Schweitzer Fachinformationen
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Es war Ende April 2013, wir standen in den letzten Vorbereitungen für die Eishockey-Weltmeisterschaft, die Anfang Mai in Schweden und Finnland stattfinden würde. Wir - Nationaltrainer Sean Simpson, sein langjähriger Assistenztrainer Colin Muller und ich, der ich diesen Trainerstab fünf Monate nach der erfolgreichen U-20-Weltmeisterschaft in Russland zum zweiten Mal ergänzen durfte - standen ziemlich unter Druck, weil die Schweizer Nationalmannschaft bei den beiden vorherigen Weltmeisterschaften das Minimalziel »Viertelfinal« verpasst hatte. Entsprechend angespannt war vor allem Coach Simpson, der natürlich die Hauptverantwortung trug. Dass einige der besten Spieler kurzfristig ihren Einsatz abgesagt hatten - die einen aufgrund schwerer Verletzungen, die anderen mit eher fadenscheinigen Ausreden -, trug auch nicht wirklich zur Verbesserung der Situation bei. Also überlegten wir, was wir tun könnten, um das Ruder herumzureissen und eine erfolgreiche Weltmeisterschaft zu spielen.
Da die Nationalmannschaft oft innerhalb kurzer Zeit mit Spielern aus den verschiedenen Klubs und Ligen zusammengesetzt wird, ist der Teamspirit ein entscheidender Faktor. Mit der richtigen Energie lässt sich enorm viel beeinflussen. Die Rechnung ist simpel: Du hast zwei Mannschaften, beide sind technisch und taktisch auf demselben Niveau. Die eine hat weniger Energie, die andere mehr. Wer gewinnt? - Genau, die Mannschaft mit mehr Energie. That's it. Ich bin überzeugt davon: Am Ende geht es darum, wer untereinander den besten Kitt hat. Mit dem richtigen Spirit kann ein Team über sich hinauswachsen. Und, ja, sogar technische Defizite wettmachen.
Für uns war deshalb klar: Wir mussten Energie und Kraft in unsere Nationalmannschaft bringen und uns als Team auf unsere Stärken besinnen. Aufgrund dieser Ausgangslage setzten wir auf das Überraschungsmoment und wählten auch junge Spieler aus, die noch nie an einer Weltmeisterschaft teilgenommen hatten. Einer davon war zum Beispiel Julian Walker, ein grosser, kräftiger Stürmer. Dreimal fragte er ungläubig nach, ob er wirklich nach Stockholm mitdürfe, wo wir diese Weltmeisterschaft bestreiten würden. Erst konnte er es kaum glauben - und dann spielte er ein unglaubliches Turnier. Andere, Stammspieler, boten wir nicht mehr auf. Wir wussten zwar, dass sie in ihren Klubs erfolgreich spielten, spürten aber auch, dass sie diese Energie, die absolute Bereitschaft, alles für die Nationalmannschaft zu geben, nicht zu hundert Prozent mitbrachten.
So trafen wir uns anlässlich des letzten Vorbereitungscamps vor der WM im Rittersaal eines Hotels in Rapperswil, wo wir mit der Arbeit begannen. Und zwar ganz am Anfang, bei unseren Wurzeln. Wir redeten über die Geschichte der Schweiz und unsere Vorfahren und in diesem Zusammenhang auch über die Reisläufer, spätmittelalterliche Söldner, kaltblütige und brutale Männer, die sich auf eigene Faust in fremden Diensten verdingten und bis ins 17. Jahrhundert im Dienst europäischer Herrscher standen. Einige unserer Vorfahren waren also echte Kämpfer! Nicht, dass wir von unseren Jungs erwartet hätten, dass sie kaltblütig und brutal vorgehen sollten, nein. Wir wollten mit diesem Rückblick auf unsere Urahnen lediglich aufzeigen, dass wir Schweizerinnen und Schweizer eben nicht nur über Tugenden wie Bodenständigkeit und Bescheidenheit verfügen, sondern auch über Kampfgeist. Diesen Fighting Spirit wollten wir in den Jungs wecken.
Ebenfalls dabei waren unser langjähriger Masseur Kari Müller - der, wenn er nicht gerade mit der Schweizer Eishockey-Nationalmannschaft unterwegs ist, eine eigene Praxis für medizinische Sportmassagen und mentales Coaching betreibt - sowie der Schwinger Martin Grab, den Kari seit einigen Jahren mental betreute. In einem faszinierenden Referat sprach Kari über die Wichtigkeit von Fokussierung und Zentrierung, darüber, wie ein Athlet seine Energie bündeln und wohin er seinen Fokus lenken sollte. Denn: Wo sein Fokus ist, ist seine Energie. Richtet er seinen Fokus vor dem Wettkampf auf sein Handy, geht seine Energie dahin, und er verliert sich in dieser Ablenkung. Richtet er seinen Fokus während des Wettkampfs auf die Zuschauer auf der Tribüne, geht seine Energie dorthin, und er verliert sich in jener Ablenkung. Die Liste könnte beliebig fortgesetzt werden. Kari hatte deshalb ein sogenanntes Zonensystem für Martin erarbeitet. Dieses half dem ehemaligen Spitzenschwinger, sich während eines langen Wettkampftags zum richtigen Zeitpunkt zu fokussieren und seine Energie perfekt einzuteilen. Nach Karis Referat erzählte uns Martin von seinen Erfahrungen mit diesem Mentalsystem und davon, wie es ihn im Jahr 2010 bis in den Schlussgang des Eidgenössischen Schwingfests in Frauenfeld gebracht hatte. Es war sehr spannend, von diesem Hünen von Mann zu erfahren, mit welcher Energie er in den Ring ging und wie er sich vor, während und zwischen den einzelnen Gängen verhielt.
