Elemente der Täuferlehre
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts formierte sich in Süddeutschland und in der Schweiz eine neue religiöse Bewegung, die sich in mehreren Punkten vom lutherischen Protestantismus unterschied. Auf den Besuch von Gottesdiensten drangen die Täufer nicht und auf dog-matische Auslegungen der Schrift legten sie keinen großen Wert. Die Erbsünde, die Trinität und die lutherische Rechtfertigungslehre lehnten sie ab und im Abendmahl sahen sie lediglich eine Erinnerungsfeier und eine Erneuerung des Bundes mit Gott. Darüber hinaus lehnten die Täufer es ab, Waffen zu tragen und Eide zu leisten, aber die Ablehnung der Kindstaufe wurde zu ihrem Markenzeichen.
Man kann das Phänomen Wiedertäufer nicht verstehen, wenn man sich nicht mit den Hauptgedanken und den sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen vertraut macht, die dem täuferischen Denken zugrunde liegen. Es sind im Wesentlichen vier Elemente, die es bei der Beschäftigung mit den Täufern zu beachten gilt.
1. Die Erwachsenentaufe
Weil die Anhänger dieser christlichen Glaubenslehre sich gegen die Taufe von Kindern wandten und stattdessen nur die Taufe von Erwachsenen anerkannten, nannte man sie "Wiedertäufer". Die Täufer argumentierten völlig zu Recht, dass sich die Kindstaufe aus der Bibel nicht ableiten lässt. Johannes der Täufer hat im Wesentlichen Erwachsene getauft und keine Kinder. Es macht aus heutiger, aufge-klärter Sicht durchaus Sinn, nur Menschen in eine religiöse Gemeinschaft aufzunehmen, die sich bewusst dafür entschieden haben. Bei der Kindstaufe entscheiden andere darüber, welcher Religion eine Person angehören soll, nicht aber die Person selbst.
Die Kindstaufe ist vor allem aus Gründen der Machtausweitung und -erhaltung eingeführt worden. Erwachsene können zum Angebot einer Taufe Ja oder Nein sagen, Säuglinge aber können das nicht. Daher blieb auch Luther bei der Kindstaufe, denn er wusste, dass der Protestan-tismus schnell ins numerische Hintertreffen gegenüber den Katholiken geraten würde, wenn er nur Menschen taufte, die einer Taufe zustimmen. Die Angst vor einem Machtverlust der Kirche ging so weit, dass in manchen Gegenden Deutschlands auf das Spenden und Empfangen der Erwachsenentaufe die Todesstrafe stand.
2. Endzeiterwartung
Die Hinwendung zur Erwach-senentaufe war jedoch nicht der einzige Unterschied zu den Lehren der Katholiken und denen der protes-tantischen Lehren. Die Prophezeiungen der Bibel nahmen die Täufer recht wörtlich und sie erwarteten eine baldige Wiederkehr des Herrn und den Anbruch eines tausendjährigen glückseligen Reiches. Der Tag des Jüngsten Gerichts und die Wiederkehr Christi standen in ihren Augen unmittelbar bevor.
Der Tuchweber Nikolaus Storch (1500-1536) aus Zwickau gilt als früher Apologet der Täuferbewegung und seine Vorstellungen vom baldigen Ende der Welt entsprechen denen der münsterschen Täufer. Nikolaus Storch rühmte sich göttlicher Offenbarungen und umgab sich mit 12 Aposteln und 72 Jüngern. Er weissagte bereits im Jahre 1521, dass Gottes Gericht bald über die Erde hereinbrechen werde. In fünf bis sieben Jahren komme das Ende der Welt, dann würden alle Pfaffen erschlagen werden und es werde kein Unfrommer oder Sünder übrig bleiben. Es werde dann ein Glaube und eine Taufe herrschen und ein tausendjähriges Reich Gottes werde auf Erden anbrechen.
Verbunden mit der Endzeiterwartung hatten die Täufer aus der Heiligen Schrift einen Missionsbefehl herausgelesen, der ihnen aufgab, die Menschheit noch vor dem Tag des Gerichts zum wahren Glauben zurückzuführen. Die missionarische Tätigkeit der Täufer zielte also nicht darauf ab, möglichst viele Mitglieder zu gewinnen, sondern möglichst viele Menschen vor den Höllenstrafen zu bewahren. Der dringliche Appell aufgeregter Täufer "Tut Buße! Tut Buße!" oder "Bekehrt euch! Bekehrt euch!", der immer wieder durch Münsters Straßen schallte, hat hier ihren Ursprung. Die Anhänger der etablierten christlichen Kirchen erschienen den Täufern als durch und durch verlogen und verdorben. Der dem Täufertum anhängende Theologe Hans Denck (1495-1527) schreibt: "Die ganze vermeinte Christenheit ist voll Ehebrecher, Geiziger und Säufer, . die ganze Welt liegt in Todsünden."
