Schweitzer Fachinformationen
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An jenem Morgen im April vor drei Jahren stand Jasper um kurz nach vier Uhr in der Ankunftshalle des International Airport von Bombay und wartete auf die verspätete Landung der Lufthansa-Maschine aus Frankfurt. Von seinem Platz am Aussichtsfenster konnte er die Rollfelder mit den startenden und landenden Maschinen im Auge behalten. Er fragte sich, ob er Stromberg erkennen würde. Manchmal gelang es ihm, einen Menschen zu erkennen, den er nie zuvor gesehen hatte, einfach anhand der Erinnerung an seine Stimme am Telefon.
Bis auf die Rollfeldbeleuchtung und die Scheinwerfer der Düsenjets lagen die Startbahnen in der Dunkelheit, aber selbst um diese Nachtzeit war es noch so heiß, dass Jasper schwitzte. Er hatte zu schwitzen begonnen, kaum dass er aus dem Taxi gestiegen war, und er schwitzte weiter, während er wartete. Er stellte sich vor, die Markierungslampen längs der Startbahnen wären herabgefallene Sternbilder, etwas Kühles aus dem Himmel, denn wenn Stromberg ihm gegenüberstand, wollte er kühl und souverän wirken.
In der Scheibe spiegelte sich die belebte Halle, das Gewimmel aus Turbanen, Kopftüchern und bunten Gewändern. Die Leute, die mit ihm auf die zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens eintreffenden Linienflüge warteten, wirkten müde, aber nicht ungeduldig, im Gegensatz zu den an den Ausgängen herumstehenden Polizisten und Soldaten mit ihren verkniffenen Mienen. Die schwach flackernde Beleuchtung der Halle verlieh allen ein kränkliches Aussehen, dem Flughafenpersonal, den Geldwechslern an den Bankschaltern, den Gepäckträgern, den Taxifahrern, den ankommenden Passagieren und denen, die sie abholen wollten.
Eine harte weibliche Stimme verbreitete über die knisternde Lautsprecheranlage Informationen, die durch das schlechte Englisch der Sprecherin etwas irritierend Geheimnisvolles erhielten. Jasper lauschte, versuchte den Namen Stromberg herauszuhören. Passenger Mister Stromberg, arrived with Lufthansa flight 375from Frankfurt, please come to the information desk immediately. Passenger Strombergfrom Frankfurt .
Immer wieder schaute er auf seine Armbanduhr und streifte anschließend die Flughafenuhr mit ungeduldigen Blicken. Es kam ihm vor, als hätte er sein halbes Leben damit zugebracht, an irgendeinem Fenster zu stehen und zu warten. Ein paar Schritte entfernt von ihm saß eine junge Frau auf einem kleinen Kunststoffkoffer und sah ihn an wie jemand, der hofft, wieder erkannt oder angesprochen zu werden. Sie trug Bluejeans, Sandalen und ein olivfarbenes T-Shirt. Ihre Hände waren unablässig in Bewegung: kleine, nervöse Gesten, knöpfend, zupfend, schnippend. Ihre dunklen Augen waren groß vor Übermüdung, die Lippen aufgeworfen, und die Blässe ihrer Haut verlieh ihr einen Hauch von Verlorenheit. Das kurz geschnittene blonde Haar war so fein, dass die Spitzen über der Stirn im kaum spürbaren Luftzug der Klimaanlage leicht zitterten.
Kurz erwog Jasper, ihr den Gefallen zu tun und sie anzusprechen, nur aus Neugier, unterließ es dann aber. Er hielt sie für eine Französin, und seine Französischkenntnisse waren begrenzt. Außerdem wusste er nie, was er in solchen Momenten sagen sollte. Wenn es nicht um Aktien oder andere Vermögenswerte ging, fiel ihm selten eine halbwegs intelligente Gesprächs-eröffnung ein. Auf Fragen reagierte er mit den falschen Antworten, die Unterhaltung entglitt ihm, oder er verlor den Faden, und am Ende war die Frau genauso enttäuscht und verärgert wie er selbst. Er hatte sich mit diesem Unvermögen abgefunden; Liebe verging, Immobilienbesitz blieb. Und Ellen, vielleicht blieb sie auch.
Der Lärm der anfliegenden Maschine drang in die Halle. Jasper stellte sich die mächtigen Gummireifen vor, wie sie die Piste berührten, wieder abhoben und endlich quietschend Vertrauen fassten. Sein Lieblingsmoment beim Fliegen, Schwerkraft plus Grazie und nochmal davongekommen . Das Landed-Zeichen auf der Ankunftstafel leuchtete auf. Etwas später passierten die ersten Ankömmlinge aus Deutschland die Zoll- und Visakontrolle. Das Gepäckband in der Abfertigungshalle begann seinen Kreislauf.
«Passenger Mr. Stromberg from Frankfurt, please contact Mr. Mozart at the information desk», verkündete die blecherne Frauenstimme, und Jasper begab sich zur Information. Die Französin mit dem kurz geschnittenen blonden Haar sah sich unruhig um, bevor sie aufstand und ihm folgte. Ihr Koffer war so schwer, dass sie ihn immer wieder von einer Hand in die andere wechselte.
Ein Dutzend Passagiere marschierte mit Koffern und Taschen durch die Absperrung, wo es von einer Traube lärmender Taxifahrer bestürmt wurde. Keiner der Fluggäste sah so aus, wie Jasper sich Stromberg vorstellte. Er dachte an die anderen, Ellen, Naomi, David und Mark, die im Hotel warteten, und was sie machen sollten, wenn Stromberg nicht in der Maschine wäre. Er versuchte, die Aufmerksamkeit der Flughafenangestellten hinter dem Mikrophon zu erregen, damit sie die Durchsage noch einmal wiederholte. Als sie ihn endlich registrierte, sagte er: «Could you repeat the message for Mr. Stromberg, please?»