Anschliessend kreierten wir gemeinsam für Stockholm unser eigenes Hockey-Zonensystem, das man sich ungefähr so vorstellen kann: In der Zone Hotel geht es familiär zu und her. Man trifft sich mit Freunden und der Familie, scherzt, lacht, die Atmosphäre ist locker und entspannt. In der Zone Bus schneiden wir uns bewusst von der Aussenwelt ab und treten ein in die Hockeywelt. Die Handys sind aus, der Umgangston wird sachlich. Spätestens in der Zone Garderobe geht es um die individuelle Vorbereitung. Jetzt wird es still. Jeder Spieler widmet sich seinem eigenen Ritual, um die Metamorphose zum Kämpfer zu durchlaufen. Der eine benötigt mehr Zeit dafür, der andere weniger. Um diesem Individualismus Sorge zu tragen, dachten wir uns auch für die Garderobe etwas Besonderes aus: eine Schweizer Karte in Form eines Mannschaftspuzzles. Die Idee dahinter: Jeder Spieler bekommt ein Puzzleteil, auf dem sein Porträtbild abgedruckt ist. Wer sich bereit fühlt für das Match, fügt sein Puzzleteil in die Schweizer Karte an der Wand ein. Ist das Puzzle komplett, ist das Team komplett, und jeder weiss, ohne Worte, dass alle hundertprozentig bereit sind für die bevorstehende Aufgabe. Wichtig ist, dass auch der gesamte Trainerstab, die ganze Delegation mitmacht. Wäre nämlich einer schon fokussiert in seinem Tunnel, während der andere noch Witze reisst, würde das den Energieaufbau empfindlich stören. Deshalb ist es essenziell, dass die eher lauten Spieler Rücksicht nehmen auf diejenigen, die sich in aller Ruhe vorbereiten. Nach dem Match schnappt sich dann jeder sein Puzzleteil, lässt die Anspannung los und geht wieder seine eigenen Wege.
Dies war unser Plan - in Stockholm setzten wir ihn erfolgreich um. Coach Simpson war übrigens immer der Letzte, der sein Puzzleteil einfügte. Und für Raphael Diaz, der erst im Laufe der WM von der NHL zum Nationalteam stiess, bastelten wir kurzerhand ein zusätzliches Teil samt Karabinerhaken, damit er sich ebenfalls in die Schweizer Karte einklinken konnte. Dieses Zonensystem funktionierte für uns wie eine Gebrauchsanleitung. Es half uns, unseren Fokus und unsere Energie während des gesamten Turniers aufrechtzuerhalten. Martin Grab und Kari Müller waren also in unserer Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft 2013 unglaublich wertvoll.
Wir hatten an diesem Tag in Rapperswil einiges über unsere Vorfahren und die Schweizer Geschichte gelernt, über Fokussierung und Zentrierung geredet und unser eigenes Zonensystem kreiert. Und wir hatten beobachten können, wie sich die Jungs dabei mehr und mehr aufrichteten. Als letzter Event fand die legendäre Rookie-Taufe statt. Unter einem Rookie verstehen wir im Spitzensport einen jungen, noch eher unerfahrenen Sportler. Für seinen offiziellen Einstand in die Nationalmannschaft denkt sich der Trainerstab etwas Lustiges aus, am besten etwas, das ihm ein bisschen peinlich ist. Nachdem es in den vergangenen Jahren zum Standard geworden war, dass Spieler an Grossanlässen Kaugummi kauten, anstatt die Landeshymne mitzusingen, schlug Kari unserem Captain Mathias Seger vor, unsere sieben Rookies vor versammelter Mannschaft die Landeshymne vorsingen zu lassen, und zwar so lange, bis ihr Gesang den Routiniers genehm war. Ich war sofort begeistert von dieser Idee, auch, weil ich ein Fan der Hymne bin. Sie ist für mich eine schöne Möglichkeit, die Dankbarkeit seinem Land gegenüber auszudrücken und dessen Geschichte zu ehren. Trotzdem: Ich war 37 Jahre jung, und noch vor wenigen Jahren hatte ich selber mit oder gegen einige der versammelten Jungs Hockey gespielt. Und jetzt sollte ich ihnen als Assistenzcoach unsere Landeshymne beibringen? Das war schon ziemlich speziell.
Egal. Wir drückten unseren Rookies je ein Blatt Papier mit der ersten Strophe der Hymne in die Hand, aus irgendeinem Handy spielten wir die Melodie ab, und dann ging es los: Einmal sangen die Deutschschweizer, dann die Französischsprachigen, dann alle zusammen. Anschliessend mussten die alten Haudegen den Jungen vorführen, wie man es richtig macht. Am Anfang waren einige ziemlich gehemmt, und bestimmt haben auch manche innerlich den Kopf geschüttelt. Aber am Schluss stellte sich das ganze Team im Kreis auf, und gemeinsam sangen wir uns in einen coolen Groove hinein. Die Rookie-Taufe war eine lustige Übung für uns alle. Dass daraus etwas ganz Besonderes entstehen sollte, ahnten wir damals natürlich noch nicht.
Physisch waren wir bereit. Wir hatten im Vorfeld hart auf dem Eis und im Kraftraum trainiert. Jetzt hatten wir auch den Kampfgeist der Mannschaft geweckt, uns als Team mit der Schweiz verbunden, unsere Ehre herausgekitzelt und an unseren Stolz appelliert. Dabei ging es nicht mehr um Taktik,...
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