Schweitzer Fachinformationen
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Ein Bayou ist kein Ort für Ängstliche - insbesondere bei Nacht. Alligatoren, Schlangen und manchmal auch Großkatzen warten nur darauf, dass man einen Fehler macht. Seltsame Lichter und Kreaturen, ob Dämonen oder Raubtiere, geistern dann dort durch den dunklen Bayou. Schnell hat man die Orientierung verloren und verläuft sich im endlosen Gräsermeer und den nebelverhangenen Zypressen. Ein falscher Schritt, und man sinkt so tief ein, dass man nie wieder an die Oberfläche zurückkommt.
Remy Boudreaux liebte den Bayou. Am Tag und in der Nacht. Dort fühlte er sich zu Hause, und so würde es immer sein. Er liebte die abergläubischen Menschen dort, die Heiler und Zauberer. Das Essen. Die Sümpfe. Sogar die verfluchten Alligatoren. Die schwüle Hitze und den Sonnenuntergang, wenn die goldene Sonne im Wasser zerfloss.
Und dann war da noch New Orleans. Eine Stadt, auf die er sehr stolz war. Egal, wie oft die Natur - oder der Mensch - sie zerstörte, die Stadt erhob sich immer wieder wie ein Phönix aus der Asche, schöner und stärker als zuvor. Das war seine Stadt. Sein Bayou. Sein Sumpf. Und sein Volk.
Die Menschen in den Bayous und Sümpfen gingen Tag für Tag ihrer Arbeit nach und baten nicht um Almosen. Sie fischten und jagten und fingen Krabben und Krebse für ihre Familien. Falls es einmal Ärger gab, zogen sie es vor, die Angelegenheit selbst zu regeln, denn die Familien in den insektenverseuchten Sümpfen und Gewässern lebten nach eigenen Regeln. Sie baten nicht um Erlaubnis oder Entschuldigung, nahmen das Leben, wie es kam, und genossen es. Die meisten lebten in großen, lauten Familien und nutzten jede Gelegenheit, um zu feiern. Sie waren beste Freunde oder schlimmste Feinde, leicht reizbar, aber auch sehr hilfsbereit.
Remy hatte die ganze Welt bereist, war aber immer wieder in die Bayous zurückgekehrt - und zu seinen Leuten. Er liebte sie alle so heiß und innig, wie nur ein Cajun sein Volk lieben konnte - oder ein Leopard sein Rudel. Was er dagegen verabscheute, war Mord. Diese Leute standen unter seinem Schutz und niemand drang in seine Welt ein, brachte jemanden um und kam ungeschoren davon.
Remy war groß und breitschultrig und hatte die unverkennbar kräftige Muskulatur seiner Art. Sein pechschwarzes Haar wirkte immer etwas struppig, und seine Augen waren entweder kobaltblau oder, wenn nötig, auch von dem kalten Blau eines Gletschers. Es sei denn, sein Leopard drängte hervor, dann wurde sein Blick starr und aufmerksam - und seine Augen sehr grün. Seine Gesichtszüge waren wie gemeißelt, das Kinn ausgeprägt. Er hatte fast immer einen Stoppelbart und eine Narbe am Hals, wie von einem Messer - oder einer Kralle.
Mit Remy Boudreaux legte sich niemand gern an. Er war ein typischer Cajun, geboren und aufgewachsen in den Bayous. Und eher Tier als Mensch. Seine Raubtierinstinkte halfen ihm bei der Arbeit als Kriminalkommissar. Der Ruf, dass er nicht mit sich spaßen ließ, eilte ihm aus gutem Grund voraus, und er nahm es persönlich, wenn in seiner Stadt oder seinem Bayou ein Mord geschah.
Es gab nur wenig Mondlicht, und das Wasser glänzte schwarz, als das Propellerboot darüberglitt. Hohe Gräser ragten zu beiden Seiten empor und bildeten einen schmalen Kanal. Die Schilfwände waren dicht und undurchdringlich und machten es unmöglich hindurchzusehen. Remys Bruder Gage steuerte das Boot mit leichter und sicherer Hand durch die trügerischen Gewässer.
»Bist du sicher? Glaubst du, es ist derselbe Killer? In dem Fall müssten wir das FBI verständigen«, sagte Remy. Doch sein Bauchgefühl gab ihm bereits die Antwort. Gage machte keine Fehler, schon gar nicht, wenn es um Mord ging.
Gage Boudreaux war der Sheriff der Gemeinde. Er und seine Männer waren verantwortlich für die Bayous und die umliegenden Gebiete, und seine Miene war momentan finster, denn was Mord anging, dachte er genauso wie Remy.
»Der Tote ist in einem der Camps am Rande des Sumpfes gefunden worden, auf der anderen Seite von Fenton's Marsh.«
Remy fluchte leise. »Und zwar von Saria, nicht? Sie schleicht immer noch nachts im Sumpf herum, um ihre Fotos zu machen. Ich hatte gehofft, dass Drake unsere kleine Schwester in den Griff bekommt.«
Gage schnaubte. »Saria hat sich noch nie im Leben von irgendjemandem etwas sagen lassen. Das weißt du doch, Remy. Und da sie ihren Mann um den kleinen Finger wickeln kann, ist er da keine große Hilfe. Jedenfalls war sie klug genug, alles unberührt zu lassen. Aber sie hat Fotos gemacht, nur für den Fall, dass etwas oder jemand sich am Tatort zu schaffen macht, während sie Hilfe holt.«
»Im Sumpf gibt es kein Handynetz, deshalb sollte sie nicht allein dort hingehen. Nicht auszudenken, was alles passieren könnte. Außerdem ist das nicht die erste Leiche, die sie da draußen gefunden hat. Man sollte meinen, dass Drake genug Verstand hat, um zu wissen, dass es nachts im Sumpf gefährlich ist«, blaffte Remy.
