Schweitzer Fachinformationen
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Sie sahen einander gleich. Kein Gang und keine Diele. Weder Flur noch Entrée, nichts dergleichen. Kein Vorzimmer oder sonst wie gesonderter Bereich, anzukommen und abzulegen. Ohne Garderobe, Kommode oder Schuhregal auszumachen, betrat Marlene unversehens und augenblicklich den ausladenden Raum. Er war groß genug, omg, ihren Boyfriend und seinen Bruder an der Stirnwand gleichzeitig anzuschauen, sobald die vorerst bloß angelehnte Zedernvollholztür von Marlenes Stiefelspitze geschoben ausreichend weit in diese unbekannte Wohnung über das Fischgrätparkett schwang. Der eine Fuß stand schon darauf, war bereits im Raum, über die Schwelle hinweg. Obwohl Sohle und Absatz lautlos aufsetzten, die Scharniere gut geölt schwiegen, der Luftzug durchs Stiegenhaus ausblieb, der Dunst hinter der Durchreiche kerzengerade zur Abzugshaube stieg, über dem Tisch rund um die Dochte die Aureolen ihre kugelförmige Gestalt bewahrten, kein Hauch, kein Klang, keine Bewegung im Bild Marlenes Anwesenheit verriet, nichtsdestoweniger merkten Niklas und Viktor auf, unterbrachen ihre jeweiligen Verrichtungen, blickten die Frau im Türrahmen erst aus den Augenwinkeln an, taxierten sie halb den Hals verdrehend und musterten sie dann ganz unverhohlen vor dem Hintergrund des dunklen Treppenhauses, wandten den Kopf von ihren Handgriffen ab, die wie im Zank darüber, was zu tun war, halb automatisch, halb widerwillig, fortfahrig weiterwerkten. Der Mann im rostroten Pullover ließ das Streichholz erst los, als er die Hitze spürte, die Flamme ihm Daumenkuppe und Fingerspitze versengte. Der Mann im azurblauen Hemd kippte die Weinflasche weiter, solange das Gewicht darin abnahm, der Veltliner aus dem Halsgriff den Pokal in der Durchreiche füllte. Der hervorpurzelnde Schluck Bodensatz traf die Theke neben dem Glasfuß. Das verloschene Streichholz fiel auf die Tischplatte neben die Schachtel.
Die Zünder erkannte Marlene wieder, abzugreifen in jener Bar, wo beim Beisl-Hoppen immer alle hinwollten, jedoch niemand jemals wusste, wo der Schuppen war. Jaja, schon klar, Nik, sind wir bald da? Er führte den trinklustigen Zug durch die Dunkelheit Wiens. Na, Kleines. Wie Waggons zockelten sie dahin, Marlene direkt hinter ihm. Und jetzt, Niki? Die spärlichen Lichtquellen wie Lokspitzensignale, auf die der Tross schunkelnd zuhielt. Nope Baby. Wieder in finstere Fassadenschluchten abtauchend wie blinde Passagiere in einen Alpentunnel. And now? Über lichtlosen Kopfstein gestolpert, durch labyrinthische Gässchen geschlendert, längs laizistischer Kreuzgänge geschlurft von Station zu Station, quasi liturgische Spießroutenläufe in leutselige Winkel geschlichen, ein Spliff auf der Strudelhofstiege sowie ein Wegbier, bis man dann die Siebensterngasse entlang, voilà, plötzlich vor der im Eck zweier Häuserzeilen versenkten und mit einer Litfaßsäule bedeckten Wendeltreppe in den Keller jener Kaschemme stand, willkommen im Einhorn, und zur Begrüßung erst mal ein Streichholz entzündete, das nie brach an der unverwüstlichen Reibefläche. Keine Leimrückstände und kein Abknickgeficke. Weder Briefchen noch Päckchen, nichts dergleichen. Keine Hülse oder sonst irgendwie herausziehbare Lade, eine kompakte Schachtel mit Klappe an der einen Längsseite wie bei alten Zigaretten. Ein Streifen Phosphor die andere Seiten, einfach anzureißen und anzuheizen, ein Kopf, der nach Schwefel roch und selbst draußen vor der Tür brannte im Sturm, kaum auszupusten war der Funken erst mal bei leichter Berührung, manchmal, ja, sogar von selbst, wie direkt aus dem sonst wo längst siebenfach versiegelten Höllenschlund gesprungen.
