Schweitzer Fachinformationen
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Zweieinhalb Jahre später
Die Bustür öffnete sich zischend.
Ich stieg aus, schwang meinen Rucksack auf den Rücken und schlenderte zum Nob-Hill hinauf. Vom Meer her trieb ein kalter Wind Nebelschwaden vor sich her. Das Nebelhorn eines Frachters dröhnte dumpf bis zu mir empor und löste ein Gefühl der Einsamkeit in mir aus. Eigentlich war ich mein ganzes Leben einsam gewesen. Nur Großmutter hatte zu mir gehalten. Aber alle anderen .
Plötzlich meinte ich, etwas zu hören. Ich blieb stehen und lauschte. Da war es wieder: Das klägliche Miauen einer Katze.
Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter. Ich blickte mich um. Das Miauen erklang erneut, klagend und hohl. Es kam von dem Haus, an dem ich gerade vorübergegangen war.
Ich schlich ein paar Schritte zurück, hielt inne und lauschte angestrengt. Jetzt kam der Ton deutlich aus der Hausmauer. Nein, er entsprang einem Regenfass, das dort stand. Ich blickte hinein und sah das arme Geschöpf im Wasser zappeln.
»Ach, du kleine Miezekatze, bist du da reingefallen? Was machst du denn für Dummheiten?« Ich sprach beruhigend auf das Tier ein und hob es mit beiden Händen heraus.
Es war eine wunderschöne rothaarige Katze, die erst ein paar Monate alt sein konnte. Sobald ich sie auf dem Boden abgesetzt hatte, schüttelte sie das Wasser aus ihrem Fell.
Ihr Anblick ließ mein Herz schmelzen, und ich streichelte ihren Kopf. »Was mache ich jetzt mit dir? Wohnst du hier?«
Die Katze schaute mich fragend an, gab aber keine Antwort. Stattdessen erhob sie ihren nassen, dünnen Schwanz senkrecht in die Höhe, begann zu schnurren und schmiegte sich an meine Beine.
»He, meine Kleine, du machst mich ja ganz nass. Komm, wir schauen, ob jemand zu Hause ist.«
Ich strich das Wasser aus dem Fell, nahm sie auf den Arm und klingelte an der nächstgelegenen Tür.
Ein Mann öffnete sie einen Spalt und schaute heraus. Als er die nasse Katze auf meinem Arm erblickte, wurden seine Augen dunkel, und seine Gesichtszüge verhärteten sich. Er riss die Tür auf und schrie mich an. »Bist du die Tierquälerin, die ständig meinen Kater in das Regenfass wirft?«
Was war das denn für ein Psychopath? »Nein, ich habe ihn gerade daraus gerettet.«
»Du willst dir wohl ein Trinkgeld erschwindeln. Ich werde dich beim Tierschutzverein anzeigen.«
»Hören Sie, ich hab's nicht nötig, mich von Ihnen anbrüllen zu lassen. Geben Sie auf Ihren Kater besser acht!« Das Tier tat mir leid. Ich strich ihm zum Abschied über den Kopf und setzte ihn auf den Boden. Dann drehte ich mich um und lief weiter. So ein Arschloch!
Vor unserem Haus stand ein Umzugsvan mit geöffneter Hecktür. Offenbar zog jemand in das leer stehende Apartment schräg unter uns ein. Ich hatte mich schon gefragt, wann es wieder bewohnt würde. Die Mietpreise waren in der Gegend um den Nob-Hill nicht gerade erschwinglich zu nennen.
Ich näherte mich dem Wagen und schaute hinein. Die Ladefläche war schon zur Hälfte geleert. Angestrengt versuchte ich zu erkennen, was sich im Halbdunkel weiter drinnen befand. Außer Umzugskartons und einer verhüllten Lampe entdeckte ich nichts Auffälliges.
»Hallo, suchst du etwas Bestimmtes?« Die angenehme, tiefe Stimme gehörte einem Mann, der aus dem Hauseingang gekommen war und mich aufmerksam ansah.
»Nein, ich wohne hier.«
»Mit wem habe ich das Vergnügen?« Er lächelte mich mit strahlenden Augen an, und in seinen Wangen entstanden zwei scharfe Grübchen.
»Sarah Flanagan, vom zweiten Stock.«
»Ach, die Enkelin von Mrs Whittaker. Ich bin Frederick Mansfield, aber nenn mich einfach Freddie.« Er streckte mir lächelnd die Hand hin.
Zögernd ergriff ich sie. Normalerweise gab ich wildfremden Leuten nicht die Hand. Aber ich konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Er sah aus wie George Clooney mit Dreitagebart. Dieselbe Kopfform, dieselben grau melierten Haare, dieselben kräftigen Augenbrauen, denen noch etwas vom ursprünglichen Schwarz geblieben war. Und vor allem der offene, freundliche Blick. So hatte mich seit Ewigkeiten niemand mehr angesehen. Ich schätzte ihn auf höchstens siebzig Jahre. Also ein wenig älter als den echten George Clooney.
»Du darfst meine Hand jetzt wieder loslassen. Schön, dass wir uns begegnet sind. Ich muss noch die restlichen Kartons hochtragen.«
Verwirrt zog ich meine Hand zurück. »Ja, natürlich. Kann ich Ihnen dabei helfen?«
»Wenn du möchtest, sehr gerne.«
»Ich geb nur rasch Grandma Bescheid und bin gleich zurück.«
»Ist gut.« Er kletterte auf die Ladefläche und verschwand im Halbdunkel.
