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Genau genommen komme ich aus Köln, doch das zählt in diesem Kontext nicht so richtig, da ich 1967 lediglich dort geboren wurde, meine Familie aber kurz danach schon wieder umgezogen ist. Denn mein Vater wurde damals öfters während seiner Offizierslaufbahn bei der Bundeswehr befördert, was zumeist mit einem Ortwechsel einherging. So landeten wir schließlich in einem Dorf bei Hannover, wo Anfang der 1980er-Jahre meine Punkzeit begann.
Frühste Erinnerungen habe ich noch an Bravo- Artikel Ende der 1970er über die Sex Pistols, doch die Musik hörte ich mir erst etwas später an, denn zu dieser Zeit waren Kiss und AC/DC die Favoriten. Im Tante-Emma-Laden an der Ecke gab es "Punk"-Wundertüten mit Plastik-Sicherheitsnadeln; hätte ich die mal bloß aufgehoben . 1980 begegnete ich während einer Ferienfreizeit in Bispingen bei Hamburg den ersten Punks - Mann, waren die cool! Jeder starrte sie fassungslos an, und die haben sich nur darüber amüsiert. Zwei Jahre später kam ich durch einen älteren Kumpel mit der ersten LP von den Dead Kennedys und Black Flag in Berührung: Hammermucke, und vor allem härter als AC/DC!
Mein Kumpel Axel, der dieselbe Schulklasse wie ich besuchte, war von denselben Bands angefixt. Bei Musicland und Music Star in Hannover wurden wir fündig, doch aufgrund unserer eingeschränkten finanziellen Mittel konnten wir uns nur ab und zu mal eine LP leisten, die bei der großen Auswahlmöglichkeit möglichst eine Neuerscheinung sein musste und später für Freunde auf Kassette überspielt wurde. So gingen 77er-Punk-LPs sowie Single-Veröffentlichungen generell erst einmal an uns vorbei. Fast, denn die Erstausstrahlung des Films Rock'n'Roll Highschool im ARD-Fernsehen kam einer Offenbarung gleich, ebenso wie die zur selben Zeit auftauchende gigantische "Gabba-Gabba-Hey"-Verzierung auf dem Boden unseres Schulpausenhofs. Diese stammte von etwas älteren Schülern, die, ebenfalls angefixt von den Ramones, bei den Lehrern schon durch das Tragen von Rotzkotz- Badges unangenehm auffielen. Mit dabei war auch die Tochter unserer Mathe-Lehrerin, die sich sehr für ihren Nachwuchs schämte. Auch wir fielen durch unsere mit Bandnamen und Sprüchen bemalten Bundeswehrhosen auf und bekamen mit den meisten Lehrern Probleme; so hieß es beim Elternsprechtag häufig, man könne sich ja nicht gegen das Äußere wehren, wenn schlechte Noten verteilt wurden .
Eines Tages, es muss 1983 gewesen sein, machte mich Axel darauf aufmerksam, dass es in unserer Schule noch einen weiterer Punkrocker gab, mit grün gefärbtem Iro, Nietenjacke und Springerstiefeln. Der hieß Mücke, und wir freundeten uns schnell mit ihm an. Mücke war ein Jahr älter als wir und wohnte mit seiner Familie zwei Käffer weiter im letzten Haus am Waldesrand. Wir besuchten ihn öfters dort und hörten Platten von Angry Samoans, Stosstrupp und vor allem Riistetyt, denn Finnland-Punk war das bisher Härteste, was wir kannten, und Bandnamen wie Appendix und Kansan Uutiset wurden in den folgenden Monaten immer häufiger auf Lederjacken gesichtet. Mückes Mutter war "trocken", hatte jedoch nichts dagegen, wenn wir mit einem Kasten Bier auftauchten, es uns in Mückes Zimmer gemütlich machten und dort manchmal an Wochenenden übernachteten. Für den Nachdurst wurde ein großer Wasserkrug, von uns als "Humpen" bezeichnet, bereitgestellt.
1984: Bemalte Lederjacke und London mit Mücke
Natürlich ließen wir uns auch an Hannovers Bahnhofsvorplatz "Unterm Schwanz" blicken und zechten dort fröhlich mit anderen Punks aus der Stadt, von weiter außerhalb sowie aus anderen umliegenden Vororten. Von den älteren wurden wir oft abfällig als "83er-Spätlese" bezeichnet, doch das war uns egal: Hauptsache raus aus dem Kaff und Gleichgesinnte treffen. Die deutschen und bei der Armee stationierten englischen Skins blieben zu dieser Zeit immer häufiger unter sich; die Meinungsverschiedenheiten und Feindseligkeiten zwischen uns und ihnen nahmen zu. Auf dem Weg zum Adicts-Konzert 1984 wurden wir an der Bahnhaltestelle unweit des UJZ Kornstraße von sogenannten White Skins gewarnt, dass es "ab heute Krieg" geben würde, und nach den Prügeleien im Anschluss an das einige Monate später stattfindende Black-Flag- Konzert und den darauffolgenden Auseinandersetzungen in der Innenstadt war es mit "united" komplett vorbei. Auch in unserem Dorf gab es vermehrt Reibereien, zum Beispiel mit der "Wehrsportgruppe Wöhler", einem Zusammenschluss älterer Dorfprolls, die es sich - zahlenmäßig völlig überlegen - natürlich nicht nehmen ließen, uns bei einem Dorffest während des Auftritts der Disco-Gruppe Baccara durch den Ort zu jagen.
