Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Als ich in meine Rolle als Teilzeitführungskraft gestartet bin, habe ich es als großes Entgegenkommen meines Arbeitgebers verstanden, Karriere und Familie miteinander vereinbaren zu dürfen. Ich war unglaublich dankbar und wollte zeigen, dass mein Modell funktioniert - denn das mir entgegengebrachte Vertrauen wollte ich keinesfalls enttäuschen. Heute sehe ich das ein bisschen anders. Mitte der 2000er waren Jobs Mangelware. Die Arbeitslosenquote lag bei 11,7 Prozent, und es gab fast fünf Millionen Arbeitslose in Deutschland.6 Verglichen mit heute war die Lage für mittelmäßige Studienabsolventen wie mich also alles andere als rosig. Bis ich den ersten Job ergattert hatte, dauerte es etwas, und gehaltstechnisch lag ich erst mal ziemlich weit unten. Meine Karriere ist in den folgenden Jahren gut in Schwung gekommen - so ganz sicher, dass es immer weiter bergauf gehen würde, war ich mir dennoch nie. Diese Erfahrung eines nicht ganz einfachen Berufseinstiegs hat mich und sicher auch viele andere Menschen meiner Generation geprägt. Dazu kam, dass wir in einen von der Babyboomer-Generation geformten Arbeitsmarkt eingetreten sind. Arbeitnehmer:innen aus den besonders geburtenstarken Jahrgängen der Nachkriegszeit waren immer im Überfluss vorhanden - wer Karriere machen wollte, musste sich hinten anstellen und vor allem Durchhaltevermögen an den Tag legen. Auch die Arbeitskultur unterschied sich in vielerlei Hinsicht von der Situation heute. Was der oder die Chef:in sagte, war gesetzt. Etwas überspitzt lautete die Devise erst mal: Klappe halten und ranklotzen. Dann durfte man früher oder später vielleicht auch mal mitreden.
Heute sieht die Sache ganz anders aus. Mit 5,3 Prozent ist die Arbeitslosenquote auf dem niedrigsten Level seit der Wiedervereinigung.7 Gleichzeitig erreichte die Fachkräftelücke im Jahr 2022 mit 630 000 ein neues Rekordhoch.8 Bereits heute gibt über die Hälfte aller Unternehmen an, keine passenden Arbeitskräfte mehr zu finden.9 Und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Das liegt daran, dass die Babyboomer in den nächsten zehn Jahren in Rente gehen und eine riesige Lücke auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen werden. Die Bundesregierung rechnet bis 2035 mit bis zu sieben Millionen fehlenden Fachkräften.10 Und diese Lücke kann nicht allein durch die folgenden Generationen gefüllt werden, da die nachkommenden Jahreskohorten bei Weitem nicht mit den Wirtschaftswunderjahrgängen mithalten können. Gleichzeitig steigt die Teilzeitquote seit Jahren, und die Bedeutung von Erwerbsarbeit in unserer Gesellschaft scheint sich gerade massiv zu verändern. Als Erwerbsarbeit wird bezahlte Arbeit bezeichnet - also beispielsweise die Arbeit in Festanstellung oder als Selbstständige:r. Die aktuellen Diskussionen um die 4-Tage-Woche oder die Arbeitseinstellung der Gen Z - der Nachfolgegeneration der Millennials, also der zwischen 1997 und 2012 Geborenen - zeigen, dass hier etwas in Bewegung geraten ist.
Seitens Politik und Wirtschaft gibt es viele Vorschläge, wie dem Problem entgegengewirkt werden kann. Zuwanderung ist ein Thema, die Diskussion um die Erhöhung der Regelaltersgrenze und der Wochenarbeitszeit ein anderes. Gleichzeitig ist klar, dass wir alle Menschen am Arbeitsmarkt teilhaben lassen müssen, die das gern möchten - und zwar unabhängig davon, ob in Voll- oder Teilzeit. Denn das ist gegenwärtig nicht annähernd der Fall. Wir haben reihenweise qualifiziertes Personal zu Hause oder am Spielplatz sitzen. Und nicht alle dieser Frauen (und inzwischen teilweise auch Männer) haben sich diesen Weg ausgesucht. So wollen Mütter in Deutschland gern mehr arbeiten, als es ihnen tatsächlich möglich ist. Gut ein Viertel aller Mütter geht keinem Beruf nach, offenbar oft unfreiwillig; nur etwa zwölf Prozent wünschen sich tatsächlich keine Erwerbstätigkeit für sich. Wenn sie einen Job haben, arbeiten Mütter zudem häufig gegen ihren Willen in geringen Teilzeitquoten: Gut 21 Prozent sind weniger als 20 Stunden die Woche in ihrem Beruf beschäftigt, ein so kleines Stundenpensum wünschen sich dagegen lediglich zwölf Prozent der Mütter.11 Würden allein die Frauen, die ungewollt in geringen Teilzeitquoten arbeiten, ihr Arbeitszeitvolumen um nur zehn Prozent steigern, hätten wir auf einen Schlag 400 000 Arbeitskräfte mehr.12 In diesem Buch geht es jedoch nicht nur um die Gruppe der Mütter und Eltern-Teilzeit ist heute ein Thema für junge und ältere Menschen, für Menschen mit und ohne Care-Verantwortung. Fakt ist: Viele Länder in Europa haben ein Problem, darunter auch Deutschland, Österreich und die Schweiz.13 Denn trotz wachsender Engpässe am Arbeitsmarkt scheint es nicht zu gelingen, alle arbeitswilligen Menschen in Arbeit zu bringen.
