Schweitzer Fachinformationen
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Es klingelt an der Tür; als ich die Pakete sehe, bleibt mir fast das Herz stehen. Damit es schnell geht, reiße ich sie einfach auf. Es sind deine Kleider, deine Schuhe, dein Schminkzeug, deine Haare, dein Bettzeug, dein Nagellack, deine Ohrringe.
Zuallererst mache ich das Bett. Ich zerre die Matratze in die Mitte des Zimmers, spanne das Bettlaken, stecke die Kissen in die Bezüge und breite die Decke darüber. Es ist großartig, denn alles riecht nach Plastik, nach neu, nach Geschäft. Kein Vergleich mit den Laken aus Seide, die mir meine Eltern geschenkt hatten. Diese hier sind türkis mit einer riesigen grün-gelben lachenden Avocado. Obwohl die Versuchung groß ist, lege ich mich nicht hinein. Mit bloßen Händen, wie du es machen würdest, rupfe ich die Etiketten ab; ich sehe mich um, aber ich habe ja keinen Schrank mehr, meinen hat Joe mitgenommen, also lege ich alles auf den Boden neben die Matratze. Ich reiße eine der kleinen Plastiktüten auf und schiebe mir die Modeschmuck-Stecker durch die Ohrläppchen. Nach mehreren Versuchen und nicht gerade wenig Schmerzen trage ich jetzt neue Ohrringe wie deine und bin bereit, mich von meinen zu verabschieden. Ich bedaure kurz, sie nicht Joe mitgegeben zu haben, aber ich will auch nicht, dass seine Frau sie kriegt. Ich hole mir noch ein Wasser, rauche eine Zigarette und spüre, wie sich ein Juckreiz von der Brust über meine Arme ausbreitet. Ob das vom Rauchen kommt? Noch bevor ich mir die Frage stellen kann, spüre ich einen Krampf im Bauch und eine zähe Flüssigkeit, die meinen Tanga durchnässt. Ich lege die Zigarette in den Aschenbecher, gehe ins Bad und wasche mich in der Wanne mit eiskaltem Wasser. Ich führe einen Tampon ein und bin mir sehr wohl bewusst, dass du eine Tasse benutzt, aber das finde ich eklig, das kannst du vergessen. Ich ziehe einen neuen Brazil Slip aus roter Spitze an, und wo ich schon mal dabei bin, auch den dazu passenden Push-up-BH. Ich wasche mir die Hände, verlasse das Bad, die Zigarette ist so gut wie verglommen. Ich stecke mir eine neue an, ich weiß, dass du es gern hättest, dass ich mich heute um die Sache kümmere, aber ich habe gar keine Lust, aus dem Haus zu gehen. Ich checke meine App, ich bin sechs Tage zu früh dran; so was passiert mir eigentlich nie. Die App fragt mich, ob ich Stress habe, und fordert mich auf, alle Symptome einzugeben. Sie will wissen, ob meine Brust zieht, und möchte, dass ich die Bezahlversion aktiviere.
Mein Kühlschrank ist leer, und ich kann nicht mehr in Restaurants bestellen oder zu Samir gehen, sonst werde ich zu dick und sehe dir nicht mehr ähnlich, und mein ganzer Plan ist zunichte. Ich stelle das Glas in die Spülmaschine, die im Bad steht, auf der Waschmaschine, weil es in der Küche keinen Anschluss gibt. Ich habe immer noch Durst, trinke das Wasser direkt aus dem Hahn und suche dich: Ich ziehe die Jeans-Hotpants mit dem hohen Bund an, ich hoffe, sie bekommt keine Flecken, ein Top aus roter Seide, die platinblonde Bob-Perücke, die meine Haut kitzelt. Meine Haare sind jetzt glatt und seidig, sie fallen so wie bei dir. Ich streiche darüber und habe keinen Zweifel: Sie sind perfekt.
