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Das Funkhaus Nalepastraße, bis 1990 Sitz des Rundfunks der DDR und heute ein beliebtes Ausflugsziel, gilt als sein berühmtestes Werk. Begonnen hatte das bewegte Architektenleben Franz Ehrlichs (1907-1984) am Bauhaus in Dessau. 1937 wurde er als Widerstandskämpfer ins KZ Buchenwald gebracht, wo er das Tor mit der Inschrift »Jedem das Seine« gestalten musste. In der DDR nahm Ehrlichs Karriere Schwung auf - aber sein umfassender Geltungsanspruch kollidierte mit den politischen Leitlinien.
Für ihren biographischen Essay begeben sich der Designtheoretiker Friedrich von Borries und der Historiker Jens-Uwe Fischer auf die Spuren eines lange vergessenen Bauhäuslers. Dabei reflektieren sie über die Widersprüche in Ehrlichs Biographie sowie die Ambivalenzen und den Totalitätsanspruch der Moderne.
»Original Hellerau Sideboard Kommode Franz Ehrlich 602 Bauhaus Retro« titelt eine Anzeige auf Ebay, 890 Euro will der Verkäufer für sein »Schnäppchen« haben. Vor ein paar Jahren wurden einem die Möbel von Franz Ehrlich noch hinterhergeworfen, die Entrümpler waren froh, wenn jemand eine Schrankwand aus dem Plattenbau mitnahm. Die Möbelserie 602 wurde von 1957 bis 1967 von den Deutschen Werkstätten Hellerau in großer Stückzahl produziert und war in der DDR weit verbreitet - nichts Besonderes also, zumindest in den Augen vieler.
Inzwischen gilt die Möbelserie 602, zu der Kommoden, Schränke, Regale und Tische zählen, als Mid-Century-Klassiker, sie steht in verschiedenen Designmuseen, und die Preise für die als Antiquitäten gehandelten Stücke steigen kontinuierlich. Das ostdeutsche Design wird als Teil der europäischen Moderne entdeckt, wertgeschätzt und vermarktet. Die Möbel der Serie 602 sind, wie der Erläuterungstext einer anderen Anzeige kundtut, in der das gleiche Sideboard, allerdings mit Schubladen statt gläserner Schiebetür, für 1475 Euro angeboten wird, »gesuchte Objekte für Liebhaber*innen und Sammler*innen«. Den Grund dafür nennt die Anzeige auch: »Ehrlich studierte von 1927 bis 1930 am Bauhaus in Dessau und ist bekannt für seine sachlichen und ornamentlosen Designs.«
8Die Anzeigen auf Ebay werben nur mit einem kleinen Ausschnitt aus Ehrlichs Werdegang - dem Bauhaus. Unerwähnt bleibt, dass er aufgrund seiner Aktivitäten im Widerstand gegen den Nationalsozialismus von 1937 bis 1939 im KZ Buchenwald inhaftiert war. Dabei ist diese Zeit für das Verständnis der design- und architekturgeschichtlichen Bedeutung Ehrlichs entscheidend, denn auch im Konzentrationslager war er als Architekt und Designer tätig. Von ihm stammt zum Beispiel die Gestaltung des Lagertors samt dem Schriftzug »Jedem das Seine«. Seine Arbeit als KZ-Häftling war vor der Jahrtausendwende auch in Fachkreisen kein großes Thema, wahrscheinlich weil es zu schwierig erschien, Ehrlichs Überlebenskampf im Lager in ein Verhältnis zu seinem dort entstandenen Werk zu setzen.
Heute interpretieren viele das Verwenden einer Bauhaustypografie im Lagertor als stillen Widerstand Ehrlichs im KZ. Über seine anderen, formalästhetisch weniger widerständigen Arbeiten, die ebenfalls unter den Bedingungen der Gefangenschaft entstanden, wurde bislang nur wenig berichtet. Weitgehend unbekannt ist, dass Ehrlich nach seiner Entlassung weiter im Baubüro des Lagers und später in der Zentrale des SS-Bauwesens in Berlin tätig war.
Die Geschichte Franz Ehrlichs ist komplex und voller Widersprüche. Sie auf Bauhaus, Widerstand, Haft im Konzentrationslager und Modernismus in der DDR zu reduzieren, greift zu kurz. Deshalb haben wir uns in den letzten 9Jahren durch verschiedene Archive gearbeitet, mit Zeitzeug:innen und Expert:innen gesprochen sowie Orte seines Lebens und Wirkens aufgesucht.
Wichtige Quellen dieses Buches sind personenbezogene Akten. Dazu zählen Ermittlungsakten der Gestapo, Ehrlichs Gefangenenakte aus dem Zuchthaus Zwickau, die Unterlagen, die im Rahmen seiner Anerkennung als »Verfolgter des Naziregimes« gesammelt wurden, seine Kaderakte beim Zentralkomitee (ZK) der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und die im Stasi-Unterlagen-Archiv verwahrte Täterakte des Geheimen Informators »Neumann«, so der Deckname Ehrlichs beim Ministerium für Staatssicherheit.