Ein weiterer Mitschüler, der sich zu uns gesellte, war Holger. Ab und zu gab ich vor, bei ihm zu übernachten; abends schlichen wir uns über den Balkon nach draußen und fuhren per Anhalter in Hannovers Innenstadt, um die Nächte durchzufeiern. Als die erste Böhse-Onkelz- LP auf Rock-O-Rama erschien, wechselte Holger zu den Skins, blieb jedoch im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen "punk-loyal". Ein wenig später gesellte sich Andi zu uns: Er wohnte ein paar Dörfer weiter, und dort verorteten wir unseren ersten Proberaum und verzierten unsere Lederjacken mit Grabschleifen, die wir vom örtlichen Friedhof entwendet hatten. So, dachten wir, ließe sich die Dorfbevölkerung am meisten schocken. Und tatsächlich: Nicht einmal der Scorpions-Sänger nahm Andi in seinem Mercedes mit, wenn dieser auf dem Weg zur Schule mal wieder per Anhalter unterwegs war. Weil ich fand, dass Andi vom Aussehen und seinem Gebaren dem rosaroten Panther ähnelte, verpasste ich ihm den Namen Paul, und wir hatten fortan viel Spaß in gemeinsamen Bands. Auch Paul feierte die Rock-O-Rama-Finnland-Platten ab; rein zufällig hatte er sogar die Halloween-LP von Terveet Kädet in rotem Vinyl bei Musicland ergattern können. Axel hingegen ärgerte sich, dass seine Bastards- LP, ebenfalls dort erstanden, innerhalb der ersten drei Lieder "sprang", was jedoch nicht auf Kratzer, sondern eine fehlerhafte Pressung zurückzuführen war. Durch den "Finnland-Boom" war unser Fokus stark auf das Rock-O-Rama-Label gerichtet, und anhand der LP-Posterbeilagen erfuhren wir von den früheren Label-Veröffentlichungen und schafften uns langsam, aber stetig Tonträger von Bands wie B.Trug, Chaos Z und OHL an. Die immer als Erstes auf den Beilagen abgebildete Vomit-Visions-EP besaß niemand, den wir kannten, und so rätselten wir lange, was das genau für Musik sein könnte. Durch Fanzines erfuhren wir etwas später von den stetig wachsenden Boykottaufrufen gegen Rock-O-Rama und machten unserem Unmut über die Machenschaften von "Rock-O-Raff" durch einen kurzen Artikel in unserem eigenen Fanzine Luft. Unser Wissen über das Label hielt sich jedoch stark in Grenzen. Da wir unser Taschengeld lieber samstags am Bahnhof versoffen, kamen wir erst später mit den ROR-Vertriebslisten in Kontakt. Und da man zu dieser Zeit Musik noch nicht per Internet erschließen konnte, waren uns Bands wie Combat 84 oder Skrewdriver lediglich von den Abbildungen auf den LP-Beilagen der beiden ROR-Finnland-Sampler bekannt.
Heutzutage besitzt das Rock-O-Rama-Label Kultstatus. In unzähligen Angeboten wird auf Portalen wie Ebay der Name als Verkaufsanreiz verwendet. Den meisten Interessierten ist es jedoch nach wie vor ein großes Mysterium geblieben, was es mit der Plattenfirma und deren Chef Herbert Egoldt tatsächlich auf sich hatte, der bis zu seinem Tod im Jahr 2005 das Licht der Öffentlichkeit scheute, anfangs jedoch aufstrebenden Punkbands eine Chance gab, durch oftmals klanglich eher dürftige Studioaufnahmen in Erscheinung zu treten. Mittlerweile genießen einige dieser Veröffentlichungen sogar in Nicht-Punk-Kreisen ein sehr hohes Ansehen, was sich wohl am ehesten damit erklären lässt, dass es in einem Zeitalter steriler Digitalaufnahmen und aufgesetzter Revolutionsparolen vielen musikalischen Neuerscheinungen schlicht an Authentizität mangelt und die Sehnsucht nach früheren Zeiten noch immer zahlreiche Menschen beflügelt, die alten Rock-O-Rama-Platten abzuspielen oder für teures Geld nachzukaufen.
Vielen dieser internationalen Punk- und Hardcore-Bands, die hier durch ihre Aussagen die Kapitel füllen, wurde zuvor nie oder sehr selten Gelegenheit gegeben, sich ausführlicher zu ihrer Geschichte, zum Label-Kontakt sowie ihrer Studioproduktion zu äußern. Und da ich selbst weder im Rock-O-Rama-Plattenladen war, noch den Label-Inhaber persönlich kennengelernt habe, möchte ich anstelle von persönlichen Analysen lieber die Personen...
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