« für die Lehrer Pflicht.
Dann mussten sie alle ihre Namen nennen. Buchrieser, Schweizer, Kronawitter, das waren gleich zwei, Karl und Kurt, weil die Zwillinge waren, Ehall, Bachleitner, Gartner, Reichert. Und das ging immer so weiter. Mir wurde ganz schwindlig vor lauter Namen. Über zwanzig. Wie sollte ich mir die in so kurzer Zeit merken? Der Letzte, der sich mir vorstellen musste, war Gerhard. »Wagner«, hat er gesagt. »Und neben dem Herrn Wagner sitzen Sie auch, Herr Wretschnig. Setzen!« Gerhard ist in der letzten Bank gesessen. Und seither sitze ich neben ihm.
Hoffentlich nächstes Jahr auch noch. Er hat nämlich einen Nachzipf in Latein. Und wenn er den nicht schafft, bleibt er sitzen. Das wäre scheiße. Er ist mein einziger wirklicher Freund.
Gleich nach dem ersten Schultag haben sie in der Körblergasse auf mich gewartet. Sie waren zu acht und ich allein mit dem Gerhard. »Bleib ganz ruhig«, hat er nur leise gesagt. Ich war ruhig. Solche Situationen kannte ich ja vom Heuberg und vom Indianerspielen bei Onkel Hubert in Pölfing-Brunn unten. Ich war sogar sehr ruhig. Dann konnten wir nicht mehr weiter, weil sie uns den Weg versperrten. »Schleich dich, Gartner«, hat der Gerhard zu dem Riesen, der sichtlich ihr Häuptling war, ganz ruhig gesagt. »Wer mag als Erster?«, hab ich gefragt. Aber bevor sie was sagen konnten, hab ich mich blitzschnell gedreht, dem Gartner schon meinen Ellbogen in sein blödes Gesicht gehaut, dem Nächsten in die Eier getreten und den Ehall in den Schwitzkasten genommen. Den Namen hab ich mir als einen der ersten gemerkt, weil der Ehall so ein ganz ein Langer war, so ein Dünner. Der Gerhard hat den Buchegger an eine Hauswand geschleudert und die anderen vier sind stiften gegangen. Da hab ich den Ehall einfach fallen lassen, ihm noch kurz in die Rippen getreten und bin mit Gerhard weitergegangen, als ob nichts gewesen wäre. Der Gartner stand völlig fertig da und blutete aus der Nase.
»Wenn du wieder was brauchst, musst du's mir nur sagen.« Dabei hab ich ihm eiskalt in die Augen geschaut.
»Das werd ich mir merken, Wretschnig.«
»Hoffentlich«, sagte Gerhard und wir gingen weiter. Seither sind der Gerhard und ich unzertrennlich.
Gerhard ist Waise. Seine Eltern sind bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen, als sein Vater auf Fronturlaub war. Er wächst bei seinem Großvater auf, dem Herrn Hasiba, der der Vater von seiner Mutter war. Er ist verwitwet und raucht sehr viel. Er hat gleich neben uns, zwei Häuser weiter, eine Eisenwarenhandlung. Da gibt es Schrauben, Nägel und Werkzeug. Einfach alles. Und es riecht ganz wunderbar in dem Laden. Nach Metall und ganz trocken. Über dem Geschäft ist ein großes Schild »Eisen Hasiba seit 1910«, und darüber ist ihre Wohnung. Da bin ich fast jeden Tag, weil der Gerhard eine elektrische Eisenbahn hat und weil ich ihm beim Lateinlernen helfe.
Er hat ein eigenes Zimmer, das nach hinten hinausgeht. Zum Garten. Da schauen wir oft mit seinem Fernglas in die Wohnungen gegenüber. Das ist spannend, weil man sich dann Geschichten ausdenken kann. Mit dem kann man auch in der Nacht alles sehen, weil es noch von der Wehrmacht ist. Das hat er von seinem verstorbenen Vater. Sonst hat er nichts mehr von ihm. Nur das Fernglas und ein Hochzeitsfoto von seinen verstorbenen Eltern. Er schaut seiner Mutter total ähnlich.
Es war November und fast schon dunkel. In den Häusern gegenüber gingen die Lichter an. Der Gerhard war mit dem Schauen dran. Wir schauten immer abwechselnd eine Minute. Dabei war's bei uns immer finster im Zimmer.
»In eurem Gartenhaus ist wer.«
»Und?«
»Ich seh nur vier Haxn. Zwei sind in der Höh. Mit Stöckelschuhen. Mit roten.«
»Lass schauen.«
»Du bist no ned dran.«
Als ich dann dran war, kam Tante Gretel grad aus dem Salettl und ging rasch aufs Haus zu. Die roten Stöckelschuhe hatte sie in der Hand. Der Gerhard hat sie auch ohne Fernglas gesehen.
»Die Seipolt. Man glaubt's ned. Jetzt bin ich echt g'spannt.«
»Auf was?«
»Wem die anderen Haxn g'hört ham.«
Wir haben gewartet. Dann war der Gerhard wieder mit Schauen dran.
»Hast du ned g'sagt, dass dein Vater auf Tour is?«
»Ja, er kommt erst gegen sieben.«
»Heut ist er früher da.«
Er gab mir das Glas - und tatsächlich. Mein Vater stand vor dem Gartenhäusel und brunzte auf die Wiese. Daneben sein Koffer, den meine Mutter am Sonntag immer für ihn gepackt hat. Ich hab dem Gerhard gesagt, dass ich ganz schnell nach Haus muss und bin losgerannt.
Und ich war schnell genug drüben in unserem Haus. Als ich im Hochparterre ankam, kam mein Vater gerade die Stiege herauf, die zum Garten hinunterführt. Ihn traf fast der Schlag.
»Du bist schon da?«, fragte ich strahlend. »So früh? Da wird die Mutti a Freud haben, Vati.« Ich ließ ihn stehen und lief die Stiege zu unserer Wohnung hinauf. »Jetzt wart halt, Burli! Ich will sie überraschen!« Aber ich rannte weiter und läutete Sturm. Meine Mutter machte auf. Wie immer lag die Sicherheitskette vor.
»Ach, du bist's, Burli. Was läutest du denn wie verrückt?«
»Weil der Vati schon da ist!«
»Ich weiß«, sagte sie.
Das klang irgendwie eigenartig.
»Da bin ich, Polderl. Was sagst?«
»Ich hab dein Auto schon stehen gesehen. Schon vor zwanzig Minuten.«
»Ich war nur einen Sprung beim Herrn Sandgruber unten. Ich hab ihm aus Hartberg einen Speck mitgebracht.«
Der Herr Sandgruber ist unser Hausmeister, der unten im Keller wohnt.
»Und kennst ihn ja. Wir haben ein Schnapserl miteinander getrunken.«
Dass mein Vater so lügen konnte! Einfach nicht zu glauben!
Von den Kärntner Nudeln hat er nur drei gegessen. Sonst hat er mindestens acht verdrückt. Und angeschaut hat er mich nicht ein einziges Mal. Meine Mutter...
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