Schweitzer Fachinformationen
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Die Dinnerparty
Einmal waren die beiden Frauen zum Lunch verabredet, und danach kam sie verstimmt wegen irgendwelcher Kleinigkeiten zurück. Sein einziger Kommentar: »Warum tust du dir das an?« Er wollte sie schützen. Er wollte aber auch einen Keil zwischen die beiden treiben, damit ihm künftig die gemeinsamen Abendessen mit dieser Frau und ihrem Mann erspart blieben. Allerdings waren ein paar Monate später die Streitigkeiten vergessen und der Riss wieder gekittet. Er machte ihr daraus keinen Vorwurf. Es handelte sich um eine alte Freundschaft, und eine gute Freundin bekam man nicht an jeder Ecke.
In einer Art vorweggenommener Rückschau sah er alles voraus, jedes Wort, jede Geste, die er - vier Stunden weiter - von sich gegeben haben würde. Er ging noch einmal zurück in die Küche und stellte sich mit einem frischen Glas Wein an den Kühlschrank, aber so, dass er nicht im Weg war.
»Ich schaff das nicht«, sagte er.
»Schaffst was nicht?«
Mittlerweile lief die Zeit. Das Wasser im Topf näherte sich dem Siedepunkt, das Fleisch lag gewürzt auf dem Schneidebrett.
Sie stand an der Arbeitsplatte neben der Spüle und schnitt eine Zwiebel klein. Weiteres Gemüse, frisch und knackig dem Tod geweiht, wartete gleich nebenan auf seine Verarbeitung. Sie hörte gerade so lange auf zu schnippeln, dass es für eine tragische Pose mit erhobenem Unterarm an der Stirn reichte. Unter Tränen nahm sie ihre Arbeit wieder auf. Sie selber rührte ihren Wein nicht an.
»Ich kann dir jetzt schon sagen, wie der Abend ablaufen wird, und zwar von dem Moment an, wo sie hier durch die Tür kommen bis hin zum Abschiedsbussi. Echt, das halte ich nicht aus.«
»Aber bei einem Bussi-Bussi muss es doch nicht bleiben«, sagte sie gleichmütig schnippelnd. »Warum steckst du ihr nicht die Zunge in den Hals?« Seine Frau war für fast alles zu haben und redete entsprechend offen. Es war vielleicht nicht immer taktvoll, aber genau das zählte zu ihren besten Eigenschaften. »Vermutlich wäre sie darüber aber mehr überrascht als du.«
»Sie kommen rein«, sagte er. »Wir nehmen ihnen die Mäntel ab. Und alle quasseln, als wäre der Teufel hinter ihnen her, als lägen nicht vier lange Stunden gemütliches Beisammensein vor uns. Wir betäuben uns mit Alkohol, wir diskutieren bis zur Erschöpfung jeden Scheiß. Natürlich ist es auch ein lustiger Abend, es wird viel gelacht, obwohl später niemand mehr weiß, was eigentlich so witzig war. Klar, und großes Lob an die Köchin! Gefolgt von ein paar Monologen. Irgendwann gähnt einer, am Ende gähnen alle. Und sie sagen: >Ich glaube, wir sollten langsam.< Wobei wir höflich weggucken, als beabsichtigten sie, auf unseren Ecktisch zu kacken. Dann erheben sich alle, einer von uns holt ihre Sachen von der Garderobe, und auf geht's ans fröhliche Abschiednehmen. Wir alle sagen mehr oder weniger dasselbe: >Was für ein schöner Abend, das sollten wir unbedingt wiederholen<, blabla. Dann sind sie endlich weg, und wir reden über sie. Während sie unten durch die Straßen laufen und über uns reden.«
»Tja. Und womit kann man dir sonst eine Freude machen?«
»Mit einem Blowjob.«
»Warten wir damit lieber, bis sie da sind«, sagte sie.
Sie wischte mit dem Finger an der Klinge des Kochmessers entlang, um es von anhaftenden Zwiebelstückchen zu befreien. Er reichte ihr das Glas. »Trink deinen Wein«, sagte er. Sie trank einen Schluck, und er verließ die Küche.
Er setzte sich aufs Sofa und las weiter seine Zeitschrift. Dann stand er auf, ging in die Küche, schenkte sich nach.
»Ach, und noch etwas«, sagte er. »Sie mit ihrer großen Überraschung immer. Selbst ihre sogenannten Überraschungen sind keine Überraschung, sondern reichlich absehbar.«
»Dann tust du halt so. Tu ihnen den Gefallen, und tu so«, sagte sie.
»Man kann förmlich darauf warten«, sagte er. »Zunächst bedeutungsvolles Schweigen. Dann gibt er den Startschuss, indem er ihr ultrasensibel den Vortritt lässt. >Jetzt sag es ihnen schon<, sagt er zu ihr. Und sie: >Nein, sag du.< Und er: >Nein, du.< Und sie dann: >Na gut, bevor ich mich schlagen lasse.< Und wir - aber hallo - schlackern nur so mit den Ohren ob der freudigen Botschaft. Alter Schwede, wer hätte das gedacht: Sie ist schwanger! Oder: Jemand wurde vom Auto überfahren - auf dem Weg zur Lottoannahmestelle! Und bitte die Geschichte unbedingt an den gutsten Veuve Cliquot weiterleiten. Der alte Sack ist gern im Bilde, was bei anderen so abgeht. Aber das ist noch nicht einmal das Schlimmste. Das Schlimmste ist, wie absehbar unsere Reaktion auf diesen Scheiß ausfällt.«
»Na ja, aber dagegen kann man doch was tun«, sagte sie. »Schlag ihnen eine Abtreibung vor.«
An einem Stück Eis herumlutschend, sagte er: »Dann geht aber ein Ruck durchs Kirchenschiff.«
»Sag, wir könnten es gleich an Ort und Stelle machen, mit einer Pulle Veuve Cliquot und einem Drahtbügel. So was haben wir immer im Haus.«
»Herrlich«, sagte er. »Ich bin dabei.«
Die Küche war klein, eigentlich zu klein für zwei, aber er wollte in ihrer Nähe sein. Sie briet den Knoblauch und die gehackten Zwiebeln an.
