Schweitzer Fachinformationen
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Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Kürzlich saß ich an einem Filmset und plauderte in der Pause mit einer Kollegin über die Dinge, die bei uns so anstünden, und ich erzählte von diesem Buch. Sie starrte mich kurz an und fragte dann, warum um Himmels willen ausgerechnet ich dieses Buch schreiben wolle. »Du schreibst über dein schlechtes Bindegewebe?«, hakte sie nach. Sie sähe davon nichts bei mir. Ich hätte nun wirklich keinen Grund zur Klage. An mir sei doch alles perfekt. Ich sähe toll aus und ich hätte den richtigen Mann gefunden und eine tolle Familie und Kinder und sei doch auch ohne finanzielle Sorgen: »Du hast einen Fernsehproduzenten geheiratet, Mimi. Du hast ja jetzt wohl ausgesorgt! An deiner Stelle würde ich im Spa sitzen anstatt am Set. Und was interessiert dich denn überhaupt noch dein Bindegewebe? Außerdem siehst du wirklich nicht danach aus, als hättest du Ahnung von den Problemen normaler Frauen.«
Ich war sprachlos. Und sie auch. Weil sie etwas laut ausgesprochen hatte, was sie eigentlich nur leise denken wollte.
»Was hat mein Fernsehproduzent mit dem Zustand meines Körpers zu tun?«, wollte ich wissen, als ich mich gesammelt hatte. »Was ist das für eine blöde Aussage? Dass Frauen, die vermeintlich >einflussreich< geheiratet haben, sich nie mehr über irgendetwas Gedanken machen müssen, ist doch total Achtziger. Das gab's nicht mal im Denver Clan. Solche Vorurteile sind so überflüssig wie Schulterpolster!« Sie schwieg und pulte an ihren Fingernägeln. Ich redete mich in Rage.
»Und außerdem bin ich nicht Melania Trump und habe schon vor meiner Ehe eine eigene Karriere und welliges Bindegewebe gehabt, und dass Frauen heutzutage so was überhaupt noch über andere Frauen denken, sorry, aber das ist doch voll für die Tonne!«
Ich konnte gar nicht mehr aufhören, so sauer war ich. »Ich kann so was echt nicht ab, schon mal was von »Never judge a book by its cover« gehört oder von Emanzipation? Und im Handbuch der Emanzipation steht sicher nicht drin, dass schlechtes Bindegewebe durch Fernsehproduzentenheirat verschwindet.«
Meine Kollegin schwieg immer noch, pulte weiter an ihren Fingernägeln und sagte dann: »Ich habe welliges Bindegewebe, und du, Mimi, du hast einfach immer nur GLÜCK im Leben.«
Dann fing sie an zu heulen. Sie war offensichtlich gerade ziemlich unglücklich.
Da saß ich also. Mit einer heulenden Kollegin. Meinem und ihrem welligen Bindegewebe und sah nur eine einzige Möglichkeit zur Linderung ihres Kummers. Ich zog mich aus. Mitten am Filmset. Bis auf die Unterwäsche. Und stellte mich wie bei einer Viehschau vor sie hin und drehte mich langsam.
»Und?«, fragte ich.
»Wow!«, sagte sie beeindruckt. »Das ist ja bei dir schlimmer als bei mir. Und bei mir ist es schon schlimm.«
In mir kam kurz das tiefe Bedürfnis auf, ihr jetzt einfach richtig eine zu klatschen. Ich empfahl ihr aber stattdessen, mal über Taktgefühl und zwischenmenschliche Kommunikation nachzudenken. Immerhin heulte sie nicht mehr.
»Und so hast du diesen Mann bekommen?« Ich schaute sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, zog mir das Kleid wieder über, setzte mich neben sie und tätschelte ihr den Arm.
Wir saßen eine Weile schweigend nebeneinander, und irgendwann sagte ich: »Kaffee? Ich hole uns einen.« Ich hörte nur noch ihr »Für mich bitte einen Kamillentee! Kaffee übersäuert, du solltest besser auch keinen trinken!« in meinem Rücken.
Die Begegnung mit meiner Kollegin hat mich noch eine Weile beschäftigt. Wie oft erwische ich mich selbst dabei, in Klischees zu denken. Dabei wissen wir doch eigentlich nichts über das wirkliche Leben eines anderen Menschen. Wir sehen meist nur das, was wir sehen wollen. Oder das, was die oder der andere uns zeigen will.
Und deswegen möchte ich hier gleich mal etwas klarstellen:
Ich bin eine ganz normale Frau.
Wie alle anderen Frauen auch. Überhaupt frage ich mich, wann man als normal gilt und ab wann man von der Norm abweicht. Und wer bestimmt eigentlich dieses »Normal«?
Wie alle normalen und unnormalen Frauen hatte auch ich ständig etwas an mir auszusetzen. Die Beine zu dick, die Knie zu knubbelig, die Haut zu schlaff, der Bauch zu kugelig, die Haare zu glatt . Die Liste war endlos.
Und leider gehöre ich auch nicht zu den Menschen, die Älterwerden super finden. Ich altere nicht in Würde und mag den äußeren Alterungsprozess auch nicht gerade sonderlich. Den inneren Alterungsprozess dagegen finde ich super. Aber wie ungerecht ist das, bitte?
Da wird man im Alter immer cooler, so von innen, es geht einem eigentlich sehr viel am Allerwertesten vorbei, was früher noch superwichtig war. Und anstatt dass man für seine Lebensleistungen, für das, was man bis dahin erreicht hat, belohnt wird: welkt man. Wie eine oll gewordene Schnittblume.
