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Es gehörte schon eine ordentliche Portion Mut dazu, den berühmten »Dichterfürsten« so einfach anzusprechen und mit einer Bitte zu behelligen. Doch für die couragierte Christiane Vulpius schien das die einzige Möglichkeit zu sein, ihrem Bruder endlich eine berufliche Perspektive zu verschaffen. Dabei hatte Christian August Vulpius (1762-1827) inzwischen mit seinem Jura-Studium aufgehört und durchaus die Möglichkeit, sich am Weimarer Hof um eine Anstellung zu bemühen. Aber der junge Mann verfolgte ganz andere Pläne. Er träumte von einer Karriere als Schriftsteller, hatte auch bereits mehrere Texte veröffentlicht, darunter den Roman »Die Abenteuer des Ritters Palmendos« sowie mehrere Gedichte, die auch Johann Wolfgang von Goethe bekannt gewesen sein dürften. Doch die mageren Einnahmen aus der schriftstellerischen Tätigkeit reichten weder zum Leben noch zum Sterben. Christiane Vulpius, trotz allem überzeugt vom Talent ihres Bruders, entschloss sich daher, bei Goethe vorzusprechen, der soeben von seinem knapp zweijährigen Italienaufenthalt nach Weimar zurückgekehrt war. Sie hoffte inständig, der berühmte Dichter würde seine guten Kontakte zu Verlegern und Zeitschriften spielen lassen, sodass der bislang erfolglose Christian August in absehbarer Zeit von seiner literarischen Arbeit leben konnte.
Die erste Begegnung von Christiane Vulpius und Johann Wolfgang von Goethe fand wahrscheinlich am 12. Juli 1788 statt. Der Ort des denkwürdigen Geschehens ist leider nicht bekannt. Lange Zeit hieß es, Christiane habe den Dichter im Gartenhaus in den Ilmwiesen aufgesucht und tatsächlich wäre diese idyllische Umgebung geradezu ideal für den Anfang einer jungen Liebe gewesen. Doch da Goethe erst seit Juni wieder in Weimar lebte, war das Gartenhaus zu diesem Zeitpunkt noch vermietet. Vermutlich wird Christiane Vulpius also am Frauenplan erschienen sein, um dort ihre Bitte vorzutragen. Johann Wolfgang von Goethe hörte sich geduldig an, was die junge Frau zu sagen hatte, und versprach anschließend, sein Bestes zu versuchen, um ihrem Bruder zu helfen.
Tatsächlich erwirkte er, dass Christian August Vulpius 1789 eine Anstellung als Sekretär bei dem Leipziger Buchhändler und Verleger Georg Joachim Göschen fand, sodass der noch unbekannte Dichter zumindest für seinen Lebensunterhalt sorgen konnte.1 Zu diesem Zeitpunkt waren Christiane Vulpius und Johann Wolfgang von Goethe schon längst ein Liebespaar und ganz Weimar zerriss sich das Maul darüber, was der Herr Geheimrat wohl an dieser einfachen »Magd«, die sich nicht auf höfischem Parkett bewegte, finden mochte. Denn dass Christiane ausgesprochen tüchtig war und schon in jungen Jahren viel für ihre Familie getan hatte, interessierte in der feinen Gesellschaft schließlich niemanden.
Dabei hatte der Adel eigentlich gar keinen Grund, so verächtlich auf Goethes »Magd« hinabzublicken, denn Christiane Vulpius kam keineswegs aus einfachen Verhältnissen, auch wenn ihre bürgerliche Familie mit finanziellen Problemen zu kämpfen hatte.
Weil das Geld schon damals knapp war, hatte Christianes Vater Johann Friedrich Vulpius (1725-1786) sein Jura-Studium vorzeitig beenden und sich eine Zeitlang mit Gelegenheitsarbeiten durchschlagen müssen. Er war schon 34 Jahre alt gewesen, als er 1759 endlich am Weimarer Fürstenhof unterkam, wo mehr als ein Viertel der rund 6000 Bewohner des Städtchens ihr Auskommen fanden. Zwar war das beschauliche Weimar an der Ilm Residenzstadt von Sachsen-Weimar-Eisenach, einem der ältesten und kleinsten Fürstentümer Thüringens, doch besonderer Wohlstand herrschte hier keineswegs. Die Gassen waren eng und winkelig, die meisten Häuser mit Stroh oder Holzschindeln gedeckt. Schmucke Bürgerhäuser suchte man damals noch vergebens.
1760 heiratete Johann Friedrich Vulpius die erst 18-jährige Christiane Margarethe Riehl (1742-1771), die allem Anschein nach eine größere Mitgift in die Ehe einbrachte. Hinzu kam eine monatliche Unterstützung durch die Riehls, sodass die junge Familie in den folgenden Jahren recht gut leben konnte. Man bezog eine Wohnung in der Jakobsgasse, nicht weit vom Weimarer Schloss entfernt. Nachdem 1762 das erste Kind zur Welt gekommen war, Sohn Christian August, dem ein weiterer, früh verstorbener Sohn folgte, wurde am 1. Juni 1765 Tochter Johanna Christiana Sophie, genannt Christiane, geboren und wenige Tage später in der Hofkirche - der heutigen Jakobskirche - evangelisch getauft.