»Eigentlich ist er ja ganz okay«, sagte er. »Sie beide sind eigentlich ganz okay. Ich bin nur gerade zum Kotzen.«
»Und wann machen wir so etwas schon mal? Ein-, zweimal im Jahr, wenn's hochkommt. Du wirst es überleben. Und wenn erst das Baby da ist .«
»Gott bewahre.«
»Mit dem Baby kriegen wir sie noch seltener zu sehen.«
»Bis auf die Weihnachtskarten. Hier seht ihr unseren kleinen Sonnen-chein! Kleiner Sonnen-chein am Arsch!«
»Du musst wenigstens nicht zur Babyparty«, sagte sie.
»Jede Wette, sie schaffen sich einen Kinderwagen an.«
»Kinderwagen, wieso?«
»Wieso?«, fragte er und belegte einen Kräcker mit einem Stück Käse. »Um das Baby groß durch die Gegend zu fahren natürlich.«
»Die Chancen für einen Kinderwagen stehen in der Tat hoch«, sagte sie. »Ich wette, du würdest nie einen Kinderwagen kaufen. Weil ein Kinderwagen wäre ja so was von absehbar, habe ich recht?«
»Ich dachte eher, wir kleben uns das Kind mit Panzerband an den Bauch«, sagte er. »Käme billiger.«
»Du meinst wie eine Babytrage, nur mit Panzerband?«
»Genau.«
»Guckt das Kind nach vorn oder nach hinten?«
»Wenn es schläft, nach hinten. Wenn es wach ist und strampelt, weil es etwas sehen will, nach vorn.«
»Du meinst, damit es schon mal seine Umgebung erkunden kann, mit jener unstillbaren Neugier auf die vielfältigen Wunder, die diese Welt für den neuen Erdenbürger bereithält?«
»So ähnlich.«
»Das Kind dürfte eher erleichtert sein, dass ich unfruchtbar bin.«
Er verließ die Küche, stand mit seinem Drink im Wohnzimmer, horchte auf ihre Arbeitsgeräusche.
Eigentlich hätten sie auch Ben und Lauren einladen müssen, wie beim letzten Mal. Ben und Lauren waren eher seine Freunde. Mit Ben und Lauren verging die Zeit auch nicht so schleppend wie in einem Bestattungsinstitut oder in den Kirchen seiner Jugend im Mittleren Westen. Doch diesmal sollte es ein intimer Abend werden, vermutlich, damit die beiden ungestört ihre Überraschung präsentieren konnten. Er hakte zwar noch öfter nach - »Hey, sollten wir nicht auch Ben und Lauren einladen?« -, doch irgendwie war die Sache entschieden, und Ben und Lauren dürften eher froh drum sein.
Er kehrte in die Küche zurück, sagte: »Sobald sie kommen, kriegen sie als Erstes einen ordentlichen Shot verpasst, alle beide.«
»Shot?«
»Tequila.«
»Sie auch?«
»Beide.«
»Das ist bestimmt gut für das Baby.«
»Muss aber sein, notfalls zwinge ich sie«, sagte er. »Ich denk mir was aus.«
»Dann mach mal.«
»Der ganze Quatsch über Folsäure und pränatale Vitamine, hör mir auf. Meinst du, Attila der Hunnenkönig hätte im Mutterleib seine tägliche Gabe Folsäure gekriegt? Oder Napoleon?« Sie ging in der Küche hin und her, während er seinen Drink dicht am Körper hielt. »Und das sind längst nicht alle.«
»George Washington«, sagte sie. »Einer unserer Gründerväter.«
»Siehst du? Die Liste ist lang. Moses.«
»Trotzdem glaube ich, dass sie auf Tequila pur lieber verzichtet«, sagte sie.
»Ach was, man muss es nur clever anstellen. Sag ihr, in Tequila sind jede Menge pränatale Vitamine. Wirst sehen, wie sie das Zeug wegschlürft.«
»Klar, sie ist ja auch erst im dritten Schuljahr«, sagte sie. »Außerdem ist sie blind und total verblödet.«
»Ich sagte doch, ich überlege mir was.«
Abermals verließ er die Küche. Als er wiederkam, sagte er: »Okay, ich hab's.«
Doch die Küche war leer. Ihr Ehering und der eine Diamantring lagen noch auf der Theke - wie immer, wenn sie kochte. In der Spüle stand jede Menge Geschirr. Der große Topf und die kleine Kasserolle auf dem Herd köchelten vor sich hin und emittierten ihren Dampf in die ratternde Dunstabzugshaube. Der Unterschrank war offen.
»Amy?«, sagte er. Keine Antwort. Wo war sie hin? Er wandte sich um und ging bis vors Wohnzimmer, dies für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie über den Flur nach draußen gegangen war, während er auf dem Sofa im Wohnzimmer lag. Dann kehrte er wieder in die Küche zurück, wo sich zumindest die elektrischen...
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