Aber - wie bei allem im Leben - ist auch das Thema »Altern« schlicht und ergreifend eine Einstellungssache. Die Amerikaner zum Beispiel haben »über« als deutsches Modewort entdeckt und benutzen es im Sinne von »mega«. Demnach wäre ich jetzt mega 40, und das klingt doch gleich viel besser. Oder ich sehe mein Alter als Level. So eine 25-Jährige ist erst auf Level 25. Ich dagegen bin schon auf Level 44!
Eigentlich ist das doch traurig, dass ich mir darüber überhaupt je Gedanken gemacht habe, oder? Aber ich bin in bester Gesellschaft: Laut einer Studie halten sich nämlich nur vier Prozent aller Frauen für schön. Das muss man sich mal vorstellen! Nur vier Prozent! Bei Männern dürfte die Quote ganz anders ausfallen. Die sind mit sich und der Welt meist voll und ganz zufrieden. Also körperlich gesehen. Ich habe jedenfalls noch nie gehört, dass sich einer über sein schwaches Bindegewebe beschwert hat.
Ich erinnere mich noch daran, ich war zwölf Jahre alt, wie ich mit meinen Eltern in den Sommerferien wieder einmal Urlaub in unserer kroatischen Heimat gemacht habe. In Makarska am Strand flanierte ein Mittsechziger an den Liegestühlen vorbei. Immer wieder, rauf und runter. Er war nicht besonders groß und hatte einen so dicken Bauch, als wäre er im neunten Monat schwanger mit Zwillingen. Er sah aus, als würde er irgendwann einfach nach vorne kippen und mit dem Gesicht in den Kieselsteinchen landen. Auf den Schultern wuchsen ihm die Haare wie Epauletten an einer Uniform, und auch der Rücken war komplett behaart. Mehrere okkulte Ketten baumelten über seinem grauen Brusthaartoupet, kleiner Jesus, großer Jesus, mittelgroßer Jesus und ein paar Heilige, alle in Gold selbstverständlich, und sein bestes Stück hatte er in eine Art Balkan-Tanga geklemmt. Balkan-Tangas sind Badehosen mit wenig Stoff, dafür aber mit viel Muster. Wie ein Gockel wackelte er in der prallen Sonne an den Liegestühlen und den Frauen, die darin lagen, vorbei. Er hielt sich sichtlich für einen richtig geilen Typen. Ich war mit meinen zwölf Jahren fassungslos ob so viel Eigenliebe und starrte ihn an. Der Rest der Ladies ignorierte ihn natürlich - denen war der Gockel völlig schnuppe.
Dankbar für meine Aufmerksamkeit zwinkerte er mir zu und entblößte dabei einen fehlenden Schneidezahn.
Die meisten Frauen, die ich kenne - mich eingeschlossen - würden ohne Schneidezahn nie mehr den Mund aufmachen oder, so wie Marlene Dietrich, einfach nicht mehr das Haus verlassen. Badeurlaub klingt für die meisten von uns eher nach Drohung als nach Verheißung und bedeutet: Wir beginnen hysterisch eine Blitzdiät, lassen unsere Bikinizone waxen, Nägel und Wimpern ankleben, kaufen tonnenweise »S.O.S.«-Beautyprodukte in der Parfümerie und neue Bademode mit einem passenden Pareo für den Gang ans Wasser und zwanzig neue Maxi-Strandkleider für die Bar, obwohl der Schrank längst überquillt von all dem Kram. Aber in den letzten Sommerferien waren wir eben mit unserem »Look« nicht so zufrieden - in Wahrheit passt selbst der Pareo vom letzten Jahr einfach nur nicht mehr. Aber das geben wir natürlich nicht zu. Doch auch ein neues Outfit beschert uns kein neues Ich mit mehr Selbstvertrauen. Wir tragen alberne XXL-Sommerhüte und Sonnenbrillen Modell »Puck, die Stubenfliege«, sodass wir mit dem guten Gefühl, inkognito zu reisen, am Strand flanieren können.
Eine Frau, die da anders ist, ist meine Mutter. Sie sagt heute noch über sich selbst, dass sie eine Granate sei. Sie würde sich lieben. Richtig verknallt sei sie in sich. So, wie sie ist, basta! Und egal, wie dick oder dünn sie gerade ist, sie legt sich breitbeinig an den dalmatinischen Strand, ins flache Wasser selbstverständlich, damit sie auch ja genug Abkühlung bekommt. Sie schert sich null Komma null darum, ob die Liegeposition auf einem Foto gut ausschauen könnte. Einmal lag sie da wie ein gestrandeter Blauwal, von Wellen umspült. Wir hatten Sorge, dass gleich Greenpeace käme, sie in feuchte Tücher wickeln und versuchen würde, sie ins Meer zurückzuziehen.
Am Abend war sie knallrot wie eine Languste und total glücklich. Sie stand vor dem Spiegel und begutachtete sich. Ich fragte vorsichtig nach, ob sie okay sei und sich gut fühle, und sie flötete mir in ihrem grellbunten Walla-Walla-Kleid zu, sie sei superokay, knallerokay, sie sei nie okayer gewesen.
Und da war es, dieses »Scheiß-egal-Syndrom«, das wahrscheinlich alle Frauen ihrer Generation und in ihrem Alter haben. Und irgendwann habe ich geschnallt, dass genau das der Schlüssel zur Entfaltung ist und dazu, Frieden mit sich selbst zu schließen. Aber bis ich den...
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