Schweitzer Fachinformationen
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Nachdem die Leiche abtransportiert worden war, sicherte die Kriminaltechnik die restlichen Spuren rund um den Ablageort. Die Mitarbeiter des Xiringuito waren mittlerweile eingetroffen, und da das Strandcafé noch eine ganze Weile nicht für den normalen Besucherverkehr freigegeben werden würde, waren sie dazu übergegangen, die Beamten zu bewirten. Karl und Alex kam das gerade recht. Dankbar nahmen sie die Tassen mit starkem Kaffee und die Croissants entgegen, die die Mitarbeiter ihnen durch ein Seitenfenster nach draußen reichten, und verkrümelten sich damit auf zwei der Sonnenliegen unter einem Schirm, die ebenfalls von der Bambú Beachbar vermietet wurden.
Die Betreiber des Cafés störte die Anwesenheit der Mordkommission überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. An der letzten Strandhütte der Stadt war an diesem Morgen so viel los wie sonst nur selten. Beinahe jeder, der hier vorbeikam, blieb stehen, bestellte einen Café solo, den er durch die Klappe gereicht bekam, und schaute dem Treiben der Beamten zu. Als müsste niemand zur Arbeit. Karl kam sich ein wenig vor wie im Zoo, deshalb wandte er den Schaulustigen auch den Rücken zu.
Karl und Alex saßen nebeneinander und blickten auf das Meer hinaus, während sie schweigend ihren Kaffee tranken. Es dauerte eine Weile, bis man einen Anblick wie den des toten jungen Mannes verkraftet hatte.
»Wir sollten die Arbol bitten, unser Team zurückzubeordern«, brach Karl schließlich das Schweigen. »Und zwar am besten schon vor zwei Stunden. Der erste Tag ist bei einer Mordermittlung entscheidend.«
Alex lachte in sich hinein. »Ja, ja. Ich habe meine Hausaufgaben auch gemacht, Flieger. Die meisten Mordfälle werden innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunden gelöst. Danach sinkt die Wahrscheinlichkeit, den Fall aufzuklären, rapide ab.«
»Wieso sagst du das mit diesem komischen Unterton?«
»Weil du nicht mein Lehrer bist, Karl. Ich bin die letzten Wochen ganz gut ohne dich zurechtgekommen.«
»Hast du nicht vorhin noch gesagt, es sei überhaupt nichts los gewesen?«
Alex fing Karls beleidigten Blick auf und lachte. »Nicht, dass ich mich nicht freue, dass du wieder da bist. Aber du musst mir nicht mehr die Welt erklären.«
Karl zog die Augenbrauen hoch. »Dafür hast du ja jetzt Chi.«
»Richtig!«, bestätigte Alex lachend.
»Aber mal im Ernst: Wir brauchen die anderen. Hier. Jetzt.«
»Du hast ja recht. Ich habe nur keine Lust, der Arbol das begreiflich zu machen.«
»Denkst du, ich?«, gab Karl zurück. Ihre Vorgesetzte Maria Arbol war zwar ihnen gegenüber mittlerweile insgesamt milder gestimmt, das bedeutete aber noch lange nicht, dass sie es schätzte, wenn man etwas von ihr wollte. Schon gar nicht, wenn es darum ging, eine von ihr getroffene Entscheidung infrage zu stellen. Alex griff in seine Hosentasche und zog eine E-Zigarette hervor.
»Was ist denn mit dir los?«, fragte Karl amüsiert.
Alex grinste ertappt und zuckte die Schultern. »Ich bin jetzt unter die Dampfer gegangen. Chi meint, das wäre wenigstens nicht so ungesund. Und ich würde nicht so stinken.« Er nahm noch einen Zug. »Ich glaube, sie wird weich!«
Das brachte Karl zum Lachen. »Glaubst du?« Er schnupperte und verzog das Gesicht. »Bäh, wonach riecht denn das? Kaugummi?«
Alex schnaubte. »Also wirklich. Das ist Erdbeerkuchen!«
»Du rauchst Erdbeerkuchen?«
Mit einem Augenzwinkern nahm Alex einen weiteren Zug. »So habe ich Kaffee und Kuchen. Das ist quasi ein ganzes Frühstück - ohne Kalorien.«
»Du kannst auch gern mal bei uns vorbeikommen und deine Nichte auf dem Pezziball wippen. Das macht genauso schnell schlank.«
Alex musterte seinen Schwager. »Das ist mir nicht entgangen, du siehst richtig ausgezehrt aus.«
Karl schwieg eine Weile, dann schüttelte er den Kopf. »Die armen Eltern.«
»So im Allgemeinen?«
»Nein. Ich meine die Eltern des jungen Mannes. Er ist in Barcelona geboren, stammt von hier. Wir werden ihnen noch heute Morgen sagen müssen, dass ihr Sohn auf bestialische Art und Weise umgebracht wurde.«
Alex' Miene wurde ernst. »Gott, wie ich das hasse«, murmelte er.
»Hm.«
Karl hörte schwerfällige Schritte hinter sich, drehte sich um und stellte fest, dass Luisa Ramirez auf sie zukam. »Seid ihr fertig?«, rief er ihr entgegen.
»Genau, ihr könnt eure faulen Ärsche zum Van rüberbewegen. Wir nehmen euch mit in die Comisaría.«
Die Comisaría der Ciutat Vella von Barcelona war ein modernes Glas- und Betongebäude mitten im Herzen des multikulturellen Problemviertels Raval, das sich im Laufe der Zeit aber auch zum hippen Trend- und Studentenbezirk gemausert hatte. Die Menschenmassen, die sich hier durch die engen Gassen drückten, waren an Diversität nicht zu überbieten. Hier lebten schwule Techno-DJs Wand an Wand mit arabischen Großfamilien, Huren und Schläger Seite an Seite mit Geistlichen, Intellektuellen und auch so manchem Mitarbeiter der Mossos d'Esquadra. Und das funktionierte erstaunlich gut. Der Raval war der Inbegriff von »leben und leben lassen« und war Karl schnell ans Herz gewachsen, genauso wie seine Dienststelle. Im Falle des Raval hätte er das niemals für möglich gehalten.
