Schweitzer Fachinformationen
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Hansi Sondermann
Großes "Salute, Ciao, Buona sera, Benvenuto", als Matteo Turrini, seine Schürze locker um die Hüfte, vor dem Eingang seines Grotto steht und unsere Theatertruppe lachend begrüßt. Das Grotto Giovanna, eins der größten Grotti im Valle Maggia, ist für Liebhaber der Tessiner Küche - also auch für uns - ein Geheimtipp.
An warmen Herbstabenden laden Matteo und seine Frau Giulia zur Großen Tessiner Tafel ein, mit deren Fülle und Vielfalt sie die Zungen und Gaumen ihrer Gäste sozusagen überwältigen. Wir, seit dem Morgenessen nüchtern, sind deshalb auch entsprechend überwältigungsgierig. Matteos Motto für den Abend: Prenditi il tuo tempo. goditi tutto in pace e in abbondenza. e con tutti i tuosi sensi! Wobei jeder Gast beim Essen die Finger benutzen darf. Wer jedoch Fingerfood sagt, fliegt von der Tafel. Erklärt Matteo. Ernsthaft.
Mit diesem - für die Turrinis typisch - opulenten Mahl feiern wir die Erstaufführung unseres szenischen Oratoriums Das Fest der Sinne, die am frühen Abend im Teatro Sociale wie auch auf der Piazza Governo in Bellinzona stattfand.
Eine dramatisch-musikalische, farblichterfüllte Collage aus Schauspiel, Pantomime, Tanz, Zauberspiel, Musik und Gesang, mit Kammerorchester und Jazzcombo; ein Theater-Experiment, in dem die gesamte Spannweite von der antiken Tragödie bis zur grellen Komik mit allen szenischen Mitteln ausgeschritten wird.
Wir sind kurz nach dem Premierenende mit dem Bus hierhergefahren. Um den Beginn des Mahles nicht zu verzögern, haben alle Darsteller ihre Kostüme nicht abgelegt; andere Gäste tragen Dirndl - Typ Aschenbrödel, Salome, Leonie, die Männer Leinenhemden mit Weste und Kniebundhose. Mit diesen farbfrohen Bekleidungen erhält die Tafel eine bühnenreife festliche Note; mitbewirkt vom Lichtspiel der farbigen Lampions, und der Stabfackeln, die ein lebendiges Licht erzeugen, wie auch durch die zahlreichen Solarlampen, die das tagsüber eingesogene Sonnenlicht in den Abend gießen. Die Tische auf der Terrasse wurden zum Karree zusammengerückt, was die Gespräche erleichtern soll und die Gesänge anregen wird. Nahe der Terrasse gibt es ein Rondell aus Eichenholzbohlen, das am Abend sicher noch zum Spielplatz für unsere darstellungsgeilen Komödianten werden wird.
Die Turrinis haben für die Tafel junge Leute aus dem Tal angeheuert, die als Paggio oder Pagina femminile, wie Giulia sie zärtlich nennt, neben Anno, dem Küchenchef, an den Grilltischen und am Büffet tätig sind und den Gästen Speisen und Getränke bringen.
Als Introduzione gibt es Ratafià, den berühmten Tessiner Nussschnaps, dessen Aroma mit dem knoblauchgesättigten Conigli-Geruch verschmolzen ist, der uns von den Grilltischen und aus der Küche anweht, unsere Nasenwände streichelt und uns das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. "Carlo! Der Ratafià ist kein Hauptgetränk!" Unser Bassbariton spielt auch außerhalb der Bühne gern den "Falstaff."
Den Mittelpunkt der Tafel bildet ein Ensemble lokaler Kaninchen vom Bratspieß und aus der Pfanne. Matteo führt unser Blicke - seine Hände dabei wie ein Dirigent - über das üppige Feld der Tafel, wobei er die diversen Zubereitungsarten der Conigli nennt:
Coniglio su un bastone, Coniglio arrosto, Coniglio alle olive Tagliata, Coniglio allo spiedo, Coniglio in umido. Am Grilltisch brutzeln bereits mehrere spießdurchbohrte Conigli.
Auf dem Hauptbüffet und den Nebentischen - auch hier spielt Matteo den Cicerone - Zucchero a velo, Cicitt, gefülltes Fladenbrot, eine Platte mit Speckbohnen und Brokkoli, Siedfleisch mit Bergkräutern, daneben auch Seeforelle in Butter-Salbei-Soße, gebratener Seesaibling mit Bergkartoffeln und Crostini. Als Antipasti Salsiccia con insalata di patate, Piatto ticinese di Valle Maggia, Bruschetta con Lardo, Carpaccio filetto di manzo, Salametto, Prosciutto crudo, Bresaola, Büscion und gegrillter Zincarlin, wie auch Tessiner Alpkäse und Kürbis-Bohnen-Käse-Salat.
Dazu der farbige Teppich der Beilagen und kalten Speisen: Torta di pane, Malfatti, Insalata di salsiccia della Valle Maggia, Carne secca, Affetato Misto Ticinese, Bresaola-Schinken, Luganiga, Cotechino, Arosto freddo con Rösti, Formaggio misto Montagnolo di capra in olio d´oliva, Gorgonzola, Paprika, Melonen, Orangen und Feigen.
