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Jackson Deveau trat durch die Tür auf die Veranda vor dem Haus und starrte die brodelnden Wolken an, die sich über der aufgebrachten See zusammenbrauten. Der Sturm zog schneller heran als vorhergesagt, wie so oft an der Küste im Norden Kaliforniens. Nebelfetzen, die der zunehmende Wind vor sich her stieß, hatten die Küste bereits erreicht und hüllten sie in nassen grauen Dunst.
Sie war irgendwo dort draußen. Allein. Am Leben. Er wusste, dass sie am Leben war. Sie musste am Leben sein. Elle Drake, die jüngste der Drake-Schwestern, war mittlerweile schon seit einem Monat verschollen. Etwas Furchtbares war ihr zugestoßen, denn sonst hätte sie sich gemeldet. Ihr Agentenjob hatte sie in das schmutzigste Milieu überhaupt geführt - den Menschenhandel -, und irgendwie hatten ihre Betreuer sie verloren. Ihrer Familie war mitgeteilt worden, dass sie für tot gehalten wurde, aber das glaubte er ebenso wenig wie ihre Schwestern. Er hätte es gewusst, wenn sie tot wäre. Ihre Schwestern hätten es gewusst. Die Drakes waren durch übernatürliche Bande miteinander verknüpft, und obwohl Elles Schwestern aufgrund ihres Verschwindens am Boden zerstört waren, waren sie sich einig, dass sie noch am Leben war. Alles andere würde er nicht glauben - er durfte es nicht glauben.
Also musste er sie finden. Heute noch. Falls ihre Deckung aufgeflogen war - und das war sehr wahrscheinlich -, würden diejenigen, die sie gefangen hielten, sie so weit wie möglich von den Vereinigten Staaten fernhalten, wenn sie sie nicht gleich umbrachten. Ihre Familie hatte zahllose Male versucht, mit ihr in Kontakt zu treten. Er selbst hatte es auch versucht, aber ihnen allen war es misslungen, auch nur den geringsten Anhaltspunkt dafür zu finden, wo sie sich aufhielt. Fast ein Monat war vergangen, seit er ihre leise Stimme gehört hatte. Und jedes Mal, wenn er seinem inneren Ohr ihren Ruf erneut vorspielte, war er sicher, dass sie furchtsam gewirkt hatte. Und dabei gab es so gut wie nichts, wovor Elle sich fürchtete.
Das Unwetter würde sie mit dem dringend benötigten Energieschub versorgen, und der Plan war denkbar einfach. Sie alle würden sich in Elles geschütztem Haus versammeln, dem Heim ihrer Ahninnen, und sie würden die geballte Energie des Unwetters bündeln, sie ins Universum hinaussenden und Elle finden. Und genau das würde passieren, eine Alternative war undenkbar.
Er stieß einen Pfiff aus und Bomber, sein Hund, kam um die Hausecke gesprungen und lief mit ihm zu seinem Pickup. Der große Deutsche Schäferhund sprang hinein und machte es sich auf dem Sitz neben ihm bequem. »Heute, Kleines«, flüsterte er in den Wind und ließ ihn seine Worte davontragen.
Die Fahrt durch Sea Haven war ihm inzwischen vertraut. Er war in den kleinen Küstenort gezogen, nachdem er erst beim Militär als Ranger gedient und dann, gemeinsam mit seinem Freund Jonas Harrington, beim Rauschgiftdezernat gearbeitet hatte. Mehr als einmal hatte sich die Situation teuflisch zugespitzt, sowohl beim Militär, als er in Gefangenschaft geraten war, als auch später bei einer verdeckten Ermittlung. Jonas hatte nach Hause gehen wollen, nach Sea Haven, und er hatte Jackson überredet, mit ihm zu kommen. Er hatte einen Posten im Büro des Sheriffs angenommen und überwachte die Küste; lange Zeit war ihm nicht klar gewesen, wie sehr ihm die Bewohner von Sea Haven ans Herz gewachsen waren. Er war ein wortkarger Mann, der so schnell keine Freundschaften schloss, doch in der kleinen, fest zusammengewachsenen Gemeinde war er aufgenommen worden. Die Leute akzeptierten ihn.
Die ganze Ortschaft betrauerte Elle Drakes Verschwinden, nicht nur ihre Familie und er. Er nahm Stille wahr, als er durch die Straßen fuhr, sogar eine Art Grauen. Wohin er auch blickte, sah er die kleinen gelben Bänder wehen, an Geschäften und Privathäusern, an Zäunen und Bäumen. Eine von ihnen war verschollen und sie alle wollten, dass sie wieder nach Hause kam. Der Wind trieb weiterhin Nebel vor sich her, bis der dichte graue Dunst auch über der Küstenstraße lag und sich auf seiner Windschutzscheibe absetzte. Hoffnungslosigkeit hing wie eine Wolke über ihm, als er die Schnellstraße bis zu der gewundenen Auffahrt nahm, die zum Anwesen der Drakes hinaufführte.
Das mehrstöckige Haus stand auf einer Klippe, umgeben von Bäumen und einem wunderschönen, farbenprächtigen Garten, dessen Pflanzen sogar im tiefsten Winter wuchsen und blühten. Als Erstes vernahm er die Musik von Windspielen, die in ihrer Vielfältigkeit Tonfolgen erzeugten, welche ihm die furchtbare Last von der Brust zu nehmen schienen. Das zweiflügelige schmiedeeiserne Tor war geschlossen, und er hielt am Fuße des Hügels an und musterte eingehend die Symbole und die Worte, die sowohl auf Latein als auch in italienischer Sprache eingemeißelt waren. Vereint werden die sieben eins.
