Schweitzer Fachinformationen
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Originaltext «Wu wei»: Es gibt ein Lernen, das uns verstehen lässt, was wir sind. Aus diesem Verständnis entsteht eine völlig neue Art des Handelns: Wu wei. Das heißt handeln durch Nichteingreifen, durch Geschehenlassen. Es ist die Fähigkeit, das Steuer des Lebens jener Macht zu überlassen, die eine Dimension von uns selbst ist und die Laotse einst das Tao genannt hat.
Unterscheidet sich dieses Lernen von der gewohnten Art unseres Lernens?
Das neue Lernen, das uns die Wahrheit über unsere Position im Universum und über unsere wirkliche Identität erkennen lässt und das zu einem völlig anderen Modus des Handelns führt, unterscheidet sich fundamental von allen anderen Lernvorgängen: weil es bei diesem Lernen nicht darum geht, sich den Lehrstoff einzuprägen. Erinnern Sie sich an die Schulzeit, als Sie Gedichte lernen mussten. Man wiederholte die Texte so lange, bis man sie auswendig und beinahe im Schlaf herunterleiern konnte. Deshalb kann ich heute noch Schillers «Glocke» zitieren, aber ich könnte nicht behaupten, sie damals verstanden zu haben. Und um Verstehen, um Einsicht, um Erkenntnis geht es bei dem neuen Lernen. Es ist im Sinne des taoistischen Denkens ein Prozess, der aus der Aufmerksamkeit kommt. Darum wird auch in den folgenden Lektionen bei jedem Thema die Aufmerksamkeit, das Beobachten der Dinge, eine fundamentale Rolle spielen. Die Lebenskunst des Tao basiert darauf, dass wir alle Dinge intensiv wahrnehmen. Und zwar nach Möglichkeit so intensiv, so voller Leidenschaft und Freude am Leben, dass das üblicherweise die Sinneseindrücke begleitende, kommentierende Denken immer leiser wird und zum Hintergrundgeräusch verblasst. Das Geheimnis, das es in den folgenden Ausführungen zu entschlüsseln gilt, besteht, kurz und bündig gesagt, darin, dass wir im Gewahrsein des um uns her pulsierenden Lebens - uns zugleich selbst wahrnehmen. Denn nach der alten Weisheitslehre vom Tao sind wir von der Außenwelt nicht so getrennt, wie wir es empfinden, sie gehört zu unserer Identität. Unser Selbst, unser Bewusstsein ist nicht auf den sterblichen Körper begrenzt. Darum gewinnt diese Einsicht auch für alles künftige Handeln erhebliche Bedeutung, denn ich gehe mit etwas, das ich selbst bin, anders um, als wenn es ein Fremdkörper wäre. Laotses Lehre bewahrt uns vor der Illusion, uns bloß für Geschöpfe dieses metaphysischen Grundes, dem er den Namen Tao gab, zu halten. Dieser Grund hat sich geteilt, und der eine Teil, den die Chinesen Chi getauft haben, hat sich in die Menschheit, hat sich in das Universum verwandelt.
Unteilbar und an einem Stück. Wir kennen die Theorie vom Zusammenhang der Welt auf seiner kleinsten physikalischen Ebene. Aber, so seltsam dies anmutet, kaum ein Mensch zieht daraus in Bezug auf sein Alltagsverhalten irgendwelche Konsequenzen. Man tut weiterhin so, als ob die Dinge getrennt voneinander wären. Und dies ist nicht unbedingt falsch: Es gehört zu diesem großen kosmischen Spiel, dass die Mitspieler so tun, als ob die Getrenntheit der Dinge Realität wäre. Es macht freilich einen gewaltigen Unterschied, ob ich in meinem Verhalten Konformität mit den Notwendigkeiten des Spiels, also mit den Spielregeln der Gesellschaft, ausdrücke - oder ob ich diese Ideologie von der Getrenntheit auch glaube. Sobald ich mich von den Überzeugungen und Bedingungen meiner Gesellschaft befreie, ohne dass ich mich gegen ihre Regeln und Gesetze vergehen müsste, habe ich mich von den mir auferlegten Bindungen losgesagt. Ich handle künftig nicht mehr so, als ob ich getrennt vom größeren Anteil meiner Identität wäre, ich dehne meine Individualität zu einem Radius von unendlichem Durchmesser aus. Und dies alles wird möglich durch das zitierte andere Lernen. Ich erkenne durch meine unvoreingenommene, von keinem Vorurteil, von keiner Überzeugung getrübte Beobachtung, dass mein Leben und seine Herausforderungen ebenso zu meinem Selbst gehören wie mein Ich-Gefühl und mein lebenslang gesammeltes Wissen.
