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Gespräch zum Briefwechsel zwischen Matthias Penzel und Stephan Porombka
So, jetzt noch mal schnell die Augen zu, bevor es losgeht. Lass uns dran denken, was man sich unter einem großen Briefwechsel zwischen zwei Autoren eigentlich so vorstellen könnte. Du fängst an.
Erwarten könnte man so was wie ein schriftliches Werkstattgespräch, wo sich die beiden intensiv über den Fortlauf ihrer Arbeit verständigen. Wo man erfährt, wie einzelne Texte entstehen.
Ja, es könnten sich auch private Welten öffnen, die sonst verschlossen bleiben. Familiäres. Intimes. Geständnisse, Bekenntnisse, geöffnetes Herz und so.
Oder so was: Zwei schreiben sich und leuchten dabei die Welt aus, in der sie leben und schreiben. Und dann sieht man durch die Briefe die Gegenwart aufscheinen: die Literatur, die Gesellschaft, die Leute, die Kultur, die politischen Entwicklungen.
Aber im Briefwechsel von Fauser und Weissner findet man ja all so was eher nicht, oder?
Eingeschränkt. Sie schicken sich schon ein paar Sachen. Bücher, Tonbänder, auch Manuskripte, die im Nachlass als Beilage vorliegen1 oder deren Existenz sich eher so als Mosaik aus Antwortbriefen zusammenpuzzeln lässt, sofern sie nicht vorliegen.2
Detailarbeit an Texten: findet eigentlich nicht statt. Privates: komplette Fehlanzeige. Die politischen Entwicklungen: tauchen so gut wie gar nicht auf. Die Umgebung des Literaturbetriebs: in fragmentarischen Hinweisen, alles eigentlich nur in Stücken und Fetzen. Die großen Stories, die pointierten Anekdoten, die zeitgeistigen Reflexionen, die großen Schlaglichter, die sichtbar machen könnten, was hinter der Bühne passiert - das bleibt alles aus.
Man muss die Briefe anders lesen, um mitzukriegen, was Fauser und Weissner hier über Jahre hinweg entwickeln. So eng. So freundschaftlich. Zum Teil so sehr in Not. Und über die ganze Zeit hinweg dann doch mit so wahnsinniger Energie in der Auseinandersetzung mit dem Literaturbetrieb. Die beiden machen ihr Ding.
Da sollte aber bitte jeder Buchstabe großgeschrieben sein: Die beiden machen IHR DING!
Ja, und wenn wir jetzt die Briefe lesen, gucken wir ihnen ziemlich genau dabei zu, wie dieses Ding entsteht. Und das ist schon der Hammer.
Vielleicht muss man sich auch erst noch mal klarmachen, wo beide stehen, wenn ihr Briefwechsel einsetzt. Sie sind ja 1970 erst in the making. Und was sie sich gegenseitig schreiben, wird an diesem Machen ziemlich Anteil haben.
Fauser versteht sich im August 1971 als Schriftsteller. Doch eigentlich ist er einer, der nicht veröffentlicht. In Zeitungen hat er zwei Dutzend Sachen publiziert, aber seinen ersten großen eigenständigen Text Aqualunge bringt der gemeinsame Freund Udo Breger erst Monate nach dem ersten Brief in seinem Kleinverlag. Und Tophane wurde von mehreren Verlagen abgelehnt. Bis sich dann eben Weissner als Außenlektor des Melzer Verlags meldet.
Also sieht Fauser aus wie einer, der gerne möchte, der es aber nicht richtig bringt und abdriftet. Seinen neuen Freunden Breger, Ploog, Weissner stellt er sich körperlich und geistig vor allem in einer Rolle dar: als Junkie.
Fauser, der Junkie. Das ist ja zu einer der beliebten Verkürzungen für den Imagekatalog der Fauser-Fans geworden. Leider. Man muss Fauser schon ein bisschen komplexer sehen, wenn man verstehen will, wie er und Weissner sich da Anfang der siebziger Jahre begegnen. Zunächst ist Fauser nämlich erst mal in der Rolle des Jüngeren, des Kleinen, des Nachrückenden eingeklemmt, der seinen Platz sucht, ihn aber nicht findet oder nicht bekommt. Nicht zuletzt, weil er sich viel zu gehemmt fühlt. Gehemmt von innen, gehemmt von außen.
Fauser gehört ja generell eher zum gehemmten Typus, der immer mal wieder mit Übersprüngen und Radikalitäten an Stellen durchbrechen will, wo keiner damit rechnet. Deshalb auch der Drogenkonsum.
Deshalb auch die Orientierung an Vorbildern, die als Outsider, als Devianten, als Outlaws gelten. Alkoholiker, Morphinisten, Fixer.
Wer süchtig ist und schreibt, bekommt Fausers Bewunderung.
So würde ich's nicht ausdrücken. Eher so, wie Fauser die Storys von Hans Herbst zusammenfasst: »Darum geht es in diesen Geschichten: um Augenblicke auf der Kippe; um Angst und die Kraft, die die Angst überwindet; um den Tod und das Leben.«3
Das könnte man nun aber auch ziemlich pathetisch finden.