Die Drakes verfügten über eine Magie, die nur die wenigsten Menschen besaßen, und wenn sie zusammenkamen, konnten sie ganz außerordentliche Dinge erreichen. Jackson empfand sie alle als außergewöhnliche Frauen. Irgendwie war er durch Jonas in ihren Kreis eingeführt worden.
Elle. Er lehnte seine Stirn ans Steuer und bekämpfte seine Angst um sie mit gezielten Atemübungen. Er selber war Kriegsgefangener gewesen, und es hatte nicht allzu viel Hoffnung bestanden, dass ihn jemand finden würde. Man hatte ihn damals im Abstand von wenigen Tagen verlegt, und da er in dem Ruf stand, ein glänzender Scharfschütze zu sein, hatten diejenigen, deren Gefangener er war, nicht die Absicht gehabt, ihn auszuliefern, noch nicht einmal aus politischen Gründen. Die Narben von den Folterungen jener langen Wochen waren auf seiner Haut zu sehen, doch sie gingen noch viel tiefer. Es war nicht gerade so, als hätte er in jenen Zeiten viel gehabt, wofür es sich zu leben lohnte, und er hatte auch nicht an viel geglaubt. Bis eine Stimme in seinem Kopf zu flüstern begann und ihm sagte, er solle leben. Er solle kämpfen. Er sei nicht allein.
Anfangs hatte er geglaubt, er sei dabei, den Verstand zu verlieren. Diese Stimme war sanft - weiblich -, und im Lauf der Zeit wurde sie sinnlich. Er liebte den Klang ihrer Stimme. Elle. Seine geheimnisvolle, ätherische Elle Drake. In seinem Schmerz hatte er irgendwie die Verbindung zu ihr hergestellt, und ihr war es gelungen, ihn zu finden. Er verstand diese Verbindung zwischen ihnen nicht, aber er wusste, dass sie zu ihm gehörte. Sie war für ihn bestimmt. Er war Jonas nach Sea Haven gefolgt, um sie zu sehen, dass sie wirklich existierte. Und sowie er sie gesehen hatte, hätte er Manns genug sein müssen, um fortzugehen, aber er konnte es nicht. Er seufzte. Die Lasten der ungelösten Probleme, die er mit sich herumtrug, waren viel zu gefährlich. Er musste eine Möglichkeit finden, diese Dinge aus der Welt zu schaffen, bevor er Ansprüche auf die Frau erhob, von der er wusste, dass sie für ihn bestimmt war.
Das große Vorhängeschloss am Tor fiel aus eigenem Antrieb auf den Boden, und die Flügel des Tores schwangen auf. Das bereitete ihm eine immense Genugtuung. Das Tor der Drakes öffnete sich nur für diejenigen, die zur Familie gehörten. Niemand wusste, wie es die Familienmitglieder und deren Männer erkannte, aber das Haus, das denen Schutz geben konnte, die sich in ihm aufhielten, hieß ihn willkommen.
»Siehst du, Elle?«, flüsterte er. »Sogar dein Haus sagt, dass es an der Zeit ist.« Der Zeitpunkt war sogar schon überschritten. Er hätte schon vor langer Zeit aktiv werden sollen, einen Krieg beginnen oder ihn vielmehr beenden und sie dann für alle Zeiten an sich binden sollen. Wenn er das getan hätte, wäre es gar nicht erst so weit gekommen.
Er fuhr die Straße zum Haus hinauf und bemerkte, wie üppig und grün und wie wunderschön hier immer alles war. Das Haus ragte vor ihm auf, ein altes Haus, das ohne einen Sprung in der Farbe im Wind und in der salzigen Gischt stand und so aussah, als sei es gerade erst gebaut worden. Er fuhr um das Haus herum zu den Parkplätzen hoch oben über dem Meer. Einen langen Moment stand er da und starrte in das brodelnde dunkle Wasser hinab. Manchmal glitzerte das Meer ganz sanft, aber heute Abend schien es zornig und aufgewühlt zu sein und gut zu seiner Stimmung zu passen.
Wellen krachten gegen die Felsen, weißer Schaum sprühte hoch in die Luft auf, mit einem Donnergetöse, das in seinem Kopf widerhallte. »Elle, Kleines, wo bist du?«, flüsterte er in den Wind. Er brauchte dringend eine Antwort.
»Jackson.« Jonas Harrington blieb hinter seinem Freund stehen. Er kannte ihn gut genug, um ihn als Vorwarnung bei seinem Namen zu nennen und sich nicht lautlos von hinten anzuschleichen.
Jackson drehte sich halb zu ihm um, und ihm war anzusehen, dass er von Anfang an gewusst hatte, dass Jonas da war.
»Ich hätte sie zurückhalten müssen«, sagte Jackson. »Ich wusste, dass sie sich auf etwas Gefährliches eingelassen hatte, und ich hätte sie davon abhalten müssen.«
Jonas schüttelte den Kopf. »Die Drakes sind nicht so leicht aufzuhalten.« Doch schon während er das sagte, wusste er, dass Jackson ihm niemals zustimmen würde. Er war wie ein Krieger aus früheren Zeiten. Elle war die Frau für ihn, und er sah es als seine Pflicht, sein Privileg und sein Recht an, auf sie aufzupassen. Er interessierte sich nicht im Geringsten für Frauenrechte, Sitten oder gesellschaftliche Gepflogenheiten. Jackson hatte seinen eigenen Ehrenkodex. Elle war die Frau für ihn, und es war seine Sache, dafür zu sorgen, dass ihr nichts zustieß. Diese Pflicht hatte er vernachlässigt, und kein Argument war ihm gut genug oder würde es jemals sein.
»Sie ist am Leben, Jonas, das weißt du selbst, und ihre...
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