Und kaum tanzte das fingererwärmende Feuer über dem Streichholz in Niks Hand, hebelte Marlene ihren Daumen nach oben vor ihren Kopf, und es loderte von Nik hochgehalten scheinbar direkt auf ihrem Nagel wie in Disneys Herkulesverfilmung. Als Gegenspieler des irdisch olympischen Halbgottes und voll strahlenden Helden firmierte der düstere Fürst Hades, gekrönt von Flammen statt Haaren, gewandet in römische Toga. Diese feuerkaiserliche Körperlichkeit gab Anlass zu allerlei Kinkerlitzchen wie lobbrennend gereckten Daumen und endlich doch sturmbrausend ausgepusteter Frisur. Ansonsten variierten die Flammen auf der teuflischen Glatze im Verlauf des Streifens je sowie jäh nach emotionaler Lage von Hades, in Rage himmelhoch infernalisch lichterloh lodernd oder in Vorfreude niederträchtig diabolisch urheimelig tiefknisternd, angesichts seiner scheitern scheinender oder Gelingen verheißender umstürzlerischen Pläne betreffs der festgefügten olympischen Ordnung. Diese eindimensionale, bipolare, manichäische Gefühlswelt spiegelte sich moralisch gewendet in den durchschaubaren, glasklaren, biederen Basisoppositionen der Story wider, Good Old Hero versus Bad Ass Endboss, vielleicht einmal abgesehen von Pech und Schwefel, die zwar als Lakaien der Hölle auftreten, sich letztlich jedoch doch bloß selbst bedienen, ihren eigenen Interessen wie coolen Softdrinks und Herkules-Merchandise-Klamotten folgen, die gesamte x-Achse, verwerflich bis vorbildhaft, mehrfach abwandern, flatterhaft zwischen teuflischen Machenschaften und unschuldigen Liebschaften cruisen, vermitteln, verbinden und verheiraten, dann wieder Verwirrung, Anarchie und Zwietracht säen, Pech und Schwefel, melden sich zum Dienst, die beiden knuffigen Hadesteuflinge, dargestellt als Putten in Turqoise und Pink, mit dreifaltigen Fledermausflügeln, Cyan und Magenta, gelben Engelsaugen und Reißzähnen wie aus Erz gehauen, Rot und Blau, ein Dreizack der rattige Schwanzzipfel des einen, eine antisemitische Spitze die Nase des anderen, rostzerfressen über Jahre diese halbgare Disneyworld und trotzdem vollends eingebläut ganzen Generationen, mit putzigen Azubis die Kohle des Publikums einstreifen, ein Zeichentrick, den Marlene in- und auswendig kannte.
