Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Ein Gaumenschmaus, der berührt und inspiriert
Inmitten Wiens betreibt Lissy einen Lieferservice der besonderen Art. Sie kocht nicht nur für das leibliche Wohl, sondern auch für Herz und Seele ihrer Kunden. Sehnsucht nach Liebe oder fernen Ländern, Einsamkeit, Trübsinn oder ein gebrochenes Herz - Lissy findet für jeden das passende Gericht. Bis Matthias bei ihr bestellt und Lissy zum ersten Mal richtig danebenliegt. Völlig verstimmt hinterlässt er eine schlechte Bewertung im Internet. Lissy kann und will das nicht hinnehmen und denkt sich etwas ganz Besonderes aus, um den schwierigen Kunden doch noch zu überzeugen. Womit sie nicht gerechnet hat: dass Matthias ihr so unter die Haut geht, obwohl sie nur seine Stimme hört ...
Erleben Sie Liebe und Genuss in einer der schönsten Städte Europas: Wien
Eine frische junge Stimme aus Österreich mit einem besonderen Erzählton
Ich brauche Liebe, fühle mich so unterkühlt! Himmel! Richtig viel Liebe bitte . Mit einem schweißtreibenden Höhepunkt, dem gestern Nacht meine Nachbarin mit einem herrlich lauten Stöhnen erlegen ist. Himmel . die Wände sind einfach zu dünn, um mich vor Neid zu schützen!
Die Mail ist von Lady Mon Chéri, die nie einen Genierer hat, dem Pizzakummerkasten genau mitzuteilen, was sie will. Lady Mon Chéri heißt im wirklichen Leben Gertrude Kobald. Lehrerin für Angewandte Kunst bei unter Achtzehnjährigen. Erotische Kunst bei etwas älteren Schülern, meist sind es Erwachsene, die sie in ihrem Atelier aufsuchen und lernen wollen, wie man Sinnlichkeit zu Papier bringt. Mittlerweile kennt Lissy ihren vollen Namen und ihre Lebensgeschichte. Kein Wunder, denn Lady Mon Chéri bestellt schon seit mehreren Monaten treu bei ihr. Vielleicht, weil Lissy zaubern kann. Vielleicht, weil sie den Kochlöffel wie ein Zepter schwingt und damit ein ganzes Schlaraffenland beherrscht. So oder so ähnlich muss es wohl sein, sonst hätte der Pizzakummerkasten nicht mehrere Erwähnungen in den bekanntesten Zeitungen der Stadt bekommen. Als »Küche für Herz und Seele« betitelte sie ein Boulevardblatt, das in einer Überzahl in den U-Bahn-Stationen ausliegt und immer für ein kurzes, abgelenktes Durchblättern gut ist.
Andere mussten in den Lockdownphasen der Pandemie ihre Lokalitäten schließen, Lissy konnte sich vor Bestellungen kaum retten. Vielleicht, weil sich so viele Menschen etwas von der Seele schreiben wollten und einen kurzen, bedeutenden Moment des Genusses suchten, um ihrem grauen Alltag eine kräftige Farbe zu verleihen. Ein sattes Pink, das auf einer ausgefallenen zitronengelben Torte tanzt und nach Amalfiküste an einem heißen, schwülen Augustnachmittag duftet. Nach einem kleinen Abenteuer, einer kleinen Reise. Nach Jetlag. Einer Achterbahn an Gefühlen. Einem Vollrausch. Nach einem stinknormalen Leben mit täglichen Experimenten, auch wenn das ein Widerspruch in sich ist. Nachdem sie jemand im ersten Lockdown auf TripAdvisor »Die Seelsorgerin für Gaumen und Herz« genannt hat, musste Lissy sogar weiteres Personal einstellen.
All die guten Bewertungen ihrer Kunden geben ihr recht, und sie hätte schon längst ihren Lieferservice ausbauen und expandieren können. Doch für Lissy ist Essen wie Poesie. Der, der sie schreibt, ist einmalig, den kann man nicht doubeln oder franchisen. Um zu zaubern und etwas zu bewirken, ist es notwendig, dass man sich in seine Kundschaft hineinversetzt, damit das Gericht am Ende das bewirkt, was es bewerkstelligen soll. Beim Verzehren muss etwas ins Schwingen geraten, vor allem beim ersten Bissen. Das ist der alles entscheidende Moment. Der erste Bissen. Für Lissy ist Essen die wahre Medizin. Die beste, die es für Körper, Geist und Seele gibt.
