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Die Sonne brennt heiß vom Himmel und die Schlange wird einfach nicht kürzer. Ganz Tokyo scheint zur Mittagszeit auf den Beinen zu sein. Und Tokyo ist riesig. Davon hat Herr Hoffmann sich gerade eben selbst überzeugen können, als er mit Frau Watanabe im 46. Stock des Rathauses stand und auf das sich scheinbar unendlich erstreckende Häusermeer herabschaute. Einfach unglaublich.
»Sehen Sie, wir sind gleich dran«, reißt ihn Frau Watanabe aus seinen Gedanken - und wirklich. Sie sind nun fast am vorderen Ende der Schlange der kleinen Sushi-Bar angelangt. Laut Frau Watanabe einer der besten Läden in Shinjuku.
Kurz darauf sitzen die beiden an einem kleinen Tischchen vor dem Mittagsmenü, das Frau Watanabe geordert hat. Nach einem Seitenblick auf seine Begleiterin reinigt sich nun auch Herr Hoffmann die Hände mit dem oshibori, das ihn an die heißen, feuchten Tücher erinnert, die er im Flugzeug beim Aufwachen bekommen hat.
»Essen Sie oft hier?«, fragt Herr Hoffmann, als er beobachtet, wie Frau Watanabe mit geübtem Griff die hashi, die Essstäbchen, aus dem Papier zieht und mit einer schnellen Bewegung auseinanderbricht.
Sie lacht: »Ich weiß schon, ihr Deutschen denkt immer, wir Japaner würden jeden Tag Sushi essen. Aber das stimmt gar nicht, viel häufiger esse ich mittags Nudeln oder eine Suppe.«
Herr Hoffmann nimmt schnell einen Schluck grünen Tee, der kostenlos zum Essen gereicht wurde, um zu überspielen, dass er das tatsächlich gedacht hatte. Nun sieht er sich das Essen genauer an. Auf einem Holzbrettchen sind verschiedene Röllchen zu sehen, dazu Fischstücke auf kleinen Reisbällchen. Und eine Art rosafarbener Schwamm. Daneben, in einer kleinen Schale, eine Misosuppe. Um den Wasabi - den scharfen japanischen Meerrettich - macht er lieber einen Bogen. Das Erlebnis im Flugzeug reicht ihm.
Am besten fängt er mit der Suppe an - dass die hier aber auch die Vorspeisen zusammen mit dem Hauptgang bringen müssen . Nur, wo ist der Löffel? Ein schneller Blick auf Frau Watanabe liefert die Lösung. Sie trinkt die Suppe direkt aus der Schale und fischt mit ihren Stäbchen die Tofu- und Algenstücke heraus. Das ist Herrn Hoffmann jetzt zu kompliziert. Er ist schließlich froh, wenn er überhaupt etwas mit seinen Stäbchen gegriffen bekommt, da muss es nicht gleich der glitschige Tofu aus der Suppe sein. Das ist doch eher für Fortgeschrittene. Misstrauisch beäugt er noch mal die Platte und entscheidet sich dann für ein Röllchen mit einer gelben Füllung. Frau Watanabe zeigt ihm noch mal, wie er die hashi richtig halten muss: Ein Stäbchen liegt als Basis unbeweglich zwischen Mittel- und Ringfinger. Nur das obere Stäbchen wird mit Daumen und Zeigefinger gegen das untere bewegt.
Herr Hoffmann greift ein wenig ungeschickt, aber dennoch erfolgreich das anvisierte maki-Röllchen, tunkt es kurz in das kleine Schüsselchen mit Sojasoße und nimmt es dann schnell in den Mund, bevor noch etwas schiefgeht. Geschafft. Zufrieden und auch ein bisschen stolz kaut er sein erstes Sushi. Nicht schlecht, schmeckt leicht säuerlich, erfrischend.
Frau Watanabe erklärt ihm, dass er zwischen den Sushis seine Geschmacksnerven mit dem eingelegten Ingwer - aha, das also ist der rosa Schwamm - neutralisieren kann. Die dünn geschnittenen Ingwerscheiben einzeln mit den Stäbchen hochzunehmen ist Herrn Hoffmann aber dann doch zu heikel.
So, welchen Fisch nun? Vorsichtig nimmt er eines der Reisbällchen mit einem Stück dunkelrotem Fisch darauf, balanciert es zur Schale mit der Sojasoße und - platsch. Schon liegt das Fischfilet neben einem traurigen Häuflein Reis in der Soße.
Frau Watanabe legt ihre Stäbchen beiseite. »Sehen Sie, Hofuman-san, Sushi kann man ebenso gut mit der Hand essen!« Wie zum Beweis nimmt sie ein kleines Schiffchen mit rotem Fischrogen mit drei Fingern und steckt es in den Mund. Erleichtert spießt Herr Hoffmann seine Stäbchen in sein tamago-nigiri und nimmt nun ebenfalls die Finger.