Ich drehte mich um und rannte in unsere Wohnung hinauf. Dabei nahm ich immer zwei Stufen auf einmal. Krachend trampelte ich durch die Tür und rief: »Grandma, hallo! Ich hab den Job. Hast du den neuen Nachbarn schon gesehen? Ich helfe ihm, seine Umzugskartons hochzutragen.«
Wie ein roter Blitz schoss Cinnamon, Grandmas Pudeldame, aus der Küche heraus auf mich zu. Sie begrüßte mich überschwänglich und sprang an mir hoch.
»Hey, Cinna, nicht so stürmisch.« Ich bückte mich zu ihr hinunter und kraulte ihre Ohren.
Grandma antwortete aus der Küche: »Das Essen ist eigentlich schon fertig.«
»Wir könnten ihn danach einladen, soll ich ihn fragen? Ist ja gut, Cinnamon. Beruhige dich wieder! Mach Platz!« Ich schaute die Hündin streng an.
Mit einem leisen Winseln legte sie sich vor meinen Füßen auf den Boden, leckte sich die Lefzen und blinzelte mich erwartungsvoll an. Ich streichelte ihr weiches Fell. »So ist's gut, braves Mädchen.«
Grandma schaute unschlüssig in ihren Eintopf. »Also gut, ich kann das noch etwas strecken. Aber beeilt euch! Cinnamon, bleib hier! Wir gehen später noch Gassi.«
Das Treppenhaus dröhnte, als ich hinunterraste. Unterwegs begegnete ich George Clooney, der sich mit einem Karton die Treppe hochkämpfte.
»Geben Sie mir den Karton. Sie räumen die Kartons im Wagen nach vorne, und ich trage sie hoch. Nachher gibt's bei Grandma einen Eintopf für alle. Sie kommen doch auch, oder?«
Schnaufend ließ er den Karton in meine ausgestreckten Arme sinken. »Gut, überredet. Dummerweise ist heute der Aufzug außer Betrieb. Ich hätte das nicht allein machen sollen.« Er schlug mit dem Knöchel gegen seinen Kopf. »Aber wenn der da drin sich was vorgenommen hat .« Er grinste mich kopfschüttelnd an.
»Wie haben Sie denn die Möbel hochgebracht?«
»Die sind in einem zweiten Wagen geliefert worden, von den Männern einer Umzugsfirma. Aber ich habe sie schon wieder weggeschickt. Anscheinend zu früh.«
»Jetzt bin ich ja da. Wo soll ich die Kartons hinstellen?«
»Ins Wohnzimmer. Ich sortiere dann später alles aus.«
Fünfzehn Minuten später waren wir fertig. Freddie schloss den Wagen ab.
»Grandma wartet schon mit dem Essen.«
»Gut, ich komme in einer Minute nach. Geh schon vor!«
Es klopfte, und Grandma öffnete die Tür.
»Guten Abend, Mrs Whittaker! Entschuldigen Sie, dass ich Sie so überfalle. Aber, ehrlich gesagt, bin ich froh, mich etwas ausruhen zu können. Trinken Sie Wein?« Er streckte ihr eine Flasche Rotwein vom Napa Valley hin.
Grandma strich sich das Kleid glatt, prüfte den Sitz ihrer rot umrandeten Brille und nahm die Flasche mit einem Lächeln entgegen. »Vielen Dank, Mr Mansfield! Das wäre doch nicht nötig gewesen.«
»Freddie, nennen Sie mich einfach Freddie. Trotz meiner grauen Haare fühle ich mich nicht als ein Mister.« Er lachte tief und glucksend, was ihn mir noch viel sympathischer machte.
»Gut, ich bin Emily«, sagte sie kichernd. »Ich fühle mich auch nicht so alt, wie ich aussehe.« Eine feine Röte überzog Grandmas Wangen.
Ich unterdrückte ein Grinsen.
Freddie drückte mir einen Zwanziger in die Hand. »Danke nochmals für deine Hilfe! Du warst mein Engel in der Not.«
Entgeistert starrte ich auf das Geld in meiner Hand. »Nein, hören Sie, das kann ich nicht annehmen. Ich hab ja kaum was getan.«
Lächelnd schloss er meine Finger um die Banknote. »Ich bestehe darauf. Es ist auch keine Bezahlung, sondern ein Dankeschön.«
Zögernd steckte ich das Geld in meine Gesäßtasche. »Danke!«
Grandma trug den Kochtopf herein. »Setzt euch zu Tisch! Ich hoffe, Sie mögen meinen Eintopf.«
»Ich bin nicht wählerisch und esse fast alles, was mir vorgesetzt wird.«
Ich ließ mich auf meinen Platz an der Wand fallen. Freddie und Grandma setzten sich an die beiden Stirnseiten des Tisches.
»Also, Freddie, herzlich willkommen in San Francisco! Auf eine gute Nachbarschaft! Sarah, schöpfst du bitte die Suppe ein?«
Ich füllte Freddies Teller. »Noch mehr?«
»Danke, das reicht vorerst.«
»Hier, nehmen Sie auch Toastbrot. Da ist Butter und Relish, zum Draufschmieren.«
Dann reichte ich Grandma einen Teller.
»Danke, Liebes! Nun, Freddie, hatten Sie einen langen Tag? Wo sind Sie heute hergekommen?«
»Ja, so ein Umzug ist anstrengend. Ich hatte in Eugene, Oregon, ein Apartment. Heute Morgen um fünf sind wir losgefahren.«
»Dann waren Sie ja zehn Stunden unterwegs?«
Er nickte und schob sich einen Fleischbrocken in den Mund.
»Waren Sie beruflich da oben?«
»Anfangs ja. Vor drei Jahren hat mich meine Frau verlassen . nach vierzig Ehejahren. Dann bin ich...
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