Brachte ihr jetzt aber alles nichts, da sie zwar Dialogwechsel und Szenenabläufe parat hatte, aber nicht mehr, wer der Blaue, wer der Rote war. Ihre Pupillen fingen das Licht vom Kandelaber, huschten so abrupt hin und her, dass sie glänzende Reflexe an die umliegenden Haarsträhnen warfen. Auch auf den Wangenknochen sowie um die Mundwinkel erschienen und vergingen Widerspiegelungen des Kerzenlichts. Derweil hielten die auch in dieser Beziehung einander spiegelnden Brüder zu Nikis Girlfriend Blickkontakt. Während der Wein gleißend von der lackierten Theke tropfte, meinte der Mann an der Durchreiche, Marlene sähe sich nach Ablageflächen oder Garderobenständern um. Indes das Wachs matt am glänzenden Kandelaber hinabrann, dachte der Mann hinter der Tischplatte, Marlene nähme die beiden Gemälde an den Wänden in Augenschein. Die Brüder glaubten, sie würde die Lippen um Worte ringend regen. Also schwiegen sie, schauten hin und warteten zu. Als das Wachs auf der Tischplatte gerann und es angebrannt roch von hinter der Durchreiche her, erwogen die Brüder kurz, ob Marlene den Kopf schüttelte, ein Schluchzen unterdrückte. Also schwiegen sie und warteten. Sie schauten einander gleich. Kein Mucks, keine Regung. Weder Herzschlag noch Puls, nichts dergleichen. Kein Wüten oder Pochen in den Schläfenadern, Luft zu holen und loszulegen. Marlene gefror der Atem und stockte das Blut. Der Anblick der Zwillinge war ihr zugestoßen, widerfuhr und geschah ihr mehr, als dass sie ihm etwas entgegensetzte, ihm mit Silben begegnete, ihn erwiderte irgendwie. Sie war, ja, passiv, von dem Moment getroffen, mehr noch als ein geflügeltes Wort, wie von einem unvermuteten Aufprall, der Kollision lichter Wellen und fester Objekte mit der Pupille, der Bündelung und Projektion durch Linse und Glaskörper an der hinteren Netzhaut, die kopfstehende Welt, der Rückübersetzungsprozess im Hirn, der gebildete Sinn, kosmischer Unfug, universaler Wahnwitz, Mumpitz, Irrnis, Humbug, Firlefanz, Niklas oder Viktor, und Marlene, unentschieden.
Hinter dem Esstisch hielt der eine Mann seine holzfarbige Hand über die Platte, wo das schwarzgebrannte Schwefelholz liegen mochte, als wollte er es beschirmen, behüten und beschützen vor den starren Aureolen der Kerzenflammen, die den Anblick der Ärmelmanschette, der Sehnen, Knöchel und Glieder abwechselnd feurig löcherten und licht bestreuten bis in die Fingerspitzen, die nach rechts durch den Raum zu dem anderen Mann in seinem azurblauen Hemd an der Küchendurchreiche hinüberwiesen. Jenseits der Theke stieg stinkend grauer Rauch auf, der den Schein der Neonspotleiste fing, tünchte und verdickte, als wölkte der Qualm direkt aus der geleerten, von matten Reflexen erhellten Veltlinerflasche, die gen Fischgrätparkett kriechende Kondensationswassertropfen absonderte, wo der Griff des Zwillings den gläsernen Mantel nicht warm und regungslos umschloss. Die Blicke der beiden Männer schossen Marlene weniger entgegen wie Salven, sondern nahmen die Frau ins Visier, waren auf sie gerichtet wie Scheinwerfer, ununterbrochen der gefrorene Augenblick. Weder Zwinkern noch Blinzeln, nichts dergleichen. Kein Pupillenschwenk oder sonst wie beobachtungsloser Moment, aufzuatmen und auszuruhen. Ohne Wimpernklimpern, Liddeckel oder Schielen abzupassen, blickte Marlene augenrollend und durchdringend den monströsen Raum, dem die drei über den Kandelaber zur Türschwelle bis an die Neonspotleiste der Theke zurück ein gleichschenkliges Dreieck einschrieben. Marlene begriff, dass selbst der Aufbau des Kabinetts, in dem sie sich schon halb befand, der vergrößerten Kopie von Niks Wohnzimmer entsprach, gegenüber vom Eingang der Tisch an der Stirnwand, hier etwas ins Innere gerückt und freistehend, darüber das Fenster, hier mit einem großen bordeauxroten Samtvorhang verkleidet, wie er auf jedem zweiten Magritte-Gemälde gesehen werden konnte beiseitegezogen an den...
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