Auch von den anderen wusste keiner, wie der Mann aussah, mit dem sie hier in Bombay verabredet waren. Erst kurz vor dem Abflug aus London hatten sie per E-Mail erfahren, unter wessen Leitung das Seminar stattfand; Löckchen hatte es als Erste so genannt, das Kampfzonen-Seminar. Sie kannten seinen Namen, natürlich, Stromberg war eine Legende, aber zu alt, als dass sie sich jemals ernsthaft mit ihm befasst hatten. Bestimmt existierten Fotos von ihm, sie hätten bloß im Internet nachschauen müssen. Aber zu Hause hatte keiner daran gedacht, und hier gab es keine Möglichkeit mehr. Die Anweisungen waren eindeutig: keine Laptops, kein Besuch in Internet-Cafés, keine Kommunikation außerhalb der Gruppe. Stromberg hatte Jasper ausgewählt, damit er die Einhaltung der Gebote - auch diesen Begriff hatte Löckchen geprägt - überwachte, und er achtete darauf, dass keiner aus der Reihe tanzte. Er allein wusste, weswegen sie hier waren, welchem Ziel der Trip diente, und wenn der richtige Zeitpunkt da war, würde er es einem anderen aus ihrer Mannschaft mitteilen, das Privileg teilen. Er dachte, dass es Löckchen sein würde. Vielleicht bedeutete er ihr noch nicht so viel, wie es ihm wünschenswert erschien, aber damit hielt er einen Trumpf in der Hand, mit diesem Wissen. Und es gab die kleinen Gesten, die ihm an ihr aufgefallen waren. Sie sprach zu ihm, ohne Worte und noch ohne Berührungen, und dennoch verstand er sie. Es erregte ihn, dass sie sich Zeit ließ. Er konnte manchmal nicht einschlafen, weil er an sie dachte; es war ein süßes Gefühl, zart, ein sachtes Pochen.
Im selben Augenblick hörte er eine Stimme hinter sich sagen: «Jasper? Jasper Mozart?» Er wandte sich hastig um, überrascht, dass Stromberg ihn beim Vornamen nannte. Aber der Mann, der vor ihm stand, war nicht der, den er erwartete. Er war schlank und jung und trug einen beigen Leinenanzug von Peek & Cloppenburg zu einem Khakihemd, außerdem eine rote Baseballkappe, graue Prada-Turnschuhe und einen Nylonrucksack. Zu seinen Füßen stand ein Aluminiumkoffer. «Mo!», entfuhr es Jasper. «Scheiße, was machst du denn hier?»
Moritz lächelte. Sein Blick überwand einen Moment der Unsicherheit, der auf die Überraschung gefolgt war, als hätte er die Begegnung vielleicht doch lieber vermieden, jetzt, wo es zu spät war. «Ich dachte - bist du nicht hier, um mich abzuholen?»
«Ich hatte überhaupt keine Ahnung, dass du kommst», antwortete Jasper. «Ich bin hier, um Stromberg abzuholen.»
«Stromberg ist noch nicht da?»
«Nein.» Jasper hielt weiter Ausschau, beobachtete die Passagiere, die hinter Moritz zu den Fahrern der Taxis gingen. «Er hat ein Telegramm geschickt, dass er heute aus Frankfurt kommt, mit dem Lufthansa-Flug, der eben gelandet ist.»
«Vielleicht hat er die Maschine verpasst», sagte Moritz. «Jedenfalls saß er nicht drin.» Er nahm die Baseballkappe ab, fuhr sich mit der Hand über das Haar und setzte die Kappe mit dem Schirm nach vorn wieder auf.
«Du weißt, wie er aussieht?»
Moritz nickte. «Ich habe ihn mal bei Goldman Sachs kennen gelernt. Ich dachte, er wäre längst hier, bei euch. Ich dachte, ich würde euch vielleicht gar nicht mehr antreffen, weil ihr schon weitergefahren seid. Und eben, als ich deinen Namen gehört habe, dachte ich, du wärst hier, um mich abzuholen.»
«Kein Mensch wusste, dass du kommen wolltest. Du gehörst nicht mehr zu unserem Verein, schon vergessen?»
«Du könntest mal wieder zum Friseur gehen.» Moritz räusperte sich. «Wir sind doch noch Freunde?», fragte er mit einem Anflug von Sorge in der Stimme. Sein Mund, der stets etwas Schmollendes hatte, zitterte leicht, wahrscheinlich vor Erschöpfung von dem langen Flug. Auch seine Lider unter der hohen Stirn hingen tiefer über die dunkelbraunen Augen herab als sonst, und das rundliche Kinn zeigte einen Bartschatten. Das rötlich blonde Haar, das er in London zu einem Pferdeschwanz gebunden getragen hatte, war nun streichholzkurz geschnitten und an einigen Stellen schweißverklebt.
Jasper ließ sich Zeit mit der Antwort, dann konnte er sein Lächeln nicht mehr verbergen. «Klar sind wir das.» Er widerstand der Versuchung, Moritz zu umarmen und an sich zu pressen. «Sag mal, was willst du überhaupt hier?»
«Löckchen», antwortete Moritz leise. «Ich bin wegen Löckchen da.»
Jasper hielt das Lächeln aufrecht, bis es zu schmerzen begann. Er warf einen letzten nervösen Blick auf den Ausgang der wieder verwaisten Abfertigungshalle, dann griff er nach dem Koffer, der zwischen ihm und Moritz stand. «Mein Gott, ist das dreckig hier! Komm, lass uns...
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