Hey, Pizzakummerkasten, ich fühle mich heute wie brauner Schneematsch, der von Kinderfüßen in den Gully getreten wurde. Was empfehlen Sie mir?, ploppt als nächste Bestellung in ihrem Posteingang auf.
Nachdenklich starrt Lissy den Bildschirm an, da sie den Absender nicht kennt. Es ist kurz nach zwölf Uhr. Die Trüffelravioli brutzeln in der Gusspfanne in brauner Butter vor sich hin und verklären die Luft mit ihrer moschusartigen Note. Lissys Magen lässt ein sehnsüchtiges Grummeln hören. Seit dem frühen Morgen steht sie in der Küche, kocht und bäckt, um vorbereitet für das Mittagsgeschäft zu sein, das heute ungewöhnlich hektisch ist. Ihre Kreativität gerät ein wenig ins Schwitzen - wie der frisch geriebene Bergkäse, der in einer kleinen Metallschale neben dem Herd steht und darauf wartet, mit seinen Aromen in Kürze die Trüffelravioli zu veredeln. Letzte Woche hat sie den Käse unter größter Sorgfalt in ihrem wendigen Stadtflitzer aus Vorarlberg nach Wien eskortiert, kühl gelagert neben anderen Köstlichkeiten, die sie auf ihrem kulinarischen Streifzug durch Westösterreich entdeckt hat. Lissy hofft darauf, dass die Grenzen bald wieder geöffnet sind, damit sie nicht mehr darauf angewiesen ist, ihre internationalen Schätze online zu bestellen und sich dabei auf vielversprechende Werbetexte oder Werbebilder zu verlassen, die ohnehin nie halten, was sie versprechen.
Lissy, die offiziell Lieselotte heißt, hat schon von klein auf ein gutes Gespür dafür gehabt, was andere wollen. Als Kind posaunte sie es lautstark hinaus, und irgendwie stimmte ihre Deutung immer, die in manchen Fällen erschreckend genau und unbarmherzig ehrlich ausfallen konnte. Es war wie ein perfekt platzierter Dartschuss mitten in die routinierten Lügenfassaden einiger Gesichter, der manchmal deutlich sichtbare Löcher hinterließ. Heute ist Lissy vorsichtiger damit geworden und skizziert ihre Treffsicherheit nur noch mittels Oregano, Basilikum und Co. auf diversen Gerichten, die sie ihren Kunden auch erst nach Aufforderung offeriert.
In ihrem Herzen geht sie das Empfinden ihres neuen Patienten durch. Er hat sich das erste Mal bei ihr gemeldet. Matthias. Nachname unbekannt. Dafür hat sie eine Adresse. Wenn alles gut geht, würde er sich mehrere Male im Monat bei ihr melden. Nein, sie ist keine Psychiaterin, keine Psychologin oder Therapeutin. Oh Gott . auch keine Prostituierte. Und nur in Ausnahmefällen, wenn das Herz schwer vor Einsamkeit wird, eine Grenzgängerin auf Dating-Apps. Gut, ein paar Mal war sie vor der Pandemie auf Tinder unterwegs, aber irgendwie hat das nie so richtig klappen wollen mit den Männern. Vielleicht haben die netten Typen das mit dem Wischen nach links oder rechts nicht so recht verstanden .
In ihrem Kopf geht Lissy ihre Empfehlung durch. Etwas Süßes vielleicht? Nein, etwas Süßes als Hauptgang funktioniert nur in Ausnahmefällen. Bei Lady Mon Chéri zum Beispiel, die das regelmäßig zu Mittag von ihr kredenzt bekommt - meist einen warmen Kaiserschmarrn, weil es die Leibspeise ihrer treuen Kundin und eines von Lissys Lieblingsrezepten ist, für das sie weit über die Bezirksgrenzen hinaus bekannt ist. Manchmal kombiniert sie den Kaiserschmarrn mit einem selbst gemachten lauwarmen Apfel-Zimt-Kompott oder einem traditionellen Zwetschgenröster, wenn Lady Mon Chéri mal wieder ordentlich Schwung braucht. Geht es hart auf hart, darf auch ein Berg Puderzucker den Kaiserschmarrn unter sich begraben und ihrer Kundin den Mund verkleben.