Als er selbst studiert hatte, hatte man ihnen noch eingetrichtert, diese Straßen nachts nur zu betreten, wenn man das dringende Bedürfnis hatte, erschossen zu werden. Auch das Grundgefühl dort hatte er nie gemocht. Zu dreckig, zu aggressiv, zu wachsam beziehungsweise misstrauisch. Tatsächlich war für den Sitz ihrer Dienststelle, die für die gesamte Altstadt Barcelonas zuständig war, nicht umsonst der Raval ausgewählt worden. Einerseits hatte man wohl gehofft, die Gegend positiv beeinflussen zu können, andererseits strategisch gedacht, weil man so in den meisten Fällen schnell vor Ort war.
Die Gegend hatte sich seitdem zum Besseren gewandelt, doch Karls Meinung nach war das nicht das Verdienst der Mossos. Einen größeren positiven Einfluss hatten wohl eher der Bau des MACBA, des Museums für zeitgenössische Kunst, das katalonische Filmforum sowie die Kunsthochschule im Raval, was einen Zuzug der Studenten und Künstler zur Folge gehabt hatte. Doch vielleicht hatte die Gegenwart der Mossos ja ihren Teil dazu beigetragen. Interessant war, dass im Raval niemand verdrängt worden war, sondern einfach nur neue Menschen dazugekommen waren. Bei ihnen in El Born war es ähnlich. Aus Berlin kannte Karl das große Problem, dass alteingesessene Bürger von jenen aus ihren Vierteln verdrängt wurden, die schlicht mehr Geld hatten. Doch in Spanien war diese »Gentrifizierung« im Allgemeinen weniger präsent, weil die Spanier große Immobilienkäufer waren. Selbst Menschen, die wenig verdienten, kauften hier eher Immobilien, als sie zu mieten, und konnten so auch nicht so einfach aus ihren Wohnungen oder aus ihren Nachbarschaften verdrängt werden. Auf diese Weise blieb das Flair der Viertel in Barcelona erhalten, wenn nicht gerade die geballte Kraft der Passagiere von vier Kreuzfahrtschiffen gleichzeitig durch die Gassen pflügte.
Luisa umfuhr das Viertel und bog von der großen Avenida Paral·lel in die Straße ein, die zur Comisaría führte. Sie fuhren auf den Hof, und Karl spürte, wie sein Herz einen kleinen Sprung machte. Es war fast wie nach Hause kommen.
Maria Arbol, die Chefin der Comisaría, betrat das Gebäude gerade durch den Vordereingang, als sie eintrafen.
»Jefa«, rief Karl und hob die Hand zum Gruß. »Haben Sie eine Minute?«
Die Cap de la Unitat lächelte schwach. »Ah, Sergent Lindberg. Sie sind wieder da?«
»Ja, seit heute. Und gleich voll im Geschehen. Deshalb brauchen wir Sie ganz dringend.«
Sie zog interessiert die Brauen hoch. »So? Was gibt es denn?«
»Eine schlimm verstümmelte Leiche unten am Strand. Ein junger Mann Anfang zwanzig. Student. Von hier.«
Maria Arbol setzte ihre Tasche auf dem Betonboden ab und verschränkte die Arme vor der Brust. Plötzlich hatte sie einen harten Zug um den Mund.
»Verstümmelt, sagen Sie?«
Alex nickte ernst. »Seien Sie froh, dass Sie das nicht gesehen haben.«
»Da passiert wochenlang nichts, und dann so was ausgerechnet an dem Tag, an dem Sie aus dem Elternurlaub zurückkommen. Man könnte glatt das Gefühl bekommen, Sie sind eine Gefahr für die Stadt, Lindberg.«
Karl lächelte. »Ich glaube nicht, dass meine An- oder Abwesenheit negative Auswirkungen auf die Kriminalstatistik von Barcelona hat, Jefa. Aber ich bin froh, wenn ich zur Aufklärung beitragen kann.«
»Schon gut. Warum haben Sie mich aufgehalten?«, fragte Maria Arbol nun. »Was brauchen Sie von mir?«
»Kurz gesagt: unser Team«, antwortete Alex. »Der Tote wurde am Strand gefunden; es gibt keine verwertbaren Spuren. Der Fund wird sich schnell herumsprechen, der ganze Strandabschnitt war voller Leute, und wir konnten unsere Anwesenheit nicht verbergen. Und Zeit ist bei Mordfällen ein wichtiger Faktor. Wir brauchen unsere Leute hier, wenn wir schnell Ergebnisse erzielen wollen.«
»Wir haben genug Mossos vor Ort. Ihre Leute sind auf einem Lehrgang, die kann ich da nicht einfach rausholen.« Sie runzelte die Stirn. »Warum sind eigentlich ausgerechnet Sie da dran? Gerade weil Ihr Team unterwegs ist, hätte das doch auch eine andere Ermittlergruppe übernehmen können.«
Alex zuckte die Schultern. »Der Bereitschaftsdienst hat mich angerufen. Offensichtlich war ich der Einzige, der morgens um halb fünf Uhr an sein Handy gegangen ist.«
Maria Arbol zog ungläubig die Brauen hoch, dann seufzte sie. »Da hätten die Kollegen ja mal ein bisschen mitdenken können. Jetzt stecken wir in einem Dilemma.«
»Bis wir andere Mossos...
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