Ich öffne die Packung mit den grünen Kontaktlinsen, auf der Spitze meines Zeigefingers balanciere ich einen schleimigen, farbigen Kreis, den ich mehrmals versuche, in mein Auge zu drücken, aber etwas in mir wehrt sich. Die Augen sind wie die inneren Organe: Man darf sie nicht anfassen, sie sollten dort bleiben, wo sie sind. Nach dem x-ten Anlauf springt die Linse mir davon, ich finde sie im Waschbecken wieder, reinige sie in meiner Handfläche mit ihrer widerlichen Flüssigkeit. Ich bin genervt, und das spürt sie offensichtlich, denn im nächsten Moment breitet sich Feuchtigkeit in meinem Auge aus. Die Iris ist jetzt plötzlich smaragdgrün. Ich bringe die Sache auch im anderen Auge zu Ende und schminke mich. Ich grundiere die Leinwand mit einem leichten Primer, dann trage ich immer dickere Schichten auf, bedecke das Gesicht mit einer Farbe, die ganz mit mir verschmilzt. Mit dem grünen eiförmigen Schwämmchen tupfe ich noch eine Schicht helle Foundation auf das Gesicht, das nicht mehr meins ist, aber auch noch nicht deines: Es ist alles so wunderbar ebenmäßig.
Ich übertünche noch ein paar dunklere Stellen und trage den Puder mit kreisförmigen Bewegungen auf, ich streichle zärtlich ein Gesicht, das sich wandelt und verwandelt, aber ich bin mir noch nicht sicher, ob es so richtig ist. Ich suche ein Foto von dir auf dem Handy heraus, von unserem Besuch in Novaglie bei deinen Eltern. Ich studiere die Form deines Gesichts und übertrage sie auf meins, ich spiele mit den Farben, verblende sie, korrigiere, schattiere, male hier heller, hier dunkler, ziehe Linien nach, ich gleiche dir immer mehr, und das berührt mich. Ich gehe in kleinen Schritten vor, ich zeichne eine braune Drei vom Wangenknochen bis zum Kiefer, verblende den Übergang. Dann kommt eine neue Schicht, ich drücke immer fester auf, bis ich es übertreibe, ich sehe aus wie eine Karikatur. Mit einem sauberen Pinsel entferne ich den Überschuss, jetzt bin ich wieder glaubwürdig, ich passe auf, dass ich das Maß nicht überspanne, ich darf jetzt nichts mehr falsch machen. Ich tupfe Highlighter unter die Augenbrauen; das Licht, ich brauche dein Licht: Ich tupfe auch etwas davon auf die Wangenknochen, ich hebe sie an, ziehe sie in die Höhe, und ein wenig auf die Nase, ich verwische die Ränder, so, das reicht. Ich male weitere Schatten, einen Mond auf die Stirn, die Drei auf den Wangen ist nur noch schwach zu sehen, und ich ziehe sie nach, bis zum Kinn, verblende alles mit einem sauberen Pinsel. Mein Gesicht ist glaubwürdig. Es sieht vielleicht nicht aus wie Porzellan wie bei dir, aber es fehlt ja auch noch der Rest. Ich zeichne die Augenbrauen, kopiere sie vom Foto: Sie sind dunkel, deutlich, klar umrissen. Ich fixiere sie mit Gel, sie gefallen mir, ich erkenne sie wieder. Sie wirken bei mir allerdings anders als bei dir: zu stark, übertrieben, fast ordinär. Ich beschließe, sie etwas abzuschwächen. Ich wasche die Augen mit warmem Wasser ab, meine Lider sind rot und leicht violett, ich trage noch einmal Grundierung auf, Make-up und Puder, meine Augen brennen. Ich ziehe eine deutliche Linie mit dem Eyeliner, die am Ende nach oben schwingt, wie auf dem Foto, wie bei dir, präzise, dramatisch. Wenn ich jetzt danebenmale, wird es scheußlich. Ich sperre meine Wimpern in einen Metallkäfig, in dem sie sich