Genau wie zum Beispiel Kartoffeln bis vor kurzem ausschließlich mit der Gabel und nicht mit dem Messer zerteilt werden durften, gibt es auch bei Stäbchen eine Menge Dinge, die schieflaufen können. Herr Hoffmann hat es geschafft, durch sein Benehmen die Erinnerung an ein buddhistisches Totenritual wach zu rufen. Durch große Ess-Stäbchen oder Räucherkerzen, die in eine Schüssel Reis gesteckt werden, wird bei einer Totenfeier den Verstorbenen Essen dargebracht. Daher gilt es als respektlos, bei Tisch die Stäbchen ebenfalls ins Essen zu spießen. Ein anderes Ritual sieht vor, dass die Angehörigen des Verstorbenen die Knochen der eingeäscherten Leiche mit Stäbchen weiterreichen. Aus diesem Grund ist es ebenfalls tabu, beim Essen einzelne Häppchen mit den Stäbchen zum Probieren an die hashi Ihres Tischnachbarn weiterzugeben.
Nur, warum essen Japaner überhaupt mit Stäbchen? Einfach nur, damit wir Europäer beim ersten, kläglichen Ess-Versuch damit wie komplette Vollidioten aussehen? Nein - schuld sind die Chinesen. Denn die waren ihrer Zeit weit voraus. Schon etwa 1.500 v. Chr. verwendeten die Chinesen Essstäbchen. Die Japaner dagegen aßen zu dieser Zeit noch mit den Fingern - jahrhundertelang sollte sich daran auch nichts ändern. Erst gegen 500 schwappte dieser Teil der chinesischen Kultur nach Japan. Ganz schön spät? Nun ja, wir Europäer haben noch sehr viel länger mit den Fingern gegessen.
Obwohl die Gabel im 10. Jahrhundert in Byzanz erstmals auftauchte und schließlich auch ihren Weg nach Italien fand, hatte diese neue Erfindung es zunächst schwer. Als Symbol des Teufels verschrien, dauerte es bis Mitte des 14. Jahrhunderts, bis die Gabel sich zunächst in Italien durchsetzte. Aber noch Ludwig XIV, der Sonnenkönig, aß im 17./18. Jahrhundert mit den Fingern und auch der sonst Änderungen gegenüber aufgeschlossene Martin Luther schimpfte: »Gott behüte mich vor Gäbelchen!« Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts erhielt die Gabel neben dem Löffel und dem Messer auch im Rest der westlichen Welt ihren festen Platz. Endlich musste das Fleisch beim Zerteilen mit dem Messer nicht mehr mit den Fingern gehalten werden.
Zu dieser Zeit wird in Japan gar kein Fleisch gegessen. Seit 676 hat Kaiser Temmu unter dem Einfluss des sich ausbreitenden vegetarischen Buddhismus offiziell den Verzehr von Fleisch verboten. Da in Japan das Meer an keiner Stelle weiter als 150 Kilometer entfernt ist, ist Fisch die logische Alternative.
Nur, wie macht man ihn länger haltbar? Die buddhistischen Mönche experimentieren so lange mit dem leicht verderblichen Fisch, bis sie herausfinden, dass sich dieser nach Gärung länger hält. Reis beschleunigt die Gärung und macht den Fisch noch schmackhafter. Mitte des 17. Jahrhunderts wird mehr und mehr Reis angebaut und ein Teil der Ernte zu Reisessig verarbeitet. Der Arzt MATSUMOTO Yoshiichi kommt auf die clevere Idee, den tagelangen Gärungsprozess zu verkürzen, indem er den Reis ganz einfach mit Essig mischt. Jetzt geht alles viel schneller.
Doch seinen endgültigen Durchbruch erlebt Sushi Anfang des 19. Jahrhunderts in der Millionenstadt Edo, die später einmal Tokyo heißen wird. In den überfüllten Straßen drängen sich die Angehörigen der verschiedenen Stände. Samurai stolzieren mit ihren edlen Seidengewändern umher, doch auch der niedrigste Stand - die Kaufleute - hat es in Edo zu großem Reichtum gebracht. Sie dürfen zwar nur einfache Baumwollgewänder tragen, stehen den Samurai aber durch aufwendig gefärbte Muster kaum nach. Kein Wunder, dass im immer beliebter werdenden kabuki-Theater denn auch häufig der tüchtige Kaufmann über den gerissenen Samurai siegt. Und natürlich sind die Kaufleute immer in Eile - Zeit war schon damals Geld. Da kommt es gerade recht, dass HANAWA Yohei (1799-1858) eine neue Form des Sushi erfunden hat, das nigiri-Sushi. Im Gegensatz zu dem bislang verbreiteten Sushi, das noch umständlich in Formen gepresst wurde, formt Hanawa seinen Reis per Hand - und belegt diesen mit rohem Fisch. In wenigen Minuten ist das Fast Food fertig. Dieses flotte Sushi wird schnell beliebt, wie man an den verschmutzten Vorhängen an Hanawas Stand erkennen kann. An diesen Vorhängen wischen sich die Kunden die Hände sauber - je verschmutzter also der Stoff, desto beliebter das Essen.
Heute muss ein traditioneller Sushi-Koch in Japan eine mindestens fünfjährige Lehre absolvieren - bei Köchen, die den giftigen Kugelfisch zubereiten, dauert die Lehrzeit sogar zehn Jahre. Traditionell ist die Herstellung von...
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