Mit dem neuen Lernen, das nichts aufzeichnet, werden in Ihrem Leben Weichen gestellt. Von Tag zu Tag setzt sich dieser Lernprozess fort, ohne dass Sie dazu besondere Beweggründe bräuchten. Sie geben einfach auf, wie gewohnt jedes Ding, jede Erscheinung, jede Begegnung, die Ihnen wichtig erscheint, zu kommentieren. Unser altes Programm im Gehirn ist so konditioniert, dass es quasi pausenlos etwas will: Wir wollen etwas nicht haben, wir wollen etwas verändern, wir wollen etwas in der Zeit verkürzen, wir wollen etwas hinausschieben, wir wollen etwas in den Griff bekommen, wir wollen etwas rückgängig machen, wir wollen vergessen, wir wollen Rache, wir wollen Versöhnung, wir wollen geliebt werden, wir wollen in Ruhe gelassen werden, wir wollen Abwechslung, Abenteuer, progressives Erleben, wir wollen uns nicht langweilen, wir wollen Genuss - diese Liste ließe sich ellenlang fortsetzen. Und wenn Sie mich nun fragen, wie man sich denn von diesem dauerhaften Betrieb unseres Wollens befreien könne, darf ich Sie um ein wenig Geduld bitten. Im Verlauf unserer Exkursion ins Land des Nichthandelns sollte es eigentlich geschehen, dass Sie die Frage nach dem Wie gar nicht mehr stellen müssen. Hier sei nur so viel gesagt: Nichthandeln beginnt damit, dass Sie die Dinge vor Ihren Sinnen selbst zu Wort kommen lassen, statt sie durch Ihr Wollen immerzu korrigieren, benennen, annehmen oder ablehnen zu wollen. Und dieser erste Schritt drückt sich darin aus, dass Sie sich selbst beobachten, über sich lernend, ohne die Notwendigkeit, das, was Sie an sich bemerken, auch im Kopf behalten zu müssen. Es wird Ihnen aber in Zukunft jedes Mal bewusst, wenn Sie in die alte Untugend zurückfallen. Und dies ist zugleich Bestandteil des Genesungsprozesses. Sie werden zunehmend ungehaltener über die eigenen, Ihnen inzwischen selbst komisch anmutenden Marotten.
Die beschriebene Art des Lernens ersetzt, davor sei gewarnt, keinesfalls das klassische Lernen dort, wo Wissen gebraucht wird. Ich muss lernen, wie man ein Auto fährt, ein Chirurg muss wissen, wie man eine Herztransplantation durchführt, und der Klempner muss etwas von Rohrleitungen und Dichtungen verstehen. Allerdings darf diese Art Wissen nicht mit Intelligenz verwechselt werden. Durch Erfahrung und Fleiß erworbenes Wissen ist und bleibt mechanisch - und es wird niemals vollständig sein. Denn was immer Sie wissen, es gibt weitaus mehr Informationen, über die Sie nicht verfügen, als jene, die Sie sich aneignen konnten. In der Volksmeinung ebenso wie in der Wissenschaft wird Intelligenz als ein Ergebnis des Denkens angesehen, als das Endprodukt intellektueller Logik und Vernunft. Der Grad dieser Kategorie von Intelligenz lässt sich in Testverfahren messen und wird als IQ in einer numerischen Skala ausgedrückt, die sich von «schwachsinnig» bis «höchst intelligent» bewegt. Es wird hier eine Fähigkeit bewertet, die auf Wissen gründet: Wer viel weiß, gilt als intelligenter als der Unwissende. Die Fähigkeit, Erfahrung konsequent und fehlerfrei in Handlung umzusetzen, zählt zu den Parametern, an denen Intelligenz gemessen wird. Konstruktives Denken, das bei Intelligenztests aus dem Zipfel eines Musters das ganze Muster herausliest, erhält bei Auswertungen die höchste Punktzahl.
Seit Descartes mit seinem berühmten Ausspruch «Ich denke, also bin ich» dem Denken eine überdimensionale Bedeutung verlieh, wird Denkvermögen mit Intelligenz gleichgesetzt. In der Tat entspringt Denken der gleichen kosmischen Quelle wie jene transpersonale Intelligenz, die weder Ihnen noch mir gehört. Freilich mit dem gravierenden Unterschied, dass Denken auf Wissen und damit auf die Vergangenheit angewiesen ist, wenn es funktionieren soll, Intelligenz im taoistischen Sinn aber keinen Bezug zur Zeit hat. Unser Denken bewegt sich in einem Milieu, das kontinuierlich Sicherheit sucht. Intelligenz dagegen hat keine Vorstellung von Sicherheit, sie sucht nicht danach, und sie braucht sie auch nicht, weil Intelligenz Sicherheit ist! Für uns stellt sich nun die Frage, wie wir eine Lebensweise realisieren sollen, die nicht aus dem Bekannten, die nicht aus dem Wissen kommt. Ob es ein schöpferisches Handeln gibt, das nicht mit dem Aufruhr des Lebens und nicht mit dem ganzen sozialen und wirtschaftlichen Druck belastet ist. Ob es ein Handeln aus einem Geist heraus gibt, der sich von allem Wissen befreit hat.
Es gibt eine Kreativität, die nicht vom Menschen erzeugt wird. Wir alle könnten von diesem besonderen Geist sein, der wahrhaftig frei von den Belastungen ist, die man ihm aufgebürdet hat. Zu der Zeit der alten Taoisten besaßen Schlagworte wie Intelligenz oder Kreativität keinen Wert, man liest in ihren Schriften vom Berufenen, vom Wesenhaften, vom Weisen. Mit diesen Begriffen wird ein Mensch beschrieben, der Einsicht in die Begrenztheit seiner Erfahrung und seines Wissens gewonnen hat und dessen Geist darum klar und ohne den Schatten eines Widerspruchs ist. Der Weise hat begriffen, dass sein subjektives Wissen einem Eimer Wasser gleicht, den er dem Strom des Lebens entnommen hat. Das Wasser mag vorher geflossen sein, aber eingesperrt in dem Gefäß bewegt es sich nicht mehr. Der Mensch des Tao versteht die Nutzlosigkeit seines begrenzten subjektiven Wissens und setzt es in seinem Handeln nicht mehr ein. Er gibt den Eimer stehenden Wassers auf - und erschließt sich damit einen Ozean. Das Potenzial der Evolution, das gesamte Wissen der Menschheit, der permanente Schöpfungsvorgang öffnet sich dem Einsichtigen. Intelligenz wird wirksam, sobald wir keine Lösungen mehr mit Hilfe unseres Wissens suchen. Dann befruchtet sie unseren Verstand, und unser Denken setzt die empfangenen Impulse in Handlung um. Das Prinzip des Nichthandelns...
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