Wenn wir über Führung sprechen, müssen wir außerdem einen weiteren Aspekt mit in Betracht ziehen: Immer weniger Menschen wollen Führungsaufgaben übernehmen. Nur noch 14 Prozent aller Mitarbeitenden geben an, dass sie gern Führungskraft werden wollen.14 Und auch andere Studien lassen vermuten, dass dieses Zielbild für viele Menschen unattraktiv geworden ist. Über die Gründe lässt sich spekulieren - die immense Arbeitslast und das hohe zeitliche Engagement spielen dabei neben den vielfältigen Anforderungen an Führungskräfte ganz sicher eine Rolle. Gleichzeitig müssen Führungskräfte in Zeiten hoher Unsicherheit auch menschlich Höchstleistung bringen. Kriege, Wirtschaftskrisen und der Klimawandel belasten viele Menschen und Unternehmen. Unsere Welt ist fragiler geworden. Führungskräfte müssen die eigene Unsicherheit aushalten und gleichzeitig anderen Sicherheit vermitteln - ein schwieriger Spagat. Auch hier können Teilzeitmodelle für Führungskräfte beispielsweise durch die Teilung von Führungsverantwortung Abhilfe schaffen, Führung wieder attraktiver und Führungspositionen für Mitarbeitergruppen abseits der Vollzeitnorm zugänglich machen.
Dass sich etwas ändern muss, haben auch viele Unternehmen bereits erkannt. Adressiert werden bisher vor allem Eltern als neue Zielgruppe, denn Familienfreundlichkeit ist ein Label, das sich viele Arbeitgeber inzwischen gern zuschreiben lassen. Ein Großteil aller Unternehmen weiß, dass familienfreundliche Maßnahmen wie flexible Arbeitsmodelle wichtig sind, damit Beschäftigte mit familiären Verpflichtungen ihre vertragliche Arbeitszeit aufrechterhalten beziehungsweise aufstocken können. Demgegenüber stehen 94 Prozent der Beschäftigten mit Kindern, für die diese familienfreundlichen Maßnahmen bei einem Arbeitgeber relevant sind. Aber auch ein Großteil der Mitarbeitenden ohne Care-Verantwortung empfindet das Thema Familienfreundlichkeit als wichtig.15
Arbeitgebende können durch ein familienfreundliches Branding erfahrene Mitarbeitende an ihr Unternehmen binden und ihre Arbeitgebermarke stärken. Gleichzeitig gewinnen sie mit dem Angebot flexibler Karrierewege auch oft sehr loyale Mitarbeitende - die sich bei den Unternehmen durch jahrelange Treue und hohe Produktivität »bedanken«. In einer Studie haben 63 Prozent der befragten Führungskräfte angegeben, dass sie durch die Nutzung flexibler Arbeitsmodelle motivierter sind. 58 Prozent waren der Meinung, dass sich ihre Produktivität gesteigert hat, und weitere 57 Prozent sahen einen Anstieg der Kreativität im Job.16
Gerade für mittelständische und kleine Betriebe kann eine familienfreundliche Arbeitgebermarke die Chance sein, sich gegen die Konkurrenz am Arbeitgebermarkt abzusetzen und erfahrene Mitarbeitende langfristig ans Unternehmen zu binden. Denn sie können in Ballungsräumen oft nicht mit den Gehältern von Konzernen konkurrieren oder haben aufgrund ihrer geografischen Lage Schwierigkeiten, ausreichend qualifizierte Mitarbeitende anzuziehen. Das alles zeigt, dass das Angebot von Führungspositionen in Teilzeit schon lange kein einseitiges Zugeständnis des Unternehmens an die Mitarbeitenden ist. Führung in Teilzeit und generell Vereinbarkeit sind heute Teil einer soliden Fachkräftesicherungsstrategie und ein wichtiger Employer-Branding-Faktor.
Kiki Radicke leitet den Bereich People and Culture bei Adacor, einem mittelständischen IT-Unternehmen. Sie erzählt im Interview, welche Vorteile eine gelungene Vereinbarkeit für das Unternehmen und die Mitarbeitenden hat.
Johanna: Was versteht ihr im Unternehmen unter Vereinbarkeit?
Kiki: Für uns bedeutet Vereinbarkeit, dass wir - egal, wo die Kolleg:innen gerade im Leben stehen - Angebote machen, die dabei unterstützen, Privatleben und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Wir...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.