Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Ein Narr vermag mehr Fragen zu stellen, als sieben Weise beantworten können, heißt es in einem Sprichwort: Es drückt mit diesen Worten eine vertraute Erfahrung aus. Der «Jüngling-Mann», den Heine wehmütig am wüsten Meer auftreten lässt, müsste wirklich ein Narr sein, wenn er meint, es gebe erhellende oder gar erlösende Antworten auf die großen Fragen, die er in die Dunkelheit hineinbrüllt. Wer soll denn verbindlich sagen können, was das ist, dieser Mensch, der da zum Himmel aufschaut und etwas über die Sterne wissen will? Selbst der Philosoph der Aufklärung, Immanuel Kant, hat dazu lieber Fragen formuliert.[1] Wer weiß denn zuverlässig, woher dieses grübelnde, rätselhafte, neugierige und kopflastige Lebewesen auf zwei Beinen im Laufe einer evolutionären Entwicklung gekommen ist und wohin es an seinem unvermeidlichen Ende gehen will und kann? Und wer traut sich, dem Narren zu gestehen, dass nach der Antwort noch immer gesucht wird?
In der Literatur zirkuliert ein namenloses Gedicht mit einer jahrhundertealten Vorgeschichte, in dem die nächtlichen Fragen von Heines Jüngling in den ersten drei Zeilen persönlich gewendet werden, bevor die Verse einen Dreh ins Lebensernste nehmen und den Gemütszustand von einem vielleicht ahnungs-, aber nicht hoffnungslosen Menschen in Frage stellen. Das Gedicht lautet so:[2]
Ich komme, ich weiß nicht, von wo?
Ich bin, ich weiß nicht, was?
Ich fahre, ich weiß nicht, wohin?
Mich wundert, dass ich so fröhlich bin.
Früher wurde diese gefällige Fröhlichkeit in Kirchenkreisen genutzt, um einem hohen Herrn im Himmel für dieses Glücksgefühl zu danken. Doch heute möchte man nüchterner und säkularer orientiert verstehen, warum manche Menschen sich gerade dann freuen, wenn sie vor offenen Fragen oder rätselhaften Erscheinungen in der Natur stehen und sich wundern können.
Fröhlich und freudig erregt - in dieser Stimmung befand sich der junge Albert Einstein, nachdem er Kants Erkundigungen nach den Anfängen von Raum und Zeit im frühen 20. Jahrhundert aufgenommen hatte, um sie den Philosophen zu entziehen und ihnen mit den Mitteln der Naturwissenschaft eine besondere Wendung zu geben. Einstein konnte aus den zwei Fragen der Philosophie eine der Physik machen. Er vermochte zu zeigen, dass Menschen nicht in einem (absoluten, also abgelöst gedachten) Raum leben, durch den unabhängig die (ebenfalls für absolut gehaltene) Zeit fließt, wie von Isaac Newton vorgeschlagen und von Kant philosophisch abgesegnet worden war. Einstein konnte vielmehr demonstrieren, dass das kosmische Zuhause der Erdenbürger eine relative Raumzeit ist, die dem Kosmos vier Dimensionen verleiht - drei für den Raum und eine für die Zeit. Man kann fragen, wie Einstein auf diese Idee gekommen ist und wie die Stimmigkeit seiner Überlegungen bewiesen werden konnte; dieses Buch wird dazu Auskunft geben.
Eine erstaunliche Konsequenz aus der für die Anschauung unzugänglich bleibenden Raumzeit besteht darin, dass sich mit ihrer Hilfe etwas über den Anfang der Welt sagen lässt, und zwar etwas überraschend Einfaches nach all den Komplikationen zuvor. Für diesen Anfang am Beginn der Zeit kann die Wissenschaft nämlich nach Einsteins Vorgaben einen Ausgangspunkt - wörtlich aufgefasst - angeben und benennen. Sie bezeichnet ihn als «Singularität»; im Volksmund wird er «Urknall» genannt, wobei dieser populäre Ausdruck das hübsche englische Original «Big Bang» übersetzt. Allerdings: Der britische Physiker Fred Hoyle, auf den der Ausdruck «Big Bang» zurückgeht, wollte mit seinem Wortspiel anzeigen, wie albern er so eine knallige Vorstellung fand. Auf Deutsch könnte man seine Haltung mit «Riesen Rumps» ausdrücken, wenn man sowohl die Alliteration als auch den Witz retten will.