Familie Vulpius wuchs weiter, doch auch der Tod schlug immer wieder zu. 1767 kam eine zweite Tochter zur Welt, die nach nur vier Monaten an den Pocken starb, 1769 wurde mit Johann Gottlieb Heinrich wieder ein Sohn geboren.
In diesem Jahr begann sich die finanzielle Situation der Familie dramatisch zu verschlechtern, denn mit dem Tod von Vater Riehl fiel die monatliche Unterstützung künftig weg und das schmale Einkommen, das Johann Friedrich Vulpius erhielt, reichte an allen Ecken und Enden nicht aus. Dann aber schlug das Schicksal erneut zu: Von der schweren Geburt ihres sechsten Kindes, das nur kurze Zeit später starb, erholte sich die junge Mutter nicht mehr und fand am 5. Mai 1771 im Alter von nur 29 Jahren selbst den Tod. Christiane, knapp sechs Jahre alt, und ihre beiden Brüder waren nun Halbwaisen. In dieser traurigen Situation konnte es wohl als Segen gelten, dass Juliana Augusta, die 37-jährige Schwester von Vater Vulpius, die schon vorher mit im Haushalt gelebt hatte, problemlos in ihre neue Rolle als Ersatzmutter hineinwuchs.
Über Christianes Kindheit ist kaum etwas bekannt, auch nicht, welche Schule sie besucht hat. Sie konnte zwar lesen und schreiben, verfügte aber offenbar über keine umfassende Bildung. Das freilich war für ein Mädchen damals keineswegs ungewöhnlich. Schon früh wird Christiane im Haushalt mit angepackt, Wasser vom Brunnen geholt und Tante Juliana Augusta bei der Gartenarbeit geholfen haben.
Nachdem Johann Friedrich Vulpius Weihnachten 1774 ein zweites Mal geheiratet hatte, die 1745 geborene Johanna Christiana Dorothea Weiland, kam nur zwei Monate später Christianes Halbschwester Ernestina Sophia Louisa (1775-?) zur Welt. Schon bald darauf musste die Familie wieder eines ihrer Kinder zu Grabe tragen: Christianes Bruder Johann Gottlieb Heinrich starb im Herbst 1776 im Alter von erst sieben Jahren. Man mag unwillkürlich an die alte Mahnung denken: Mitten im Leben sind wir vom Tode umgeben. Drei weitere Halbgeschwister, die im Laufe der nächsten Jahre zur Welt kamen, starben ebenfalls im Kindesalter.
Der ganze Stolz der Familie Vulpius war Sohn Christian August, der 1781 das Elternhaus verließ, um zum Jura-Studium nach Jena zu gehen. Finanziert wurde die Ausbildung durch ein herzogliches Stipendium, denn Vater Vulpius sah sich nicht in der Lage, den Sohn finanziell zu unterstützen. Im Gegenteil, bald war er selbst auf Hilfe angewiesen und die Familie musste von dem leben, was wir heute als Sozialhilfe bezeichnen. Wegen eines nicht näher bekannten Amtsvergehens verlor Johann Friedrich Vulpius 1782 seine Anstellung am Weimarer Hof, wurde zunächst suspendiert, schließlich sogar entlassen. Nur ein sogenanntes »Gnadengehalt« des Herzogs konnte die Familie jetzt noch vor dem Hungertod bewahren.
Christiane Vulpius, damals 17 Jahre alt, wollte nicht tatenlos zusehen, wie es mit ihrer Familie immer weiter bergab ging, zumal die Stiefmutter in letzter Zeit häufiger kränkelte. Und so traf die junge Frau eine außergewöhnliche Entscheidung: Sie wollte Geld verdienen, und zwar auf eine ausgesprochen ehrbare Art und Weise.
Christiane war nämlich nicht die einzige Bürgerstochter in Weimar, die etwas zum Lebensunterhalt ihrer Familie beitragen wollte oder musste, selbst wenn in diesen Kreisen die Erwerbstätigkeit von Mädchen eigentlich ausgeschlossen war. Schließlich sollten sie die Familie nicht in Verruf bringen, indem sie zum Beispiel als Dienstmagd arbeiteten. Doch zum Glück hatten zwei Weimarer Schwestern für diese Notlage eine gute Lösung gefunden. Die Schwestern Caroline Bertuch und Auguste Slevoigt gründeten 1782 eine kleine Manufaktur, in der Dekorationsmaterial für Damenhüte hergestellt wurde. Bislang mussten die kunstvollen Stoffblumen, die die Kopfbedeckungen der modebewussten Damen zierten, für viel Geld aus Paris importiert werden. Nun erhielten handwerklich und künstlerisch talentierte Bürgermädchen vor Ort die Möglichkeit, sich zu Putzmacherinnen ausbilden zu lassen und die Stoffblumen in Weimar herzustellen. Im November 1783 waren in der Werkstatt, die von Auguste Slevoigt geleitet wurde, rund 20 junge Frauen beschäftigt, unter ihnen Christiane Vulpius. Zusammen saßen sie an langen Tischen und arbeiteten nach handgezeichneten Vorlagen von Knospen, Blüten und Blumenblättern. Der Umgang mit Seide, Plüsch, Samt und Taft, mit Draht, Schere und Nähnadel erforderte eine ganze Menge Geschick und große Professionalität. Schließlich ging es hier nicht um ein hübsches Hobby für...
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