krümmen. Ich konzentriere mich, lese die Gebrauchsanweisung auf der Plastikverpackung, ich zittere etwas, zur Sicherheit schaue ich mir noch einmal ein Video an, das ich schon tausendmal gesehen habe. Ich öffne die Schachtel, nehme deine Wimpern, bestreiche den Rand mit einer blauen Flüssigkeit und klebe sie vorsichtig auf meine, die zu kurz und zu spärlich sind, um deine zu sein. Einen Moment lang verschwimmt mein Blick, ich kneife die Augen zu, warte. Tränen, noch etwas Warten, dann ist es zum Glück vorbei. Als ich die Augen wieder aufmache, sind sie richtig, verdammt richtig, perfekt: Die Länge stimmt genau. Mit Concealer und Puder überdecke ich die Spur, die die Träne hinterlassen hat, und führe am anderen Auge dieselbe Prozedur durch, aber diesmal ohne Tränen. Ich trage ganz behutsam etwas Mascara auf, damit die falschen Wimpern, die sich ganz echt anfühlen, nicht abgehen. Das Ergebnis bist du, dein Teint und deine großen Augen, geschafft. Ich ziehe noch eine butterfarbene Linie den inneren Augenrand entlang, prüfe ein letztes Mal das Foto, die Proportionen, mein Blick springt zwischen dem Handy und dem Spiegel hin und her, die Wimpern werfen einen Schatten, der mich stört, aber mir vielleicht auch gefällt, ich nehme Maß, berechne, weiche zurück, lehne mich vor. Ich betrachte die Form deiner vollen Lippen, male daneben, korrigiere, umrahme, male aus, färbe die Lippen mit einem matten Rot.
Konzentriert rufe ich mir deine dunkle Stimme in Erinnerung, ich mache ein paar Versuche, dann stelle ich auf Aufnahme und tippe auf die rote Taste, die Zeit läuft, ich gerate in Panik und spreche los, aber es klingt nicht richtig, und ich wiederhole das Ganze, die Zeit läuft, ich verspreche mich und fange wieder von vorne an, so geht es sechsundvierzig Versuche lang, bis ich kapiere, dass ich nicht versuchen muss, deinen Akzent nachzumachen, das gelingt mir sowieso nicht, es wirkt, als mache ich mich über dich lustig. Also spreche ich mit meinem eigenen, jetzt treffe ich endlich deine Tonlage, und ich verliere den Boden unter den Füßen. Ich speichere und nenne es: Deine Stimme.
Während ich dich im Loop anhöre, bearbeite ich die Fingernägel mit einem Unterlack, zwei Schichten, die schnell trocknen. Ich trage den Lack auf, dabei zittere ich ein wenig, aber sobald die Farbe auf dem Nagel ist, beruhigt sich meine Hand, der Strich ist kräftig und sicher, er füllt alles mit einem glänzenden Bordeaux, ein Nagel nach dem anderen, bis alle dran waren. Meine Mutter, die sich in einem Kosmetikstudio die Nägel machen lässt, wäre stolz auf mich. Während die Fingernägel trocknen, lackiere ich gleich noch die Zehennägel, aber das ist schwieriger, und ich male über den Rand hinaus, versuche, es mit dem Zeigefinger zu korrigieren, der dabei selbst verschmiert. Langsam werde ich nervös. Natürlich habe ich keinen Nagellackentferner gekauft, weil ich gedacht habe: Den brauche ich nicht. Ich male die Zehennägel fertig, aber sie sind mir nicht so wichtig wie die Hände, weil ich mich vor Füßen ekle, immer schon, vor allem vor Männerfüßen, aber es ekelt mich auch vor meinen eigenen, und vielleicht ist es mir deshalb misslungen, weil ich mich davor ekle, sie auch nur zu berühren. Ich versuche, wenigstens die Hände...
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