Lissy gibt ihren Patienten Namen. Außergewöhnliche Namenskreationen, die ihren einfallsreichen Gerichten in nichts nachstehen. Diese Ansprüche stellt sie an sich selbst. Im Grunde genommen ist Lieselotte eine Therapeutin, denn Köche sind, richtig verstanden, nichts anderes als Seelsorger. Sie sorgen für das leibliche Wohl, das letztlich in einem Seelenwohl endet. Das kann jeder bestätigen, der in einem Frustrationshöhenflug einer leckeren Sahnetorte oder einer doppelten Portion Eiscreme erlegen ist und sich danach um Welten besser gefühlt hat.
Aber was ist mit diesem Matthias los? Was braucht er?
Vorsichtig öffnet sie den Kühlschrank und sieht nach, ob für Lady Mon Chéri noch genügend Rhabarberkompott da ist. Kaiserschmarrn mit Kompott? Zu einfallslos. Vielleicht eine Kombination mit Erdbeereis? Erdbeeren und Kaiserschmarrn? . Das ist wie Schlittenfahren auf einer Geraden. Heute wird sie ihr eine wahre Überraschung, ein wenig Aufregung kredenzen, so, wie sie es bestellt hat.
»Pierre, haben wir noch Quitten lagernd?«, fragt sie ihren Sous-Chef, der damit beschäftigt ist, ein Grapefruit-Parfait für den stets frustrierten Radicchio-Boy zuzubereiten. Sie beide wissen: Verbittert bekämpft man am besten mit Bitter. Das ist wie in der Homöopathie.
»Oui, oui, ma petite Chefiiiin. Alles noch da!«, antwortet Pierre, der eine Rezeptdatenbank in seinem Kopf gespeichert hat, vor der Lissy einst ehrfürchtig kniete. Tagelang ließ Pierre sie zittern, wie eine Diva ließ er sich mehrmals um einen Tanz bitten, ehe er mit einem leisen Oui, oui, wahrscheinlisch will isch, isch weiß nur nisch, für wie lange als neuer Sous-Chef im kleinen Pizzakummerkasten zu arbeiten begann. Seither stehen sie Seite an Seite. Schwitzen und tüfteln gemeinsam an ausgefallenen Kochrezepten und schwingen die Kochlöffel, als kämpften sie gegen fleischgewordene Knödelkreaturen. Sie bewerfen sich übersprudelnd mit französischen und deutschen Schimpfwörtern, die Pierre leidenschaftlich und Lissy verhalten über die Lippen kommen, sodass es nicht nur in den Töpfen raucht.
Wieder einmal gleiten Lissys Hände zur Rührschüssel, und sie beginnt zu zaubern. Mehl, Eier, Milch, Butter, Zucker, ein, zwei Körnchen Salz . den Teig vermischen, alles wie gewohnt. Dazu eine Prise Rosmarin und frisch geschnittene Quitten anstelle der üblichen Rosinen, vorsichtig dem Teig in einem unachtsamen Moment untergejubelt, sodass er für den kreativen Fauxpas nicht ins Meckern gerät. Dann goldbraun ausbacken, zur Krönung ein paar Flocken des Schokoladen-Chili-Pulvers drauf und zum Warmhalten in den Ofen gestellt. Et voilà . In wenigen Minuten wird der Süßtraum mit anderen Gerichten in bester Verfassung und perfekt temperiert ihr Lokal im Zweiten verlassen und mit dem Fahrrad im Eiltempo und vor allem klimaneutral zu ihren Kunden kutschiert werden. Der Kaiserschmarrn wird ihrer Lady Mon Chéri nach den zähen Unterrichtsstunden ordentlich einheizen und einen Höhepunkt verursachen, mit dem sie ihre Nachbarin eifersüchtig machen könnte.
Lissys Pizzakummerkasten hat keine Sitzplätze. Es gibt nur diese feine Küche, in der die fantastischsten und gefühlvollsten Menüs der Stadt gekocht werden. Nur in absoluten Ausnahmefällen...
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