Klar, hey . wir versuchen ja nur einzukreisen, was Fauser vorschwebte. Was ihn störte »an unseren Gegenwartsbelletristen«, hat er Karasek 1984 in einem Interview auch hübsch erklärt: »Diese Pose! Nicht das Ich - wenn sie wenigstens was erlebt hätten, fände ich das ja toll. Meistens haben sie gar nichts erlebt, sondern sie haben halt die kleine Liebesgeschichte und den Kakadu in der Wohnküche, und der Mann ist mal weggelaufen, oder man kriegt keinen Job als Lehrer mehr.«4 Fausers Devise: Dann doch lieber mit Narben! Ruhig auch mit offenen Brüchen im Lebenslauf! Ob jetzt Outlaw oder pathetisch: Auf jeden Fall aus Sicht der Personalabteilungen im Rundfunk ungeeignet für Festanstellung. So ein Schriftsteller will Fauser sein.
Ja, er will kein Träumer und kein Erfinder sein. Selbst wenn er sich was spritzt, interessiert ihn nicht so sehr der Abflug, die Verwandlung der Welt, das Eintauchen ins Andere. Der Rausch hat bei ihm immer etwas Kaltes, Hartes. Und richtig kalt und hart wird's bei Fauser, wenn er wieder runterkommt. Wenn der Rausch nachlässt. Wenn der Körper wieder weh tut. Wenn man die Verwahrlosung der Welt wahrnimmt. Wenn es nach Pisse und Kotze stinkt. Und wenn der nächste Stoff fehlt.
Ja. Er legt's drauf an, dem Leben ausgesetzt zu sein, Grenzen zu testen, Abenteuer durchzumachen. Davon will er berichten. So wie er es bei Dostojewski und Dickens, Shakespeare und Kerouac gelesen und geliebt hat.
Die harte Nummer, die existentielle Nummer also. Das passt natürlich gar nicht in eine literarische Öffentlichkeit, in der die braven, abgedimmten Autoren und ihre wohltemperierten kritischen Stimmen bevorzugt werden. Und es passt auch gar nicht in eine Zeit, in der im Kursbuch gerade noch der »Tod der Literatur« ausgerufen wurde.
Das sind so die Fronten, zwischen die sich Fauser setzt. Das sind die Positionen und Programme, die er verachtet und von denen er sich mit einem eigenen Programm abgrenzen will.
Kein Wunder also, dass er aus der deutschen Literatur rausspringt. Ihn interessieren die radikalen Experimente anderswo. Deshalb die Hinwendung zur Cut-up-Ästhetik. Zum schreibenden und junkenden Burroughs. Später zum schreibenden und trinkenden Bukowski.
Genau. Diese Orientierung wird ihn eng mit Weissner verbinden. Aber, aber .: Wie sehr Fauser in der Zeit um 1970 wirklich an Cut-ups geglaubt hat, ist nicht so genau auszumachen. Da entwickelt er sich schnell weiter und seilt sich etwa von der Zeitschrift UFO ab, in der wild mit Schreibweisen experimentiert wurde. Genauso beschäftigt ihn Bukowski - noch so ein abgewetztes Label! - nach 1977 nur noch nebenher. Er verabschiedet sich und macht etwas Eigenes. Dabei sollte man nicht vergessen, dass Fauser außer den genannten Klassikern auch andere sorgfältig gelesen hat: Fallada, Joseph Roth, Frick, um mal ein paar seiner deutschsprachigen Rolemodels zu nennen.
Aber noch mal zurück. Auch wenn Fauser zu dieser Zeit nicht auf die Junkie-Gestalt reduziert werden darf, dann ist doch richtig: Er wollte viel, hatte aber nichts. Und gut ging es ihm nicht. Im Gegenteil: Er war tatsächlich ziemlich runtergekommen. Dass er da auf Carl Weissner trifft und dass der für ihn da ist, gehört ja zu den Glücksmomenten von Fausers Biographie.
Ach, es ist nicht nur ein Moment. Eigentlich ist der ganze Briefwechsel von diesem Glück bestimmt.
Dabei ist Weissner - ganz anders als Fauser - zum Zeitpunkt der ersten Briefe eigentlich schon eine ernstzunehmende Nummer im Betrieb.
Weissner hat ein Netzwerk. Er taucht von Beginn an als souveräner Netzwerker auf. Schon 1964 hat er hunderte Briefe an Dichter weltweit geschrieben, um sich in »The Changing Guard« einzuklinken, wie es das Times Literary Supplement damals in zwei der Avantgarde gewidmeten Sonderausgaben bezeichnet hat. Das ist Weissners Flucht aus der Enge der BRD mit ihren nazifizierten Restbeständen. Über die Times-Ausgaben ist er auf die rauhen, straighten Wortartisten gestoßen. Das war der...
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