In Wellblechwannen Getränkeflaschen, vor allem Wein - Merlot del Ticino: Rossa Reserva Sasso Chierico, Sinfonia, und Bianchino, ein weißer Merlot. Auch Birra Gottardo und Birra Appenzeller stehen bereit.
Zur Großen Tafel erklärt Giulia, dass die Tessiner Küche lombardisch geprägt sei, unverfälschte Naturprodukte verwende, ihre Gewürzgeheimnisse streng bewahre, aber auch altüberlieferte Rezepte durch neue Variationen bereichere.
"Vedere. ascoltare. annusare. gustare. sentire!" - unser Wahlspruch. unser Programm!
Gino, einer unserer begabtesten Musiker, hat sich bereits mit Traversflöte und Laute auf ein Weinfass gesetzt und singt Neidharts Ez verlôs ein ritter sîne scheide...und andere Minnesongs, auch Lieder der Renaissance, wie Mille Regretz von Josquin Desprez; womit er eine dezente Tafelmusik erzeugt, die von der Tischgesellschaft - ihr Applaus lässt es hören - als angenehme Umkränzung des Mahles empfunden wird.
Nachdem ich einige der wohlschmeckenden Vorspeisen genossen habe, bestelle ich Coniglio in umido, den bekannten beliebten Kaninchenpfeffer, der von der Küche aus serviert wird. Meine Zunge und mein Gaumen sind entzückt von der Zartheit des Fleisches, die - wie Giulia ebenfalls erklärt hat - dadurch entsteht, dass man das in nicht zu große Stücke geschnittene Kaninchen, gewaschen und gut abgetrocknet, in einem Römertopf mit gewürfeltem Gemüse, mit Gewürzen und Wein bedeckt; wo es drei Tage zum Marinieren bleibt. So schmecke ich deutlich Wachholderbeeren, Thymian, Majoran und Rosmarin heraus, mit denen das Kaninchen gewürzt worden ist; so wie ich durch meine olfaktorischen Sinnesorgane die Efeu-Note aus dem rubinroten Merlot Sinfonia herausrieche.
Diese Weine, in kleinen Eichenfässern gelagert, trinken wir, wie im Tessin üblich, aus dem Boccalino; ein farbiger glasierter Minitonkrug. Für einen Ungeübten wie Oskar ein Fiasko, als er versucht, aus dem kleinen Gefäß einen großen Schluck zu trinken, der dann auch auf seinem Leinenhemd landet.
Plötzlich springt Arya, die Zauberin aus Flämisch-Brabant, den schwarzen Mantel flügelartig ausgebreitet, auf die Plattform, um uns mit ihrer Kleinkunstmagie in Bann zu ziehen. Als Höhepunkt ihres Auftritts zieht sie, wie könnte es anders sein, ein quicklebendiges Kaninchen aus ihrem Umhang; selbstverständlich ein weißes. Auf der Piazza Governo hat sie, als Gegenstück zur "zersägten Jungfrau", unseren Gino halbiert und wieder ganz gemacht; zum großen Amüsement des weiblichen Publikums.
Oskar, Eusebius und Olimpia können es nicht lassen, unsere Erstaufführung auseinanderzunehmen, Details zu zerpflücken, zu kritisieren, was nicht gut gelaufen sei oder was anders gemacht werden müsse. Grundsätzlich haben wir vereinbart, dass dieser Abend ein pures Vergnügen sein soll; ohne ein Wort über unsere Premiere. Deshalb von mir: "Eure Kritik ist im Moment total unangemessen. Tu disturbi la nostra gioia!" Gottlob hören sie schnell auf meine Mahnung.
Darauf legen Bella und Nicolo, unsere Solotänzer, eine ihrer kunstvoll-vitalen Nummern aus unserer Collage aufs Parkett. Offenbar davon angeregt erfreuen uns Daniele und Violetta, unsere Opernsänger, mit La ci darem la mano aus Mozarts Don Giovanni und Che gelida manina aus La Bohème von Puccini; wonach Violetta die bekannte Habanera aus der Oper Carmen folgen lässt - stimmlich und gestisch brillant. Titus, unserem Pianisten, gelingt es, den Gesang auf seinem Keyboard mit orchestraler Fülle zu begleiten. "Bravissimo, Violetta, Daniele, Tito!" Das klassisch Kunstvolle, jetzt wieder von der Lautstärke an den Tischen überdeckt, wird schnell vom Jazz unserer Combo ersetzt, mit Dana, die neben Jazz-Nummern wie The Man I Love einige Songs aus bekannten Musicals darbietet. "Presente di Dio!" rufe ich ihr zu.
Und immer wieder fliegen Arme und Hände hoch. "Hey cameriere!" "Hallo, hierher!" Die jungen Leute, keineswegs devot, lassen sich von diesen unartigen Zurufen nicht zur Eile treiben. "Hai tempo, vero?" oder auch "Tutto arriva per chi sa aspettare!"
Den heißbraunen Schenkel eines Coniglio allo spiedo in der Hand halten, die krosse Haut lecken, ins fetttriefende Fleisch beißen, den Bratensaft aus...
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