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Andreas Rauscher betrat den Jumbo von Cathay Pacific, der ihn via Hongkong nach Bali fliegen sollte, atmete erleichtert auf und tippte noch schnell eine SMS an Lena, seine Geliebte:
"Hallo Liebesengel. Bin jetzt in der Maschine auf dem Weg ins Paradies und freue mich auf Meer, Strand und Palmen. Vermisse dich schon jetzt. Tausend Küsse."
Er schaltete das Handy aus, und seine gute Laune war kaum zu überbieten. Es war nicht nur Reiselust, die den Kommissar aus Frankfurt nach Bali trieb, es war vor allem sein katastrophaler körperlicher und geistiger Zustand. Er war ausgelaugt und hatte Urlaub dringend nötig. Sein Chef hatte in Anbetracht seiner Verfassung den Urlaubsantrag ohne Murren und Maulen genehmigt und unterschrieben. Da war Rauscher sofort Bali eingefallen. Bali - allein schon dieser Name reizte ihn. Und nun bot sich ihm die Gelegenheit. Rauscher, 1,80 m groß, mit kräftigen Gesichtszügen, schwarzem Haar und Dreitagebart, verstaute sein Handgepäck und machte es sich direkt am Gang auf Platz C38 bequem. Am Gang saß er gerne. Er konnte aufstehen wann er wollte, ohne erst umständlich jemanden bitten zu müssen. Nach dem Anschnallen erhaschte er, vorbei an seinem korpulenten Nachbarn, einen letzten Blick aus dem Fenster auf den Frankfurter Flughafen, dann setzte sich die Maschine in Bewegung.
Endlich geht's los, dachte er. Kurze Zeit später befand sich der Flieger in 11.000 Metern Höhe.
Monate voll anstrengender Ermittlungsarbeit lagen hinter ihm: die Aufklärung eines Serienmordes, Ärger mit den Kollegen und feingesponnene Intrigen. Neben dem beruflichen Stress lief auch sein Privatleben nicht wunschgemäß. Seine Seele war angeknackst und er brauchte etwas Abstand von Lena. Seit Jahren genoss er jede einzelne Sekunde mit ihr, doch in letzter Zeit nagte wieder der Zweifel an ihm, ob sie jemals ihren Mann verlassen würde? Lena war noch verheiratet. Noch? Redete er sich bloß ein, dass sie ihren Mann für ihn verlassen würde? Zurzeit jedenfalls konnte oder wollte sie sich nicht entscheiden, obwohl Rauscher sie seit drei Jahren bedrängte, ihn zu heiraten. Aber an eine Scheidung war im Moment nicht zu denken, aus Rücksicht auf ihren Sohn Julian, wie sie sagte.
Immer wenn Rauscher darüber nachdachte, fragte er sich automatisch, wie lange er diesen Spagat wohl noch ertragen würde. Verbrechen, Hektik, Kommissariat auf der einen Seite, Zweisamkeit, Einsamkeit und Tristesse in seiner Bockenheimer Altbauwohnung auf der anderen. Zum Glück gab es noch andere Seiten.
In ein paar Stunden würde er am azurblauen Meer liegen, unter Palmen einen Cocktail nach dem anderen trinken und sich maximal entspannen. Rauscher konnte es kaum erwarten. Nichtstun. Faulenzen. Erholen. Das war seine Devise für diesen Urlaub. Die Frau im Reisbüro hatte ihm von den freundlichen und angenehmen Menschen, von den Reisfeldern und den Stränden auf Bali vorgeschwärmt. Aber er wollte sich selbst ein Bild machen. Er war gespannt und freute sich auf zwei kostbare Wochen.
Damit er nicht ganz verloren dastand, holte er den Bali-Reiseführer hervor, den er extra besorgt hatte, und las einige Passagen. Immer wieder stieß er auf fremd anmutende Sätze: "Nach hinduistischem Glauben ist der Körper eines Menschen lediglich Hülle, Hülle der Seele. Wenn jemand stirbt, wird die Seele freigelassen, der Körper löst sich auf und tritt in die Welt der Götter ein".
Rauscher versuchte sich den Satz einzuprägen. Eine blonde Frau mittleren Alters lief im Gang vorbei und sprach ihn an:
"Sie wollen auch nach Bali?"
"Ja, soll sehr schön sein."
"Traumhaft, sag ich ihnen. Ich war schon fünf Mal da."
"Ich bin gespannt."
"Vielleicht laufen wir uns ja mal über den Weg. Bis bald." Sie nickte und ging weiter. Dann las er wieder im Reiseführer und stieß auf einen Satz, den er amüsant fand:
"'Kleinen Tod' nennen die Balinesen den Übergang von einem zum nächsten Lebensabschnitt. 'Kleine Wiedergeburt' heißt der Beginn des neuen Lebens".
Er glaubte, sich an ähnliche Sätze erinnern zu können, früher, als sie im Religionsunterricht das Thema Hinduismus durchgenommen hatten.
Dann stieß er wieder auf einen Satz, der seine Aufmerksamkeit weckte: "Das Denken der Balinesen wird geprägt von Samsara, dem unaufhörlichen Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt der Seele. Zu Lebzeiten sind die Balinesen fröhlich und unbeschwert, denn sie erwarten eine noch glücklichere Zeit nach dem Tode - im Jenseits. Das oberste Ziel eines jeden Hindu ist es, ins Nirwana einzugehen und nicht mehr wiedergeboren werden zu müssen."
Er hatte für den Moment genug von Tod, Wiedergeburt und Göttern, legte den Reiseführer beiseite und die Müdigkeit übermannte ihn. Von den anschließenden zehn Stunden bis Hongkong bekam er so gut wie nichts mit.