3. Eine gottgerechte Welt
Da durch die starke Verfolgung der Täufer im deutschen Reich die Hoffnung auf eine Rettung der gesamten Menschheit immer mehr schwand, kam bei den Täufern die Idee auf, dass die Ausrottung der Gottlosen sowie die Errichtung einer Gemeinschaft wahrer Christen bereits vor dem Jüngsten Tag stattfinden müsse. Es müsse, so ihr Gedanke, eine irdische Herrschaft der Heiligen in einem theokratischen Zwischenreich, das bis zur Wiederkunft Christi bestehen sollte, gegründet werden. Nur Gemeinwesen, die aus wirklich frommen und gläubigen Christen bestehen, könnten am Tage des göttlichen Gerichts von Gottes Rache verschont bleiben.
Nachdem in Münster im Jahr 1534, nach langem Kräftemessen und vielem hin- und her schließlich die Voraussetzungen für eine Täuferherrschaft geschaffen waren, galt es nun die Vorstellung dieser theokratischen Gemeinde zu realisieren. Die Täufer orientierten sich dabei an den ersten christlichen Gemeinden, in denen es, zumindest in ihren Augen, kein Privateigentum, sondern die Gütergemeinschaft gege-ben hatte.
An die Stelle der Massenkirche, in der sich auch Mitläufer, Unent-schlossene, Haltlose und Ungläubige tummelten, sollte eine Gemeinde wahrer Christen treten, die sich durch Buße, Glauben und Taufe in zurechnungsfähigem Alter bewusst in die Nachfolge Christi begeben haben. Die Täufer wollten eine stoßkräftige Elitegemeinde schaffen, die auf ein gemeinsames Ziel, der Erlösung am jüngsten Tage, ausgerichtet war. Alle Gottlosen, Sünder und Zauderer sollten ausgeschlossen bleiben und, da sie uneinsichtig sind, ihrem traurigen Schicksal über-lassen werden.
Im späteren Verlauf der Täuferherrschaft in Münster wurde auch die Rolle des Staates neu überdacht. Das Königreich des Jan van Leiden wollte ein theokratisches Reich, ein "Gottesstaat" sein, der sich aus göttlichem Willen herleitet und in dem religiöse und weltliche Macht identisch waren. Der Gemeinde oblag dabei die Verpflichtung, göttliche Befehle in gesellschaftliche Wirklichkeit zu übersetzen, wobei die gött-lichen Weisungen durch Propheten vermittelt wurden, von denen es in Münster mehrere gab.
4. Offenbarungen und Prophezeiungen
Neben der Bibel, die die Täufer als das "äußere Wort" betrachteten, stellten sie Inspirationen und Offenbarungen einzelner Gläubiger als wegweisend dar. Daher hatten "Propheten" einen großen Einfluss in den Täufergemeinden. Deren Offenbarungen, Gesichte und Visionen waren den Täufern das "innere Wort", dass sie gleichberechtigt und oft auch als wichtiger ansahen als die biblischen Texte.
Dieser Aspekt der Täuferbewegung hat bei vielen Nachge-borenen das meiste Unverständnis und den meisten Spott verursacht, daher soll er hier einmal genauer untersucht werden. In vielen Religionen, auch den monotheistischen Religionen Islam und Judentum, haben sich mystische Seitenlinien entwickeln, etablieren und bis heute behaupten können. Im Islam sind das die Sufis und im Judentum die Chassiden. Ansätze zu einer christlichen Mystik hat es zwar auch gegeben, aber sie hat sich nie wirklich ausentwickeln und Wirkung entfalten können. Mystik zielt auf direkte Gottes-erfahrung ab, jenseits der Vermittlung von Priestern und auch jenseits des gedruckten Wortes. Schriften und Worte sind dem Mystiker nur der Finger, der auf den Mond zeigt, aber nicht der Mond selbst. In fernöstlichen Religionen wie dem Hinduismus, dem Taoismus und dem Buddhismus sind Praktiken religiöser Erfahrung wie Meditation oder Yoga fester Bestandteil des religiösen Lebens. In schöner Regelmäßigkeit tauchen im Feld dieser Kulturen weise Männer und Frauen auf, die von göttlichem Geist durch-drungen sind. Sie tragen Namen wie Yogini, Bhagavan, Rishi, Roshi oder Tulku und genießen in der Bevölkerung große Verehrung. Im Christentum haben Mystiker wie Meister Eckhart oder Jakob Böhme vor allem Missgunst, Neid und Verfolgung erfahren müssen. Sie haben zwar hochinteressante Schriften, aber keine religiöse Praxis beschrie-ben, mit Hilfe derer Menschen zu mystischen Erfahrungen gelangen können. Daher müssen heutige Christen, die sich für spirituelle Erfahrung interessieren, meditative Praktiken aus Asien importieren und "Yoga für Christen" oder "Zen für Christen" betreiben.
Die Täufer spürten diesen Mangel im christlichen Lehrgebäude und suchten nach einem Weg, ihn zu beheben. Thomas Münzer, der unter dem Einfluss des bereits oben erwähnten "Propheten"...