Manchmal trieb seine erheblich jüngere Schwester ihn in den Wahnsinn. Seit sie laufen konnte, lebte sie nach ihren eigenen Regeln. Die Hälfte der Zeit hatte ihr betrunkener Vater sie vergessen, und ihre Brüder waren meistens mit ihrem eigenen Leben beschäftigt gewesen, daher hatte sie getan, was sie wollte - und tat es immer noch. Obwohl sie mit einem Mann wie Drake Donovon verheiratet war, der sich von niemandem etwas sagen ließ - außer von ihr.
Saria hatte kein Problem damit, nachts im Sumpf fotografieren zu gehen. Remy musste zugeben, dass sie viel Geld mit diesen Bildern verdiente und als Tierfotografin immer bekannter wurde, doch das, was sie tat, war gefährlich, also musste sie damit aufhören. So einfach war das.
»Wow, Bruder«, sagte Gage. »Bei dir scheint sich ja einiges zusammenzubrauen. Aber Saria einen Vortrag zu halten ist sinnlos. Genauso gut könntest du in den Wind reden. Sie wird dir stumm zuhören und nicken, als hätte sie alles verstanden, und dann tut sie einfach, was sie sich in den Kopf gesetzt hat.« Gage zuckte die Achseln. »Andererseits, wenn sie überhaupt auf jemanden hört, dann auf dich.«
»Ich habe nicht vor, Saria zur Rede zu stellen«, erklärte Remy. Er hatte es schon vor langer Zeit aufgegeben, sich direkt mit ihr anzulegen, es sei denn, es ging nicht anders. Sie schien immer zu wissen, wie ernst es ihm wirklich mit seinen Drohungen war. Sie einzusperren war die einzige - aber extrem gefährliche - Lösung. Denn wie jeder anständige Leopard wehrte sie sich meist dagegen.
Remy wollte keine weiteren Details über den Tatort hören. Er machte sich gern ein eigenes Bild, deshalb fragte er nicht weiter nach dem Fund im Sumpf. Der Serienmörder, der vor vier Jahren New Orleans unsicher gemacht hatte, hatte vier Tote in zwei Wochen hinterlassen, dann war er wieder verschwunden. Wenn es sich um denselben Killer handelte, war zu befürchten, dass es nicht bei diesem einen Toten bleiben würde und dass niemand sich in Sicherheit wiegen konnte, bis der Mörder gefasst war. Die Sümpfe und Bayous waren sehr einsam und erstreckten sich über ein großes Gebiet. Der Mörder hatte also ein großes Spielfeld.
Remy war nicht nur als Cajun geboren und aufgewachsen, sondern auch als Gestaltwandler. Er gehörte zu einer kleinen Gruppe von Leopardenmenschen, die sich vor langer Zeit in dieser Gegend angesiedelt hatten, und nicht nur nahm er gelegentlich die Form einer Raubkatze an, er besaß auch all ihre Charakterzüge. Das Wilde in ihm lauerte stets dicht unter der Oberfläche, und seine Gefühle waren ebenso heftig wie sein Temperament. Ob Eifersucht und Zorn oder Liebe und Loyalität, er empfand alles gleich stark. Da Leopardenmenschen keine Möglichkeit hatten, ihre animalische Seite ganz zu unterdrücken, lebten sie nach besonderen Regeln und mussten sich vor dem Anführer des Rudels verantworten - in diesem Fall Drake Donovon. Diese Regeln waren gnadenlos und brutal, aber notwendig, um die Meute unter Kontrolle zu halten. Einige von ihnen heirateten untereinander, andere gingen Beziehungen mit normalen Menschen ein, die gewöhnlich nichts von ihren Fähigkeiten wussten und auch nie davon erfahren würden. Dass man sich verwandeln konnte, musste vor denen, die nicht dazu imstande waren, unbedingt geheim gehalten werden - selbst vor engen Familienmitgliedern.
»Drake und Saria haben einen Pensionsgast«, lenkte Gage das Gespräch vorsichtig in eine andere Richtung. »Eine Freundin von Saria. Sie sind zusammen zur Schule gegangen.«
Sein kühler, sachlicher Ton täuschte Remy nicht einen Moment, denn der aufgeregte Unterton, der besagte, »Ich habe eine Neuigkeit, die dich umhauen wird«, war ihm nicht entgangen.
Remy reagierte nicht. Der einfachste Weg, jemandem etwas zu entlocken, das er gern ausgeplaudert hätte, war, so zu tun, als interessiere man sich nicht dafür. Daher schaute er stumm auf das schwarze Wasser vor dem Bug.
Gage räusperte sich missmutig. »Du wirst dich wohl niemals ändern. Es ist Bijou Breaux, die Tochter des berühmtesten Rockstars aller Zeiten. Sie ist endlich wieder da. Ihr Vater ist schon vor vier Jahren gestorben. Alle hatten gedacht, sie würde eher zurückkommen.«
Remy erinnerte sich an riesengroße, kornblumenblaue Augen mit einem so verstörten Blick, dass er manchmal das Bedürfnis gehabt hatte, das Kind auf die Arme zu nehmen und es in Sicherheit zu bringen. Von ihrem Vater hatte Bijou das Talent, die Menschen mit ihrer Stimme zu bezaubern. Das wusste Remy ganz genau, denn er hatte ihre Karriere verfolgt.
»Ich glaube, es war nicht leicht, die einzige Tochter eines so berühmten Mannes zu sein. Er ist an...
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