Schweitzer Fachinformationen
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Fortsetzung
Wenn Wendell und ich uns bei einem Thema nie einig sein werden, dann bei der Frage, wie klug es ist, eine Katze in die Feenwelt mitzuschleppen. Selbst wenn besagtes Tier eine Feenkatze ist; selbst wenn wir sie nur in die Welt zurückbringen, der sie entstammt, erweist sich das Unterfangen als zutiefst frustrierend. Wendell und ich hatten Orga an der felsigen Küste Griechenlands schon zweimal verloren, als sie Mäusen oder Seemöwen nachjagte, und jetzt, als wir zu guter Letzt an der Schwelle von Wendells Tür standen, war sie wieder verschwunden.
»Das verdammte Biest gehört an die Leine«, sagte ich, allerdings vor allem aus Bosheit. Würde ich mich Orga mit etwas nähern, das einem Geschirr auch nur ähnelt, würde ich die Katze vermutlich am Ende auf dem Kopf tragen, und zwar mit unschönen Folgen für mein Gesicht.
Shadow war wie üblich neben mir, hatte die Schnauze im duftenden Küstengras vergraben und schnüffelte geschäftig. Er würde mich nie im Stich lassen, wie Orga es so oft mit Wendell tat. Hunde sind anständige Gefährten und nicht die verkörperte Launenhaftigkeit.
Wendell gab keine Antwort. Beim ersten Blick auf die Tür war er erstarrt, so sehr, dass er einer vergoldeten Illustration in einem Märchenbuch glich, abgesehen von seinem Mantel, der sich in der salzigen Brise bauschte, die ihm auch die goldenen Haare vor die Augen wehte.
Ich berührte seinen Arm, er kam wieder zu sich und wandte sich mir lächelnd zu.
»Em«, sagte er, »sie ist eine Katze. Du könntest ebenso gut erwarten, dass Shadow sich deinem Willen widersetzt, wie Orga sich ihm unterwerfen würde. Du darfst ihr Wesen nicht vergessen.«
»Ihr arglistiges, hinterhältiges Wesen«, sagte ich. Natürlich tauchte die Katze einen Herzschlag später auf, wie zum Trotz. Ihre goldenen Augen funkelten in ihrem schwarzen Fell, das eigenartig zu wabern schien, wie Rauch in katzenförmigem Glas. Shadow, der zu meinen Füßen saß, warf Orga einen erschöpften Blick zu und bot ihr wie üblich seine Freundschaft an, indem er sie sanft mit der Nase anstupste. Orga machte einen Buckel und fauchte.
»Gib es auf, mein Lieber«, riet ich ihm, aber der arme Hund sah mich nur verständnislos an. In Shadows Welt überschüttete jedermann ihn entweder mit Aufmerksamkeit oder wahrte zu seiner einschüchternd massigen Gestalt respektvoll Abstand. Wenn Orga ihn anfauchte, schien Shadow jedes Mal von einem Missverständnis auszugehen, was zunehmend unwahrscheinlich wurde, je mehr sich diese Vorfälle häuften. Aber seiner Ansicht nach war offenbar ein Missverständnis immer noch weniger unwahrscheinlich als die Möglichkeit, nicht gemocht zu werden.
Wendell betrachtete wieder die Tür - er kostete den Moment aus, vermute ich. Ich war gespannt, ob er eine Rede halten würde oder etwas Ähnliches - immerhin hatte er mehr als zehn Jahre nach diesem Ding gesucht, und jetzt war es hier und schmiegte sich an den Hügel wie eine Schleife an ein Weihnachtsgeschenk.
Recht selbstzufrieden klopfte ich mit dem Fuß gegen einen Stein. Immerhin hatte ich nur ein paar Monate gebraucht, um die Tür ausfindig zu machen, nicht wahr? Ich hatte im November letzten Jahres erfahren, dass er eine Tür in sein Reich suchte, als wir gerade auf Ljosland waren, und im März, kurz nach unserer Rückkehr nach Cambridge, ernsthaft mit der Recherche begonnen. Und jetzt - nach ein paar Umwegen und Sackgassen in Österreich - waren wir hier.
Ich zog mehrere entsprechende Sticheleien in Betracht und verwarf sie wieder, weil sie keinen großen Edelmut bewiesen hätten, und merkte nur an: »Sie ist das Gegenstück zur Tür in St.Liesl.«
Die Tür vor uns war in Form und Stil tatsächlich beinahe identisch - sie passte sich perfekt in die griechische Landschaft ein, die Bemalung ihrer Holzbretter zeigte hellen Fels voller Kiesel und von der Sonne ausgedörrte Pflanzen. Ein kleiner Busch Zistrosen links neben der Tür setzte sich im Gemalten fort, und diese zweidimensionalen Blüten bewegten ihre Köpfe im Wind, im Einklang mit ihren greifbaren Vettern. Noch unmöglicher erschien meinen sterblichen Augen der Türknauf, ein gläserner Quader, in dem ein winziges türkisfarbenes Meer schwappte. Dieser Nexus ist wirklich die eigenartigste Sorte von Feentür, der ich im Laufe meiner Karriere begegnet bin.[1]
Ich hatte zwar erwartet, sie hier zu finden, aber bei Feentüren kann man sich nie sicher sein, und so mischte sich Erleichterung in meine Selbstzufriedenheit.