Sowohl Abendessen als auch Frühstück verpasste er. Sein Schlaf war tief und durchdrungen von wirren Träumen aus der jüngeren Vergangenheit: Bilder einer nackten Frauenleiche im Bahnhofsviertel, der ein ganzer Arm abgerissen war; eine wilde Jagd im Polizeiwagen nach einem Profikiller quer durch Frankfurt, die unsanft an einem Laternenpfahl endete.
Als die Maschine im Landeanflug auf Hongkong war, kam er wieder zu sich, reckte und streckte sich und spürte, dass er Hunger hatte. Er rieb sich die Augen, strich die zerstruppelten schwarzen Haare glatt, schüttelte den Kopf und sagte zu sich selbst:
"Andreas, Andreas, das geht so nicht weiter. Du musst unbedingt abschalten."
Die lächelnde, asiatische Stewardess brachte ihm schnell noch ein Bier. Ihr federnder und schwereloser Gang erinnerte ihn an eine Elfe. Nur blond war sie nicht. Kurze Zeit später landeten sie.
Den zweistündigen Aufenthalt nutzte er, um im Hongkong Airport eine Nudelsuppe zu essen und noch ein Bier zu trinken. Er dachte dabei an die adrette Stewardess und überlegte, ob die übertriebene Freundlichkeit, mit der sie den Fluggästen begegnete, nur gespielt war oder ob die Asiatinnen wirklich dem gängigen Klischee entsprachen.
Dann schrieb er wieder eine SMS an Lena: "Hallo Liebesgöttin. Bin in Hongkong und denke an dich."
Fünfzehn Minuten später saß er in der Maschine nach Denpasar, der Hauptstadt Balis. Eine Inderin mit sehr zarten und eleganten Gesichtszügen stellte sich per Mikrofon den Passagieren als First Officer der Flugbegleiter vor und erteilte Instruktionen bezüglich der Sicherheit an Bord. Er war gebannt von der Schönheit dieser Frau.
Doch jäh wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Sein Nachbar, ein etwa fünfzigjähriger Asiate, hatte Rauschers Becher umgestoßen, und das Bier lief an beiden Seiten seines Tisches herunter.
"Prost Mahlzeit", sagte Rauscher, zog seine Beine ein, damit sie nicht nass wurden und kümmerte sich nicht weiter darum. Der Nachbar entschuldigte sich unaufhörlich, aber Rauscher beachtete ihn nicht. Er wollte sich seine Urlaubsstimmung nicht verderben lassen. Dafür war seine Vorfreude zu groß.
Weil er schon wieder Hunger verspürte, achtete er darauf, nicht einzuschlafen. Nach gut einer Stunde kam das Essen, Reis mit Huhn in Currysauce. Das Pappbrötchen rührte er nicht an. Aber der Nachtisch schmeckte ihm. Eine luftige Creme mit Früchten. Diesmal verging der Flug im Nu und ohne weitere Zwischenfälle landeten sie in Denpasar.
Als Rauscher das Flugzeug verließ, schlug ihm die feuchte Hitze brachial entgegen. Kaum zwei Minuten im Terminal, um die Einreiseformalitäten zu erledigen, hatte er seinen ersten Schweißausbruch. Dicke Schweißperlen standen auf seiner Stirn, die er mit dem rechten Handrücken abwischte. Der balinesische Beamte lächelte ihn an, als er Rauscher den Reisepass zurück gab, und sagte: "Willkommen auf Bali."
Rauscher wunderte sich, dass der Beamte Deutsch sprach und antwortete freundlich: "Danke sehr."
Es war nicht viel los im Flughafengebäude. Kaum neue Gäste waren angekommen. Rauscher fragte sich, ob das noch die Nachwehen des islamistischen Bombenanschlags von Kuta im Sari Club waren. Der Anschlag hatte für weltweites Aufsehen gesorgt und ging durch alle Medien.
Am Gepäckband nahm er seinen Koffer und verließ das Flughafengebäude.
Draußen blickte er sich genüsslich um. Sonnenstrahlen blinkten vom blauen Himmel; große Palmen säumten die staubige Straße; überall wuchsen grüne Pflanzen und buntschillernde Blumen. Zum ersten Mal in Asien und gleich im Paradies, dachte er.
Die erlesene Höflichkeit der Balinesen machte sich schon am Flughafen bemerkbar. Sein Reiseleiter begrüßte ihn überschwänglich. Er trug einen rot-blauen Rock. Einen Sarong, wie er sich später sagen ließ. Sie verluden schnell das Gepäck, er stieg ein und schon fuhr der Fahrer mit einem alten japanischen Kleinbus los zum Hotel.
Es war inzwischen später Nachmittag. Das turbulente Bali schwappte ihm hier im Süden ungebremst entgegen. Viel Verkehr und Abgase umnebelten seine Sinne, und er wünschte sich nach dieser anstrengenden, langen Reise nichts sehnlicher, als schnellstens ins Hotel und endlich zur Ruhe zu kommen.
Im Bus schrieb er noch eine SMS: "Hallo Liebes. Bin angekommen und schwitze. Bali ist noch schöner, als ich es mir vorgestellt habe. Ganz liebe Leute, fast aufdringlich. Die lächeln ständig."
Im Vorbeifahren schaute sich Rauscher die Gegend an. Der Reiseleiter hatte ihm ein monumentales Denkmal unmittelbar am Flughafen gezeigt "Die Statue des Ghatothkach". Sie stellte eine Szene aus dem Mahabharata, dem großen Epos des Hinduismus dar.
Rechts von der Straße standen einige Mangrovenbäume in sumpfiger Erde. Rauscher sah ein paar kleine Tempel, und der Reiseleiter machte ihm Vorschläge,...
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