Eine weitere wichtige Quelle sind autobiografische Aufzeichnungen und selbstgeschriebene Lebensläufe aus Ehrlichs Nachlass, der im Archiv der Stiftung Bauhaus Dessau verwahrt wird. Allerdings sind nur wenige solcher Dokumente überliefert, sie beziehen sich größtenteils nur auf einzelne Lebensabschnitte und liegen zum Teil nur in Fragmenten vor. Sie entstanden in unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Kontexten: im Nationalsozialismus, in der unmittelbaren Nachkriegszeit und vor allem in den verschiedenen Phasen der DDR.
Diese Texte sind Teil seiner Selbstrechtfertigung und -inszenierung. In ihnen beschreibt Ehrlich seinen Werdegang, zuweilen überhöht er seine Rolle und blendet je nach Situation bestimmte ihm unwichtig oder weniger schmeichelhaft erscheinende Teilaspekte aus - eine Vorgehensweise, die ihm auch selbst bewusst war. Er um10schreibt sie Anfang der achtziger Jahre in einem kurzen autobiografischen Text mit dem Titel »Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten«: »Halt - hier beginnt die Möglichkeit die Wahrheit, einer Tendenz zu liebe, zu verlassen.«1[1]
Die Übertreibungen und Verschiebungen, die Ehrlich in seinen Selbsterzählungen immer wieder vornimmt, kommen nicht von ungefähr, sondern sind bewusste Eingriffe - die »Tendenz«, von der er spricht, meint die sich ändernden politischen Rahmenbedingungen, an die er die Erzählung über das eigene Leben anpasste.
Den Differenzen zwischen den verschiedenen Selbstbeschreibungen und dem, was sich aus den in diversen Archiven befindlichen anderen Quellen rekonstruieren lässt, werden wir nachgehen. Wir tun dies nicht aus einem Hang zur Erbsenzählerei, sondern weil, so unsere Annahme, Anpassungen, Beschönigungen und Umdeutungen zentraler Bestandteil des Agierens in Totalitätsmaschinen sind. Sie dienen mal dem nackten Überleben, erscheinen an anderer Stelle jedoch als bequemer Opportunismus. Die Ausdeutung dieser Umdeutungen ist deshalb ein wichtiger Teil einer wissenschaftlichen Aufarbeitung, die nicht nur Höhepunkte von Ehrlichs künstlerischem und gestalterischem Werk, sondern auch die biografischen Brüche, Friktionen und Sperrigkeiten in den Blick nimmt.
11Unsere Absicht ist also nicht, eine Heldengeschichte über Franz Ehrlich zu schreiben und ihn als zu wenig bekannten Gestalter vorzustellen, sondern den Ambivalenzen nachzuspüren, die sich aufgrund der politischen Rahmenbedingungen in seinem Leben und Werk finden. Wir setzen uns mit Franz Ehrlich nicht allein wegen der gestalterischen Qualität seines Werkes, das Architektur, bildende Kunst und Design umspannt, auseinander, sondern vor allem wegen seines komplexen Lebenswegs, in dem sich die gesellschaftspolitischen Konflikte und Katastrophen des 20. Jahrhunderts symptomatisch verdichten.
Die Geschichte Franz Ehrlichs erzählen wir im Wesentlichen chronologisch. Der Titel dieses Buches ist eine Anlehnung an mehrere seiner Werke - und eine Metapher für seinen Werdegang. Ehrlich war in seinem Leben verschiedenen sozialen und politischen Strukturen mit totalem beziehungsweise totalitärem Anspruch unterworfen. Und er hat sich zeitlebens mit Maschinen beschäftigt, die für ihn Sinnbild der Funktionsweise von Gesellschaft waren. Als Lehrling in der Schlosserei baute er Maschinen, am Bauhaus kinetische Objekte. Auch das Totale zieht sich durch sein Leben und Werk. In Dessau baute er am Modell für Walter Gropius' Totaltheater; aus Materialresten dieses Modells fertigte er gemeinsam mit seinem Kommilitonen Heinz Loew eine eigene Installation, die sie Ta-Ti-To-Tal-Theater nannten und die man als humorvolle Reflexion des totalen Gestaltungsanspruchs von Gropius und dem Bauhaus im Allgemeinen verstehen kann. Zehn Jahre später verarbeitete Franz Ehrlich in 12einer kleinen Arbeit mit dem Titel DIE TiToTalitäre TiToTalitätsbaumaschine den Totalitätsanspruch im KZ Buchenwald. Die aquarellierte Zeichnung (die auf dem Umschlag dieses Buches abgebildet ist) zeigt ein riesiges Getriebe mit Rädern und Bändern, das Baracken und andere Gebäude ausspuckt.
Franz Ehrlich blieb sein ganzes Leben in den verschiedenen Totalitätsmaschinen - von denen »Bauhaus« und »KZ Buchenwald« die extremen Pole sind - gefangen. Auch in der DDR, in der er Erfolge feierte, aber letztlich als Architekt und Gestalter an den politischen Realitäten scheiterte, blieb er ein kleines Rad in einer solchen Maschine. Sein ganzes Leben musste er sich immer wieder zu den verschiedenen Totalitätsmaschinen, von denen er abhängig war, positionieren - teilweise unter Lebensgefahr. Diese Positionierungen sind nicht immer eindeutig und stets konfliktvoll. Die daraus resultierenden Widersprüchlichkeiten prägen sein Werk, bei dessen Betrachtung sich deshalb die auch heute wieder relevante Frage stellt, wie politisch Gestaltung ist, wie sie von Politik instrumentalisiert ...
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