Ich wandte mich um und schirmte meine Augen vor der Sonne ab, um die Umgebung abzusuchen. Nach Möglichkeit wollte ich es vermeiden, plötzlich vor den Augen von Beobachtern zu verschwinden, einfach weil es alles erleichterte - Wendell und ich wollten nicht, dass ein Suchtrupp mit guten Vorsätzen uns in die Feenwelt folgte. Hinter dem kleinen salzverkrusteten Zypressenwäldchen erstreckte sich das Land als Folge blasser Kommata in ein Meer so blau, dass meine Augen tränten. In der Ferne bewegte sich ein Paar zweibeiniger Pünktchen über einen gebogenen Sandstreifen - das war alles. Im näheren Umkreis war nichts außer uns und dem Wind.
»Wie werden sie uns folgen?«, fragte ich, bemüht, meine Beklommenheit zu verbergen.
»Oh - ohne große Mühe«, sagte Wendell geistesabwesend. Ungewohnt zögerlich streckte er die Hand aus und drehte den Knauf.
Wir traten gemeinsam hindurch, wobei Wendells Hand sich um meine schloss. Ich brauchte seine Hilfe nicht, weil ich mich schon ohne die Unterstützung einer Fee durch einige solcher unmöglichen Türen gewagt hatte, aber ich wusste, dass er andere Gründe hatte. Seine Hand zitterte leicht. Ich verschränkte meine Finger mit seinen und hielt ihn ganz fest.
Das Häuschen hinter der Tür war leer, Gott sei Dank - die Winterfee, der es gehörte, streifte jetzt durchs Land und schwelgte in jahreszeitlichen Freuden, wie diese Feen es Wendell zufolge zu tun pflegten. Der Boden war gefegt und das Geschirr im Spülbecken weggeräumt worden, insgesamt wirkte alles sehr ordentlich und sauber, so, wie man ein Haus vor einer längeren Abwesenheit herrichten würde. Vom Kaminsims und der grausigen »Kunst« der Fee hielt ich meinen Blick fern.
Orga und Shadow waren uns gefolgt. Shadow hatte neugierig an der Tür geschnuppert, bevor er hereingekommen war, davon abgesehen aber nicht gewirkt, als wäre es für ihn etwas anderes, als mein Büro in Cambridge zu betreten. Wendell schloss die Tür hinter uns, und wir betrachteten die sechs Knäufe auf ihrer Innenseite.
Ich hätte ihn gern nach diesen Knäufen gefragt - genauer gesagt hätte ich sie gern näher untersucht, weil zwei von ihnen mir ein völliges Rätsel waren und ich wissen wollte, wohin sie führten - aber dafür war keine Zeit. Seine Finger glitten an dem Knauf vorbei, der uns wieder auf den Peloponnes geführt hätte - und jetzt den obersten Platz in der Reihe einnahm -, und weiter vorbei am Knauf für die österreichischen Alpen. In diesem steckte ein großer Schlüssel, der aussah, wie aus Knochen gefertigt. Der Knauf war versperrt.
Wendell entriegelte das Schloss - ich stellte mir vor, wie die kleine Tür in den Alpen schimmernd wieder Gestalt annahm -, zog den Schlüssel heraus und legte ihn auf den Tisch. Er hielt kurz bei dem Knauf inne, der mit einem Blumenmuster verziert war, bevor er zum moosbedeckten zurückkehrte, der sich jetzt aus irgendeinem Grund in der Mitte befand. Als Ariadne und ich im Oktober durch das Haus der Winterfee gekommen waren, war er an unterster Stelle gewesen. Wendell öffnete die Tür.
Licht.
Es war heller Morgen, und vor meinen Augen erblühten Farben. Vor allem Grün, aber auch das Gelb von Moos und Flechten auf Stein, das Violett der Hasenglöckchen, die sich am Waldrand zusammendrängten, das Gold der Sonnenstrahlen und das satte Azurblau des Himmels. Die Tür führte auf eine kleine Lichtung auf einem Hügel, hinter der eine Wand aus Bäumen wie zur Begrüßung ihre Äste im Wind nicken ließ. Die Luft war noch feucht vom letzten Regen und erfüllt vom Geruch wachsenden Grüns - alles wie in meiner Erinnerung.
Wendell drückte meine Hand, damit ich stehen blieb. Sein Blick folgte Orga, die ihre Nase hoch in die Luft reckte, schnupperte und dann auf die Lichtung schritt. Sie hatte die Ohren wachsam gespitzt, aber bald verließ die Anspannung ihren Körper, und sie setzte sich und knabberte an einem Grashalm.
»Ich dachte, meine Stiefmutter lässt diese Tür vielleicht bewachen«, murmelte Wendell. »Falls sie überlebt hat.«
»Sie hätte sie auch versiegeln können«, stimmte ich zu. »Andererseits ist nicht anzunehmen, dass sie wusste, wie Ariadne und ich entkommen sind, es sei denn, eine der gemeinen Feen hätte unsere Flucht bemerkt und es ihr gesagt.«
Wendell nickte, blieb aber weiter zögernd auf der Schwelle stehen. Im Schatten des Hauses der Winterfee sah er blass und erstaunlich jung aus; er erinnerte mich an ein nervöses Kind, das sich hinter dem Bühnenvorhang versteckt und nicht hervorkommen will, wenn sein Stichwort fällt.
Ich trat ins Sonnenlicht, eine willkommene Veränderung nach dem nasskalten Haus der Winterfee. Mich durchlief ein leichter Schauer, ob vor Angst oder Aufregung, vermochte ich nicht zu sagen. Manchmal frage ich mich, ob meine Furcht vor Wendells Königreich, die sich durch die berufliche Lektüre zahlreicher finsterer und unangenehmer Geschichten aufgebaut hat - ganz zu schweigen von meinen früheren Erfahrungen...
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