Was auch immer beim Big Bang passiert ist, beim Betrachten des dazu nötigen physikalischen Geschehens fallen den Beteiligten aus der Wissenschaft vor allem ungeklärte und unerklärte Abläufe etwa bei den Umwandlungen der Energien ein, die sich unentwegt vollziehen müssen und nie zum Ende kommen. Es gibt namhafte Physiker, die bei aller Attraktivität und Popularität eines Urknalls skeptisch bleiben, die allmählich an dem ganzen Szenarium zweifeln und sich nicht scheuen, Heines Narr auftreten und ihn sagen zu lassen: Wer die Welt mit einem Knall beginnen lässt, der hat selbst einen. Jedes Entstehen von Raum und Zeit - und auch von Materie - bleibt bei allen Fortschritten der Physik geheimnisvoll, und genau das sorgt für das, was Einstein an der Wissenschaft gefällt und ihm Freude bereitet. Sokrates und Kant können klagen, solange sie wollen.
Einstein hat für sich etwas anderes erfahren; er weiß: «Das Schönste, was wir [die Menschen] erleben können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht.»[3] Und weil das so ist, wundert sich Einstein nicht, dass er fröhlich ist, wenn er die Dinge zu verstehen versucht und über sie nachdenkt. Er wundert sich vielmehr über Menschen, «die sich nicht mehr wundern, nicht mehr staunen» können.
Wer sich in der Geschichte der Physik umsehen konnte, hat sicher von dem schönen Satz gehört, den der große Isaac Newton geschrieben hat, nachdem er auf die Ideen gekommen war, die sich in den Bewegungsgleichungen zeigen, die heute in den Schul- und Lehrbüchern stehen. Mit Newtons Gesetzen zeigten sich Menschen erstmals in der Lage, das Umlaufen von Planeten am Himmel präzise zu verstehen. Aber der berühmte Mann blieb bescheiden. Newton meinte nach seinem historischen Erfolg, er komme sich vor wie ein kleiner Junge, der am Strand eine Muschel findet und sich darüber ausgelassen freut, während er zugleich den Ozean vor Augen hat und damit weiß, dass er in seiner enormen Ausdehnung und Tiefe noch unerforscht vor ihm liegt und die Neugierde nicht zur Ruhe kommen lässt. Das Geheimnisvolle zu spüren, wird auch hier zu dem Schönen, das einen Menschen fröhlich werden lässt. Vielleicht gehen Menschen deshalb so gerne am Strand spazieren. Mit dem Blick auf die Wellen und den Horizont ahnen sie etwas von der Unendlichkeit, die in der Welt mit ihren Geheimnissen steckt und sie anlockt.
Nicht nur große, sondern selbst einfache Fragen führen selten zu einer einzigen und klaren Antwort, mit der dann alles geklärt - aufgeklärt - ist. Vielmehr können oftmals mehrere Erwiderungen oder Erläuterungen gleichberechtigt nebeneinander bestehen, wie auch Kafka in seinen Tagebüchern feststellt. So selbstverständlich dies ist, es bedeutet nicht nur nebenbei, dass nach jeder erläuternden Feststellung weitere Fragen auftauchen, deren Antworten dann dasselbe Schicksal erfahren, wie in den Zeilen zu lesen ist, die Erich Kästner «Sokrates zugeeignet» hat: Das Fragen bleibt den Menschen aufgegeben. Mit seiner Hilfe können sie schrittweise das Wissen ansammeln, über dessen Erwerb sie sich dann ein Leben lang freuen können, weil es nie zum Abschluss kommen wird.
Es gilt, sich klarzumachen, dass die eben geschilderte Situation bei aller Neugierde gerade das nicht liefert, was Philosophen der Aufklärung im Grunde ihres Herzens erwartet haben. In ihrer Sicht können Menschen vernünftige Fragen über die Welt stellen und darauf vernünftige Antworten geben, und mit ihnen wissen sie dann ein für alle Mal Bescheid. Das meinten Kant und seine Kollegen. Aber die Verhältnisse, sie sind nicht so. Auf vernünftige Fragen - «Was ist Licht?» oder «Was ist Wasser?» - gibt es mehrere vernünftige Antworten: Licht ist Welle und Teilchen zugleich, und Wasser ist sowohl ein Molekül (H2O) als auch eine Flüssigkeit.[4] Und diese Antworten können sich sogar widersprechen. Das ist in der Epoche, die nach der Aufklärung kam, den neugierigen Menschen erstmals aufgefallen und hat ihnen dann sogar gefallen. Gemeint ist die Romantik. Deren Vertreter bemerkten auch, dass es neben den in der Welt vorgefundenen Tatsachen noch die von Menschen geschaffenen Werte gibt. Auch sie spielen bei vielen Antworten mit - und beileibe nicht nur bei Diskussionen über Themen der Art: «Was muss man wissen?», «Auf wen soll man hören?», «Was ist ein gutes Leben?» oder «Was macht einen Menschen fröhlich?» Sondern auch, wenn man zum Beispiel herausbekommen möchte, warum die Sterne funkeln und warum sie nicht vom Himmel fallen. Eine zufriedenstellende Antwort darauf kann sich nicht auf physikalische Tatsachen beschränken. Eine «rationalistische Erklärung», wie...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.